Weigl 1838 Gold

From Theatrum Paracelsicum
Joseph Ferdinand Weigl,
Das Gold im Flusse
1838
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Das Gold im Flusse.

In der Nähe der alten St. Peterskirche zu Salzburg stand im Jahre 1541 ein einsames Gebäude, von grotesken Gartenanlagen umgeben. Eine hobe Mauer zog sich um den Garten her, so daß man kaum die Wipfel der höchsten Bäume darin bemerken, und der Bewohner ganz unbeachtet und von der Welt geschieden leben konnte. Das Haus selbst hatte ein abenteuerliches Ansehen und war von gothischer Bauart. Pfeifensäulen strebten an demselben empor, die Thüren und Fenster liefen in Spitzbögen zu, das Dach hatte bunte Zinnen, und zum Ablaufen des Wassers dienten Drachen- und Hundegestalten von Blech an den Gesimsen.

 Hatte man die Stiege, die unter dem fast immer geschlossenen Thore lag, überschritten, so gelangte man in eine geräumige Halle des ersten Stockwerkes, in welcher bestaubte Bilder und alte Waffen hingen. Eine Reihe von Zimmern schloß sich daran an, deren phantastische Ausschműckung nicht wenig auf den Charakter ihres Herrn schließen ließ. Durch hobe, farbige Fenster fiel das Licht auf den glatten Estrich, und streute bunte Blumen auf denselben hin.

 An dem Getäfel der Wände und bis hoch zur Decke hinauf hingen ausgestopfte Seeungeheuer, Seekrabben und Schildkröten, Elephantenzähne, Korallen und Conchylien. Ein anderes Gemach enthielt, mit emsiger Sorgfalt geordnet, die gebrechlichen Schätze der Pflanzenwelt, dürre Gräser, farblose Blumen, für den Kenner von Werth — während der Laie höchstens die morschen Palmenblätter anstaunte und den Granatapfel, als einer wärmeren Zone gehörig.

 Über der Thüre eines andern Gemaches hing ein Wappenschild. Die Farben des Blasons waren nachgedunkelt. Man konnte von seinem abgenützten Zustande schließen, daß sein Herr es schon oft als Aushängschild an den verschiedenen Orten, die er durchreist batte, benützt haben mochte. Die Heroldsfiguren desselben waren zwar heraldisch richtig, ließen aber auf keinen bestimmten Ursprung schließen, und waren, wie es bey selbstgewählten Wappen sehr oft geschieht, überladen, so daß ein

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Wappenkönig die Ächtheit desselben bezweifelt haben würde. Um das Wappen herum standen mit großen rothen Lettern die Worte: Sol in ortu! — wahrscheinlich als die posaunende Devise für den Träger des darauf folgenden Namens: Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus ab Hobenhaimb.

 Diese Thüre war verschlossen, und nur an der Hand des Adepten selbst war es gestattet einzutreten.

 Es war eine Werkstatt des Wunderbaren — eine ganze Mechanik des Himmels, die sich hier aufschloß. Ben dem Anblicke der Astrolabe, Planigloben, Horoskope, Sternenuhren, verwirrten sich beynahe die Sinne. Das Kopernikanische Weltsystem, das eben dazumal die Angriffe des Tycho Brahe erlitten hatte, stand hier in ganzer, neuer Pracht. Ein einzelnes Festhalten dieser Gegenstände war unmöglich.

 Alles dieses war aber nur ein Äußerliches und hergerichtet, die Augen des Schaulustigen zu bestechen. Der Adept selbst bewohnte einen ganz andern Raum, wo ein erstickendes Miasma auf die Lunge wirkte, Küchenrauch die Wände schwärzte, und Staub die Luft dermaßen schwängerte, daß der durch eine zerbrochene Scheibe hereindringende Sonnenstrahl förmlich einem Staubbalken glich, der schief über das Zimmer hinfiel. In diesem Gemache wimmelte es von Tiegeln, Phiolen, Röhren und Retorten. Eine Menge Präcipitate standen in Flaschen, Bücher: die tabula smaragdina und — „die allerkostbarste Jungfrau Alchymia,“ lagen umher, und Geräthschaften, wie sie einem Theosophen, Nekromanten, Magier und Adepten erforderlich waren, was Alles in dem glücklichen Arzte Theophrastus Paracelsus sich vereinigte.

