Sprengel 1827 Versuch
Kurt Sprengel,
Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneykunde 1827 |
Text
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Neuntes Kapitel.
Ausbreitung des Aberglaubens aller Art im sechzehnten Jahrhundert
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Der letzte, aber kostbarste und verderblichste Zweig der Magie und Theosophie, dessen hier erwähnt werden muß, ist die Alchymie, oder die vorgebliche Kunst, unedle Metalle in edle zu verwandeln und Gold hervor zu bringen. Diese brotlose Kunst wurde gegen das Ende des vorigen undin dem sechzehnten Jahrhundert sehr ausgebreitet. Die Fabriken, die Berg- und Hütten-Arbeiten hatten sich vervielfältigt, und ohne eine Spur von Theorie wurden bey denselben allerley Versuche aufs Gerathewohl gemacht, durch welche man bisweilen auf nützliche oder wenigstens wunder- |
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23) Dies zeigte schon Smetius miscell. lib. 12. p. 697., wo man überhaupt die Gründe und Gegengründe der Alchymie recht gut neben einander gestellt findet.
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24) Gesch. der Arzneyk. Th. 2. S. 220 f.
25) Die spätern Anhänger des Paracelsus suchten dennoch aus dem Aristoteles selbst den Beweis von der Verwandlung der Metalle zu führen. Er läßt (meteorolog. lib. 3. s. 157. a.) aus trocknen Ausdünstungen alle Fossilien, den Sanderach, Schwefel und die Ocher entstehen. Die feuchten und wässerichten Dünste erzeugen die schmelzbaren Metalle. Nun schloß man: quae generabilia sunt et corruptibilia, ea et transmutabilia. S. vorzüglich Libavii alchym. transmutator. defens. 2. contra Guibert. p. 163. (fol. Frcf. 1615.) Ferner machte man auch gewöhnlich die Ausflucht, species in speciem non transit formaliter sed materialiter, ob principii materialis genericam communionem: so wie nämlich der Chylus ins Blut übergeht. Die Form des Chylus wird nicht in die Form des Bluts verwandelt, sondern jene vergeht, und diese entsteht von neuem. (Libav. l. c. p. 190.)
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203.
Eine andere Ursache der Ausbreitung der Alchymie in disem Jahrhundert war die Neigung der Fürsten zu dieser Kunst. Damals flossen die Einkünfte der Fürsten noch nicht aus so vielen und ergiebigen Quellen, als heut zu Tage: sie mußten also, wenn sie ihre Kriege und ihren Aufwand bestreiten wollten, oft zu außerordentlichen Mitteln ihre Zuflucht nehmen. Sie __________
26) Rehkopfs Gesch. des Schulwesens, Th. 1. S. 125.
27) Vergl. Möhsens Lebensbeschreibung Thurneyssers in dessen Beyträgen zur Geschichte der Wissenschaften, S. 32 f. (4. Berlin 1785.)
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28) Wieglebs Untersuchung der Alchymie S. 230.
29) Henry’s history of Great-Britain, B. V. ch. 4. §. 1. p. 413.
30) Boecler. memorabil. saecul. 16. p. 674.
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204.
So wie schon die Alchymisten der ersten Jahrhunderte sich ein Ansehn dadurch zu erschleichen suchten, daß sie Bücher unterschoben, alte ehrwürdige Namen mißbrauchten, um sie zum Deckmantel ihrer Betrügereyen zu gebrauchen, und sich selbst erdichtete Namen beylegten; so wurde es vorzüglich im funfzehnten und sechzehnten Jahrhundert Mode, und ist bis auf die neuesten Illuminaten-Orden in geheimen Gesellschaften Mode geblieben. Die abgeschmackten Cärimonien, die dem gesunden Menschen-Verstande am meisten widerstreitenden Grillen suchte man dadurch zu beschönigen, daß man ihr ehrwürdiges Alterthum von den Königen Hiram und Salomon, von Pythagoras, Hermes, Zoroaster, Hippokrates und Demokritus ableitete. Man besorgte im sechzehnten Jahrhundert mehrere Ausgaben der untergeschobenen Bücher des Hermes, des Demokritus und Zoroaster, die von der Goldmacherkunst handelten. Die Mönche verfertigten vorzüglich alchymische, in meteorischen, frommen, mystischen Ausdrücken den abenteuerlichsten Unsinn enthaltende Schriften, denen sie die Namen Hippokrates, Galen, Avicenna u. s. w. dreist vorsetzten, und dergestalt das leichtgläubige Publicum äfften. So sahe Paracelsus zu __________
31) Geschichte der Wissenschaften in der Mark, S. 522.
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Da übrigens die wahre Geschichte der ältern Alchymisten solchen oft unübersteiglichen Hindernissen unterworfen ist, so können auch hier nicht mehr als gewöhnliche Nachrichten gegeben werden. Unter dem Namen des Basilius Valentinus besitzen wir eine Menge von alchymistischen Schriften, deren Verfasser im Anfange des funfzehnten Jahrhunderts gelebt haben und ein Benedictiner-Mönch im Peterskloster zu Erfurt gewesen seyn soll 34). Und in der That hatte man schon in der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts mehrere Schriften unter diesem Namen, aus welchen __________
32) Paracels. de pestilit. tr. 1. p. 338.
33) Abrah. Seyler in Craton. epist. lib. 6. p. 528.
34) Gudenii Erfurtische Historie, B. 2. K. 21. S. 129.
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35) Guainer. opus praeclar. ad prax. tr. 9. c. 7. f. 29. a.
36) Placcius catalog. pseudonym. p. 159. - Morhof. polyhist. lib. 1. cap. 9. §. 25. p. 91.
37) Theodori Kerkringii Anmerkungen zu Basilii Valentinii Triumph-Wagen des Antimonii, S. 50. (8. Nürnb. 1724.)
38) Daher sagt auch Sennert (de consens. et dissens. chymic. cum Galen. c. 11. p. 224. Opp. vol. 1. fol. Lugd. 1666.), dass Basilius zu Ende des funfzehnten Jahrh. gelebt habe.
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Seine übrigen chymischen Schriften 43) enthalten ebenfalls viele Spuren eines spätern Zeitalters, aber auch viele wichtige Entdeckungen. Die Bereitung des __________
39) Chymische Schriften, S. 752.
40) Triumph-Wagen, S. 31.
41) S. 41 f.
42) S. 94. Hier findet man die Spuren der drey chemischen Elemente, deren Erfindung dem Paracelsus zugeschrieben wird. (Helmont tria chymica princip. p. 324 f.)
43) Basilii Valentini sämmtliche chymische Schriften. 8. Hamb. 1740.
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205.
Zu den Alchymisten, die zum Theil früher als Paracelsus lebten, zum Theil aber unabhängig von sei- __________
44) Das. S. 402. 408.
45) S. 421. 1075.
46) S. 810.
47) S. 191.
48) S. 907.
49) S. 547.
50) S. 806.
51) S. 765. 836.
52) S. 429.
53) S. 396. 1076.
54) S. 720.
55) S. 881.
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56) Mencken. script. rer. German. vol. 5. p. 740.
57) Adami p. 34.
58) Geschichte der menschl. Narrheit, Th. 1. S. 71. - Vergl. Libavii alchym. transmutator. defens. 2. contra Guibert. p. 234, 250 s.
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Zehntes Kapitel.
Paracelsus und seine Lehren.
206.
Es ist sehr schwer, das Leben eines Mannes zu schreiben und seine Lehrmeinungen in möglichem Zusammenhang darzustellen, der der Wahrheit zu huldigen und seine Meinungen den Aussprüchen der Ver- __________
59) Quadriga aurifera. 4. LB. 1599.
60) Appendix syntagm. arcan. p. 268. (fol. Frcf. 1615.)
61) Gesch. der menschl. Narrheit, Th. 1. S. 119. - Seine chrysopoea steht im dritten Bande des theatr. chym.
