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Rheticus und Paracelsus (1903)
[S. 349] Als Hohenheim in Salzburg die schloss, war eben zu Basel bei Robert Winter[1] der für den süddeutschen Vertrieb bestimmte Abdruck der ersten Schrift des damals 27jährigen Georg Joachim Rheticus über des grossen Copernicus unsterblich Werk erschienen, die „Narratio prima“ ... „de libris revolutionum Doctoris Nicolai Torunnaei Canonici Varmiensis,“ in Form eines Sendschreibens an den Nürnberger Mathematiker Johannes Schöner, welches einen Schleier nahm von den Augen der Menschheit — als Hohenheim schon zum ewigen Schauen eingegangen war. Das Lebenswerk des Copernicus selber wurde erst zwei Jahre später ausgegeben ; sein sterbend Auge hat das erste fertige Exemplar noch am Morgen des Todestages gestreift. —
Wohl wusste man schon seit einigen Jahren in eingeweihten Kreisen von der grossen wissenschaftlichen That des Frauenburger Domherrn und die staunenerweckende Kunde drang langsam in immer weitere Kreise; aber in die weltfernen Alpenthäler, in welchen Hohenheim die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, war kaum ein Laut von dieser grossen geistigen Umwälzung gekommen, welche die „libri VI de revolutionibus“ bringen sollten.
[S. 350] Und doch, wer sich nachdenkend in die Weltanschauung Hohenheims zu versenken versucht hat, wer gar seine astronomischen Schriften trotz der Sprödigkeit ihrer Form und des fliegenden Geistes ihrer Spekulationen oder ihrer mystischen Seitensprünge auf sich hat wirken lassen, der wird sich unwillkürlich die Frage vorgelegt haben, wie hätte Hohenheim, wenn er sie erlebt hätte, zu den Offenbarungen des Copernicus sich gestellt. Hätte der redliche Wahrheitssucher auf allen naturwissenschaftlichen Gebieten, dem beispielsweise in der Chemie so mancher Blick hinter den Schleier der Maja glückte, hätte er die neuen astronomischen Wahrheiten sofort mit offenen Armen aufgenommen, mit kongenialem Verständnis erfasst?
Wenn diese Frage auch ewig ohne Antwort bleiben muss, so wird doch das gleichzeitige Ringen der beiden Männer nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis immer wieder den denkenden Historiker der Natur- und Heilkunde fesseln und zum Vergleich herausfordern.
Denen aber unter den heutigen Historikern der exakten Naturwissenschaften, welche etwa einen Copernicus, einen Galilei nachschaffend neu erstehen lassen wollen, und die Lippen spöttisch schürzen, wenn man neben ihren Grössen den genialen Einsiedler auch nur zu nennen wagt, denen gebe ich zur Erwägung, dass Hohenheim in seiner Auffassung von der Chemie — und um diese Naturwissenschaft handelt es sich bei ihm ja vor allem — jeglichem alchemistischen Krimskrams unendlich viel vorurteilsfreier gegenüberstand als etwa die grossen Astronomen neben und nach ihm den astrologischen Hirngespinnsten! — —
Aber die Brandmale der Verkennung und Verleumdung haben sich im Laufe der Jahrhunderte zu tief in das historische Antlitz des Paracelsus hineingebrannt, [S. 351] als dass auch die, welche sich frei von der Wirkung aller Schlagworte glauben, durch dieselben hindurch oder daran vorbei sehen könnten.
Wer jedoch eine gerechte Beurteilung Hohenheims anbahnen will, darf sich daran nicht stossen, darf sich auch durch das Gekläff der kleinen Geister der konservativen Schulmeute des 16. Jahrhunderts das geistige Ohr nicht stumpf machen lassen, sondern muss auf Hohenheim selbst und auf die wenigen Grossen nach ihm hören, die aus ihrem eigenen Geistesringen heraus für die verwandten Stimmen anderer Wahrheitskämpfer im wirren Marktgeschrei der Tagesgrössen, der Zeit- und Schulgemässen selber feinhörig geworden waren, die gleich einem Tycho Brahe oder Giordano Bruno Verständnis gewonnen hatten für das weltumspannende Neue, das Paracelsus geschaut und gedacht hat. — — —
Heute will ich nur den Einfluss, welchen Hohenheim auf Einen von ihnen ausgeübt hat, aufdecken, auf den Herold der Copernicanischen Wahrheitskündung, den man vielleicht nicht zu den „Grossen“ im strengsten Sinne rechnen darf, dem aber im Nachschaffen Copernicanischer Grösse der Sinn erwacht war für das wahrhaft Bedeutende auch auf anderen Gebieten.
