Troxler 1839 Umrisse
From Theatrum Paracelsicum
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Ignaz Paul Vital Troxler, Umrisse zur Entwickelungsgeschichte der vaterländischen Natur- und Lebenskunde 1839
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Und nun sei mir erlaubt, der Hauptgestalt aus dem großen sechszehnten Jahrhundert zu gedenken, des Lands-
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mannes, der, wie kein anderer, ist verschrien und verachtet, aber auch mehr, als irgend Einer, ist erhoben und gepriesen worden. Seine von Unverstand und Ungerechtigkeit im Urtheilen unabhängige und unverwüstbare Größe ist aber auch eben dadurch erst recht geläutert und für alle Zukunft festgestellt worden. Ich rede von Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus, genannt Bombastus ab Hohenheim. Seinen eigentlichen Heimathsort, so wie seine ursprüngliche Anlage und Erziehung bezeichnet er selbst mit folgenden Worten: „Ich bin von Natur nicht fein subtil gesponnen, es ist dieß auch nicht meines Landes Art. Wir werden nicht mit Feigen auferzogen, noch mit Meth, noch mit Waizenbrod, sondern mit Käse, Milch und Haberbrod. Diejenigen, die wie Frauenzimmer auferzogen worden, und wir, die unter Tannenzapfen aufwachsen, verstehen einander auch nicht wohl.“ und anderswo sagt er: „expulsabant me ex Lithuania, Borussia, Polonia, non placebam Universitatibus, non Monachis, non Judeis. Diese Worte sagen viel. Ob gleich Paracelsus weder Philolog noch Mathematiker war, und er selbst der gelehrten Zunft vielmehr entgegentreten, als zu ihr gehören wollte, war er doch nicht so ununterrichtet, und auch nicht so roh und ausgelassen, wie ihn seine, mit aller Art Waffen für die alte Schule und Gilde kämpfenden Gegner darstellen. Man hat von ihm in ziemlich gutem Latein geschriebene wissenschaftliche Abhandlungen. Oecolampad bewirkte seine Berufung nach Basel. Erasmus gab ihm die glänzendsten Zeugnisse, an Vielen, wie an dem filzigen und undankbaren Domherrn Lichtenfels hatte er Wunderkuren verrichtet. Conrad Geßner und andere Zeitgenossen schätzten ihn von Seite seiner Kenntnisse und seines Geschicks so hoch, daß er ihnen der Zauberei verdächtig schien. Was für
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günstige Urtheile haben nicht über ihn Baco von Verulam und Joh. Bapt. von Helmont gefällt? Endlich sind wohl auch die Thatsachen sprechend, daß er sein wunderthätiges Laudanum und Elixir proprietatis schuf, zuerst Quecksilber und andere Metalle als heilsame Arzneien brauchen lehrte und Gründer einer in Theorie und Praxis ganz neu erscheinenden Medizin ward. Ueber seine Reisesucht und umschweifende Lebensweise vertheidigt er sich mit folgenden Worten: „Ein Arzt muß ein Landfahrer *) sein. Ursach: Die Krankheiten wandern hin und her, so weit die Welt ist, und bleiben nicht an einem Orte. Will Einer viel Krankheiten kennen und curiren, so wandere er! Wandert er weit, so erfährt er viel und lernt viel erkennen.“ Anderswo sagt er, daß er nicht nur aus dem Unterricht der Aerzte, Laboranten und Hüttenarbeiter, sondern aus dem Umgang mit alten Weibern, Nachrichtern, Schäfern, Juden, Badern, FuhrLeuten, Zigeunern u. s. f., von Einfältigen, wie Gescheuten, seine Kenntniß der Natur und der Menschen geschöpft. Uebrigens ist nicht genug beachtet worden, daß viel Unsinn, Großsprecherei, sogar eine Menge falscher Schriften ihm ist unterschoben worden. Dieß bezeugt ausdrücklich sein Schüler Johann Oporin, der in seinen Briefen an Solenander und Wierus sagt: „Ich muß mich in der That wundern, daß so viele Schriften zum Vorschein kommen, welche alle dem Theophrast zugeschrieben werden, aus seiner Verlassenschaft sein sollen. Ich bin über-
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*) Landfahren lag im Geiste der Zeit, auch in der Noth der Zeit. Man lese doch den Auszug aus der Lebensbeschreibung von Thomas Plater im helvetischen Almanach 1785 und 1790, oder im dritten Band von Meister’s berühmten Männern Helvetiens.
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zeugt, daß Theophrast selbst den Inhalt einiger dieser Schriften niemal geträumt, geschweige denn wachend je dergleichen gedacht habe.“
Es zeugt daher von der geistigen Seichtigkeit unserer modernen Zeit, daß so viele, die wohl nicht viel anders, als was in Compendien und Journalen steht, von dem wahrhaft großen Manne eines großen Zeitalters gelesen, so unverständig und unverschämt über ihn urtheilen konnten, wie es Curt Sprengel in seiner pragmatischen Geschichte der Medizin und A. F. Hecker in seiner Heilkunst auf dem Wege zur Gewißheit gethan. So viel nur um die Gestalt etwas zu läutern und die krassen Vorurtheile, welche dem hochlohnenden Studium dieser ächten Jatrosophie im Wege stehen, ein wenig, zu beseitigen. Man erwarte aber nicht, daß ich an diesem Orte, der einer Andern Aufgabe bestimmt ist, in die Erörterung der Lehre selbst eingehe. Es ist dieß um so unnöthiger, da es bereits von drei ausgezeichneten deutschen Physiologen mit eben so viel Geisteskraft als Unbefangenheit geschehen ist. Ich verweise daher auf die Schriften:
1) Auf den gehaltvollen Aufsatz: Paracelsus, von Ferdinand Jahn, in den literarischen Annalen der gesammten Heilkunde von Hecker, Band XIV, Heft 1 und 2. Berlin 1829.
