Rosenbaum 1838 Paracelsisten

From Theatrum Paracelsicum
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Text

[p. 284]


PARACELSISTEN nennt man diejenigen Ärzte, welche sich zu den Ansichten des Paracelsus bekannten. Da es dem Paracelsus selbst nicht gelungen war, mit seinem Wissen und Wollen zu einem bestimmten Abschlusse zu gelangen, er vielmehr die Gährung, worin seine Zeit begriffen war, in sich selbst in ihrer ganzen Größe aufnahm, ohne den Proceß derselben beendigen zu können, so kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn wir seine Anhänger nicht nach einem gemeinsamen Ziele streben sehen, wie dies bei andern wirklichen Systematikern der Fall ist. Keiner vermochte den Klärungsproceß des chaotischen Wirrwars ihres Meisters allein zu Ende zu führen, und so legten Alle Hand an das Werk, welches, je nach der verschiedenen Bildungsstufe des Einzelnen, von einer verschiedenen Seite aufgefaßt und bearbeitet ward. Denn das eben ist das Charakteristische jenes genialen Sprudelkopfs, daß sein riesenhafter Geist alle jene zerstreuten Elemente allein aufzunehmen im Stande war, wenn ihm auch die Kraft gebrach, sie zu einem Ganzen dauernd zu vereinigen, ein Ziel, welches wir ja jetzt noch nicht errungen haben. Den herrschenden Ansichten, am meisten entsprechend war die Verbindung der Religion mit der Medicin und die Lehre von dem Einflusse der Natur (Macrocosmus) auf den Menschen (Microcosmus), welche Paracelsus besonders hervorhob; von dieser Seite erhielt er zunächst die meisten Anhänger, welche aber eben weil der Sinn dieser Lehren zu tief für sie lag, sich mit der äußern Schale, den Redensarten darüber, begnügten, wodurch sich zugleich am besten der wirkliche Mangel an medicinischen Kenntnissen verdecken ließ. Es waren daher auch weniger die Ärzte als die Nichtärzte, welche sich auf diese Weise zu den Schülern des Paracelsus bekannten, und eine Menge noch jetzt unter dem Volke herrschender Ansichten über sympathetische Heilung der Krankheiten, über die astralischen Einflüsse, Signaturen etc. kamen durch jene Leute in Umlauf. Die Theosophen (s. d. Art.) fanden in den Schriften des Paracelsus besonders reiche Nahrung. Bei weitem einflußreicher war aber die Verbindung der Chemie und Medicin, welche Paracelsus auf eine doppelte Weise zu Stande zu bringen suchte, nämlich durch Einführung der chemischen Arzneimittel in die Praxis, und durch Benutzung der chemischen Ansichten zur Erklärung der pathologischen Processe. Das rastlose Suchen nach dem Steine der Weisen hatte zur Erfindung einer Menge, namentlich metallischer, Mittel geführt, deren Wirkung kräftiger und offenbarer als die der Kräuter und Pflanzensäfte war. Das Geheimniß, welches ihre Erfindung deckte, ging auf die Mittel selbst über, und die große Menge der Arcana des Paracelsus war es besonders, welche nicht nur Laien, sondern auch Ärzte zum Studium seiner Schriften rief. Das Gold, welches sie vergebens in den Schmelztiegeln aufsuchten, lieferten die Arcana weit sicherer als der Stein der Weisen in ihre Taschen. Die meisten der sogenannten Paracelsisten gehören dieser Classe an, so Leonhard Thurneysser zum Thurn, Bartholomäus Carrichter, Michael Bapst von Rochlitz, Georg Amwald, welche, obgleich eigentlich Nichtärzte, sich am meisten Ruhm erwarben und es zum Theil zu fürstlichen Leibärzten brachten. Die Zahl der Ärzte, welche der Paracelsischen Heilmittellehre sich zuwandten, war besonders in Teutschland übergroß, da hier die Medicin noch am wenigsten ein wissenschaftliches Gepräge gewonnen hatte; wir erwähnen hier nur des Martin Ruland und Peter Severin, in Italien Leonardo Fioravanti und Thomas Bovi, in Frankreich du Chesne (Quercetanus), in England Johann Michele und Robert Fludd. Durch die Amalgamation der Chemie mit der Medicin bildete sich die Hermetische oder Spagirische Schule, zu denen Valentin Weigel, Agidius Guttmann und Julius Sperber, zum Theil auch Henning Scheunemann, Johann Gramann und Heinrich Kunrath gehörten, und aus ihren Bestrebungen gingen späterhin die sogenannten Rosenkreuzer hervor. Wenn bei allen diesen Geldsucht und phantastische Träumereien eine größere oder geringere Rolle spielten, so gab es doch auch mehre übrigens vortreffliche Ärzte, welche das Gute der Paracelsischen Lehren, so weit es ihnen zugänglich war, vorurtheilsfrei zu würdigen wußten, und als Eklektiker oder Synkretisten auf die Seite der Paracelsisten traten; dahin gehören Winther von Andernach, Theodor Zwinger und sein Sohn Jacob Zwinger, endlich zum Theil auch noch Oswald Croll. Die Anwendung der Chemie zur Erklärung der pathologischen Processe, wodurch Paracelsus besonders die Lehren der Griechen und Araber von den Elementen stürzte, wurde endlich Veranlassung zur Entstehung der Chimiatrischen Schule, wenn schon die Koryphäen derselben den Paracelsus nicht als Meister an erkennen wollten.

Bibliography

Rosenbaum, Julius: ‘Paracelsisten’, in: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, ed. by J. S. Ersch and J. G. Gruber, section 3, part 11, Leipzig: Brockhaus, 1838, p. 284.
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