Locher 1851 Theophrastus
Hans Locher,
Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim, der Luther der Medicin und unser größter Schweizerarzt 1851 |
Text
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Es verhält sich mit patriotischen Festen, wie mit den kirchlichen. So heilig auch der Grund sein mag, welcher die Gläubigen zur Feier der Weihnacht, der Ostern, der Pfingsten zusammenruft, so besteht doch in der Erinnerung an das bestimmte historische Faktum nicht die segensreichste Wohlthat, nicht der höchste Triumph des Tages. Vielmehr |
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Ihr wißt, wie schwierig es ist, die ersten Sterne zu erkennen, welche am dunkelblauen Abendhimmel hervortauchen, wie oft wir forschend an dem weiten Gewölbe herumspähen und dennoch jene lichten Boten nicht herausfinden können. Unser Nachbar, der vielleicht ein schärferes Auge oder eine genauere Kenntniß von der Lage der Sterne hat, weist uns endlich mit deutender Hand zurecht. Jetzt auf einmal scheu wir jene ersten Sterne und verlieren sie nun nimmermehr aus dem Auge, ja können nicht begreifen, daß wir sie nicht von Anfang an wahrgenommen haben. Nun denn! Laßt euch dieses Schriftchen hier ein solcher Wegweiser sein! Laßt es gleichsam wie eine Festrakete in die Höhe steigen, hell flammend für eine Minute, sodaß ihr auf seiner funkelnden Bahn |
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Pfarrhaus zu Wyla. Ende März. 1851.
Dr. Hans Locher.
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I.
Von dem Papste, welchen der Schweizer Paracelsus von Hohenheim gestürzt hat.
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Die erste derselben ist die Pflege, welcher sich von jeher in der Stadt der Ptolemäer die Anatomie zu erfreuen hatte. Wenn wir uns der frommen Scheu erinnern, welche die alten Griechen vor ihren Todten durchdrang und welche ihnen ein Oeffnen derselben als fluchwürdiges Verbrechen erscheinen ließ, und wenn wir wissen, daß die ägyptische medicinische Schule unmittelbar aus der griechischen hervorgegangen war, so hat es auf den ersten Blick für uns etwas Befremdendes, in Alexandrien Sektionen, und zwar Sektionen in einem großartigen Maaßstabe vorgenommen, als einen ganz gewöhnlichen Gebrauch von der Gründung der dortigen Schule an anzutreffen. Wir können uns diese Erscheinung durch nichts anderes erklären, als durch die alte ägyptische Sitte des Einbalsamirens. Dadurch war das Volk bereits seit unvordenklicher Zeit daran gewöhnt worden, das Antasten und Ausschneiden eines todten Körpers nicht mehr als empörenden Frevel, sondern als etwas Erlaubtes, ja als Norm zu betrachten, und die großen Gründer der medicinischen Akademie zu Alexandrien wußten gleich von Anfang an aus diesem einzigen Punkte, in welchem der Aegypter dem Hellenen an vorurteilsfreier Richtung des Geistes überlegen war, für die Blüthe der Wissenschaft den reichsten Gewinn zu ziehen. So ward denn Alexandrien durch das ganze Alterthum hindurch der Sitz des anatomischen Studiums. Zwar |
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Die zweite Eigenthümlichkeit der alexandrinischen Schule besteht in der mit unverhältnißmäßiger Vorliebe getriebenen Ausbildung, welche daselbst der Lehre von den Giften zu Theil wurde. Wenn wir gewahr werden, daß die ganze Bearbeitung der Arzneimittellehre sich beinahe ausschließlich bloß um das Kapitel der Gifte und Gegengifte dreht, wenn wir sehen, wie diesem Gegenstande selbst die Dichter in langen Gedichten ihre Begeisterung weihen und wenn wir die unglaubliche Anzahl der großentheils ekelhaften oder abenteuerlichen Ingredientien durchmustern, welche die berühmtesten Antidota zusammensetzen, so erhalten wir auf der einen Seite einen sehr schwachen Begriff von dem Standpunkte, auf welchem sich der praktische Gehalt der alexandrinischen Medicin befand, auf der andern Seite aber eine düstere Ahnung von der Art und Weise, in welcher deren Hülfeleistung in Anspruch genommen werden mochte. Denn wenn wir das, was uns die Geschichte von dem ägyptischen Hofleben meldet, mit der so eben berührten Seite der dortigen Medicin zusammenhalten, so wird sich Niemand des Gedankens enthalten können, daß wohl der vorzugsweisen Ausbildung jenes einzelnen Zweiges der Arzneiwissenschaft äußere Umstände werden Anregung und Vorschub geleistet haben. Hier studirte nun Galen bis in sein 28. Jahr und kehrte von da im Jahr 159 nach Christus wieder in sein Vaterland zurück. Auf Befehl der Priester, die dem Tempel des Aeskulap und dem damit verbundenen Gymnasium vorstanden, übernahm er die Kur der öffentlichen Kämpfer und hatte Hiebei während 6 Jahren Gelegenheit, die Chirurgie auszuüben. Ein in Pergamus ausgebro- |
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Diese widerwärtige Stellung, in welcher er sich zu Rom befand, mag ihn in seinem 38. Jahre zur Rückkehr nach Pergamus bewogen |
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Nach kurzem Verweilen in seiner Vaterstadt wurde er bereits im nächsten Jahre von den Kaisern Lucius Berus und Marcus Aurelius zurückberufen. Dieselben hielten sich damals in Aquileja auf, um mit dem größten Nachdrucke den Krieg gegen die Markomannen und andere deutsche Völker führen zu können. Zu Fuße ging nun Galen durch Thracien und Macedonien und blieb bei den Kaisern in Aquileja, um für sie Theriak zu bereiten. Dieser Theriak ist eine aus 62 Stoffen zusammengesetzte Panacee, welche ursprünglich aus der alexandrinischen Schule stammt, allein zur Zeit Galen’s nach dem berühmten Rezepte des Andromachus, des Leibarztes Nero’s, bereitet wurde und sich unter der nämlichen Benennung auch noch in unsern heutigen Apotheken vorfindet. Der Kaiser Mark Aurel hatte nur zu demjenigen Theriak Zutrauen, welches aus den Händen Galen’s kam, und er verzehrte von dem abenteuerlichen Gemische täglich im gesunden wie krankhaften Zustande eine bedeutende Portion. Auf der Rückreise nach Rom starb Lucius Berus an einer Pest, welche in Italien große Verheerungen anrichtete. Galen erhielt nun von Mark Aurel die Aufforderung, ihn auf seinem Zuge nach Deutschland zu begleiten, entschuldigte sich aber mit einem Traume, worin es ihm Aeskulap abgerathen habe, und gieng als Leibarzt des jungen Cäsar Commodus nach Rom zurück. Entfernt von Tagesgeschäften benutzte er jetzt seine Muße zur Ausarbeitung zahlreicher und wichtiger Werke, die zum Theil durch den Brand des Friedenstempels unter Commodus Regierung verloren giengen, wodurch die ganze Bibliothek im Palatium vernichtet wurde. Zugleich beschäftigte er sich wieder mit Vorlesungen; wie es scheint, nur wenig mit der Behandlung von Kranken. Noch unter den Kai- |
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Die schriftstellerische Fruchtbarkeit Galen’s ist eine unglaubliche, vielleicht beispiellose. Er verfaßte über 500 einzelne Werke, von denen 125 nicht medicinische Gegenstände betreffen, sondern philosophischen, juristischen, mathematischen und grammatischen Inhaltes sind. Von diesen Schriften hat sich keine einzige erhalten. Von den medicinischen Werken sind 48 ebenfalls verloren gegangen, von denen der Verlust mehrerer großer anatomischer Arbeiten am meisten zu beklagen ist. Wir besitzen dagegen noch 83 unzweifelhafte ächte, 19 zweifelhafte, 45 unächte u. s. f. Ferner Liegen in den einzelnen Bibliotheken noch 80 Schriften als Manuskripte zerstreut, welche zur Stunde noch ungedruckt sind. Von den ächten Schriften führen die wichtigsten folgende Titel: „Von den anatomischen Handgriffen. — Von der Anatomie der Venen und Arterien. — Von der Anatomie der Muskeln. — Von dem Nutzen der Theile des menschlichen Körpers. — Von den erkrankten Orten. — Von den Unterschieden der Fieber. — Von dem Unterschiede der Pulsarten. — Von den kritischen Tagen. — Von der Mischung und Kraft der einfachen Arzneimittel. — Von der Zusammensetzung der Arzneien nach den Arten derselben. — Von der Heilmethode.“ Die beste Quelle dieser Büchernotizen findet sich bei Galen selbst. Es verfaßte nämlich derselbe gegen das Ende seines Lebens ein Werk unter dem Titel: „Von den eigenen Büchern,“ worin er über die von ihm verfaßten schriftstellerischen Arbeiten Bericht und Rechenschaft ablegt. Jene 125 nicht medizinischen Schriften, sowie übrigens seine ganze, auch in seinen arzneiwissenschaftlichen Werken durchgeführte Schreibeweise berechtigten den Pergamener, den Ruhm eines Vielwissers zu beanspruchen. Leider muß ihm aber mit der Ueberlassung dieses stolz tönenden Titels auch jener Klang zweifelhafterer Reinheit mitgegeben werden, welcher in nur zu vielen Fällen jenem Attribute beinahe |