62) Gesch. der menschl. Narrheit, Th. 6. S. 76.
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207.
Selbst sein Name und Geschlecht sind nicht über über allen Zweifel erhoben. Ungeachtet er sich selbst __________
63) Von Franzosen. B. 2, S. 174.
64) Ein Valentinus Antaprassus Siloranus sagt (tom. 1. p. 176.) in der Vorrede: Paracelsus habe lateinisch geschrieben (welches grundfalsch): seine Schriften seyn vom Doctor Ciperinus Flaënus in welschen und französischen Zungen transferirt; Bebeus Ramdus habe alle seine Bücher zu griechischen Zungen verwandelt, und die Griechen haben ihn Monarcham perpetuum genannt. In der Philosophey habe er geschrieben 235 und in der Arzney 53 Bücher. Ein anderer dieser Lügner, Valentius de Retiis sagt (tom. 1. p. 824): ausser 230 Büchern in der Philosophie habe Paracelsus 66 über Nekromantie, 46 über die Medicin, 12 über den Staat und 7 über Mathematik geschrieben.
65) Zu diesen Widersprüchen könnte man rechnen, dass in der Archidoxia magica (tom. 2. p. 547 f.) eine Menge Amulete und Talismane empfohlen, in dem Buch de origine morborum (tom. 1. p. 116) die Charaktere aber verdächtig gemacht werden. Indessen leidet dieser anscheinende Widerspruch noch eine andere Deutung.
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66) Eigentlich Philipp Bombast von Hohenheim. Er nannte sich aber Theophrastus und Paracelsus (quasi superior Celso), wie er Para überall gern vorsetzt (Paramirum, Paragranum.)
67) Bibl. med. pract. vol. 2. p. 2.
68) Erast. disputat. de medicina nova Paracelsi, P. 1. p. 237. (4. Basil. 1572.)
69) Observat. lib. 1. p. 15.
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70) Testamentum Paracelsi. 8. 1574. Auch in Murr neuem Journal, Th. 2. S. 264. f. Helmont hielt es für untergeschoben. (Arcana Paracels. p. 627.)
71) Murr a. O. S. 183. 276.
72) Grosse Wundarzney, B. 2. Tr. 3. S. 101. Erastus (disp. de medic. Paracels. 1. p. 237.) erzählt, dass er als dreyjähriger Knabe seine Mannheit eingebüsst, indem ihn ein Soldat castrirt habe. Andere erzählen, dass dies durch den Biss eines Schweins geschehen sey. (Helmont hist. tartar. p. 187.) So viel ist gewiss, Paracelsus hatte keinen Bart und hasste das weibliche Geschlecht. (Murr neues Journal, Th. 2. S. 182.)
73) Testament. Paracelsi. Murr a. O. S. 262. Sprengels Gesch. der Arzneyk. 3. Th. 3. A.
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208.
Da man gewöhnlich in der ersten Erziehung und in dem Unterricht, den ein Mensch in der Jugend genossen, die wahren Quellen entdeckt, woraus sich die Stimmung seines Charakters, und die Richtung seiner Talente erklären lassen; so müßte es auch sehr interessant seyn, zu willen, wie dieser seltsame Mensch erzogen wurde. So viel man hat erfahren können, verlebte er seine Jugendjahre, wie die Scholastici vagantes der Zeit zu thun pflegten. Das heißt, er zog im Lande umher, stellte die Nativität aus den Sternen und aus den Linien der Hand, citirte die Todten, und nahm allerley chemische Procese vor, die er den Hütten-Arbeitern und Goldmachern abgesehen hatte 75). Förmlichen Unterricht in der Alchymie, Astrologie und nebenher auch in der Medicin erhielt er zuvörderst von seinem Vater, der sich darauf gelegt hatte, außerdem von verschiedenen Kloster-Geistlichen, unter welchen er hauptsächlich den Abt von Sponheim, Tritheim, ferner die Bischöfe Scheit von Stettgach (Seypt von Seckach ?) Erhart und Vorfahren von Laventall, Nico- __________
74) Chronica des Landts Kärnten, S. 243.
75) Conr. Gesner. epistol. medic. lib. 1. f. 1. b. -- Murr bezweifelt, dass Paracelsus fahrender Schüler gewesen, weil er auf diese Vagabunden schelte. Allein man muss die Sitte der damaligen Zeit kennen, um Gesners Angabe sehr wahrscheinlich zu finden. (Ruhkopfs Gesch. des Schul- und Erziehungswesens in Deutschland, S. 129 f.) Luther selbst war in seiner Jugend fahrender Schüler gewesen, und eiferte gleichwohl gegen diese verderbliche Sitte, wie sie es verdiente. (Ruhkopf, das. S. 132 f.)
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Daß er jemals auf hohen Schulen gewesen, daran wird hin und wieder gezweifelt: und in der That, wenn man bedenkt, wie höchst unwillend er in den so genannten Schul-Wissenschaften war, wovon hernach noch Beweise vorkommen; wie sehr er immer darauf pochte, daß der Arzt müsse geboren werden, und alle seine Kenntniß unmittelbar aus Gott schöpfen; wenn man ferner lieset, daß er ausdrücklich sagt: „Das höchste der gelehrten Aerzte wider mich ist, daß ich nicht aus ihren Schulen komme 78):” so sollte man wirklich meinen, er habe sich den Doctor-Titel bloß angemaßt, und Smetius vermuthet es wirklich 79). Allein, wenn es erlaubt ist, den Erzählungen dieses Menschen selbst Glauben beyzumessen; so kann man es doch nicht läugnen, daß er den akademischen Unter- __________
76) Paracels. grosse Wundarzney, B. 2. Tr. 3. S. 101. Tritheim und Siegmund Fugger nennt auch Helmont seine Lehrer (hist. tartar. p. 187).
77) Vorrede des Spittal-Buchs, S. 310.
78) Vorrede über das Buch Paragranum, S. 198. -- Auch de podagricis, lib. 1. p. 566. heisst es: "Jedoch aber muss ich meinen Lehrmeister anzeigen, dieweil euch das Wunder so übel beist, das ich von keim Schulmeister hie sey."
79) Miscellan. med. lib. 12, p. 684.
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Weit mehr sagt er uns von seinen Reisen, die er nach Art anderer Alchymisten seines Zeitalters vorzüglich in das Erzgebirge, in den Orient, und nach Schweden unternahm, um theils die Processe zu beobachten, welche die Hütten-Arbeiter anstellten, theils sich in die Mysterien der morgenländischen Adepten einweihen zu lassen, theils endlich die Wunder der Natur und den berühmten Magneten-Berg in der Nähe zu besehen. In der Vorrede zur grossen Wundarzney nennt er Spanien, Portugall, Preußen, Pohlen und Siebenbürgen, als die Länder, welche er durchreiset, und in denen er nicht allein von dem Umgange und __________
80) Vorrede zur grossen Wundarzney.
81) Vorrede zum Spittal-Buch, S. 310.
82) Sechste Defension, S. 262.
83) Adami vit. medic. German. p. 30.
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Der Himmel weiß, wie er wieder nach Deutschland zurückgekommen. Helmont sagt, in seinem acht und zwanzigsten Jahr sey er von einem Goldmacher mit __________
84) Vierte Defension, S. 257.
85) Große Wundarzn. B. 1. S. 22.
86) Helmont. hist. tart. p. 187.
87) Fragm. medic. p. 131.
88) Murr a. O. S. 274.
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209.
Genug, Paracelsus erhielt im Jahr 1526 einen Ruf als Professor der Physik und Chirurgie auf der Univer- __________
89) Hist. tartar. p. 187.
90) Vorrede zum Spittal-Buch, S. 310.
91) Fragm. medic. p. 132.
92) Archidox. lib. 4. p. 796. – Smet. miscellan. lib. 12. p. 685. Helmont ignotus hydrops p. 417. Arcana Paracelsi p. 624.