Ist doch die Geschichte der Einwirkung Hohenheims auf seine Zeitgenossen und Nachlebenden noch von grundauf zu schaffen — hiermit ein Steinchen zu diesem Bauwerk!
In den „ONOMASTICA II.,“ welche der federfertige Hagenauer Paracelsist, weiland Schulmeister und poëta laureatus Michael Schütz, genannt Toxites, im Jahre 1574 in Gemeinsamkeit mit Johann Fischart, dem Dichter und „Schriftführer der deutschen Nation,“ bei dessen [S. 352] Schwager Bernhard Jobin in Strassburg hatte erscheinen lassen, findet sich im zweiten Teile, dem „Onomasticon Theophrastum,“ auf Seite 430 bei der Erklärung des Wortes „Elixir“ folgende Zwischennotiz:
Der erste Apostel des grossen Meisters Copernicus, ein lateinischer Interpret der Paracelsischen Jugendschrift „Archidoxa“! — Man kann sich denken, wie ich stutzte, als ich diese Nachricht zum ersten Male las. Ein Zweifel an ihrer Authentizität konnte nicht statthaben; noch war ja der fähige Schüler des Frauenburger Domherrn am Leben[2]!
Es lässt bei Rheticus ein grosses Interesse an der Paracelsischen Reform der Heilkunde voraussetzen, wenn er sich entschloss, das lange verborgene, lange verloren geglaubte Handbuch der Hohenheim’schen chemischen Arzneibereitungslehre, das seit dem Ende des Jahres 1569 in zahlreichen Ausgaben an die Öffentlichkeit getreten war — jeder der bekannten Paracelsuseditoren und Paracelsusverleger in Strassburg, in Basel, in Köln, in München musste seine Archidoxen-Edition haben! — in korrekterer Form als bisher in die Sprache der gelehrten Welt zu kleiden.
Die noch so wenig aufgehellten Lebensschicksale des Rheticus in seinem letzten Jahrzehnt lassen einstweilen keine Begründung für die naheliegende Vermutung [S. 353] zu, dass er vielleicht schon vor ihrem Erscheinen im Druck die Archidoxen gekannt und übersetzt habe, dass ihn etwa der schlesische Dichter am polnischen Königshofe, Adam Schröter in Krakau, der das Buch 1569 bei Mathias Wirzbieta in blühendem Latein erscheinen liess, damit bekannt gemacht habe. Oder sollte Rheticus auch mit dessen Übersetzung, welche die offizielle Klique der Paracelsusschüler und -Herausgeber trotz ihrer kleinen Häkeleien untereinander mit beachtenswerter Einmütigkeit totschweigen, nicht zufrieden gewesen sein?
Adam Schröter hatte sich der Gunst des Albert Laski (a Lasko) zu erfreuen und auch Rheticus stand mit der Familie der Laski in naher Beziehung, wie wir noch sehen werden. Ob Mitglieder des Adam Schröterschen Freundeskreises in Polen wie die Gutteter in Krakau, Johannes Gregorius Macer oder der Lubliner Arzt Rupertus Finck im Leben des Rheticus eine Rolle gespielt haben, bleibt künftiger Forschung anheimgegeben. Ob irgendwo handschriftliche Spuren der von Toxites gesehenen Umgewandung des ältesten Leitfadens einer pharmazeutischen Chemie durch Georg Joachim von Lauchen heute noch vorhanden sind, konnte ich nicht in Erfahrung bringen; doch sind mir noch andere Zeugnisse für das lebhafte Interesse, das Rheticus für Hohenheim hegte, zu Handen gekommen.
Bekanntlich hat der gelehrte Ilfelder Schulrektor Michael Neander (* 1525, † 1595) im Jahre 1583, „ISLEBII Imprimebat Vrbanus Gubisius,“ in 8° eine "ORBIS TERRAE PARTIVM SVCCINCTA EXPLICATIO“ (212 unnumerierte Bll.) erscheinen lassen, in welcher er — wie unter „Bruxella“ vom Tode des grossen Ve- [S. 354] salius — so unter der Rubrik „Palatinatus, die Pfaltz, Vrbs Heidelberga“ von dem dortigen „grossen“ Professor der Medizin Thomas Erastus und seiner Bekämpfung der Paracelsischen Lehren in dem vierbändigen Werke der „Disputationes“ berichtet. Derart über Hohenheim zum Worte gelangt, kramt der gewissenhafte Schulmann nun seine ganze Weisheit über Paracelsus unter der Spitzmarke „Heidelberg“ fein säuberlich und gewissenhaft aus. Ja in den späteren Auflagen von 1586 und 1589 (beide in Leipzig in 8° erschienen) finden sich über den Wundermann noch viel Seiten lange Zuthaten.