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Dieser Mann nun, mit dessen einzelnen Lebensumständen wir so eben unsere Leser nach dem vorhandenen dürftigen Materiale bekannt gemacht haben, ist derjenige, welcher am Eingange als „Papst“ bezeichnet ist. Zur Ertheilung dieser Würde haben wir das entschiedenste Recht, sobald man uns gestattet, den Papst als eine Autorität definiren zu dürfen, welche die Ueberzeugung eines Jeden vollständig für sich in Beschlag nimmt, sie unterjocht und in die Fesseln bestimmtet und unerschütterlicher Glaubensartikel schlägt, als eine Autorität, welche spricht: „was ich denke und was ich glaube, das allein ist wahr und gut — also denke du gerade so wie ich — anders denken und anders glauben heißt: falsch und unwahr, also sündhaft und verdammungswürdig denken und glauben.“ Mit Absicht haben wir uns bei dieser Begriffsbestimmung starker Ausdrücke bedient. Ob man nun im Allgemeinen mit dem Ausdrucke Papst eine solche Meinung verbinden darf, oder nicht, thut hier nichts zur Sache. Genug, jeder unserer Leser kann auf den Namen Galen im vollsten Umfange das Gewicht jener Definition werfen. Als der unwiderleglichste Beweis für die Theilnahmlosigkeit, mit welcher selbst auch das gebildetste Publikum die geschichtliche Entwicklung der Medicin verfolgt, ist uns immer die geringe Würdigung erschienen, welche Galen in Schriften allgemein historischen Inhaltes, wie in wettern Kreisen überhaupt, gefunden hat. Wahrlich, die Erscheinung |
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Zu der Zeit, in welcher Galen auftrat, befand sich die Medicin in einem Zustande der trostlosesten Spaltung. Man hört die Laien oft der gegenwärtigen Arzneikunde den Vorwurf machen, daß sie so viele einzelne, sich gegenseitig verwerfende und anfeindende Schulen und Sekten enthalte, und die Wörter Homöopathen, Wasserkünstler, Rademacherianer u. s. f. sind bereits verfolgende Stichwörter für uns geworden. Die Wahrheit jenes Vorwurfes muß zugegeben werden. Allein es beruht diese Erscheinung zu sehr aus dem Wesen unserer Wissenschaft und zu sehr auf dem Wesen des menschlichen Geistes überhaupt, als daß man sich über dieses Sachverhältniß irgendwie verwundern könnte, als daß sich dasselbe nicht vielmehr einem jeden als etwas ganz Natürliches und Nothwendiges aufdrängen müßte. Soviel können wir aber versichern, daß die Zahl der gegenwärtigen verschiedenen Meinungen und Sekten in der Medicin ohne allen Vergleich eine geringere ist, als zu Ende des 2. Jahrhunderts nach Christus, und daß unsere Wissenschaft nie ein buntscheckigeres Kleid getragen hat, als damals. Alle Schulen, welche seit dem Zeitalter des Hippokrates aufgetreten waren, dauerten damals noch fort, zählten ein größeres oder geringeres Kontingent von Anhängern und waren einerseits einer Empirie ergeben, welche der Knecht des finstersten Aberglaubens war, anderseits einer Spekulation, welche sich mit den Grimmassen und der Gereiztheit eines Affen um taube Nüsse stritt. Zu keiner Zeit hat der Zustand der Medicin ein Gemälde von so düstern Farben dargeboten, um so düsterer, als zu keiner Zeit, weder vorher noch später, von so vielen Seiten her der Ruf ertönte: „wir, wir haben das Rechte, die alleinige, die ewige Wahrheit!“ Diese niederschlagende Verfassung der medicinischen |
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Man würde sich übrigens irren, wenn man aus dem außerordentlichen Erfolge der galenischen Lehre den Schluß ziehen wollte, daß deren Urheber auch selbst eine außerordentliche Erscheinung, ein wahres Wunder von Genie gewesen sein müsse. Wie der Funke, der dort auf dem Herde wirkungslos versprüht, eine Stadt in die Luft jagen kann, wenn er in ein Pulverfaß schlägt, so kann bisweilen auch ein einzelner Mann, der unter gewöhnlichen Verhältnissen eine höchst unbedeutende Rolle gespielt haben würde, von besondern Umständen begünstigt Ereignissen als Hebel dienen, welche in gar keinem Verhältnisse zu seiner moralischen oder intellektuellen Begabung stehen, welche vielmehr, bereits zum Ausbruche reif, nur eines Anstoßes geharrt haben, komme derselbe von der Hand eines Riesen oder eines Zwerges. Es fällt uns nicht ein, Klaudius Galenus zu einem solchen Funken oder Zwerge machen zu wollen. Auch als Persönlichkeit an und für sich betrachtet ist und bleibt er eine bedeutende ungewöhnliche Erscheinung. Allein ebenso entschieden müssen wir darauf dringen, zur Schätzung dieses Mannes den Maaßstab nicht dem beispiellosen Erfolg seiner Lehre zu entnehmen; denn dieser ist nicht |
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Galen und Hippokrates sind beinahe die beiden einzigen medicinischen Namen aus dem Alterthume, für welche der Arzt des 19. Jahrhunderts noch eine gewisse Erinnerung aufbewahrt hat und welche auch dem Ohre des gebildeten Laien nicht vollkommen fremde tönen. Damit diese Erinnerung nicht eine vollständig unklare und vage sei, sondern auch eine gewisse Berechtigung in sich trage, fügen wir über das gegenseitige Verhältniß jener beiden klassischen Koryphäen unserer Wissenschaft ein paar Worte bei. Galen ist ein schimmerndes Talent; nichts mehr. Hippokrates dagegen eine der höchsten sittlichen |
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Es ist hier nicht der Ort, dieses verhängnißvolle System in seiner ganzen Sophistik und Hohlheit vorzuführen. Wenn wir uns dieser Mittheilung enthalten, so liegt der Grund wahrlich nicht darin, daß wir fürchten, es möchte der Kleinasiate im Kreise unserer Leser auch jetzt noch Proselyten machen. Damit man sich indessen wenigstens einigermaaßen eine Vorstellung von dem medicinischen Glaubenskodex des Mittelalters zu machen vermöge, erlauben wir uns folgende Andeutungen: Galen gründete seine Lehre von dem Leben des menschlichen Organismus zunächst auf die bekannten 4 Elemente, welche er im thierischen Haushalte durch Schleim, Blut, gelbe Galle und schwarze. Galle repräsentirt sein läßt. Gesundheit ist nach ihm gleichbedeutend |
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Es ist von jeher der Fluch der Reformatoren gewesen, daß man vermöge jener dem Menschen angebornen Geistesträgheit, von welcher wir oben gesprochen haben, so gerne da stehen bleibt, wo sie selbst stehen geblieben waren, sei es, weil ihre eigene Einsicht in gewissen Beziehungen noch eine mangelhafte gewesen war, oder weil ihnen der Standpunkt ihrer Zeit jenen Halt geboten hätte. Bei den Reformatoren auf den verschiedenartigsten Gebieten sehen wir die traurige Erscheinung, daß man ihr Werk als etwas Fertiges, Abgeschlossenes betrachtet hat, während sie es selbst, freilich nicht immer mit klarem Bewußtsein, nur für den Anfang einer fortgehenden Schöpfung, nur für die Morgenröthe einer schönern Zeit gehalten wissen wollen. Als ein solches abgeschlossenes Werk ward nun auch jenes System des Klaudius Galenus von Pergamus den folgenden Zeitaltern übergeben, während schon die allgemein gewordene geistige Schlaffheit den Verfall der Wissenschaften vorbereitete. Neuere Bearbeitungen wurden nicht weiter gewagt. Aus der Medicin wie aus jeder Kunst und Wissenschaft überhaupt war das innere, reiche, schaffende Leben verschwunden und der sklavische, Autoritäten aller Art blind nachbetende Geist des Mittelalters sah von jetzt an ohne selbstständiges Forschen in den Trophäen wie in den Ruinen der Vergangenheit den Inbegriff alles Vollkommenen und ein unerreichbares Ideal. Die spätern Jahrhunderte bedurften eines Leitsterns. Daß sie Galen gleich zu ihrem Abgotte wählten, war ein unseliger Mißgriff, welcher sich strafen mußte, wie jede Schwärmerei und jede Abgötterei sich straft. Eine merkwürdige Thatsache ist noch, daß das Mittelalter bloß ungefähr bis zum Jahr 1000 nach Christus seine Medicin unmittelbar aus den Werken Galen’s selbst schöpfte, von da an dagegen dasselbe System aus den Händen der Araber in Empfang nahm, allein ebenfalls durchaus bloß als galenisches Lehrgebäude. Neben Aristoteles und Hippokrates war es unter den griechischen Autoren nämlich vorzüglich Galen, welcher im Reiche der Kalifen glänzende Aufnahme und je länger je ausschließlichere Bearbeitung fand. Die arabische Medicin muß in der That durchaus als eine galenische betrachtet werden. Es ist uns gewissermaaßen ein psychologisches Räthsel, wie es gekommen |
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Am Ende des Mittelalters erschien nun aber ein Mann, welcher die Fesseln sprengte, in welche Galen 15 Jahrhunderte geschlagen hatte, und welcher den Zauber löste, der seit bald unvordenklicher Zeit auf der Arzneikunde lastete: Dieser Mann war ein Schweizer von Geburt und nannte sich Paracelsus von Hohenheim.
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II.
Von dem Luther, welcher den Papst Klaudius Galen gestürzt hat; nämlich von dem Schweizer Theophrastus Paracelsus von Hohenheim.
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Der vollständige Namen des Paracelsus lautet: Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim.