93) Libav. defens. alchem. lib. 2. p. 153.
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93) Vita Oporini. Argent. 1569.
94) Oporinus schrieb lateinisch nach, und, wenn er nach der Stunde den P. fragte, ob es auch richtig sey, so billigte dieser Alles, zum Beweis, dass er kein Latein verstehe. Auch botanische Wanderungen machte er. Fragte ihn Jemand nach dem Namen einer Pflanze, die er nicht kannte, so antwortete er: sie sey zu nichts nütz. Vita Oporini.
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An einem Ort sagt er: „Ich bezeug mit Gott, daß ich nit leug, obs schon der Natur unmöglich scheint, nemlich, daß keiner itzt noch gewesen ist, noch seyn wird, der die Natur so tief ersucht hat 96). Dergestalt fing er seine Vorlesungen an, daß er die Werke des Avicenna und Galen öffentlich in seinem Hörsaal verbrannte, und seine Zuhörer dabey versicherte: seine Schuhriemen wissen mehr als Avicenna und Galenus; alle hohe Schulen haben nicht so viel erfahren als sein Bart, und sein Gauchhaar im Genick sey gelehrter als alle Scribenten 97). Machaon (!) und Hippokrates waren die einzigen Alten, denen er Gerechtigkeit widerfahren ließ 98). Indessen hingen im Anfange seine Zuhörer an ihm, in der eitlen Hoffnung, seine Arcana und den Stein der Weisen zu erhalten. Er aber benahm sich unsittlich und roh genug gegen sie. Als er einst behauptet hatte, __________
95) Philosophiae magnae collectanea per G. Dorn, p. 6. 7. (8. Basil. 1580.) Paracels. de gradib. et composit. recept. et natural. p. 951.
96) De lapid. philos. p. 671.
97) Fragm. med. p. 144. Vorrede über das Buch paragranum, S. 203.
98) Erste Defension, S. 272.
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Die Kur, welche er an Frobenius verrichtete, machte selbst Erasmus aufmerksam: er zog ihn über seine kränklichen Umstände zu Rathe, und man hat noch die Briefe, die Sie mit einander gewechselt haben. Allein Frobenius starb nicht lange nachher, im October 1527: und Paracelsus Gegner schoben nicht ohne Wahrscheinlichkeit die Schuld auf die scharfen mineralischen Mittel, welche Paracelsus diesem entnervten Podagristen gereicht habe. Dieser Umstand trug sehr viel dazu bey, Paracelsus Ruhm zu schmälern: am meisten aber that dies seine Trunkenheit, der er sich itzt schon ergeben hatte, und seine niedrige schmutzige Lebensart. Er kam, nach Oporins Versicherung, selten anders als im halben Rausch aufs Katheder, dictirte seinen Schreibern auch gewöhnlich erst, nachdem er betrunken nach Hause gekommen. Wurde er zu Kranken gerufen, so ging er oft nicht eher hin, als bis er sich mit Wein überfältigt hatte. __________
99) Vita Oporini. Argent. 1569.
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Als Albert Basa, Leibarzt des Königs von Pohlen, aus Italien zurück kam, und auch den Theophrast in Basel besuchte, nahm ihn dieser mit zu einem Kranken, dessen Kräfte, nach dem Urtheil Basa’s, völlig niedergeschlagen waren, und dem er daher das Leben absprach. Paracelsus aber ladete den Kranken, um die Macht seiner Kunst zu zeigen, auf den folgenden Tag zu Tische, gab ihm darauf drey Tropfen von seinem Laudanum, und der Kranke fand sich wirklich am folgenden Tage in Paracelsus Wohnung ein 1). Endlich gab gegen das Ende dieses Jahres 1527 eine Geschichte seinem Ruf den letzten Stoß. Der Canonicus Cornelius von Lichtenfels nämlich, der schon lange am Podagra gelitten, nahm den Paracelsus zum Arzt an, und versprach ihm hundert Floren, wenn er ihn kuri- __________
100) Oporin’s Brief an Wyer und Solenander steht in Sennert’s Tractat de consensu ac dissensu chymicorum cum Galen. et Aristot. c. 4. p. 188. (Opp. vol. 1. fol. Lugd. 1666.) abgedruckt. Die Züricher Studenten nennt er seine combibones optimos. (De gradib. recept. p. 953.)
1) Adami p. 34.
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210.
Sein Beyfall, als akademischer Lehrer, hatte um diese Zeit schon so sehr abgenommen, daß ihn Niemand mehr hören wollte 3); daher fühlte man in Basel den Verlust nicht sehr. Er begab sich fürs erste in den Elsaß, und ließ seinen getreuen Oporin mit dem chemischen Apparat nachkommen, der noch zwey Jahre bey ihm aushielt, um die Bereitung seines Laudanums zu lernen. Allein Paracelsus betrog ihn darum. Im Jahre 1528 finden wir ihn in Colmar, von wo aus er seine Streitereyen, als fahrender Theosoph, eben so wieder anfing, wie er sie in seiner Jugend getrieben hatte. 1529 datirte er die Dedication seines Buchs von Franzosen an den Rathschreiber Spengler in Nürnberg aus __________
2) Vita Oporini 1569.
3) Arnold’s Kirchen- und Ketzer. Historie, Th. 2, B. 16. K. 22. S. 508.
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4) Von Franzosen, B. 1. S. 149.
5) Paramir. lib. 3. p. 51.
6) Vom Bad zu Pfeffers, S. 1116.
7) Erast. disputat. de medicin. nov. Paracels. P. 4. p. 175.
8) Consil. med. p. 688.
9) Chronica des Landes Kärnten, S. 249. De natur. rerum p. 181.
10) Adami p. 32.
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211.
Dies unstäte Leben des Theosophen hatte einen unläugbaren Einfluß auf seine Denkungsart und seinen Charakter: er versicherte oft seine Schüler, daß er durchaus nicht lange an einem Orte bleiben könne, weil er sich an das beständige Umherschweifen einmal gewöhnt habe 13). Immer war er jedoch mit Begleitern umgeben, die sich durch seine Trunkenheit und durch die tollen Streiche, die er während derselben vornahm, so wenig als durch seine Dürftigkeit abhal- __________
11) Hessling’s Theophrastus redivivus illustratus, p. 133. Hamb. 1663.
12) Salzb. med. chir. Zeitung, 1815. B. 1. S. 47. 48. Ueber seine Verachtung des weiblichen Geschlechts nur folgende Stelle: Die Frauen sind nur halbe Creaturen ihr Haar ist halb Haar, ihr Herz halb Herz.” (de caduco matricis , p. 622.)
13) Sennert, de consensu et dissensu chymicor. cum Galen. c. 4. p. 191.
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„Aerzten geboren habe: aus den hunderten von Pannonia, seyn zween wohl gerathen: aus der Confin Poloniä drey, aus den Regionen der Saxen zween, aus den Sclavonien einer: aus Bohemien einer: aus dem Niederland einer: aus Schwaben keiner. Wiewohl in einem jeglichen Geschlecht große Zahlen gewesen sind. Ein jeglicher aber hat meine Lehre nach seinem Kopf gesattelt: einer führet mirs in einen Mißbrauch zu seinem Seckel, ein anderer zeuchts ihm in seine Hoffart: aber ein anderer glossirts und emendirts, und im Fürlegen für mich, warens erstunkene Lügen 18).”
212.