Doch schon in der ersten Auflage dieses Werkes findet sich ein für uns wichtiges Brieffragment des Rheticus, das Neander folgendermassen einführt: „... addimus huc partem Epistolae, quam Rheticus professor olim Mathematum in Accademia Lipsensi, et post hac Crocauiensi [!], ubi etiam anno superiori diem suum obijt, scripsit de Theophrasto ad virum quendam doctrinae multiplicis et meritorum ergò in republicam literariam per uniuersam Europam clarissimum, communicatam nobis à pietate, doctrina varia, ingenio atque industria maximo domino Ioanne Reiffenstein, patritio Stolbergensi, nostri semper studiosissimo et amantissimo ...“ Also dem Stolberger Honoratioren Johann Reiffenstein verdankt Neander einen Brief des Rheticus an eine ungenannte wissenschaftliche Grösse jener Zeit, der folgendermassen lautet:
"Nostra medicina non est Geometria, quae semper suum finem assequatur. Quanto enim plus in ea proficio, tanto plus in ea desidero. Credo eam posse cognosci, si idoneos praeceptores haberemus, qualem unicum agnosco Hippocratem, in reliquis [S. 355] ut plurimum parollas[3] habemus. Fernelius per destillandi artem inuenit eam rationem, ut omnem quartanam unico haustu curauerit, sed is obijt.
Paracelsus nostri Seculi Theophrastus similia miracula multa praestitit, de quibus certò constat. Cum Albertus Basa Poloniae regis medicus ex Italia rediret, diuertit ad Paracelsum, qui tum temporis ad Sancti Viti urbem agebat. Accessit cum Theophrasto aegrotum, quem supervicturum paucis horis affirmabant omnes ex casu virtutis, et pulsus defectu, laborante etiam pectore. Ibi Theophrastus idem affirmabat fore secundum Humoristarum artem medicam, sed facile restitui posse ex vera arte, quam Deus in natura occultauerit, atque aegrum in crastinum ad prandium invitauit, producto igitur quodam destillato trium guttarum, quod illi in vino exhibuit, restituit hominem, ut ea nocte conualuerit, et sequenti die comparuerit in hospitio Theophrasti sanus maximo omnium miraculo. Cum huiusmodi multa ex Dei beneficio faceret, nihil nisi calumnias et obtrectationes assecutus est.“
Haec Rheticus[4].
So spricht oder schreibt doch nur, wer von der Grösse der ärztlichen Kunst Hohenheims für seinen Teil fest überzeugt ist!
Dabei verdient es volle Beachtung, dass Rheticus sich neben Hohenheim nur auf seinen, als Neuerer ver- [S. 356] schrienen, Zeitgenossen Jean Fernel († 1558) beruft, der von Hohenheim bis zu einem gewissen Grade beeinflusst war, und bei ihm auch noch gerade ein chemisches Heilmittel rühmend hervorhebt. Man darf ferner nicht übersehen, dass Rheticus — ganz paracelsisch! — von den Alten einzig den Hippokrates als Lehrmeister noch weiter gelten lassen will, Galenos und Avicenna aber völlig bei Seite lässt oder verwirft, auf welche sein astronomischer Lehrmeister Copernicus noch so grosse Stücke hielt.
Ein weiteres direktes Zeugnis für den Einfluss, welchen Hohenheim’sche Gedanken auf den geistvollen Vorarlberger Mathematiker und Arzt ausgeübt haben, finden wir in einem langen Schreiben des Georg Joachim Rheticus, das an einer allenthalben leicht zugänglichen Stelle abgedruckt ist und trotzdem Allen entgangen zu sein scheint, welche sich in den letzten Jahrzehnten mit seinem Leben, Denken und Schaffen näher beschäftigt haben. Melchior Adam in seinen „Vitae Germanorum Philosophorum“[5] weist auf diese Quelle hin und Siegmund Günther[6] hat offenbar eine recht dunkle Kunde davon erhalten, wie die Titel angeblicher ungedruckter Werke aus dem Nachlass des Rheticus darthun, über welche „der Pole Casicius“ berichten soll.
Josias Simler, der Schüler und Biograph Konrad Gesner’s teilt 1574 in der ihres ursprünglichen Reizes beraubten „Epitome“ der Gesner’schen „Bibliotheca universalis“ (von 1545) einen Brief mit, den unser Rheticus 1568 an den berühmten Gegner der aristotelischen [S. 357] Philosophie, Pierre La Ramee (Petrus Ramus) in Paris gerichtet hat[7].