Bei diesem Punkte müssen wir gleich einige Augenblicke verweilen, weil derselbe die Veranlassung zu mancherlei Irrungen in der Auslegung, namentlich aber zu vielerlei kleinlichen Beschuldigungen wider den persönlichen Charakter des Besitzers dieser volltönenden Namenreihe geworden ist. Zunächst ist sein eigentlicher Taufname „Theophrastus.“ Eines der frühesten Zeugnisse, die wir hierüber besitzen, ist ein lateinischer Brief, den er von Basel aus an seinen Freund, Dr. Christoph Klauser in Zürich, sandte, und worin er sich „Theophrast von Hohenheim“ nennt. Ebenso schreibt er sich in einem Briefe an die Studenten von Zürich, welche er warnt, nicht so in den Tag hinein zu leben; in der Widmung seiner Schrift über das Bad Pfäffers an den Abt daselbst, und noch in einer Reibe größerer und kleinerer Arbeiten. Dann drückt er sich auch selbst ganz bestimmt dahin aus, „daß er durch Taufe und Art Theophrastus heiße.“ Wenn nun über seinen Taufnamen kein Zweifel obwalten kann, so ist dieß noch weniger bei seinem Stammnamen der Fall. Er nennt seinen Vater „Wilhelmus |
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Dieser letztere Zusatz wird vielleicht nur dieses einzige Mal von Theophrastus selbst erwähnt; jedenfalls findet er sich in seinen Schriften und Briefen, ausnehmend selten vor. Dagegen ist er im Laufe der Zeit zu seiner gewöhnlichen Benennung geworden Allein unter seinen verschiedenen Mauren ist er gerade derjenige, dessen Ursprung am unklarsten ist. Viele glauben darin ein Anspielung auf den berühmten lateinischen, medicinischen Schriftsteller Celsus zu finden und behaupten, Theophrastus von Hohenheim habe sich durch jenen Ausdruck neben, ja sogar über jenen Römer setzen wollen. Allein es ist dieß im höchsten Grade unwahrscheinlich. Theophrast hielt überhaupt auf Autoritäten, auf großen alten Namen nichts; am wenigsten vielleicht auf Celsus, und zwar deßhalb, weil er denselben auch nicht ein einziges Mal in irgend einer seiner Schriften erwähnt. Andere wollen in dem Worte Paracelsus nichts anderes als nach einer in damaliger Zeit häufigen Sitte eine Uebersetzung seines Geschlechtsnamens von „Hohenheim“ sehen. Uns ebenfalls wieder wenig einleuchtend. Abgesehen von der immerhin überaus sonderbaren Uebersetzungsmanier muß dabei auffallen, daß „Theophrastus von Hohenheim“ und „Paracelsus“ neben einander gestellt sind. Wären dieselben gleichbedeutend, so wäre doch wohl das eine oder das andere weggeblieben, gerade so wie z. B. der Freund Luther’s auch nirgends unter dem Namen „Melanchthon Schwarzerd“ wird aufgeführt werden. Noch andere behaupten, sein Haus habe das hohe Nest geheißen und er davon die Benennung gewählt. Diese Behauptung steht unerwiesen da. Wenn man überhaupt nicht darauf verzichten muß, die wahre Deutung des Ausdruckes „Paracelsus“ ausfindig zu machen, so erklärt man denselben vielleicht noch am besten dadurch, daß Theophrastus von Hohenheim sich das Prädikat „celsus, erhaben“ beigelegt, sich indessen hiemit nicht begnügt, sondern sein schmückendes Beiwort noch durch die Vorsetzsilbe para gesteigert hat. Wir könnten nämlich aus Hohenheim’s Schriften verschiedene Beispiele anführen, aus denen sich in unzweifelhafter Weise der merkwürdige Gebrauch jenes Wörtchens in der Bedeutung von „sehr, überaus“ ergibt. Paracelsus wäre also demzufolge so viel als „der überaus erhabene.“ Wenn es allerdings |
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Was den Beinamen Aureolus, welchen wir nur zwei Mal ausgeschrieben finden, betrifft, so ist auch dessen Deutung schwierig. Am wahrscheinlichsten scheint er eine scherzhafte Anspielung auf eine Schrift des alten griechischen Schriftstellers Theophrastus zu sein, worin dessen Name mit einem solchen Zusatze verbunden erscheint. Paracelsus nennt sich nur selten so, und dann abgekürzt, nämlich A. oder Aur. Der Zusatz Bombast ist ein in dem Hohenheimischen Stammbaume herkömmlicher. Das adelige Geschlecht der Bombaste von Hohenheim lebte in Schwaben. Auch wird in der Urkunde der Stadt Villach, welche über das Ableben des Vaters unsers Paracelsus ausgefertigt wurde, als Sohn und Erbe bezeichnet: „Der Ehrenfest Hochgelert Herr Theophrastus Bombast von Hohenheim.“ Der Name Philippus findet sich, außer in einer dem Paracelsus mit Unrecht zugeschriebenen Schrift, bloß auf seinem Leichensteine in Salzburg. Eine um so bemerkenswerthere Erscheinung, als einem Platze dieser Art eine gewisse Bedeutung und ein Anspruch auf historische Begründung zugestanden werden muß. Indessen ist es. durchaus unmöglich zu ermitteln, wie dieser Name dorthin gekommen.
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Der Vater des jungen Paracelsus zog im Jahre 1502 nach der Stadt Villach in Kärnthen, wo er 1534 als angesehener Arzt und Bürger starb. Schon in früher Jugend genoß Paracelsus den Unterricht seines Vaters, der eine nach damaligen Begriffen recht hübsche Bibliothek besaß und welcher seinen Sohn in den Anfangsgründen der Medicin, Wundarzneikunst und Alchemie unterrichtete. Dieser Mann ist überhaupt die einzige Autorität, dessen Paracelsus mit Anerkennung und Unterwürfigkeit gedenkt. Mit kindlicher Dankbarkeit erinnerte er sich desselben fortwährend und rühmte sich keines Menschen, als nur dessen, der ihn erzeugt und in seiner Jugend auferzogen hatte. Nach einiger Zeit übergab Wilhelm Bombast von Hohenheim seinen einzigen Knaben dem Unterrichte verschiedener Klostergeistlichen, besonders demjenigen des gelehrten Bischofs Eberhart Paumgartner von Lavant im Kloster S. Andrä im Laronthale in Kärnthen und des Matthäus von Scheidt zu Seckau. Im 16. Lebensjahre bezog Paracelsus die Universität Basel. Ob er übrigens seine medicinischen Studien nach dem regelmäßigen akademischen Gange verfolgt, ob er nicht vielmehr schon bald nach Beginn derselben einen Widerwillen gegen die ganze damalige Lehrmethode gefaßt und sich |
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Die hohe Schule zu Basel war damals eine der angesehensten gelehrten Anstalten und es herrschte in der Stadt überhaupt ein reges, geistiges Leben. Während nämlich früherhin in Basel nur religiöse Uebungen, von den Wissenschaften nur Grammatik und Dialektik getrieben worden wären, hatte die Gründung der Universität im Jahre 1460 und die Aufnahme Basels in den eidsgenössischen Bund im Jahre 1501 hierin eine große Veränderung hervorgerufen. Den gewaltigsten Umschwung brachte aber das Jahr 1520 mit seiner Reformation der Kirche zu Stande. In Basel hatten sich seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts eine Menge tüchtiger und aufgeklärter Männer vereinigt, zu welchen von dem genannten Jahre an nun vorzüglich solche hinzukamen, welche hier einen Zufluchtsort gegen den Zwang suchten, welchen man anderswo der freien Aeußerung ihrer Ueberzeugung auferlegen wollte. Aus der großen Anzahl solcher, oft ausgezeichneter Flüchtlinge heben wir einzig den uns bekanntesten hervor, Ulrich von Hutten, welchem Basel im Jahre 1522 freilich nur für kurze Zeit eine Freistätte bot. Diese Revolution in ihrer gesummten geistigen Thätigkeit verdankte die Stadt hauptsächlich zwei Männern, dem so eben erwähnten Oekolampadius und dem Erasmus von Rotterdam. Zwar war das Wirken dieser beiden großen Gelehrten zunächst kein gemeinsames, weder in der Art, wie sie zu Werke giengen, noch in dem Ziele, welches sie sich vorsteckten; denn während Oekolampadius im Verein mit Zwingli die kirchliche Reformation schuf, ist dagegen Erasmus als Reformator auf dem klassischphilologischen Gebiete zu betrachten. Allein es wird Niemand |
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Jener Reformator der Medicin ist unser großer Arzt von Einsiedeln, Theophrastus Paracelsus von Hohenheim.. Der Umstand, daß ihm Oekolampadius die Stelle an der Universität Basel verschaffte, läßt annehmen, daß derselbe in Paracelsus einen ihm verwandten Geist und ein dem seinen entsprechendes Streben entdeckt hatte. So finden wir also merkwürdiger Weise in Basel ein Triumvirat von Männern beisammen, von denen jeder nach einer bestimmten Richtung hin an einer großartigen Umwälzung ar- |
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Folgende Stelle mag als Beweis dienen, daß wir ihn mit Fug und Recht als eine verwandte, ebenbürtige Erscheinung neben jene Glaubenshelden haben stellen dürfen. Wie sich diese „Liebhaber der Wahrheit“ nannten, so beurkundet sich bei unserm Arzte auch die nämliche Liebe zur Wahrheit und Unabhängigkeit von jeder Autorität in den Worten: „Dieweil kein Evangelium in der Arznei bisher beschrieben ist, sollte die Wahrheit weiter zu suchen nicht verboten sein. Die Arzney ist gerichtet in die Welt, gleich einem Schiff auf dem Meere, das keine bleibende Statt hat, sondern durch den Schiffmann geführt, nach dem was begegnet, nicht nach dem gestrigen Wind, sondern nach dem heutigen. Die Ungerechten haben ihren Grund gesetzt, daß weiter nichts möge gefunden werden, denn was gefunden ist; die Gerechten aber suchen sie für und für und wollen ihre Kunst bessern. Es ist freventlich, ein Neues aufzubringen und das Alte zu verwerfen; so aber Billigkeit da ist, warum sollte es dann nicht geschehen?“ — Am 5. Junius 1527 kündigte Paracelsus durch ein kurzes lateinisches Programm an, „daß er gesonnen sei, zwei Stunden täglich“, seine eigenen Bücher über Medicin, Chirurgie und Physik zu erklären, um die Erkenntniß und Kur der Krankheiten den Wißbegierigen |