2) Auf die Schrift: Die Homöobiotik, historisch, vergleichend, systematisch und als Quelle der Homöopathie dargestellt von Karl Heinrich Schulz. Berlin 1831.
3) Ueber Gegensatz, Wendepunkt und Ziel der heutigen physiologischen Medizin, von W. J. A. Werber. Stuttgart 1835.
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Johann Opporin, von Basel, dessen Leben Jociscus beschrieben, war eine frische, geisteskräftige Natur, auch vom Schicksal gehetzt, und stund zu Paracelsus eine Zeitlang in dem Verhältniß, wie Wagner zu Faust, daher ihn auch Paracelsus oft geneckt und am Ende sich entfremdet zu haben scheint. Indessen läßt manche Einzelnheit auf die muthwillige Genialität des Meisters schließen, z. B. wenn dem Paracelsus auf seinen botanischen Spaziergängen von seinen Schülern eine Pflanze gebracht wurde, die er nicht kannte, er zu erklären pflegte, sie tauge zu nichts, oder Paracelsus, um aus dem Urin Naturell und Krankheit bestimmen zu können, forderte, daß der Patient sich drei Tag lang alles Essens und Trinkens enthalte. Dieser Opporin, dürftig, unglücklich, und schwankend zwischen Medizin, Theologie, Jus und Pädagogik, als Beruf, kann daher auch, so nah er Paracelsus als Schüler stund, nicht als zuverläßiger Beurtheiler von Paracelsus angenommen werden.
Noch weniger aber der entschiedenste und leidenschaftlichste Gegner von Paracelsus, wie Thomas Erastus, Liebler, von Baden im Aargau, sich darstellte. Adam sagt von diesem: Geminum adolescenti doctrinae amore flagranti objectum fuit impedimentum, corporis alterum vitium, alterum fortunae. Indessen hatte sich Erastus an der Universität Bologna zu einem der ersten Gelehrten seiner Zeit in Philosophie, Theologie und Medizin ausgebildet, letztere auch in Heidelberg und Basel ausgeübt. Erastus war aber ganz in der alten Scolastik befangen und hing an den Vorurtheilen der Zeit. Gewiß ist, daß während er die neue Lehre des Paracelsus bekämpfte, auch de strigibus et lamiis disputirte und das aurum potabile suchte. Seine Opposition gegen Paracelsus hat also nur insofern Werth und
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Bedeutung, als man dadurch den Stand der alten Schule der Medizin gegen die neue kennen lernt. Indessen dürfte des eben so gelehrten, aber weit unbefangenern Guinther von Andernach gehaltvolle Schrift: de veteri et nova medicina tum cognoscenda tum facienda. Basil. 1571 zu diesem Zweck weit vorzuziehen sein. *)
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*) Ueber Paracelsus ist auch von Neuern vielerlei geschrieben worden, aber wenig Gründliches. Das Imitatorum servum pecus hat sich besonders in der Wiederholung der vor Alters gegen diesen Mann ausgeheckten Vorurtheile ausgezeichnet. Zuerst hat den Paracelsus einigermaßen zu Ehren gezogen Leonhard Meister in seinen Lebensbeschreibungen berühmter Männer Helvetiens mit Bildnissen von Pfenniger. Die gerechteste Würdigung fand aber zunächst Paracelsus in Rixner's und Sibert’s Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker. Verstanden und ausgelegt hat ihn aber noch Niemand wie der Naturphilosoph und Arzt Ferdinand Jahn in Meiningen. Wir wollen daher hier nur noch das Endurtheil Jahn's über Paracelsus als Arzt anführen. Nachdem Jahn die Grundansichten von Paracelsus entwickelt hat, sagt er:
„Wie der große Mann seine allgemeinen Ansichten in's Einzelne führt, wie er aus ihnen die einzelnen Verhältnisse, Verrichtungen und Beziehungen des Organismus, die einzelnen Krankheiten; die Wirkung und Bedeutung der Arzneien erklärt, hier das Wahre schauend, dort ahnend und andeutend, hier ganz verkennend, jetzt mit klarem Blick über die Zeitalter weg sich erhebend, jetzt in die krasse Myftik, den finstern Aberglauben und den wunderlichen Aberwitz der Zeit tief versinkend, bald mit seinen Leistungen überzufrieden, bald die alte Klage über die Beschränktheit des Irdischen überhaupt und menschliche Wirsenschaft in’s Besondere, anstimmend; wie er bei seinen chemischen Arbeiten Herrliches fand, oft aber auch Faust's Vater, wie ihn der Dichter schildert („Mein Vater war ein
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dunkler Ehrenmann“), glich, wie er, anders denkend als Sydenham, der mineralischen Dingen im Arzneischatz den obersten Platz einräumte und sie zuerst in umfassendster Weise heroisch, aber doch vorsichtig gebrauchend, die schwierigsten Krankheiten heilte; wie ihm zusammengesetzte Formen verhaßt waren, dieß darf hier nicht weiter erörtert werden. So der Arzt von Einsiedeln, anders geartet als Hippokrates, Galen und die übrigen Heroen der göttlichen Wissenschaft, aber wie sie groß und herrlich in aller Weise und unsterblichen Ruhmes werth.
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Bibliography
Troxler, Ignaz Paul Vital (1780–1866):
Umrisse zur Entwickelungsgeschichte der vaterländischen Natur- und Lebenskunde, der besten Quelle für das Studium und die Praxis der Medizin, St. Gallen: Scheitlin und Zollikofer, 1839, pp. 24–29.
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