Texte/Sudhoff/Hohenheim und die astrologische Medizin (1904)
Hohenheim und die astrologische Medizin (1904)
[S. 2072] Friedrich v. Bezolds Signatur des Paracelsus: „Er zog ein ganzes Heer von Goldmachern und astrologischen Aerzten gross“ ist in beiden Punkten gleich unrichtig. Paracelsus hat nach dem Grundsätze gehandelt: „Nicht dass ich in meinem Schreiben Gold oder Silber lerne machen, sondern was die Arznei betrifft, das ist mein Fürnehmen“. Und wie fern er dem öden Regelkram der astrologischen Mediziner, der „latromathematiker“, stand, dafür ist typisch sein Wort im Paragranum: „Ich will Euer Astronomie und Aderlasstafelkunst in den Pilatussee werfen.“ Das ergibt sich klar aus der Baseler Schrift „Aderlassens Unterricht“, worin er mit der Tagwählerei beim Aderlass ebenso aufräumt, wie mit der Herrschaft der Tierkreiszeichen über die menschlichen Glieder: die „Notdurft des Leibes lehrt Stund und Minuten zu finden“. Ueberhaupt ist Hohenheim dem Aderlass wenig geneigt; er gibt wohl detaillierte Aderlassanweisungen für bestimmte Blutkrankheiten, bezeichnet sie aber ausdrücklich als Konzession an die augenblicklichen Anschauungen der Aerzte („allein dass sie gen Schul geführt werden“). Eigentlich ist der gewollte Effekt in ganz anderer Weise zu erreichen: „Das sind die rechten Arzneien zum Blut, das sind die rechten Aderlässe, die ohne Eisen (d. h. ohne Aderlasslanzette) geschehen“; man müsse erkennen, „wie die Natur sich selbst zur Ader lässt und ihr selbst Arzt ist“. Seine spezifische Heilmethode ist ja in gleicher Weise dem Schröpfen und Purgieren abhold. Wie fern er den absurden iatromathematischen Spielereien der astralen Beurteilung der „Urina non visa“ steht, dokumentiert seine detaillierte Harndiagnostik in den Baseler Hundstagsvorlesungen 1527. Auch was Hohenheim in seiner frühesten Darlegung allgemeiner Krankheitsätiologie, dem Paramirum I, dessen Konzeption vielleicht noch vor Basel fällt, als „Ens astrorum“ bezeichnet, ist toto coelo von der Iatromathematik verschieden, ja auch die alte Nativitätslehre wird hier ausdrücklich abgewiesen. Die Sterne wirken auf uns, indem sie unsere Nahrung beeinflussen in der Witterung (Meteoro-logie, Klima) und weiter durch kosmische Exhalationen in das Luft- und Aethermeer, welche sich in den Epidemien dokumentieren. Im Paragranum stellt sich die „Astronomie“ dar als die Lehre von Luft und Feuer in naturphilosophischer Beleuchtung und bietet als Grundlage der ganzen Lehre Hohenheims von der krankmachenden und gesundmachenden Wirkung des Firmamentes die Vorstellung von etwas unendlich Flüchtigem, das den Weltraum erfüllt, in dem die Gestirne schweben, von etwas unendlich Feinem, alles Durchdringendem, dem gegenüber das Luftmeer mit seinen Winden etwas grob Substantielles ist (bei dem van Helmontschen „Gas“ scheint das Chaos Hohenheims auch klangweise Gevatter gestanden zu haben), das auch z. B. das Wasser der Teiche und des Weltmeeres ebenso durchdringt wie unseren Körper und auch der Träger der krankmachenden Stoffe oder Potenzen ist, weshalb auch die Arznei höchste Geistigkeit erlangt haben muss, damit sie diesem „Mysterium magnum“ auf seinem eigenen Gebiete des Aetherischen entgegentreten kann. Doch entgleitet dies hyperflüchtige Krankheitsagens nicht den Händen des Wirk-lichkeitsphilosophen Hohenheim — durchaus nicht; „denn das soll der Arzt nicht leugnen, die Krankheit steht in dem Gewicht, in der Zahl und in dem Mass!“ Aber alles was wirken soll, muss diese feinste, flüchtige Form angenommen haben, muss „astralisch“ geworden sein, dann ist es zeugungskräftig, männlich u. s. w. Darum darf „das Astrum“ nirgends unbeachtet bleiben. Das hat aber mit der alten astrologischen Medizin, die im 15. und 16. Jahrhundert neu in Blüte kam, nicht das geringste zu tun; ihr gegenüber gilt das scharfe Wort Hohenheims: „Ein jegliche Astrologie und dergleichen Prozess ist ein Mutter der Superstition.“