In diesem Briefe an den Pariser Philosophen und Mathematiker entrollt Rheticus, 8 Jahre vor seinem Tode, eine lange Liste seines literarischen Schaffens — Vollendetes und Geplantes — und entwickelt gleichzeitig die Grundgedanken, welche ihn bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten geleitet haben, die er beispielsweise in die Worte zusammenfasst:
Doch auch scharf polemisch fixiert er seinen Standpunkt als Neuerer, als Reformator:
Ja er zieht folgenden bissigen Vergleich des gewaltigen Gebäudes der Ptolemäischen Weltordnung mit einem Kinderspielzeug:
Nach dieser kräftigen Expektoration fasst Rheticus seine ganzen Bestrebungen unter folgendes Leitmotiv:
Nun frage ich jeden, der seinen Paracelsus kennt: glaubt man hier nicht Hohenheim reden zu hören? Ist da nicht deutlich die Einwirkung etwa seines Briefes an Christoph Clauser zu spüren, von dem ich nur ein paar Zeilen hierhersetze:
Wie Hohenheim auch anderwärts betont, dass er ein „Philosophus nach der deutschen Art" sei, ist bekannt, ebenso wie er wissenden Herzens darüber klagt, wie man ihn verfolge: „dass ich allein bin, dass ich neu bin, dass ich deutsch bin!" u. s. w.
Doch kehren wir zu dem Briefe des Rheticus zurück! Es heisst dort weiter:
Astrologische Schwachsichtigkeiten waren ja auch dem so klar sehenden grossen Nicòlaus Copernicus nicht fremd, und des Rheticus heliozentrische astrologische Theorien und Abenteuerlichkeiten sind bekannt[8], während Hohenheim hierin seine besonderen Wege ging, die sich in kurzen Worten einstweilen nicht skizzieren lassen. Es ist das auch für diesmal nicht von nöten, da der Schildknappe des Copernicus auf diesem seinem ureigensten Spezialgebiete selbständig Stellung genommen hatte.
Wichtiger ist das Folgende:
Das ist die Quintessenz der Hohenheimschen Reform, welche das „Perscrutamini rerum naturas" an die Stelle der alten Lehrmaxime „Perscrutamini scripturas“ setzte; denn die Naturwissenschaft „bedarf nun weiter keines Skribenten mehr, allein Interpretes auf das Buch der Natur nach Inhalt ihres Textes“ Auch für die Medizin hat dies „Eperientia ac Ratio Auctorum loco mihi suffragantur," wie er im Baseler Programm betont, unbeschränkte Geltung; denn „die Natur lehrt den Arzt und nicht der Mensch." So fährt denn auch Rheticus fort:
und teilt mit, dass er auch, in der damals eben erst in Halme schiessenden, neuesten naturwissenschaftlichen Disziplin, der Chemie, sich zu vervollkommnen, in reger Arbeit beflissen sei:
Vielleicht tauchen diese schriftstellerischen Versuche in der Scheidekunst noch einmal handschriftlich wieder auf. Teilt doch Simler mit, dass ein grosser Teil aller der genannten — hier nicht mit aufgeführten — Schriften des Rheticus nach Johannes Laski's brieflicher Mitteilung schon 1570 vollendet vorgelegen hätten und von diesem selbst eingesehen worden seien — „magna[m] horum librorum partem iam absolutam se vidisse, ante quadriennium ad me scripsit, ornatissimus vir Joannes Lasicius Polonus[9],“ — die sieben Rächer über die Chemie dürften sich mit grosser Wahrscheinlichkeit darunter befunden haben.
Die Bezeichnung "Chemia“ für die wissenschaftliche, namentlich pharmazeutische Seite der Alchemie ist im Jahre 1568 immerhin noch beachtenswert. Was die Sache angeht, so ist gerade in der medizinischen Chemie im Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der dominierende Einfluss Hohenheims absolut ausser Frage.
Auf Rheticus’ ärztliche Qualität weist gerade der Schluss des von Simler mitgeteilten Brieffragmentes noch einmal recht eindringlich hin:
Was doch wohl besagen will, dass dem Leipziger Professor der Mathematik, in den Wanderjahren seines letzten Lebensabschnittes wenigstens, der Ertrag seiner [S. 361] ärztlichen Praxis die Mittel verschaffte, um seinen gelehrten Arbeiten ohne Nahrungssorgen sich widmen zu können. Seine ärztliche Thätigkeit, welche Simler, Toxites, Neander, Paschalis Gallus, Adam und hier auch Rheticus selbst bezeugen, dürfte biographisch doch mehr Beachtung verdienen, als es bisher geschehen ist.