 Aber das Feuer des Herdes war jetzt erloschen, die Blasbälge ruhten, die Tiegel waren ausgeglüht. In einem kleinen finstern Gemache, dessen Fenster sorgsam geschlossen waren, und in dem nur eine einzige Lampe brannte, lag mit stieren Augen, auf sein Lager hingestreckt, der Mann im Sterben, der das Elixir des Lebens verkaufte und den Stein der Weisen besaß. Es stand wohl ein Fläschchen neben seinem Lager, auf welchem tinctura universalis geschrieben war, aber dieses schien nur ein Spott auf den sterbenden Adepten zu seyn.

 Das Lager war hart und einfach, obgleich sonst Theophrastus kein Mann der Abstinenz war. An der Seite des Bettes stand eine große, eiserne Kiste mit Ketten umspannt und mit Schlössern stark verwahrt. Die dunkel brennende Ampel beleuchtete noch im Hintergrund ein menschliches Gerippe, das von Viertel- zu Viertelstunde mit dem Haupte nickte, und wenn die Stunde ablief, die Sanduhr in der rechten Hand umschlug.

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 Der Blick des Alchymisten starrte jetzt nach einem Geyer, der in natürlicher Gestalt zwischen den zusammenlaufenden Spitzbögen des Gewölbes angebracht war.

 „Ich bitte dich,“ sprach Paracelsus zu seinem Famulus, „verscheuche den Geyer, der von Augenblick zu Augenblick meine Brust aufhacken will, wie jene des Prometheus!“

 „Herr, der Geyer ist nur ausgestopft und da oben festgemacht!“

 „Wohl! Wohl! Ich danke dir. - Er ist festgemacht und kann mir nichts zu Leide thun; dennoch pickt und hackt er in meinem Innern, und treibt mir den Todesschweiß in das Gesicht!“

 Er wurde blaß. Er zählte still. Seine dunkeln Augen rollten in innerlicher Angst. Der Schädel des Gerippes hatte neunmal genickt.

 „Neun Uhr,“ sprach er, „nun ist es Zeit. Öffne hier die Kiste. Meine Kraft ist verschwunden - ich kann nicht. Hier hast du die Schlüssel. Zehn Schlösser versperren meine Schätze. Hahaha! die Schätze des Adepten! Wie sie darnach lungern! Wie sie ihre Seele und ihr Herzblut verpfänden möchten, fänden sie etwas in dieser Kiste!“

 Der Famulus nahm die an einem großen Ringe befestigten Schlüssel, und begann aufzusperren.

 „Wie der Bluthund die Augen spannt! Wie er seine Begierde gar nicht verbergen kann! Gut getroffen! Du hast ein großes Talent, Schlösser zu öffnen.“

 Der Famulus erröthete etwas, suchte aber diese Verlegenheit in der Geschäftigkeit des Aufschließens zu verbergen. Die Ketten rasselten nieder.

 „Nun das Hauptschloß! Dreymal!“

 Der Schlüssel ging dreymal im Schlosse herum, und der Deckel öffnete sich, aber mit einem solchen Schlage und mit solcher Gewalt, daß der Famulus besinnungslos zu Boden fiel.

 „Die Explosion war gut!“ sprach der Kranke. Er besprengte den Diener, und dieser kam zu sich. „Siehst du, selbst in meiner Gegenwart hat dich die entbundene Gewalt dieser Kiste hingestreckt. Den Unberufenen hätte sie getödtet.“

 Aus der Kiste leuchtete ein röthlicher Schimmer. Sie schien leer. Nur einige Goldbarren befanden sich auf dem Boden. Das röthliche Licht strömte von einer Phiole aus, die neben den Goldbarren lag.

 „Nimm,“ sprach Paracelsus, „diese Phiole, verwahre sie an deiner Brust, aber behutsam. Dann nimm Hut und Mantel, und geh’ hinunter zur Brücke. Dort wirf die Phiole in die Salza!“

 „„Herr!““ rief der Famulus, halb bittend.

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 „In die Salza, sag’ ich dir! Und kehre schnell zurück!“

 Der Famulus gehorchte und ging.