Die Untreue seiner Schreiber ist wahrscheinlich auch mit ein Grund der unzähligen Schwierigkeiten, welche sich dem entgegen stellen, der eine vollständige und durchaus richtige Kenntniß des Paracelsischen Systens erlangen will. Ueberdies ist die verworrene, mystische, mit erdichteten Namen überhäufte Schreibart ein wichtiges Hinderniß für Jeden, der dieser Ausdrücke nicht gewohnt ist. Paracelsus legt, wie so viele Schwärmer neuerer Zeiten, gewöhnlichen Wörtern ungewöhnliche Bedeutungen unter. So ist ihm Anatomie etwas ganz anderes, als was man im gemeinen Leben darunter versteht. Ihm bedeutet sie die Natur, die Kraft, und die magische Bezeichnung einer Sache. Und da, der Platonischen und kabbalistischen __________
14) Von Franzosen, B. 2. S. 174.
15) Libav. defens. alchem, lib. 2. p. 153. -- von Murr a. O. S. 210 f.
16) Sennert l. c.
17) Von Franzosen, B. 2. S. 174. „Der Henker hat mir zu seinen Gnaden genommen ein und zwanzig Knechte und von dieser Welt abgethan! Gott helf’ ihnen allen! Wie kann einer bey mir bleiben, so ihn der Henker nicht bey mir lassen will.“ (Sechste Defension, S. 261.)
18) Vorrede der Bücher Bertheoneae, S. 355.
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19) Paramir. lib. 2. p. 50.
20) Fragm. med. p. 148.
21) De caduc. matric. p. 612.
22) Paramir. lib. 1. p. 21.
23) Paragraph. lib. 4. p. 460.
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[p. 449]
213.
Die Verachtung aller gelehrten und mit Mühe und angestrengtem Fleiß erworbenen Kenntnisse und den Stolz auf unmittelbare Mittheilung aller Weisheit aus dem göttlichen Wesen hat Paracelsus mit allen ältern und neuern Fanatikern gemein. Die wahre Theosophie bestand von je her in der innigen Vereinigung mit Gott, dem ewigen Vater aller guten Geister, die durch inneres Anschauen seiner Vollkommenheiten und durch Unterdrückung aller Empfindungen und aller Seelen-Verrichtungen vollbracht wird 26). Was bedarf der Theosoph demnach des Unterrichts und des gelehrten Fleißes, da ihn, ohne sein Zuthun, während eines völlig passiven Zustandes seiner Seele, die Gottheit selbst, von welcher er ein Ausfluß ist, ihrer Lichtquelle und ihrer Allwissenheit theilhaftig macht? Da __________
24) Philosoph. lib. 5. p. 39, 40.
25) Von tartarischen Krankh. S. 313.
26) Gesch. der Arzneyk. Th. 2. S. 190.
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Das innere Licht, durch welches wir alle Weisheit und alle medicinische Gelehrsamkeit erhalten, zündet, wie Paracelsus sagt, der heilige Geist in uns, ohne unser Zuthun, an; dieser offenbart seiner Schüler Weisheit und Verstand durch ihre Werke, also daß __________
27) Erast. P. 1. c. 24. -- Sennert c. 4. p. 189. -- Arnold S. 309 f.
28) Sennert p. 190 f.
29) Fragm. med. p. 143. -- Adami p. 32. -- Libav. de philosoph. harmon. fratr. de Ros. Cruce p. 264.
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Gott, heißt es an einem andern Ort, „bleibt in allen Dingen der oberste Scribent, der höchste, und unser aller Text. Und wiewohl die Glosse, die da soll ausgehen aus demselbigen, den er ausgesandt am Pfingstfeyertage, nicht daß derselbige allein sey ein Apostel, ein Theologus. Sondern es siehet in der Geschrift: der wird uns in alle Wahrheit führen, uns alle Dinge lehren. Unter dem alle Dinge ist auch die Arzney, die Philosophie und Astronomie begriffen.“ 32) „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das andere alles (auch die Arzneykunst) zufallen. Solches Spruchs mag sich der Arzt nicht erwehren: denn er wähnt falsch, wenn er glaubt, die Natur gehöre nicht zum Reiche Gottes. Und, so Jemand Weisheit mangelt, der bitte von Gott, so wird sie ihm gegeben werden.“ 33)
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30) Paragran. lib. 1. p. 208.
31) De imagin. p. 308.
32) Labyrinth, medic. p. 277.
33) Labyrinth. medic. p. 266.
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34) De pestilit. lib. 2. p. 345.
35) Labyrinth. medic. p. 277.
36) Paragran. lib. 2. p. 214. Vergl. Guinth. Andernac. de medicin. vet. et nov. dial. 2. p. 30. Ad. von Bodenstein onomast. p. 411.
37) Vorrede über das Buch paragran. p. 200.
38) Paragran. lib. 4. p. 227.
39) Verantwort. über etliche Unglimpf. S. 252. Spittal-Buch, Th. 2. S. 318.
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[p. 453]
214.
Das Emanations-System setzte einen Urmenschen, oder eine Sammlung von Paradigmen voraus, welche zuerst aus der Gottheit geflossen, in welcher, aus wel- __________
40) Von französischen Blattern S. 301.
41) De peste cum addit. lib. 2. p. 383.
42) De caduc. lib. 4. p. 603.
43) Morbor. invisib. p. 85.
44) De tinctur. physic. p. 921. „Meine Theorick wird in dem Jahr 58 anfangen zu grünen, und die Practick, so darauf folgt, wird sich mit unglaublichen Zeichen und Wunderthaten beweisen, dass auch die Handwerksleut werden verstehn, samt dem gemeinen Pöffel, wie Theophrasti Kunst bestehe gegen der Sophisten Sudlerey, welche mit bäptischen und keyserlichen Freyheiten, von wegen ihrer Untüchtigkeit, will bekräftiget und beschützt seyn.” Vergl. Semlers Samml. zur Hist. der Rosenkreuzer, St. 1. S. 64.
45) Paragran. lib. 3. p. 225.
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46) Gesch. der Arzneyk. Th. 2. S. 181–188. 206.
47) De pestilit. lib. 2. p. 348.
48) Von podagrischen Krankheiten, B. 1, S. 581.
49) Grosse Wundarzn. B. 2. S. 73.
50) Gesner. epist. med. lib. 1. f. 2. b. -- Erast. P. 1. p. 24. -- Servets Anhänger urtheilten zu Paracelsus Zeiten eben so, auch Socinus stimmte hierin mit dem Paracelsus überein. (Sandii hist. ecclesiast. p. 427. Arnold Th, 2. B. 16. K. 33. S. 396.)
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[p. 455]
215.
Eben dies Emanations-System beruht auf der allgemeinen Harmonie aller Dinge in der Natur, auf der Uebereinstimmung vorzüglich der Gestirne mit den sublunarischen Dingen. Eigentlich lag nur die Platonische Meinung von der Bildung aller Dinge in der Unterwelt nach den ewigen Mustern und unvergänglichen Idealen jenseits der Sterne zum Grunde. Aber wie leicht war den Schwärmern der Uebergang von der bloßen Bildung nach diesen Mustern zum wirklichen Daseyn dieser Muster in den sublunarischen Dingen? Daher die beständige Vergleichung des menschlichen Körpers und aller Körper in der Natur mit dem Firmament und dem Universum 52). Im Firmament und in Makrokosmus sind alle Glieder unsers Körpers nicht wirklich, sondern nur virtualiter und spiritualiter enthalten 53). Als Philosoph erkennt der Arzt die untere Sphäre, oder das Daseyn der himmlischen Intelligenzen in den sublunarischen Dingen; als Astronom aber die obere Sphäre, das heißt, er findet die Glieder des menschlichen Körpers in dem Firmament wieder 54). „Die __________
51) Morbor. invisib. p. 90.
52) Gesch. der Arzneyk. Th. 2. S. 190. 191.
53) Labyrinth. medicor. p. 277.
54) Paragran. lib. 1. p. 207.