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Noch in einer andern, gleichsam symbolischen Weise sagte er sich gleich mit Uebernahme seiner Professur von dem allgewaltigen herrschenden Systeme los. Er schleuderte demselben nämlich dadurch den Handschuh hin, daß er vor einer großen Versammlung feierlichst die Werke des Avicenna verbrannte. Avicenna ist Hiebei als gleichbedeutend mit Galen aufzufassen, indem er nämlich der berühmteste unter den arabischen Aerzten und zu gleicher Zeit derjenige ist, dessen Werke nichts anders als eine Uebersetzung und als ein Wiederhall des Papstes von Pergamus sind. Aus den Händen Avicenna’s empfieng das |
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Indessen beschränkte sich seine Thätigkeit nicht bloß auf seinen Lehrstuhl, sondern griff auch vielseitig in das Leben ein und seine Theorie machte er selbst zur Praxis. Sein Motto: „Lehren und nicht Thun, das ist klein, Lehren und Thun, das ist groß und gantz“ konnte er namentlich in seiner Stellung als Stadtarzt, welches Amt ihm gleichzeitig mit der Professur verliehen worden war, in hinlängliche Ausführung bringen. Als solcher machte er beim Magistrate den Antrag, die Apotheken einer Untersuchung unterwerfen zu dürfen, ob die Apotheker ihre Kunst verständen, gehörigen Vorrath an den nöthigen Mitteln hätten und für ihre Waaren nicht einen ungebührlichen Preis forderten. In einem Briefe an den Stadtrath von Basel drückt er sich darüber folgendermaaßen aus: „Dieweil ich von Euer Gnaden bestellt, weiß ich mich pflichtig, all Mängel und gebrechen, so nachteilig seyn, anzuzeigen. Daß ich dann auch wissen |
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Mit unverhohlener Freude warf sich nunmehr der große medicinische Reformator wieder in jenes unstäte Wanderleben hinein, welches er in seinen jüngern Jahren geführt hatte und welches nur durch die verhältnißmäßig ruhige und solide Episode seines Basler Aufenthaltes unterbrochen worden war. Wie damals als Jüngling, so trieb er sich jetzt als Mann auf besuchten Heerstraßen wie auf einsamen Fußpfaden, in volkreichen Städten wie in abgelegenen Weilern herum, und ihn, der noch kurz vorher das gebildetste Publikum von Basel und andern Städten an seine Kanzelvorträge gefesselt gehalten hatte, sah man jetzt wieder mit Schäfern, Zigeunern und Kärrnern verkehren, in welchem Vereine Paracelsus öfterer die Rolle des Schülers, als diejenige des Lehrers, jedenfalls immer diejenige des aufmerksamen Beobachters spielte. Mag sich diese seine herumziehende Lebensart großentheils durch seinen unstäten und unbefriedigten Gemüthszustand, durch seine |
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Trefflich spricht sich mit seiner gewohnten Eigenthümlichkeit Paracelsus selbst in folgender Weise über diesen Punkt aus: „Die Kunst gehet keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden: Darumb hab ich füg und verstand, daß ich sie suchen muß, und sie mich nit. Ich hab etwan gehört, daß ein Arzt soll ein Landfarer seyn: dieses gefelt mir zum besten wol, denn Ursach: die Krankheiten wandern hin und her, so weit die Welt ist, und bleiben nicht an einem ort. Will einer viel Krankheiten erkennen, so wander er auch: Wandert er weit, so erfert er viel, und lehrnet viel erkennen. Die englischen Humores sind nit ungarische, noch die neapolitanischen preußisch — darumb mußst du dahin ziehen, wo sie sind. Gibt wandern nicht mehr verstand, dann hinderm Ofen fitzen? Also acht ich, daß ich mein wandern billich verbracht, hab mir ein lob und kein schand zu seyn. Denn das will ich bezeugen mit der Natur: Der sie durchforschen wil, der muß mit den Füßen jhre Bücher tretten. Die gschrifft wird erforschet durch ihre Buchstaben, die Natur aber durch landt zu landt, als offt ein Landt als oft ein Blat. Also ist Codex Naturae, also muß man ihre Bletter umbkeren.“ Die zweite Reiseepoche im Leben des Paracelsus stimmt mit der ersteren darin überein, daß wir ebenfalls keine nähern historischen Angaben über sie besitzen. Nur aus einzelnen Stellen in den Vor- |
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In diesem Jahre verfaßte er sein „Consilium für den Stadtschreiber Adam Reißner zu Mindelheim“, um ihn von langwierigen rheumatischen Leiden zu befreien. Diesem Rathe fügte er die Bemerkung bei: er bedürfe nun für 6 Jahre keines weitern Rathes. Der Erfolg bestätigte diese kühne Prophezeiung vollständig. Denn der Stadtschreiber, früher beständig krank, wurde ganz gesund und erreichte ein Alter von 70 Jahren. Im Jahr 1536 ist er in Augsburg; 1537 zu Kromau in Mähren und in Wien. 1538 wieder in Augsburg und in Meran im Tirol. Aus diesen kargen Daten läßt sich wenigstens so viel entnehmen, daß diese zweite Wanderungsperiode zu ihrer Bühne bei weitem nicht eine Strecke von dem Umfange gewählt hat, wie die erste. Während diese nämlich durch den weiten Halbkreis von Lissabon, Stockholm, Moskau und Konstantinopel begränzt war, scheint Paracelsus seine Streifzüge als Mann ausschließlich auf die Schweiz und die deutschen Lande beschränkt zu haben. Roch eine zweite Eigenthümlichkeit unterscheidet dieses zweite Stadium von dem ersten. Als Jüngling hatte nämlich Paracelsus seine Reisen allein zurückgelegt. Wenigstens berechtigt uns nichts zu der Annahme, daß er bereits damals von einem Gefolge von Schülern begleitet gewesen sei. Dagegen schloß sich ihm auf seinem Herumschweifen vom Jahre 1529 an nunmehr allerdings ein solches bei. Es bestand dasselbe aus einer oft sehr zahlreichen Schaar von Schülern, welche übrigens zu diesem Begleite weniger von Wißbegierde, als von Eigennutz angetrieben worden waren. Der weitverbreitete Ruf, den |
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Der bekannteste unter diesen Anhängern ist Johannes Oporinus, der mehr, als 3 Jahre dem Arzte von Einsiedeln als Diener und als Schreiber bei seinen literarischen Arbeiten folgte und ihn dann aus jenen Gründen verließ. Er wurde später Buchdrucker und Professor der griechischen Sprache zu Basel, erwarb sich einen allgemein bekannten Namen und urtheilte in dieser Stellung mit der größten Härte und Undankbarkeit über seinen ehemaligen Wohlthäter. Von ihm rührt namentlich die Schilderung des Paracelsus als eines Trunkenboldes her. Erst, nachdem derselbe gestorben, legte Oporinus eine große Verehrung für ihn an den Tag und. sprach seine tiefe Reue über sein früheres Benehmen aus. Wie klar Paracelsus die unreinen Absichten, die Treulosigkeit und Nichtswürdigkeit seiner Schüler durchschaut hat, spricht sich in seinen folgenden Worten aus: „Dieselben hatten ihm die Federn vom Rock gelesen, Urin aufgewärmt, gerietst und gelächelt, wie ein Hündlein um ihn herumgestrichen und ihm angehangen. Dieß konnten nur |
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1540 gieng Paracelsus nach Mindelheim und erreichte bald darauf das Ende seines unruhigen, thätigen und folgenreichen Lebenslaufes. Dieß geschah nämlich bereits im nächsten Jahre und zwar zu Salzburg. Hier regierte seit 1540 der wissenschaftlich gebildete Erzbischof Ernst, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Baiern, ein wissenschaftlich gebildeter Mann, namentlich ein Verehrer der Astrologie und der Naturwissenschaften, und es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser großmüthige Fürst unsern unstäten Landsmann nach jener Stadt, seiner Residenz, berufen hat. Allein nicht lange genoß hier Paracelsus der Früchte seiner unsäglichen Arbeiten und Mühen, aber auch seines wohlverdienten Ruhmes. Er erkrankte zu Salzburg im September 1541. Am 21. desselben Monats machte er sein (noch vorhandenes) Testament und starb hierauf am 24., 48 Jahre alt, in einem kleinen Stübchen des Wirthshauses „zum weißen Roß“ am Quai. Er wurde auf dem Kirchhofe von S. Sebastian beim Bruderhause begraben und erhielt einen Grabstein aus rothem Marmor und mit einer seine Verdienste sehr anerkennenden Inschrift in lateinischer Sprache („er habe Wassersucht, Podagra und andere unheilbare Leiden mit wunderbarer Kunst geheilt u. s. f.“). Bei einer spätern Ausbesserung der Kirche wurden seine Gebeine im Jahre 1752 wieder ausgegraben und an einem ehrenvollem Orte in der Vorhalle der Kirche beigesetzt. Gleichzeitig erbaute man über ihnen eine Pyramide aus weißem Marmor, worauf die Inschrift der ursprünglichen Grabplatte, fromme Sprüche und sein Wappenschild (Querbalken von Silber, worauf drei schwarze Kugeln gereiht sind) eingegraben wurden.
