Text.BP032.A2r/TranslationDE
Prolog an den Leser
Der Grund, hochgeschätzter Leser, der mich zu diesem Werk oder dieser Schrift über die edle Kunst der Chirurgie veranlasst hat, ist, dass ich darin so große und schändliche Irrtümer und Missbräuche feststelle. Diese höchst notwendige Kunst ist von Gott allein zum Beistand der Bedürftigen und zum Dienst am Nächsten eingesetzt, weswegen man sie sehr sorgfältig und mit beständigem Nachdenken und reifem Verstand ausüben sollte, damit sie nicht missbraucht und dem Armen kein Schaden zugefügt, sondern jegliche mögliche Unterstützung und Hilfe gewährt wird, welche diese Kunst bieten kann.
Damit nun dieser Wille oder diese Ordnung Gottes in Bezug auf die Kunst erfüllt werden kann, habe ich mir vorgenommen, so weit Gott mich leben lässt, dieses Buch zu verfassen. Es soll zum Trost und Beistand all jenen Chirurgen dienen, die sich von ihren bisherigen Fehlern oder Irrwegen, die sie täglich begehen, abwenden möchten, und ebenso all jenen, die diese Kunst lieben, ob sie nun gelehrt oder ungelehrt sind. Denn die wirklich Gebildeten werden aus diesem Buch Anregungen für die Verordnung von Rezepten gegen Krankheiten oder zur Behandlung von Wunden gewinnen können, da sie hier vollkommene und fehlerfreie Zusammensetzungen finden, die man nach Bedarf zusammenstellen und anwenden kann – besser, als sie von vielen anderen je formuliert wurden. So werden sie es erkennen, wenn sie dieses Buch nicht unverständig oder neidisch lesen. Und wer ohne Vorbildung ist und zu lernen begehrt, sei es, um Patienten zu helfen oder sich selbst, der Hausfrau oder den Kindern in der Not beizustehen, der wird hier alles finden, was er in der Chirurgie benötigt: sowohl Erkenntnisse über die Leiden selbst als auch Hilfe und Rat zu deren Behandlung.
Darum möge niemand so unhöflich sein, dieses Werk zu verurteilen, bevor er es zu Ende gelesen und aufmerksam bedacht hat. Es ist nämlich wahrhaft geschmückt mit den allerbesten Rezepten für Tränke, Öle, Salben, Pflaster und ähnliche Mittel, die in der Chirurgie gebraucht werden können. Diese sind seit Anbeginn der Welt von irgendjemandem zusammengestellt oder niedergeschrieben worden – nicht so, dass sie aus vielen verschiedenen und fremden Autoren zusammengetragen oder wahllos übernommen worden wären, sondern sie bilden den Kern und das Mark aller chirurgischen Schriften, die von Theophrastus Paracelsus verfasst wurden, welcher in dieser Kunst der Vollkommenste war, den man unter der Sonne je gefunden hat.
Daher, hochgeschätzter Leser, ist es mein Wunsch, dass du dieses Buch sorgfältig liest und alles, was es enthält, mit reifem Verstand bedenkst. Und wirf die Rezepte nicht sogleich beiseite, bevor du sie selbst ausprobiert hast, auch wenn es vorkommen könnte, dass sie nicht jedem zusagen. Wenn du sie jedoch erprobt hast, wirst du sie über alle anderen loben, die du in vergleichbaren Angelegenheiten jemals ausprobiert hast.
Und urteilt daher nicht darüber, bevor ihr sie ausprobiert habt, denn sie sind schon oft erprobt worden und haben an sehr verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten viel Gutes bewirkt. Niemals ist jemand damit schlecht gesund geworden, während man doch heutzutage (Gott gebe Besserung) genügend Fälle bei solchen sieht, die glauben, viel zu wissen, sich stolz als große Meister ausgeben und behaupten, alle Bücher gelesen zu haben.
Er rühmt sich außerdem, lange Zeit der Chirurgie nachgegangen zu sein und dem Heer zu folgen, womit er offenbar glauben machen will, diese edle Kunst könne nur im Kriegsdienst erlernt werden. Doch das ist nicht der Fall. Es gibt durchaus andere, tüchtigere Chirurgen als er, die dem Heer nicht gefolgt sind und dennoch so erfahren sind, dass er nicht wert wäre, ihnen die Riemen ihrer Schuhe zu lösen. Gleichwohl ist es lobenswert, wenn ein Chirurg dem Heer folgt, um Besonderheiten zu sehen, wie sie dort bisweilen auftreten. Doch dass er behauptet, dem Heer gefolgt zu sein, ist eher glaubhaft dahingehend, dass er möglicherweise durchs Land zog und sich mit Öl und Salben auf Märkten aufstellte, wie es diese heimatlosen Herumtreiber gewöhnlich tun, die alle Gelehrten verachten. Es ist bedauerlich, dass man sie nicht überall aus dem Land vertreibt, wie man es in vielen Städten und Orten tut, denn sie verursachen den Tod vieler Menschen durch ihre falschen Behauptungen oder machen sie zumindest verkrüppelt oder gelähmt.