 Paracelsus lag eine Weile still; endlich starrten seine Augen nach dem Gerippe, und er sprach aufgeregt: „Was willst du, mein erster großer Meister, Tirthemius, daß deine Knochen sich befleischen, und in die Falten des Gewandes sich verbergen, das sie einst getragen? Kommst du noch einmal die Erinnerung an dich zu wecken. Als Tod warst du mein immerwährender Begleiter und Mahner. Ich habe deiner oft vergessen. Aber doch, Tirthemius, ich rang doch nach Wahrheit, ob ich sie auch vor den Augen der Menschen verhüllte. An der Pforte des Todes steh’ ich! Die Thüren des Gerichtes werden sich öffnen! Wehe mir! Wehe!“ Bey diesen Worten verbarg er sein Haupt in das Kissen, und benetzte es mit Thränen.

 „O süßer Quell! Nicht mehr getrunken seit meiner Kindheit! Eine Oase nach der langen Wanderung durch die Wüste meines Lebens! — Horch! Horch! Sie nennen meinen Namen; er wird nicht vergehen, aber sein jetziger Nimbus wird schwinden!“

 Der Famulus trat unter die Thür.

 Paracelsus erhob sich auf seinem Lager und starrte verwundert nach seinem Diener: „Hast du gethan, was ich dir befohlen?“

 „„Herr! Ja! Natürlich! Wie Ihr befahlt!““

 „Du warfst das Fläschchen in die Salza?“

 „„Ich warf es in die Salza, ich stand dabey mitten auf der Brücke. Es fiel schwer - ich sag’ Euch, Herr, recht schwer hinunter in die Flut!““

 „Was sabst du aber dabey, als es in das Wasser fiel?“

 „„Herr, nichts! Ich sah gar nicht hinab, denn befürchtend, ich könnte etwas Unerwartetes sehen, wandte ich mich so schnell als möglich, hüllte mich in meinen Mantel, und lief, was ich konnte, von dannen!““

 „Schändlicher!“ rief Paracelsus, „du hast das Fläschchen nicht in das Wasser geworfen, sonst müßtest du etwas gesehen haben, das alle deine Sinne in Anspruch genommen hätte. Ich sende dich jetzt noch einmal, und gebe dir den Tod als Begleiter mit!“

 Das Gerippe bob langsam die Hand empor, in der es die Sense hielt.

 Paracelsus warf einen befehlenden Blick gegen den Famulus. „Dein Leben ist verloren und das Erbtheil, das ich dir lasse, thust du nicht schnell, wie ich dir geheißen!“

 Der Famulus ging.

 Paracelsus hüllte sich wieder in seine Kissen.

 In zehn Minuten kehrte der betäubte Famulus zurück. Was er gesehen - er gab es Niemanden kund. Paracelsus war todt. Das Gerippe

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lag über ihn hingestreckt, wie man sich über einen todten Freund stürzt. Die Kiste war zugeschlagen. Der Famulus wagte es nicht, sie zu öffnen, ungeachtet er die Goldbarren darin wußte.

 Die Gerichte kamen. Sie übernahmen das Vermögen des Paracelsus, nach seinem letzten Willen, für das St. Sebastians-Hospital zu Salzburg, wo er auch begraben liegt.

 Seit jener Zeit geht die Sage, daß die Salza Gold mit sich führe. Der Werth der verschlungenen tinctura universalis soll sich über eine Million belaufen haben und war verloren.


Wohl hat in letzterer Zeit ein Strom auch Millionen verschlungen; sie gingen zwar verloren, aber ein großer Alchymist: das Menschenberz, tingirte aus Thränen des Mitleids neues Gold!

Bibliography

Weigl, Joseph Ferdinand: ‘Das Gold im Flusse’, in: Album: Zum Besten den Verunglückten in Pesth und Ofen, Wien: Anton Strauß's Witwe, 1838, pp. 317-321.
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other editions:

Weigl, Joseph Ferdinand: ‘Das Gold im Fluße’, in: Innsbrucker Nachrichten, 2 (1855), no. 114, 19 May 1855, pp. 741-742 and no. 115, 21 May 1855, pp. 749-750.
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Weigl, Joseph Ferdinand: ‘Das Gold im Flusse’, in: Die Biene, 5 (1855), no. 2, pp. 13-16.
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