Auch sein Lehrmeister Copernicus hatte ja Medizin studiert und genoss einen weitverbreiteten ärztlichen Ruf; ja er wurde in der übertreibenden Ausdrucksweise jener Zeit in seiner Umgebung wohl als „zweiter Äskulap“ bezeichnet. Jedenfalls gehörte er zu den Koryphäen der Heilkunde in den Weichselgegenden, aber die medizinischen Bücher, die er besass und täglich gebrauchte, vor allen das „Philonium“ der Leuchte von Montpellier, Valescus de Taranta (Balescon de Tarente aus Portugal, um 1380), sowie die überlieferten ärztlichen Aufzeichnungen seiner Hand beweisen klar, dass der Reformator der Himmelskunde getreulich in den althergebrachten Spuren des „Fürsten der Arznei“ Avicenna (Ibn Sina, 980—1037) wandelte[10]. Nicht so sein sonst pietätvollster Jünger, Georg Joachim Rheticus!
Wie unvollkommen und lückenhaft auch die Überlieferung über ihn bis heute noch ist — soviel wird jedermann klar geworden sein, dass Rheticus als Arzt im Lager der Anhänger des Paracelsus gestanden hat!
Für die Frage der Beziehung Georg Joachimis von Lauchen zu Hohenheim darf endlich ein Faktor nicht ausser Rechnung bleiben, der Empfänger des zuletzt besprochenen langen Briefes (der wie ein Rechenschaftsbericht über die ganze Summe seines Lebens aussieht und [S. 362] in seiner biographisch-literarischen Bedeutung für Rheticus von mir nicht zur Hälfte erschöpft ist) Pierre La Ramée, welcher in ebendemselben Jahre 1568 in seiner berühmten „Oratio de Basilea“ die ewig denkwürdigen, hoch anerkennenden Worte über Hohenheim gesprochen hat: „In intima naturae viscera sic penitus introivit; metallorum stirpiumque vires et facultates tam incredibili ingenii acumine exploravit ac pervidit, ad morbos omnes vel desperatos, et opinione hominum insanabiles, percurandum: ut cum Theophrasto nata primum medicina perfectaque videatur ..." und, nach einer Schilderung der einstigen Reform des Asklepiades von Bithynien in Rom zum Schlusse erklärt hat: „Theophrastus nempe Germanicus hic Asclepiades fuit: quem Adamus Bodensteinius Basileae suscitat: sicuti totâ Germaniâ plerique excellentes medici.“
Mit diesen Worten, die zugleich ein weiteres vorurteilsfreies Zeugnis der nächsten Nachlebenden von Bedeutung über Hohenheim bilden, hat Petrus Ramus offenbar auch unserm Georg Joachim Rheticus aus der Seele gesprochen!
- ↑ 1) Nicht Georg Winter, wie Leopold Prowe in seinem „Nicolaus Coppernicus 1. Band. Das Leben II. Theil, Berlin 1883,“ S. 427 Anm. schreibt; einen Basler Drucker namens Georg Winter hat es im 16. Jahrhundert überhaupt nicht gegeben.
- ↑ 1) Rheticus starb zu Kaschau in Ungarn am 4. Dezember 1576.
- ↑ 1) „Hohlköpfe" ; in parolla eig. kleines Geschirr ("lebes minor“ Du Cange), vergl. niederrheinisch „Düppen“ für Dummkopf.
- ↑ 2) L. c. 1583 Bl. J2r; 1586 Bl. G8v; 1589 Bl. 56b—57a.
- ↑ 1) Ed. III. Francofurti ad Moenum 1706 Fol°. S. 136.
- ↑ 2) Allg. Deutsche Biographie Bd. 28. 8. 390.
- ↑ 1) Petrus Ramus wurde ein Opfer der Bartholomäusnacht (1572). — Ich benütze die vollständigste Ausgabe der Gesner- Simler’schen „Bibliothek,“ hrsg. v. Joh. Jakob Frisius, Tiguri 1583 Fol°, in welcher sich das Schreiben des Rheticus an Ramus S. 270 abgedruckt findet. In der „Epitome Bibl. Gesner.“ Tiguri 1574 Fol° steht der Brief an Ramus auf S. 228.
- ↑ 1) Vgl. z. B. Leop. Prowe. Nicolaus Coppernicus 1. Bd. II. Teil, Berlin 1883 S. 401 u. 430 Anm.
- ↑ 1) Das ist der polnische Gewährsmann Günthers!
- ↑ 1) Vgl. L. Prowe. Nicolaus Coppernicus 1, II. S. 291—320.