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Wenn das Testament, welches noch erhalten und neuerdings abgedruckt worden ist, wirklich das ächte paracelsische ist, so weist dasselbe zwar keinen besondern Segen von Glücksgütern nach, schließt |
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Wir haben oben gesehen, daß die Anzahl der volltönenden Zusätze, welche sich rechts und links an den Namen Paracelsus reihen, seinen Feinden Veranlaßung zu einem höchst ungerechten Vorwurfe gegeben hat. Ganz ähnlich verhält es sich hinsichtlich seiner Schriften. Auch deren angebliche übergroße Menge zog dem Verfasser die Beschuldigung seichter, oberflächlicher Vielschreiberei zu. Man war um so bereitwilliger, demselben kurzweg im Allgemeinen jeden tiefern, wissenschaftlichen Gehalt abzusprechen, als es nicht schwer fiel, viele Widersprüche in den einzelnen Werken aufzufinden, so wie überhaupt zahlreiche Stellen auszuführen, die allerdings die Klarheit, Besonnenheit und Würde des Verfassers nicht im besten Lichte erscheinen ließen. Wir finden angegeben, es habe Paracelsus 33 Bücher über Medicin und 235 über Philosophie, ja nach andern sogar 230 Bücher über Philosophie, 46 über Medicin, 12 über Staatskunst, 66 über Geisterbeschwörung und 7 mathematischen Inhalts verfaßt. Wenn wir nunmehr auch diesen Grund einer Anklage wider den wissenschaftlichen Charakter unsers Landsmannes prüfen, so ergibt sich dessen Haltlosigkeit noch in einem weit höhern Grade, als bei der seinem Namenprunke entnommenen, an sich weit geringfügigeren Verdächtigung |
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Der Umstand, daß Paracelsus seine Werke nicht dem Drucke übergab, sondern als Manuscripte aufbewahrte, erklärt zur Genüge die gränzenlose Verwirrung und das Ungegründete der maaßlosen Anschuldigungen, welche aus dieser Quelle entsprungen sind. In der That dürste die Literaturgeschichte kaum ein ähnliches Beispiel darbieten, in welchem der gute Name eines Mannes, sowohl in moralischer als in wissenschaftlicher Beziehung, unter der Last von Schriften erlag, welche ihm fälschlich beigelegt oder fälschlich als Zeugen wider ihn gedeutet worden sind. Paracelsus Pflegte seine Werke zu dictiren, und zwar dictirte er sehr rasch. So konnte es nicht ausbleiben, daß seine Schreiber ihn mißverstanden, zumal wenn diese, wie es öfter geschah, das in deutscher Sprache Diktirte lateinisch niederschreiben mußten. Weil Paracelsus seine Werke nicht für den Druck bestimmte, blieben sie ohne die letzte Feile. Was ist deßhalb begreiflicher, als daß sie nach seinem Tode mit sinnentstellenden Fehlern abgedruckt werden mußten, zumal wenn die Handschrift des Schreibers eine unleserliche war? So ist z. B. des Paracelsus Abhandlung vom langen Leben ganz deutlich, einfach, verständlich, während die Uebersetzung, welche Oporin von diesem Werke liefert, dunkel und mit Mystik überhäuft ist. Der weit verbreitete Ruf des Paracelsus verlieh diesen Manuscripten einen hohen Werth. Die Nachfrage nach solchen mehrte sich und Haß wie Spekulation waren schamlos genug, deren neue zu fabriciren und unter dem Namen des Paracelsus herauszugeben, um durch die verfälschte Waare Spott und Verachtung auf das Andenken des kühnen Neuerers zu laden oder sich damit zu bereichern. Sogar ein Oporinus, jener erwähnte Gefährte unsers unstäten Priesters des Aeskulap, spricht sich über dieses Verhältniß in einem seiner Briefe folgendermaaßen aus: „Ich muß mich in der That wundern, daß so viele Schriften zum Vorschein kommen, welche alle dem Paracelsus zugeschrieben werden und aus dessen Verlassenschaft sein sollen; denn ich bin überzeugt, daß er von dem Inhalte einiger dieser Schriften nie geträumt, geschweige denn wachend dergleichen gedacht habe.“ Und Johannes Huser, kölnischer Leibarzt, welcher 1616—1618 die ge- |
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Die Frage, welche von den unter dem Namen des Paracelsus erschienenen Schriften wirklich auch denselben zum Verfasser haben und welche ihm nur fälschlich zugeschrieben werden, blieb ihrer ungemeinen Schwierigkeit wegen mehrere Jahrhunderte hindurch unerledigt. Selbst die Kritik der neuern Zeit wagte sich lange Zeit nicht daran. Erst in den letzten Jahren ist diese Aufgabe gelöst worden, und zwar auf die befriedigendste Weise. Wir verdanken diese Sichtung des gränzenlosen Wirrwarrs, der in der Fluth der sogenannten paracelsischen Schriften herrschte, einer mit seltener Meisterschaft durchgeführten Untersuchung, welche Professor Marx in Göttingen vorgenommen hat. Als Kennzeichen der Aechtheit einer paracelsischen Arbeit betrachtet dieser ausgezeichnete Schriftsteller und Kritiker 1. die Dedikation der Schrift an einen hohen Gönner, nach allgemeiner Sitte der damaligen Zeit, verbunden mit Bemerkungen über den Zweck der Arbeit und über |
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Paracelsus wollte bereits bei seinen Lebzeiten mehrere seiner Werke wirklich auch dem Drucke übergeben, fand aber so oft Anfeindungen und Hinderungen dabei, daß er es unterließ. So widersetzte sich z. B. die Leipziger Fakultät hartnäckig der Veröffentlichung der Schrift „Von den Imposturen der Aerzte“ und der Stadtrath von Nürnberg, wo sich der unstäte Mann damals aufhielt, verweigerte in Folge dessen die Druckbewilligung. Dergleichen Streitigkeiten kamen auch später hin und wieder vor. Eine kräftige Stütze hatte Hiebei Paracelsus an den Landständen von Kärnthen, denen er zum Danke auch einen Theil seiner Schriften schenkte. Baptista van Helmont, einer der größten Aerzte des 16. und 17. Jahrhunderts, und für unsern hier vorliegenden Zweck deßhalb ein erwähnenswerther Mann, als er der erste große Name ist, welcher sich mit Würde und Begeisterung, mit Bewußtsein und Genie unsers vielfach geschmähten Landsmannes annahm — dieser van Helmont äußert an einer Stelle, es habe Paracelsus gemeint, daß die Wissenschaft unter den Deutschen nur deutsch reden sollte und Paracelsus selbst ruft irgendwo: „ob |
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Wir haben oben des Aufsehens gedacht, welches der Umstand, daß er zu Basel medicinische Vorträge in seiner Muttersprache hielt, erregte. Als medicinischer Schriftsteller in deutscher Sprache auftreten, war aber ein bei weitem noch kühneres Unternehmen, welches indessen für die Heilkunde ebenso bedeutungsvoll und folgenreich wurde, wie die luther’sche Uebersetzung der Bibel in einem ungleich weitern Kreise für die religiösen Interessen und die Literatur überhaupt. Mit der Zeit der Reformation war es zwar immer mehr in Gebrauch gekommen, wissenschaftliche Arbeiten in deutscher Sprache erscheinen zu lassen. Allein die überwiegende Mehrzahl der Gelehrten stemmte sich dieser angeblichen Unsitte mit Hartnäckigkeit entgegen und sprach über Verfasser wie über Inhalt einer Schrift schon von vorneherein das Verdammungsurtheil aus, wenn dieselbe in deutschem Gewande herausgegeben wurde. Namentlich war dieß in der Medicin der Fall, welche literarisch ausschließlich in der Sprache der mittelalterlichen Scholastik, in Latein, gelehrt und nach der Sitte, welche durch den Lauf der Zeit zu einem Gesetze oder Gebote geheiligt worden war, gelehrt werden durste. Die hohe Weisheit eines Galen in den gemeinen Kreis der „Frau Muttersprache“ herabziehen, war eine unerhörte Profanation, deren gelindeste Strafe in einem gänzlichen Ignoriren bestand. Mit Ausnahme der heftigen Reibungen, welche Paracelsus wegen der Veröffentlichung seiner Arbeiten mit einzelnen Fakultäten und mit dem kaiserlichen Censurkollegium, welches damals zu Nürnberg niedergesetzt war, zu bestehen hatte und in denen er, der verlassene und unstäte, dürftige Wanderer, meistens unterlag, beobachtete auch wirklich die ganze Gelehrtenwelt dem dreisten Reformator und seinen Werken gegenüber anfänglich bloß ein vornehmes Stillschweigen. Sie hielt es unter ihrer Würde, nicht nur ein Urtheil abzugeben, sondern überhaupt ein Wort zu ver- |
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Bei der Würdigung der deutschen Sprache, deren sich Para- |
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Nachdem wir die äußern Lebensumstände, dir Schriften und das allgemeine Wirken unsers merkwürdigen Landsmannes durchgangen haben, wollen wir noch einen Blick auf das Schicksal seines Namens und auf seine Persönlichkeit werfen. Weder im ganzen Verlaufe der |
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Auch in den spätern Jahrhunderten überwiegt die Zahl der Feinde des Paracelsus fortwährend noch die seiner Freunde. Stillschweigend zwar hatte man seine Reformation angenommen und fieng an, deren reichen Fruchtsegen einzuerndten. Allein die Fortschritte, welche die Heilkunde je länger je mehr machte, führte man wunderbar genug keineswegs auf den Schöpfer der neuen Zeit zurück, bekämpfte im Gegentheil denselben wegen einzelner specieller Ansichten, um welche es sich gar nicht zu streiten lohnte, und welche in keinem Vergleich zu dessen unsterblichen Verdiensten kommen. Bezeichnend ist immerhin, daß jener van Helmont, ein getreuer Anhänger des Paracelsus ist; denn es liegt in der hohen Stellung, welche dieser Niederländer anerkannter Maaßen unter den Aerzten seines Zeitalters einnimmt, wenigstens in indirekter Weise ein anerkennendes Zeugniß für die Vortrefflichkeit der neugestalteten, paracelsischen Medicin. Ueber seinen Lehrer spricht sich van Helmont folgendermaaßen aus: „Paracelsus war ein Vorläufer der wahren Arznei, von Gott gesandt und mit der Wissenschaft ausgerüstet, die Körper durch Feuer zu zerlegen, und seine vortrefflichen Kuren haben ganz Deutschland in Bewegung gesetzt. Er war ein Mann von hohen Gaben im Lichte der Natur: er wußte jedoch vieles bloß aus Erfahrung gewisser geheimer Mittel und ihrer Praxis, die er von allerlei Leuten aufgetrieben und erlernt hatte, als daß er selbst den rechten Grund immer erkannt hätte. Er war eine Zierde des ganzen Deutschland, und die Schmähungen, die gegen ihn ausgestoßen |