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[p. 456]
Ein jeder Körper, besonders der menschliche, ist doppelt, ein geistiger und ein materieller 58). Der geistige, der zugleich der syderische oder astralische genannt werden kann, entsteht aus den himmlischen Intelligenzen, und man kann nach ihm eine Figur machen, wodurch alle magische Wirkungen vollbracht werden. Ist man nicht im Stande, auf den Körper selbst zu wirken, so wirke man auf seine astralische Form, auf sein syderisches Urbild durch Charaktere, durch Beschwörungen und andere theurgische Kün- __________
55) De caduc, matric. p. 616.
56) Fragm. med. p. 141.
57) De modo pharmacandi. lib. 2. p. 775.
58) Archidox. lib. 1. p. 788.
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[p. 457]
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59) Das Buch vom langen Leben S. 837 -- Praelection. de vulner. p. 558.
60) Morb. invisib. p. 114.
61) De signatur. rer. natural. lib. 9. p. 910. 919. Andeutungen der Natur von den Kräften der Pflanzen in Form und Farbe werden auch von den Einwohnern von S. Paul in Brasilien angenommen. Martius Reise nach Brasilien, Th. 1. S. 256.
62) Ib. p. 918.
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[p. 458]
216.
Eine Hauptlehre des kabbalistischen Systems war auch der Pantheismus, den Paracelsus im gröbsten Sinne annahm. Daß Alles beseelt sey, daß Alles, was lebt, auch ißt und trinkt und Excremente von sich giebt, daß also in diesem Sinn alle Mineralien, ja alle Feuchtigkeiten leben, Speise genießen und Excremente ausleeren, dies behauptet Paracelsus an unzähligen Stellen 66). Eben dieser Polytheismus und Pantheismus führt darauf, in jedem Theil der Unterwelt, im Wasser, in der Luft, der Erde und dem Feuer unendlich viele geistige Substanzen anzunehmen, (Saganae heißen die Elementar-Geister, die das Mittel zwischen __________
63) Archidox. lib. 8. p. 818.
64) Morb. invisib. p. 112.
65) Adami p. 35.
66) De modo pharmacandi , lib. 2. p. 772. De vita rerum naturalium p. 889.
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[p. 459]
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67) Des Bueles Meteororum p. 78. Paracelsi philosoph. magna, ed. Dorn. p. 176.
68) Ib. p. 177
69) Ib. p. 178.
70) Ib. p. 179. Philos. t. 3. p. 314. Opp. tom. 2.
71) Ib. p. 180.
72) Ib. p. 186.
73) Ib. p. 187.
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[p. 460]
217.
Jene Eintheilung des Menschen in den körperlichen und geistigen, und aller Dinge in der Natur in die sichtbaren und unsichtbaren Paradigmen, ist von je her allen Schwärmern vorzüglich angenehm gewesen, weil sie alle Gespenster-Historien und andern Aberglauben daraus erklären konnten. Wie nun der Geist (spiritus) das Wesen des syderischen und unsichtbaren Leibes ist; so mußte man den sichtbaren Körper besonders für das Organ der Seele (anima) halten, und daher ergiebt sich der Unterschied zwischen Seele und Geist, den man bey allen Theosophen beobachtet findet, und wodurch folgende drey Harmonieen heraus kommen, auf welche die Nachfolger des Paracelsus sorgfältige Rücksicht nehmen: Seele, Geist, Leib; Quecksilber, Schwefel, Salz; Wasser, Luft, Erde. „Der Geist ist nicht die Seel, sondern, wenn es möglich wär, so wär der Geist der Seelen Seel, wie die Seel des Leibes Geist ist.” 74) „Der Geist, so dem Fleisch verwandt ist, heißt ein Geist, aber mit dem Unterschied, er ist des Todts, der aber von Gott ge- __________
74) Fragm. philos. p. 272.
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[p. 461]
__________
75) Philos. Fragm. p. 433.
76) Philosoph. magn. p. 212.
77) De podagric. lib. 2. p. 572.
78) De pestilit. lib. 2. p. 351. f.
79) De vita longa p. 860.
80) Morb. invisib. p. 98.
81) Ib. p. 94. Auch die Kometen sind Werke der Geister, Lib. meteor. p. 99.
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[p. 462]
218.
Paracelsus physiologische Theorie bestand größtentheils in der Anwendung der Kabbalah auf die Erklärung der Verrichtungen des Körpers. Zuvörderst haben wir hier wieder die Harmonie einzeler Theile, Glieder und Eingeweide des Körpers mit den himmlischen Intelligenzen, oder mit den Gestirnen. Doch will Paracelsus nicht, daß man durchgehends den ursachlichen Zusammenhang zwischen den Himmels-Körpern und den Eingeweiden des Menschen annehmen solle. Weder die Erzeugung noch die Eigenschaften der Menschen sind die Wirkungen der Gestirne, und man darf daher nicht sagen: der Mensch artet nach dem Mars, sondern noch eher, Mars artet nach dem Menschen: „denn der Mensch ist mehr als Mars und alle Planeten." 83) Ungeachtet er hinzu setzt: Wenn auch keine Gestirne wären, so würde der Mensch doch so und nicht anders seyn; so giebt er doch zu, daß die Lebenskraft des Menschen ein Ausfluß der Gestirne ist, und von der __________
82) Philos. magn. p. 218.
83) Paramir. 1, p. 5. 2, p. 49.
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[p. 463]
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84) Paramir. 1. p. 7.
85) Ib. 3. p. 14. S. 387
86) Von offenen Schäden, B. 4.
87) De pestilit. lib. 1. p. 339.
88) Ib. lib. 2. p. 349.
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[p. 464]
219.
Das Galenische System, dessen Hauptstütze die Lehre von den Elementar-Qualitäten war, erschütterte Paracelsus durch die Vernachlässigung dieser Qualitäten und durch die Vervielfältigung der Krankheiten der ganzen Substanz. Levinus Battus, ein eifriger Vertheidiger des Paracelsischen Systems in Rostock, schrieb ihm vorzüglich das Verdienst zu, die fehlerhafte Anwendung des Begriffs von einfacher Krankheit der festen Theile, der Kräfte und der sinnlichen Eigenschaften auf zusammen gesetzte kranke Zustände, mehr eingeschränkt und in ihrer Blöße dargestellt zu haben 92). __________
89) Paragran. 2. p. 219.
90) Ib. p. 213.
91) De pestilit. lib. 1. p. 339. Vergl. Guinth. Andernac, medicin. veter. et nov. comment. 2. p. 30.
92) Smet. lib. 12. p. 653. 655.
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[p. 465]
__________
93) Erast. disput. de medicin nov. Paracels. P. 2. p. 37.
94) Sennert l. c., c. 9. p. 203. -- Paracels. philosoph. magn. p. 90 s.
95) De pestilit. lib. 1. p. 339.
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[p. 466]
Die Elemente selbst betreffend, so nimmt Paracelsus hie und da zwar ihren Einfluß auf die Functionen des Körpers und auf die Erklärung der Krankheiten an: allein sie erhalten ihre Wirksamkeit doch vorzüglich von den astris. Es ist bekannt, daß durch Paracelsus die alte Lehre des Empedokles von den vier Elementen den kräftigsten Stoß bekam. Die Herrschaft der Alchymie führte auch chemische Principien ein, und schon Isaak Hollandus und Basilius Valentinus hatten behauptet, daß Salz, Schwefel und Quecksilber die __________
96) Von Gebährung des Menschen, S. 121.
97) Paragraph. 2. p. 452. -- Labyrinth. medic. p. 280. – Smet. miscellan. lib. 12. p. 665.
98) Labyrinth. medicor. p. 281.
99) Von Gebährung des Menschen, S. 124.
100) Gesch. der Arzneyk. Th. 1. S. 336.
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[p. 467]
__________
1) Sennert c. 11. p. 224.
2) Paramir. 2. p. 26. 39. – Grosse Wundarzn. B. 2. S. 81.
3) Labyrinth. med. p. 269.