Gerne würde ich wissen, welches Zeugnis er etwa von der Stadt Antwerpen oder Brüssel hat, wo er sich ebenfalls als großer Meister ausgegeben hat, und ebenso in vielen anderen Orten, an denen er zahlreiche arme Kranke trostlos zurückgelassen hat. Das ist hinreichend belegt durch verschiedene Chirurgen, die ihnen nachträglich halfen. Obgleich er so großspurig schreibt, weiß ich doch, dass er nicht alle geheilt hat, die in seine Hände gerieten. Tatsächlich ist er wegen solcher Vorkommnisse an manchen Orten heimlich verschwunden, während sein Besitz vom Wirt verkauft wurde – das Wenige, das er zurückließ. Er wollte offenbar alle Menschen mit seinen großen Lügen täuschen, nur um an Geld zu kommen, wie deutlich erkennbar ist.
Er selbst weiß am besten, wie sehr er sich vor seinem Gewissen zu verantworten hat und darunter leidet. Aber eines steht fest: Man soll keine Toten verurteilen, insbesondere nicht, wenn man an ihnen nichts als Rechtschaffenheit und Ehre gesehen hat. Ebenso sollte man nichts verachten, es sei denn, man weiß, wie man es verbessern kann, was bei ihm allerdings nicht festzustellen ist. Dass er sich an manchen Orten irgendwelcher Verfehlungen schuldig gemacht hat, scheint berichtenswert, denn hätte er sich an die richtige Schule der Vernunftlehre gehalten, so glaube ich kaum, dass er überhaupt eine kleine Wunde nach den Regeln der Kunst behandeln könnte – zumindest hat er das bis heute nicht bewiesen, obwohl er behauptet, bereits 28 Jahre in der Chirurgie tätig zu sein. Doch man hört genug darüber, wie er viele Leute mit seinen großen Lügen, in denen er ein wahrer Meister ist, betrogen hat. Ich glaube durchaus, dass man leicht seinesgleichen fände; er ist darin wohlgeübt und versteht sich darauf, den Mund geschickt zu führen, wie solche Gesellen es gemeinhin tun, die nirgendwo einen festen Wohnsitz haben usw.Wenn diese Personen zunächst ihr Gewissen und dann auch ihre Ehre rein erhalten wollen, sollen sie sich nach der Anleitung dieses Buches richten. Dann werden sie niemanden mehr verderben, sondern jedem (so weit es die Kunst zulässt) Hilfe und Trost gewähren und sich selbst Ehre und Nutzen verschaffen. Denn mit ihren alten, falschen und unkundigen Rezepten hätten sie den Kranken weder Nutzen noch Hilfe gebracht, sondern Schaden und Verderben – und sich selbst Schande und Schaden zugezogen.
Damit möchte ich den Prolog beschließen und einem jeden die Wachsamkeit anempfehlen, die ihm auferlegt ist. Denn es ist zu vermuten, dass der allmächtige Gott diejenigen nicht so leicht davonkommen lässt, die täglich Kranke verderben und sie trotzdem zur Zahlung auffordern, indem sie behaupten, sie hätten alles getan, was nach der Kunst möglich sei – was eine offensichtliche Lüge ist. Ich kenne ihre Fähigkeiten nicht, doch die Möglichkeiten der Kunst selbst finden sich hier vollständig und unverfälscht, so wie sie vom Schöpfer aller Geschöpfe bestimmt ist.
Möge derselbe Schöpfer euch seine Gnade und Beistand verleihen, damit ihr euch von eurem bisherigen Verderben abwendet und euch nach den Erfordernissen dieser Kunst ausrichtet, wozu euch auch die Liebe zu eurem Nächsten verpflichtet, nämlich ihm so weit wie irgend möglich gemäß der Kunst zu helfen. Reines Wissen allein genügt nicht; wenn euch die Kunst fehlt, dann behandelt keine Patienten, bevor ihr sie erlernt habt. Denn ihr müsst dem höchsten Richter für alles, was ihr tut, Rechenschaft ablegen.
Den Liebhabern der Kunst zum großen Schatz, den Zerstörern aber zum Untergang.