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Wenn Baco von Verulam über ihn sagt, er vermische sehr oft Göttliches mit Natürlichem, Heiliges mit Gemeinem, und Wissenschaftliches mit Träumereien, ja völligem Unsinn, so dürfen sicherlich all die ersten Ingredientien dieser einzelnen Mischungen auf Rechnung des Paracelsus gesetzt werden, dagegen die zweiten auf diejenigen seiner verfälschenden und mißverstehendnen Abschreiber. Wahrend des ganzen vorigen Jahrhunderts steht die Wage zu Ungunsten des ersten freien Denkers auf ärztlichem Gebiete. A. F. Hecker (nicht zu verwechseln mit dessen Sohne, dem großen Forscher in der Geschichte der Medicin) urtheilt noch im Jahre 1819: „Ein Mann ohne alle wissenschaftliche Bildung konnte kein System haben.“ In Anbetracht des 19. Jahrhunderts, dessen Kind der Verfasser ist, jedenfalls das albernste und nichtssagendste Urtheil von allen, welche je über Paracelsus gefallt worden sind. Eine Würdigung von einer Seite her dürfen wir, so grob und niedrig sie tönt, nicht unterlassen, noch anzuführen, weil sie an sich schon bezeichnend für. die Art und Weise ist, in welcher Paracelsus während mehrerer Jahrhunderte beurtheilt zu werden pflegt und weil die Seite, von der sie stammt, ein historisches und patriotisches Interesse darbietet. J. J. Zimmermann, von Brugg im Kt. Aargau, zuerst Stadtarzt daselbst, nachher weit und breit bekannter Leibarzt zu Hannover, der berühmte Verfasser des zu Zürich erschienenen Werkes „über die Einsamkeit“, überhaupt ein großer Name des vorigen Jahrhunderts, weiß über Paracelsus nichts anderes zu sagen, als: „Er lebte wie ein Schwein, sah aus wie ein Fuhrmann, fand sein gröstes Vergnügen in dem Umgang des liederlichsten und niedrigsten Pöbels, und war die meiste Zeit seines ruhmvollen Lebens hindurch besoffen; auch schienen alle seine Schriften im Rausche geschrieben!“ Was soll man Nun aber dazu sagen, wenn man hört, daß innerhalb weniger Jahre zwei ausgezeichnete, noch lebende medicinische Schrift- |
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Was jene zuerst angeführte Meinung betrifft, so halten wir es kurzweg unter der Würde des Paracelsus und unter unserer eigenen, den Gegenbeweis dafür zu liefern, daß der unvergeßliche Reformator der Medicin nicht wahnsinnig gewesen sei. Die Beweisführung, daß derjenige, welcher einen solchen Ausspruch hat thun können, in der genannten Beziehung erkrankt sei, möchte ungleich leichter zu leisten sein, als er sein Urtheil zu begründen im Stande sein wird. Wir hoffen, daß jeder unserer Leser, welcher nur mit einer gewissen Aufmerksamkeit unserer Behandlung gefolgt ist, welcher nur einen Blick auf die von uns mitgetheilten Stellen aus den Schriften unsers großen Landsmannes geworfen hat, voll Ueberzeugung willig und bereit ist, der größten medicinischen Autorität gegenüber fest und ernst zu erklären: Paracelsus war nicht wahnsinnig. Allein wir schaaren uns auch nicht um jenes zweite Urtheil, obwohl dasselbe der Wahrheit unendlich näher ist, als das erste. Es ist aber in diesem Ausspruche eine Extravaganz, welche wir nicht billigen können. Weder in sittlicher noch in intellektueller Beziehung ist Paracelsus „einer der erhabensten Menschen aller Zeiten und Völker.“ Allein er ist gerade erhaben genug, um ein solch pomphaftes Lob nicht nöthig zu haben. Auch im Loben schadet Schwärmerei stets dem Gegenstande, auf welchen sie sich wirft; denn mit Schwärmerei ist immer Unklarheit verbunden. Aber niemals frommt, auch um der besten Absicht willen, Unklarheit einer Sache, der guten jedenfalls noch |
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Namentlich aber ist durch eine kritische Untersuchung der neuesten Zeit jedes solche Urtheil, wie das oben erwähnte, welches den Paracelsus für wahnsinnig erklärte, ein für alle Mal unmöglich gemacht worden. Es kann nämlich ein Ausspruch dieser Art nur dadurch einigermaaßen erklärt werden, daß dessen Verfasser Werks als von Paracelsus herrührend betrachtet, mit denen derselbe gär nichts zu schaffen hat. Allerdings wurden bis auf die neueste Zeit Schriften wenigstens als angeblich aus der Feder des großen Reformators stammend in der Liste seiner Werke mit aufgeführt, Schriften, die freilich den Schluß auf Geisteskrankheit des Verfassers zu motiviren scheinen. Seit aber Marx in Göttingen diesen Punkt gesichtet und die __________
*) Wie ein eminent geistreicher Mann sich bisweilen zu ebenso eminentem Unsinn verleiten lassen kann, beweist folgende Stelle, welche wir in einer der Arbeiten Jahn’s über Paracelsus treffen: „er (P.), der nur von Deutschen, nie von Ausländern verstanden werden kann.“ — Zum Glück ist die Erkenntniß der Wahrheit an keine Nationalität gebunden, und, was Paracelsus Wahres und Richtiges sagt, wird so gut von dem Franzosen und dem Britten, als von dem Deutschen verstanden werden. Wenn aber jene Worte sich auf das verworrene Zeug und den mystischen Aberglauben beziehen, welche sich als nothwendiger Ausfluß der damaligen Zeit auch hin und wieder in den Schriften des Einsiedler Arztes finden, so dürste um das ausschließliche Verständniß solcher Partien die deutsche Nation nicht sonderlich zu beneiden sein.
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Was nun die vielfach gemißhandelte Persönlichkeit von Theophrastus Paracelsus von Hohenheim anbetrifft, so können selbst seine erbittertsten Gegner, wie Oporin, Erastus u. s. f., ihn keiner einzigen Handlung zeihen, welche nur den leichtesten Schatten auf die Ehrenhaftigkeit seines Charakters wirft. Bei der maaßlosen Heftigkeit, mit welcher sie bei ihren Anfeindungen zu Werke gehen, und bei der tollen Uebertreibung, mit welcher sie die verschiedenen Schwächen des großen Reformators ausbeuten, dürfen wir versichert sein, daß sie mit unedler Freude den kleinsten Anlaß benutzt und gehörig in den Vordergrund gestellt haben würden, welcher sich zu einer Anklage gegen dessen männliche Würde, gegen dessen Ehre dargeboten hätte. Aber keiner von ihnen hat es gewagt, die Redlichkeit seines Herzens, die Uneigennützigkeit seines Charakters, seine Wohlthätigkeit gegen Arme, seine Gewissenhaftigkeit gegen Kranke anzutasten, und, sobald uns an Paracelsus diese Tugenden verbürgt sind, blicken wir mit einer Art ruhiger, wohlgemuther Befriedigung den andern Anfechtungen entgegen, welche wider seine Persönlichkeit erhoben werden; denn, vorausgesetzt, es sollten dieselben für sich auch bedeutende Gründe anzuführen wissen, so schadet dieß Alles der Würde und dem Ruhme unsers großen Reformators unendlich weniger, als wenn sein Name in Beziehung nur auf eine einzige jener Tugenden von einem, auch nur leichten Flecken getrübt wäre. Durchweg stellt sich uns Paracelsus als ein biederer Ehrenmann in allen seinen Schriften dar und wir finden Stellen in denselben, welche einen tiefen sittlichen Eindruck machen. Namentlich ist das Feuer und die Entschiedenheit, mit welchen er überall für die Wahrheit in die Schranken tritt, wahrhaft erhebender Art: „Ob ich nicht billig, ruft er, mög die Redligkeit eines Arzts auch lassen ein Grundt seyn und eine Säule in der Artzney? Was ist des Artzts Redligkeit? Ja, ja! nein, nein! darauf soll er gründen. — Denn Gott will daß der Mensch wahr- |
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Von dem tiefen religiösen Sinne des Paracelsus gibt zum Beispiel noch folgende Stelle eine zu jedem Herzen sprechende Kunde: „Denn der Arzt, der eines gutten glaubens ist, der leugt nit und ist ein Vollbringer der Werck Gottes. Denn wie er ist, also ist er seins selbst zeugnuß: das ist, du must in Gott eines ehrlichen, redlichen, starken, wahrhaftigen Glaubens seyn, mit allem deinem gemüt, hertzen, sinn und gedancken, in aller liebe und vertrawung: alsdann auff solchen Glauben und Liebe Wirt Gott sein warheit nit von dir ziehen, und Wirt dir seine Werck offenbar machen, glaublich, sichtlich, tröstlich.“ — „Denn der Mensch ist von Gott gesetzt, daß er sich begnügen und zufrieden sein soll, es möge hageln, donnern, gefrieren u. s. w.; Alles, was geschieht, ist der Wille Gottes. Deswegen soll der Mensch unerschrocken sein. Wer aber erschrickt und nur den Abgang seines Nutzens betrachtet, handelt gegen das Gebot |