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[p. 468]
Eine wichtige physiologische Lehre betrifft ferner den Archeus, einen Dämon, der im Magen das Geschäft des Alchymisten verrichtet, und das Gift von dem Nahrungsstoff in den Speisen scheidet, und ihnen die Tinctur giebt, wodurch sie fähig zur Assimilation werden. Den schärfsten Alchymisten dieser Art hat das Schwein erhalten, der aus bloßen Excrementen Nahrungsstoff hervor bringt 5). Dieser Meister im Magen, der Brodt in Blut verwandelt, ist das Vorbild des Arztes, der ebenfalls sich mit dieser geistigen Substanz verstehen und sie unterstützen muß. Die Säfte zu verändern, kann nie die Absicht des wahren Arztes seyn, sondern alle Wirkung der Mittel concentrirt sich auf den Magen und auf den Meister in demselben 6). Dieser Archeus, den man auch mit dem Namen Natur belegen kann, nimmt alle Veränderungen eigenmächtig vor, und kurirt auch die Krankheit allein. Er hat Kopf und Hände, und ist nichts anders als der spiritus vitae, der astralische Leib des Menschen, und außer ihm giebt es keinen spiritus im Körper 7). Jedes Glied hat auch seinen eigenen Magen, wodurch es die Abscheidung bewirkt 8). Ueber die Ernährung des Kin- __________
4) Paramir. 2. p. 47.
5) Ib. 1. p. 11.
6) Ib. 2. p. 36. 4. p. 77.
7) De virib. membr. lib. 2. p. 318.
8) De modo pharmac. p. 771. 772.
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[p. 469]
220.
Was seine Theorie der Krankheiten betrifft, so erklärt er sich gleich zu Anfange seines Paramiri zu deutlich über die allgemeinen Ursachen der Krankheiten, als daß seine wahre Meinung einigem Zweifel unterworfen seyn sollte. Man muß, sagt er, ja nicht alles aus den Elementen und der Beschaffenheit der Säfte herleiten, denn es giebt fünferley Ursachen der Krankheiten. Zuvörderst das ens astrorum. Die Gestirne bringen nicht unmittelbar die Krankheiten hervor, aber sie beflecken und inficiren die Luft, und dies ist eigentlich das ens astrorum. Etliche Gestirne sulfuriren, etliche arseniciren, etliche salzen, etliche mercuriren das M. (Mare magnum: die Atmosphäre.) Die Realgarischen entia astralia schaden allein dem Geblüt, die mercurialia allein dem Haupt, die salia dem Gebein und Geäder, Operment macht Geschwülste und Wassersuchten, und die bittern astra machen Fieber 10). Die zweyte Art der allgemeinen Krankheits-Ursachen ist das ens veneni, welches aus den Nahrungsmitteln kommt. Wenn der Archeus siech ist, so erzeugt sich __________
9) Paramir. 4. p. 74.
10) Ib. 1. p. 8.
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[p. 470]
Eben jene Grille von der Harmonie und wechselseitigen Beziehung aller Dinge im Universum auf einander führte den Paracelsus zu ganz sonderbaren Methoden, die Ursachen zu erforschen. Er schloß nämlich aus den beobachteten Eigenschaften der Päonie auf das Wesen und die Ursachen der Epilepsie 14): und diese Schlüsse finden wir sehr häufig bey seinen Nachfolgern. Auch die Vergleichung der Krankheiten mit den Erscheinungen der Natur, die eine scheinbare Unvollkommenheit anzeigen, fließt aus dieser Quelle. So ist die Epilepsie das Erdbeben des Mikrokosmus, wel- __________
11) Paramir, p. 11. 12.
12) Ib. p. 14. 26.
13) Ib. p. 18. 21.
14) Paragran. 1. p. 209.
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[p. 471]
__________
15) De morb. ament. lib. 1. p. 487. -- De caduc. p. 596.
16) De colica, p. 524.
17) Ib. p. 527
18) De morb. ament. p. 495.
19) Von den Farbsuchten, S. 522.
20) Von podagrischen Krankheiten, S. 585
21) De caduc. matric. p. 619.
22) Paramir. 4. p. 78.
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[p. 472]
221.
Darin weicht die Paracelsische Theorie der Krankheiten von der Galenischen ab, daß in jener die chemischen Principien zur Erklärung einzeler kranker Zustände benutzt, und daß aus dem Aufbrausen der Salze, aus dem Abbrennen des Schwefels und aus der Coagulation des Quecksilbers, wo nicht alle, doch sehr viele Zufälle erklärt werden. Wenn Paracelsus nicht durch die Erscheinungen der Krankheiten, welchen Bergleute und Hütten-Arbeiter unterworfen sind, darauf geführt wurde; so dienten doch diese Krankheiten sehr zur Bestätigung seiner Theorie. Das Chaos der Luft nimmt von den Minern Theile an. Kennt man diese; so kann man auch die davon entstehenden Krankheiten heilen 23). Recht gut schildert er die Zufälle, welche durch arsenikalische Dünste, und die, welche durch Quecksilber-Dämpfe hervor gebracht werden. Die letztern äußern sich, wie die Kälte, durch Verdichtung der Säfte u. s. w., und Paracelsus vergleicht sie daher mit dem Winter 24). Merkwürdig ist bey dieser Gelegenheit die Erwähnung der vitriol- und salzsauren Luftarten 25); so wie er an einem andern Orte der Zuckersäure, die aus dem Honig elevirt wird, als einer sehr corrosiven Säure erwähnt 26). Darin ging er aber freylich zu weit, daß er diese Beobachtungen durchgehends auf die Pathologie anwenden wollte: er führte dadurch die Lehre von den __________
23) Von den Bergkrankh. B. 1. S. 645.
24) Eb. B. 1. S. 648. B. 5. S. 665.
25) Eb. B. 2. S. 657.
26) Archidox. lib. 5. p. 805.
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[p. 473]
__________
27) Paramir. 2. p. 26. 30.
28) Ib. p. 4.4. 45.
29) Fragm. medic. p. 134.
30) Von den drey ersten Essenzen, S. 324.
31) Fragm. med. p. 134.
32) Paramir. 2. p. 45.
33) Fragm. med. p. 154.
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[p. 474]
222.
Einen wichtigen Abschnitt in der Pathologie des Paracelsus macht die Lehre von dem Tartarus aus, und sie ist unstreitig eine der gemeinnützigsten und brauchbarsten Neuerungen, welche Paracelsus gemacht hat, wenn gleich nicht geläugnet werden kann, daß er sie sehr verwirrt und folgewidrig vorträgt. Der Tartarus ist der Grundstoff aller derer Krankheiten, welche aus Verdickung der Säfte, oder aus Rigidität der festen Theile, oder aus Ansammlung erdiger Materie entstehen. Den Namen Stein findet er für diese Materie unschicklich, weil er nur eine Art jenes Grundstoffs anzeigt: sehr oft erzeugt er sich aus Schleim, und mucilago bleibt und ist der tartarus 37). Er nennt diesen Grundstoff tartarus, weil er wie das höllische Feuer brennt, und sehr schwere Zufälle erregt. Man kann __________
34) Von den drey ersten Essenzen, S. 324.
35) Ebend.
36) De caduc. matric, p. 620.
37) Von den tartarischen Krankh. S. 284.
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[p. 475]
__________
38) Von den tartar. Krankh. S. 302.
39) Eb. S. 302.
40) Eb. S. 299.
41) Eb. S. 305.
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[p. 476]
Paracelsus giebt auch Anleitung, wie man aus dem Harn das Daseyn dieses Tartarus erkennen soll. Nicht das bloße Ausehen des Harns reicht dazu hin, sondern die chemische Zerlegung desselben ist ein unentbehrliches Erforderniß zu dieser Untersuchung 44). Er eifert überhaupt sehr gegen das Seichsehen, wie er __________
42) Von den tartar. Krankh. S. 306.
43) Paramir. 3. p. 56. s.
44) Von tartar. Krankh. S. 304.