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Es anerkennen vielleicht mehrere unserer Kollegen die Schönheit jener Reden. Allein es behagen ihnen dieselben deßhalb nicht, weil sie daraus den Schluß zu ziehen sich berechtigt glauben, es sei der Arzt von Einsiedeln ein Kopfhänger, ein augenverdrehender BetBruder gewesen und habe unter seine Medicin Religion mit rechtgläubigen Sprüchlein gemengt. Diese Schlußfolgerung wäre eine durchaus falsche. Man sieht sich in seinen Schriften vergebens nach verfänglichen theologischen Untersuchungen um. Von Zeit zu Zeit bricht sich sein tiefes religiöses Gefühl in einem reichen, warmen Strome Bahn, allein bloß als reine Angelegenheit seines Innern und mit Vermeidung aller dogmatischen Subtilitäten. So spricht er fast nirgends über seine Stellung zur Kirche, niemals über ihre einzelnen Satzungen; sondern von der Wichtigkeit seines Berufes durchdrungen, fühlt er sich von Zeit zu Zeit aufgefordert, seine heilige Kunst auch an das Heilige, sein Priesteramt an Gott anzuknüpfen, und es geschieht dieß immer in einer Weise voll Einfacheit, Würde und Hoheit: „Der Arzt ist ein Knecht der Natur und Gott ist der Herr der Natur.“ „Der Arzt ist, der in den leiblichen Krankheiten Gott ver- |
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Es wäre ein merkwürdiges, psychologisches Räthsel, wenn Jemand, der wie Paracelsus einer seit langen Jahrhunderten in Fesseln geschlagenen Wissenschaft wieder ihre Freiheit gab und welcher diese große Aufgabe nur dadurch zu lösen vermocht hat, daß er kühn alle und jede menschliche Satzung, allen und jeden Autoritätenglauben zu Boden trat, auf dem Gebiete der Religion seinen Grundsätzen untreu und hier zum sclavischen Nachbeter geworden wäre. Dieß war bei unserm Landsmanne auch nicht der Fall. Wenn er auf dem Felde der Heilkunde als Reformator allein dastand, gehört er auf demjenigen der heiligsten Interessen der Menschheit wenigstens unter die Schaar jener glorreichen Kämpfer seiner Zeitgenossen, welche eine neue Zeit, ja eine neue Welt geschaffen haben. Ueberraschende Stellen in den Schriften des Paracelsus, in denen sich die nämliche Freiheit des Denkens, welcher der Medicin ihre Umgestaltung verdankt, auch auf jenem andern Gebiete mit der größten Entschiedenheit kund gibt, und welche in der That der Feder eines Luther’s entflossen zu sein scheinen, sind z. B. folgende: „Denn von allen Sekten, die jetzt blühen, besitzt keine die wahre Religion. Man muß daher den Text der heiligen Schrift ohne alle subjektive Auslegung lesen, bis einst in einer künftigen Zeit die wahre Religion erscheinen wird.“ — „Aus dem entspringt die unwissend Grobheit der Theologen, die da groß Auslegung machen in dem, das die Meiste nicht verstehen, und uns Menschen nicht wissend ist, wie es der gemeint hat, der es gegeben: und sie doch also ihm seine Wörter nach ihrer Hoffart und Geizigkeit ränken und ziehn, da viel Beschiß entstanden ist, und alle Tag neu erfunden worden. Darumb wir die Vernunft, die nit in Mysterien fundirt, sichtlich für nichts achten.“ — „Und leichtlich sind die falschen Heiligen zu erkennen in ihren Zeichen und Leben. So wisset, daß am fürderlichsten ist, daß ihr Acht habt auf ihr |
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In ähnlicher Weise erklärt sich Paracelsus gegen den Unfug, der damals mit Wallfahrten getrieben ward, wie z. B. bei der Wallfahrt zur schönen Marie zu Regensburg. „Oft, sagt er, verwandelt man Wundschäden in S. Johannsbuße, St. Küriss-Rache, S. Antonsfeuer u. dergl., läßt Messen lesen, fastet, betet, trinkt das Wasser aus dem heiligen Brunnen, opfert den Heyligen, macht Verheißungen und Gelübde, steuert nach Vermögen u. s. w. Der Eigennutz macht aus den Heyligen Aerzte und aus den Bächen Apotheken. Manchmal mischt man unter das Wasser den Saft heilender Kräuter, schreibt die Ehre dem Heyligen zu, wäscht sich die Hände und ist unschuldig wie Pilatus.“
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Solche und ähnliche Vorfälle mochten Veranlassung gewesen sein, daß sich unser Landsmann, welchem selbst seine bittersten Feinde den außerordentlichen Erfolg seiner Kuren nicht abstreiten konnten, folgernden Eidschwur ablegte: „Das gelob ich: meine Artzney zu vollfertigen und nit von der zu weichen, so lang mir Gott das Ampt vergönnt, und zuwiderreden aller falschen Artzney und Lehren, kein Hoffnung in Hohen Schulen zu setzen, item dem Baretle (Doctorhut) nit nachzustellen, item demselbigen nit Glauben zu geben, dann die Krancken zu lieben, ein jeglichen mehr, als wann es mein Leib antreffe, den Augen nit zu verlassen (dem Augenschein nicht zu vertrauen), sondern zu urtheilen nach den Anzeichen; auch keine Artzney |
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Man achte aber wohl, daß der Unmuth unsers Landsmannes über Nichtbezahlung seiner Dienste sich nur in solchen Fällen kund gibt, in denen seine Patienten reiche Leute waren. Gegen arme Kranke bewies er, treu seinem Gelübde, die reinste Uneigennützigkeit. Es geht dieß sowohl aus seinen Schriften als aus den aufbewahrten Zeugnissen von Zeitgenossen hervor. Er sagt einmal: Wenn er auch sein Geld verdummelt habe, so hätte er doch sein Hauptgut nicht eingebüßt. Die Medicin sey eine Spekulation geworden, sie würde des Gewinnstes wegen erlernt. Die Aerzte suchten den Pfennig, nicht die Kunst. Ihr Herz sei weit von der Zunge; der Seckel sei ihr Herz. „Was ist euch, ruft er mit Ernst seinen Amtsbrüdern zu, nutz, so ihr aller Kranken Güter gewinnt und sie im Leibe verderbet, ist es nicht eure Selbstverdamnuß?“ Wir haben bis dahin gesehen, daß Paracelsus über jede Anfeindung erhaben ist, welche seine persönliche Würde betrifft. Wir haben |
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Man hat unserm merkwürdigen Arzte sein herumschweifendes Leben zum Vorwurfe gemacht. Wir haben diesen Punkt theils mit eigenen Gründen, theils durch Stellen, die wir den Schriften des Angefochtenen selbst entnommen haben, bereits in’s Reine zu bringen gesucht. Zu jenen von seinen eigenen Aeußerungen fügen wir noch folgende ähnlichen Gehaltes: „ich bin der Kunst nachgegangen, sogar mit Gefahr meines Lebens, und habe mich nicht geschämt, selbst von Landfahrern, Nachrichtern und Scheerern zu lernen. Denn wir sehen die Liebhaber weite Wege durchziehen, um das köstliche und herrliche Weib zu erblicken; wieviel eher muß dies geschehen, der prächtigen und erhabenen Kunst wegen.“ — „Keinem wächst sein Meister im Haus, noch hat Einer seinen Lehrer hinter dem Ofen. Wo Gott die Kunst hingelegt, da soll sie gesucht werden. Das ist eine große Erkenntniß im Menschen, daß er die Gaben Gottes sucht, wo sie liegen, daß wir gezwungen sind, den selbigen nachzugehen. So nun ein Zwangniß da ist, wie kann man einen verachten, der solches thut? Es ist wohl wahr, die es nicht thun, haben mehr, denn die es thun. Die hinter dem Ofen bleiben, essen Rebhühner, die den Künsten nachgehen, essen eine Milchsuppe. Die Winkelsitzer tragen Ketten und Seiden. Die da wandern, Vermögen kaum den Zwilch zu bezahlen. Die in der Ringmauer haben Kaltes und Warmes, wie sie wollen: die den Künsten nachziehen, hätten keinen Schatten, wenn der Baum nicht wäre. Der nur dem Bauch dienen will, der folget mir nicht; er folget denen, die in weichen Kleidern gehen. Wiewohl sie auch zum Wandern nichts taugen. Denn Juvenalis hat es beschrieben, wie allein der fröhlich wandert, der nichts hat. Darum betrachten sie den Spruch: damit sie nicht gemordet werden, bleiben sie hinter dem Ofen und kehren Bieren um Also glaub ich, daß ich bisher mein Wandern billig verbracht habe und mir dieses ein Lob und keine Schande sei.“ Wir anerkennen vollständig, daß eine ungeregelte, beständig wechselte und vagabundirende Lebensweise dem Wirken eines Mannes empfindlichen Eintrag thut und |
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Einer der häufigsten Vorwürfe, welche dem Paracelsus gemacht werden, ist der der Völlerei und Trunksucht. Diese Anschuldigung stammt vornehmlich aus 2 Quellen her, nämlich von Thomas Erastus und von Johannes Oporinus, Das Zeugniß des erstern darf kurzweg von der Hand gewiesen werden; denn dieser blindeste aller Widersacher unsers Reformators benimmt sich mit einem solchen tollen |
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Wenn nun auch Paracelsus selbst gesteht, es gehöre „ein voller Zapf“ nicht an’s Krankenbett und wenn er in seinen Schriften häufig zur Mäßigkeit ermahnt, so wissen wir aus vielerlei sichern Quellen zu gut, daß er es für seine Person mit diesen Ermahnungen nicht zu buchstäblich nahm und daß, wenn er sich für den Dienst zwischen zwei Göttern, wie Galen und Bacchus, zu entscheiden gehabt hätte, seine Wahl nicht lange schwankend geblieben wäre. Allein, wenn man auch manchmal einen Trunk zu viel thut, ist man zum Glück deßhalb noch nicht unter die Trunkenbolde zu rechnen und, zugegeben, daß Paracelsus ein zu großer Freund des Weines gewesen und mit lustigen Brüdern bisweilen unmäßig gezecht habe, so kann das einer derben und kräftigen Natur eingeräumt werden, ohne daß sie dadurch in unserer Achtung bedeutend sinkt, um so weniger, wenn man die damalige Zeit, in welcher starkes Trinken mehr als Ehre, denn als Schimpf galt, und namentlich noch das beständige Herumwandern unsers medicinischen Reformators bedenkt. In Hinsicht auf Sittlichkeit im engern Sinn des Wortes ist Paracelsus über jeden Vorwurf erhaben Er fordert vom Arzt, er soll sein rein und keusch, und so trifft man auch nichts bei ihm an, was das Ohr beleidigen, das Gefühl verletzen könnte. Nur wenige Schriften ähnlichen Inhaltes dürften sich einer solchen Sittenreinheit, als wie der seinigen, rühmen. „Der Geist des Herrn, sagt er, ist in den Frawen, der sich einbildet und setzt Frucht in ihnen. In ihnen ist der Geist, der vom Herzen kommt, zu dem er auch wieder geht.“ — Paracelsus blieb unvermählt. Daß die Außenseite des Reformators von Einsiedeln durch man- |
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Wir erklären uns entschieden gegen die Zumuthung, als ob wir für die Würdigung verschiedener Menschen auch einen verschiedenen Maaßstab aufstellen wollten; im Gegentheil stehen wir fest für die Ansicht ein, daß in Bezug auf das Gute und Böse, das Recht und das Unrecht, auf Ehre und Unehre an einen jeden Menschen, in welcher Stellung er sich immer befinden möge, die nämlichen Anforderungen gemacht werden müssen. Auf der andern Seite ist aber nicht zu läugnen, daß es gewisse Stellungen gibt, welche bei Fragen, welche nicht gerade tief sittlicher Natur sind, eine andere Beurtheilung erfordern, als es in gewöhnlichen Umständen der Fall ist. So z. B. die Stellung eines Reformators, namentlich in den Zuständen des Mittelalters. Man hat z. B. den Arzt von Einsiedeln deßhalb schwer angeklagt, daß er seine Vorträge an der Universität zu Basel mit Verbrennung der Schriften des Galen und des Avicenna eröffnet habe. Es ist richtig, ein solcher Schritt hätte unter den alltäglichen Verhältnissen etwas Lächerliches, ja Unwürdiges. An Paracelsus wird man es verzeihlich finden; ja nicht nur verzeihlich, sondern, wenn man bedenkt, daß zu seiner Zeit |
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Von diesem Standpunkte aus erscheinen viele Handlungen des Paracelsus keineswegs motivirt — denn dieß ist das Unrechte niemals, allein wenigstens in bedeutendem Maaße entschuldigt. Hierher gehört namentlich auch der Ton in seinen Schriften, besonders wenn er von Galen und dessen Anhängern spricht und diesen sich gegenüber hält. Man hat sich vielfach daran gestoßen, daß er an dem Despoten von Pergamus auch so gar nichts gelten lasse, sondern ihn von Anfang bis zu Ende verdamme. Das ist wirklich der Fall. Der ärztliche Abt von Einsiedeln gönnt dem asiatischen Papste kein gutes Haar, sondern sucht ihn mit Stumpf und Stiel auszurotten. Jedermann muß zugeben, daß Paracelsus nicht anders verfahren konnte. Wie sich die kirchliche Revolutionsfrage für Luther auch nicht so stillte, ob der Papst ganz oder theilweise beizubehalten |
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So hat auch die Schreibart unsers Landsmannes nichts Verletzendes mehr für uns und die stärksten, trotzigsten, vernichtendsten und herausforderndsten Stellen, auf welche sich seine Gegner bei ihren Anfeindungen stützen, müssen wir in ihrer historischen Bedeutung aufzufassen suchen, und zudem sind sie bei weitem noch nicht so arg, als jene Polemik, durch welche Luther den römischen Stuhl wanken machte. Die Uebereinstimmung im Berufe ruft bei diesen zwei kecken Kämpen sehr oft eine merkwürdige Uebereinstimmung in der Art des Ausdrucks hervor, sodaß man dem einen ganze Seiten des andern, mit geringer Veränderung der speziellen Beziehungen unterschieben könnte. Von diesem Gesichtspunkte aus werden unsere Leser folgende dem dreisten ärztlichen „Landfahrer“ oft und schwer gemißdeutete Stellen nicht sonderlich mehr verargen: „Ich sage euch, mein Gauchhaar im gnick weiß mehr dann ihr und all eure Scribenten, und weine Schuhrinken sind gelehrter, dann euer Galenus und Avicenna. Und mein Bart hat mehr erfaren, dann alle eure hohe Schulen“. — „Mir nach Avicenna, Galenus, Rhases, Montagnana, Mesoë und ihr Andern! Mir nach und ich nit euch nach, ihr von Paris, ihr von Montpellier, ihr von Schwaben, ihr von Meißen, ihr von Cöln, ihr von Wien, und was an der. Thonau und Rheinstrom ligt, ihr Insuln im Meer. Du Italia, du Dalmatia, du Sarmatia, du Athenis, du Griech, du Arabs, du Israelita. Mir nach und ich nit euch nach, mein ist die Monarchey. Euwer wird keiner im hintersten Winkel bleiben, an den nicht die Hunde seichen werden: ich wirdt |
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Die Art Polemik, mit welcher Paracelsus gegen seine Feinde zu Felde zog, ist in unsern Tagen freilich einem gebildeten Manne nicht mehr gestattet. Allein es erlaubt dieß noch nicht, deßhalb unsern Reformator kurzweg zu einem pöbelhaften Grobian zu stempeln. Auf die Schmähungen seiner Gegner, welche ihn „Waldesel von Einsiedeln, landstreicherischer Bettler, vom Beelzebock Besessener, Kakophrastus, Meuchelmörder u. s. f.“ titulirten, antwortete unser Landsmann mit einer Fluth ähnlicher Schmeicheleien, wie „heillose Lotterbuben, Lotterhölzer, Geltpfaffen, Stümpler, Lausjäger, Laussträler, Kadavera, schelmige Juden, Dr. Starwadel, Säue, für die das „Perlin“ nicht gehört, Schanddeckel, unwissende Stölpel, lausige Sophisten, Kälberärzte, Hundschläger, konterfeyte Oelgötzen, Polsterdoktoren, Galeni- Leviten, Zahnbrecher, Dr. Gimpel, grobe Ruffeldoktoren der hohen Schulen, Requiendoktoren, u. andere, welche die feine Sittsamkeit des 19. Jahrhunderts uns zu unterdrücken gebietet. Ferner ist ihm die alte Medicin eine „Diebs- und Beschißgrube.“ Auch Luther bedient sich gar oft ähnlicher Kraftworte in seinen Schriften und zwar in einem Grade, hinter welchem die rauhe deutsche Zunge, welche Paracelsus führte, weit zurücksteht. Es muß daher durchaus ein solcher Styl vom Standpunkte der damaligen Zeit aus beurtheilt und daran gedacht werden, daß Paracelsus, wenn er in der derben groben Zeit den Feinen und Höflichen hätte spielen wollen, er nie und nimmermehr durchgedrungen wäre; ihm wäre widerfahren, wie dem gesunden Fußgänger im Lande der Hinkenden. Die Ohren waren damals für ein starkes Wort nicht so empfindlich wie jetzt. Selbst die Gebildetsten nahmen an natürlichen Ausdrücken, derben Späßen, unverhoh- |
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Wenn wir eine Reihe von Werken über allgemeine Weltgeschichte nach einander durchgehen, so erstaunen wir über die mancherlei Art und Weise, in welcher das unermeßliche Gebiet eingetheilt wird. Gerade ihre große Anzahl nimmt den verschiedenen Eintheilungen jeden Anspruch auf allgemeine historische Gültigkeit und zeigt uns in ihnen nichts anderes, als eine Schaar von mehr oder minder gerechtfertigten subjectiven Ansichten der einzelnen Schriftsteller. Nur drei große Zeiträume sind es, welchen wir immer und immer wieder in gleicher Ausdehnung begegnen, und welche uns daher wegen ihrer ausnahmslosen Anerkennung keineswegs mehr als das Produkt einer individuellen Meinung, sondern als ein bleibendes, zum eigentlichen Volkseigenthum gewordenes Resultat der Geschichtsforschung erscheinen. Diese drei Zeiträume sind: Alterthum — Mittelalter — Neuzeit. Es hat sich diese Eintheilung in dem Grade in uns verkörpert, daß wir in der That |
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In der Entwicklung der Wissenschaften, namentlich in derjenigen der Naturwissenschaften, finden wir diese drei Epochen nicht. Wir haben hier nur eine alte und eine neue Zeit. Ein Mittelalter gibt es nicht. Die Grenzmarke zwischen diesen beiden gewaltigen Perioden bildet eine ebenso gewaltige Erscheinung: Franz Baco von Verulam. Bis auf Baco: das Alterthum der Wissenschaften. Von Baco an: die Neuzeit derselben. Wir hätten nun nichts dagegen einzuwenden, wenn man auch die Heilkunde diesem Eintheilungsprinzipe unterwürfig machen und von dem Alterthum der Heilkunde, d. h. von der Medicin bis auf Baco, und von der Neuzeit derselben, d. h. von Baco bis auf unsere Tage, sprechen wollte. Doch erscheint es besser, die Geschichte unserer Wissenschaft von derjenigen ihrer Schwestern zu trennen, weil eigentlich erst die neuere Zeit sie als Glied in die Kette der Naturwissenschaften mit Bewußtsein und mit Konsequenz eingereiht hat und weil Baco’s Einfluß auf dieselbe in Vergleich mit demjenigen, welcher die andern Gebiete der Naturforschung umgestaltete, vorerst untergeordneter war und nur allmählig hervortrat. Allein wenn wir die Medicin auch für sich allein betrachten, so können wir ihr immerhin ebenfalls kein Mittelalter zugestehen; denn das, was man so nennen könnte, ist nichts anders, als der wortgetreue Nachklang der alten Zeit. Wir haben somit bei ihr auch bloß ein Alterthum und eine Neuzeit. Wer bildet hier die Gränzmarke? Wer ist hier der Schlußstein der alten und der Grundstein der neuen Welt? Ohne Zögern antworten wir: Theophrastus Paracelsus von Hohenheim, unser Landsmann. Bei dem Bilde, welches wir unsern Lesern von diesem denkwürdigen Manne in den obigen Blättern entworfen haben, enthielten wir uns mit Absicht aller ekstatischer Lobpreisung. Wir wollten kein Eloge, sondern Geschichte schreiben, und Ekstase beeinträchtigt nur zu leicht die beiden ersten Erfordernisse der Geschichtschreibung, Wahrheit und Klarheit. Wir |
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Dieses patriotische Gefühl tritt durch die Lust des heutigen Tages als feuriger Gruß auf unsere Lippen, als ein Gruß, welchen wir mitten in das Glockengeläute und in die Lobgesänge, in das Gläserklingen und das Raketenknattern hineinschleudern: an einem der stolzesten Tage der Schweizergeschichte ein Hoch dir, Paracelsus, du, einer der stolzesten Träger der Schweizerwissenschaft! |
Bibliography
Locher, Hans: Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim, der Luther der Medicin und unser größter Schweizerarzt, Zürich: Meyer und Zeller, 1851.
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