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[p. 477]
223.
Die Kabbalah leitete den Paracelsus auch in der Kurmethode und in der Theorie der Arzneymittel. Da alle irdische Körper ihr Urbild jenseits der Sterne haben, und da durch Einfluß der Gestirne auch die Krankheiten hervor gebracht werden; so kommt es nur auf die Harmonie dieser Gestirne nach der Kabbalah an, wenn man die Krankheiten durch gewisse Mittel kuriren will. Das Gold ist aus diesem Grunde in allen Krankheiten specifisch, wo das Herz ursprünglich leidet, weil es in der Scale (S. 27) mit dem Her- __________
45) Paragran. 2. p. 220.
46) Vom Urtheil des Harns, S. 747. 750.
47) Von tartar. Krankh. S. 508.
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[p. 478]
Auch bey den vegetabilischen Mitteln muß man auf ihre Harmonie mit den Constellationen und auf ihre magische Harmonie mit den Theilen des Körpers und mit den Krankheiten Rücklicht nehmen. Denn jeder Stern zieht sein verwandtes Kraut auf magnetische Art an sich und theilt ihm seine Wirksamkeit mit: ein jedes Kraut ist deswegen ein irdischer Stern 50). Darum muß jeglicher Arzt sein Herbarium spirituale sydereum haben 51). Man muß die Anatomie und Chiromantie der Kräuter studiren, wenn man ihre Wirkung erfahren will: denn die Blätter sind die Hände der Pflanzen, und deren Linien geben uns Aufschluß über die Eigenschaften und Kräfte der letztern. So lehrt die Anatomie des Chelidonii, daß es gegen die Gelbsucht ein dienliches Mittel ist 52). Dies waren die berühmten Signaturen, wo man aus der Aehnlichkeit der Form der Pflanzen und Arzneymittel auf ihre Kräfte Schloß. Der Grund dieses Wahns lag wiederum in der Meinung von den syderischen Impressionen, wodurch den Pflanzen die Flecken und Zeichen eingedrückt seyn, welche auf die Kräfte derselben führen können. Wie man die Frau __________
48) De virib. membr. lib. 2. p. 319. 320.
49) De mineral. p. 136.
50) De pestilit. lib. 1. p. 339.
51) Labyrinth. med. p. 278. -- De pestilit. 1. p. 339.
52) Von podagrischen Krankheiten, S. 587.
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[p. 479]
So wie diese Signaturen dem Aberglauben sehr willkommen waren, weil sie alles Nachdenken über die Kräfte der Arzneymittel unnöthig machten; so sehr consequent verfuhr Paracelsus, wenn er sie hauptsächlich aus der Influenz der Gestirne herleitete, und wenn er die Beobachtung der günstigen Constellation als unentbehrlich bey dem Gebrauch eines Arzneymittels angab. „Die Arzney ist in dem Willen der Gestirne, und wird von ihnen geleitet und geführt. Du mußt einen günstigen Himmel haben, wenn du Arzneymittel verordnen willst.” 54) So giebt er die Eichen-Mistel gegen die Epilepsie im Ascendenten, und hält dafür, daß die Vernachlässigung dieser Regel die Ursache sey, warum die Mistel so oft nicht hilft 55). __________
53) Von den tartar. Krankh. S. 312. — De pestilit. lib. 1. p. 331.
54) Paragran, 2. p. 219.
55) De caduc.. p. 602.
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[p. 480]
224.
Wenn man die natürlichen Kräfte der Arzneymittel gar nicht untersucht; so muß man ihre Wirkung für specifisch, und sie selbst für arcana halten. Dies war ein Hauptpunkt in Paracelsus Theorie der Arzneymittel. Daher sagt er gradezu: Alle Kräfte der Pflanzen sind arcana, und wirken in keinem Fall auf die Complexion 56). Damit ließ sich seine Empfehlung der Lebens-Elixire und der Mittel zur Verlängerung des Lebens am besten entschuldigen. Er glaubt, daß solche Mittel, die die prima materies enthalten, dazu taugen, diese auch im menschlichen Körper immer wieder zu ersetzen, wenn sie verloren gegangen war 57). Er will vier solche Arcana kennen, denen er mystische Namen giebt, z. B. mercurius vitae, lapis philosophorum u. s. f. … Mit dieser Vorliebe für Arcana ist die Empirie nahe verwandt, und aus diesem Grunde hat Brucäus ganz Recht, wenn er den Paracelsus einen grohen Empiriker nennt 58). Denn es blieb, wenn die alte hergebrachte Schul-Meinung ganz verworfen wurde, nichts anders übrig, als die Harmonie der fremdartigsten Dinge, vermittelst der kabbalistischen Scale, wobey alles auf den willkührlichsten Voraussetzungen und auf den abgeschmacktesten Combinationen beruht. Levinus Battus führte mit dem Smetius einen interessanten Briefwechsel über ein solches Arcanum des Paracelsus, welches derselbe gegen alle Wirkungen der Zauberer, als unfehlbar, empfohlen hatte. Dies war __________
56) Paramir. 2. p. 51.
57) Archidox. lib. 5. p. 804.
58) Smet. miscellan. lib. 5. 1. p. 241.
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[p. 481]
__________
59) Smet. misc. lib. 12. p. 650.
60) Conring, introduct. c. 3. §. 57. p. 111.
61) Craton. epistol. lib. 1. p. 190. 5. p. 303.
62) Smet. lib. 12. p. 650.
63) Paracels. de morb. ament. lib. 2. p. 499. -- Grosse Wundarzn. B. 1. S. 7. -- Smet. lib. 12, p. 716.
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[p. 482]
225.
Es war in aller Rücksicht ein unläugbarer Vorzug der Paracelsischen Lehre, daß die Chemie zur Bereitung der Arzneymittel als nothwendig erfordert wurde. Die unkräftigen und ekelhaften Abkochungen und Syrupe mußten den Tincturen, Essenzen und wirksamen Extracten weichen, und damit war unstreitig sehr viel gewonnen. Paracelsus giebt ausdrücklich als den wahren Zweck der Alchymie die Bereitung der Arcane, und nicht daş Goldmachen, an, und schimpft bey jeder Gelegenheit auf die Sudelköche und Apotheker, die die besten Arcana in ihren Suppen ersäufen, wodurch die Wirksamkeit derselben verloren gehe 66). Merkwürdig ist eine Stelle, wo er besonders die häufige Mischung der simplicium tadelt, weil, wenn alle Krankheiten aus der fehlerhaften Temperatur entstehen, nur ein einziges Mittel, welches die entgegen gesetzte Temperatur hat, hinreichend seyn würde. „Nun schauet, wenn man eure Herbarios lieset, so schreibet ihr selbst einem Kraute allein über die 50, auch 100 Tugenden __________
64) Erast. disputat. de medicin. nov. Paracels. P. 4. p. 301.
65) Craton. epistol. lib. 5. p. 309. -- Erast, P. 3. p. 221. P. 4. p. 253.
66) Paragran. 3. p. 220. 223. -- Labyrinth. medicor. p. 272.t
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[p. 483]
__________
67) De pestilit. lib. 1. p. 341.
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[p. 484]
Interessant ist auch sein Tadel der so genannten Correctionen der Arzneymittel vermittelst verkehrter Dinge. Er sahe schon die Vergeblichkeit der Bemühung ein, das Scammoneum durch Schwefel zu corrigiren, und verwarf dieses Diagrydium eben so sehr als das Diaturbith. „Durch die Chemie und durch das Feuer muß die Correction gehen, sonst ist es gar keine Correction.” 69) Den Tartarus im Körper sucht er durch Sauerbrunnen und Vitriolsäure zu corrigiren, und empfiehlt in dieser Ablicht besonders das Pfeffersbad und die Sauerbrunnen in den Rheinländern 70). Uebrigens hat er von der Diät, besonders in hitzigen Krankheiten, fast gar keine Idee. In den meisten Fiebern läßt er zur Ader, warnt vor Purganzen, giebt weiße Korallen, Gold und Weingeist, und tadelt die blutreinigenden Mittel 71).
__________
68) Archidox. lib. 4. p. 796.
69) Paragran. 3. p. 224.
70) Von tartar. Krankh. S. 309.
71) Paragraph. 9. p. 470. – Unterricht vom Aderlassen, S. 728.
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[p. 485]
Als Verdienst kann man es ihm anrechnen, daß er zuerst das Zinn als ein Mittel gegen die Würmer, aber auch gegen die Wassersucht und Gelbsucht einführte, obgleich seine Bereitungsart desselben fehler- __________
72) Andre Defension, S. 254.
73) L. c. lib. 12. p. 655. 685.
74) Bruno Seidel de morb. incurabilib. p. 133. (8. Frcf. 1593.)
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[p. 486]
226.
Endlich noch mit wenigen die Neuerungen, welche Paracelsus in der Chirurgie gemacht hat. Wir haben ihn schon, besonders was seine praktischen Grundsätzc betrifft, von mehr als einer vortheilhaften Seite kennen gelernt. Aber in der Geschichte der Wundarzneykunst hat Paracelsus die größte Epoche gemacht, und seine Lehrmeinungen über einzele Gegenstände dieses Faches sind gewiß merkwürdig genug, um hier ganz besonders einen Platz zu erhalten. Ein vortrefflicher Grundsatz war es zuvörderst, daß er die Chirurgie nicht von der Medicin getrennt wissen wollte, und die Halb-Aerzte nannte, welche sich Leibärzte aber nicht Wund-, und Wund- aber nicht Leibärzte nannten. „Lerns beyde, oder laß underwegen.” 76). Er verwarf ferner die Anwendung der schneidenden und brennenden Werkzeuge und selbst der Nähte durchaus, weil seine arcana sich oft eben so wirksam bewiesen, und weil er auch in Wunden und Geschwüren von dem Archeus alles erwartete 77). Die Natur, sagt er, hat eine wachsende und nährende Kraft in ihr, und der Wundarzt soll blos ein Schirmer der Natur vor den äußern Elementen seyn. Die Natur __________
75) De praeparat. lib. 1, p. 876.
76) De ligno gallico , p. 525.
77) M. A. Severin, de efficac. medic. lib. 1. C. 8. 9. p. 26 s. (fol. Frcf. 1646.)
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[p. 487]
Sogar die Beinbrüche getraut er sich ohne Umstände in jedem Falle zu heilen. Die Beinwelle (Sym- __________
78) Grosse Wundarzn. B. 1. S. 2. -- De mum. p. 650. - Bertheoney B. 1. S. 338. B. 2. S. 363.
79) Grosse Wundarzn. B. 1. S. 12.
80) Eb. S. 5. 6.
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[p. 488]
227.
Uebrigens ist seine Pathologie der Geschwüre mit seiner Theorie der innern Krankheiten sehr übereinstimmend. Der Ursprung der offenen Schäden ist eben so mineralisch, als es die Ursachen innerer Krankheiten sind 83). Der Realgar Lunae et Veneris setzt seine Schäden ins Angesicht, und frißt dasselbe hinweg. Also setzt sich Realgar Jovis und Mercurii an die Brust und Schultern, desgleichen Mars in Rücken und Bauch; Realgar Solis setzt sich mitten in die Brust, und Realgar Saturni in die Füße. Unter diesen geben Mars, Saturnus, Luna und Venus die bösesten Geschwüre, die sich am schwersten heben lassen: die Geschwüre aber, welche Sol, Mercurius und Jupiter hervor bringen, sind am leichtesten zu heben 84). Seine Rathschläge in Rücklicht des Aderlasses sind charakteristisch. Er tadelt die astrologischen Kalender, aber aus einem ganz andern Grunde, als man vermuthen sollte. Der Schaden der Aderlässe, sagt er, rührt nicht von der widrigen Influenz, sondern von der unrechten Anwendung überhaupt her. In der Schlacht, wo so viele tausend oft zu gleicher Zeit verwundet wer- __________
81) Grosse Wundarzn. B. 1. S. 49.
82) Eb. S. 55.
83) Eb. B. 2. S. 68.
84) Eb. B. 2. 6. 89.
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Auch sind seine Grundsätze über die Kräfte des Magnets nicht mit Stillschweigen zu übergehen. Sie sind so eigenthümlich, neu und wichtig, daß sie allerdings die Aufmerksamkeit verdienen, deren sie Lessing 87) und Hemmann 88) gewürdigt haben. Alle die Krankheiten, die Paracelsus vom Einfluß des Mars herleitete, das heißt, alle Blutflüsse und solche Uebel, die sich vom Mittelpunkt des Körpers zu seiner Peripherie erstrecken, könen durch Anwendung des Magnets am besten bezwungen werden, weil er sie im Mittelpunkt zurück hält. Legt man also den Magneten auf die Quelle des Blutflusses oder auf die Stelle des Körpers, __________
85) Unterricht vom Aderlassen, S. 712. 713.
86) Spittal-Buch, 3. S. 320.
87) Lessings Collectaneen, Th. 2. S. 117.
88) Medic. chirurgische Aufsätze, S. 23 f.
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Auch die Talismane, eine sehr alte Erfindung des Aberglaubens und der Betrügerey 90), wurden durch Paracelsus mehr als jemals in Umlauf gebracht. Ihre Theorie beruhte theils auf der Voraussetzung, daß gewisse Steine giftwidrige Eigenschaften haben, theils auf dem Einfluß der Planeten auf die metallischen Mischungen, woraus diese Münzen oder Siegel bestanden. Durch Hülfe dieser Talismane war man vor der Zauberey sicher, konnte vermittelst derselben fast alle Krankheiten heilen, und gewiß auf großes Glück und Ehrenstellen rechnen. Sie enthielten gewöhnlich magische Figuren, die Symbole der Sonne und des Jupiters, oder auch Zahlenbretter, auf welchen allemal eine gewisse mystische Zahl heraus kam, man mochte sie in der Länge, oder in der Breite, oder in der Dia- __________
89) Von den Kräften des Magneten, S. 1019. 1020.
90) Gesch. der Arzneyk. Th. 2. S. 207.
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228.
Wenn man die Hauptpunkte des Paracelsischen Systems sorgfältig durchdenkt, so findet man, daß es auf keinen Fass als durchaus neu und unerhört angesehen werden kann. Allen theosophischen Unsinn, der von einzelen Männern vor ihm Stückweise vorgetragen war, vereinigte er nur in einem vorgeblichen System, und wandte ihn auf alle Theile der Medicin an. Sein größtes Verdienst, welches ihm nur der Geist des Widerspruchs abläugnen kann, besteht in der Empfehlung der mineralischen Arzneymittel, die statt der alten unkräftigen Syrupe und Abkochungen von ihm gerühmt wurden, und in der Beobachtung mancher einzeler Erscheinungen der Natur und vieler merkwürdiger, vorzüglich chirurgischer, Krankheiten. Uneingenommene Männer erkannten dies auch, und wenn sie gleich, wie Crato 92), aus der Hippokratischen Schule waren. Aber andere wollten lieber ruhig bey dem Alten bleiben, als dem neuen Schwärmer folgen, von dessen Arzneymitteln so viel Nachtheiliges erzählt wurde. Indessen kam die Chemie nach und nach immer mehr in Ansehen, wurde zwar anfangs noch mit der Alchymie verwechselt, hatte aber zu Anfange des folgenden Jahrhunderts schon eine weit würdigere Gestalt angenommen. Trotz der zahllosen und heftigen Wi- __________
91) Beyträge zur Gesch. der Wissenschaften, S. 133 f.
92) Epist. lib. 3. p. 236 f.
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