Locher 1851 Theophrastus

From Theatrum Paracelsicum
Hans Locher,
Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim, der Luther der Medicin und unser größter Schweizerarzt
1851

Text

[p. III]


Glocken schallen. Kanonen donnern. Jubel ertönt. Was soll dieß Läuten, dieß Krachen, dieß Jauchzen? Es soll den Eintritt Zürich’s in den Schweizerbund feiern. Gut. Aber sollen wir uns nun dieses geschichtlichen Ereignisses fortwährend bei der ganzen festlichen Lust erinnern? Keineswegs. Wissen läßt immer kalt, sogar das Wissen von den Thaten der Vorzeit. Also bei dem ersten Jubelsange, da laßt uns dankbar jener folgereichen Begebenheit gedenken! Aber was nun hernach?

 Es verhält sich mit patriotischen Festen, wie mit den kirchlichen. So heilig auch der Grund sein mag, welcher die Gläubigen zur Feier der Weihnacht, der Ostern, der Pfingsten zusammenruft, so besteht doch in der Erinnerung an das bestimmte historische Faktum nicht die segensreichste Wohlthat, nicht der höchste Triumph des Tages. Vielmehr

[p. IV]


bericht dieser darauf, daß unsere Brust, sei es nun um dieser oder jener Veranlassung willen, wieder einmal so recht bis in ihre innersten Tiefen hinein von dem religiösen Gefühle durchwärmt und gehoben werde, daß wir einmal wieder alle unsre andern Gedanken, Begierden, Sorgen, die uns im Alltagsleben bestürmen, fahren lassen und uns nur der einen großen reinen Idee, der religiösen, mit unserm ganzen Wesen überlassen. Wir freuen uns deßhalb bei einem kirchlichen Feste zuerst alle zusammen einmüthigen Sinnes über den Zweck des Tages; nachher aber darf jeder in der Welt des Geistes und Gefühls seine eigenen Pfade wandeln, für welche er Niemandem Rechenschaft schuldig ist. Ganz so an vaterländischen Festen. Ob man den Eintritt Zürich s in den eidgenössischen Bund oder Zwinglis Heldentod bei Kappel oder was immer anderes feiere, gleichgültig — der reichste Segen des Festes ist der, daß wir wenigstens für einen Tag jedes andere Dichten und Trachten aus der Brust bannen, wenigstens von einem Aufgange der Sonne bis zum Niedergange nur der Liebe zu unserm Schweizerlande, unserm Glücke und Stolze, Schweizer zu sein, aus ganzer Seele und aus vollem Gemüthe leben. Auch hier zieht dann Jeder, wenn einmal seine Gefühlswelt erschlossen und aufgeregt ist, seine Bahn, still und ungestört für

[p. V]


sich, selig in der ihn beherrschenden Idee, unbekümmert um das, was die Andern sinnen und fühlen mögen. Nach seiner Weise, wie sein Herz drängt und wie er’s am besten findet, zündet ein Jeder sich sein eigen Festlämpchen an, das körperliche wie das geistige, und malt es roth oder grün, wie es ihn am schönsten dünkt. Ich habe nun hier auch mein Lämpchen angezündet; ’s ist vielleicht ein dürftig Krankenlämpchen. Gleichviel: Etwas Licht spendet es immerhin und alles Licht trägt etwas vom Sonnengolde in sich und somit etwas Freundliches, Wohlthuendes, ja Heiliges. —

 Ihr wißt, wie schwierig es ist, die ersten Sterne zu erkennen, welche am dunkelblauen Abendhimmel hervortauchen, wie oft wir forschend an dem weiten Gewölbe herumspähen und dennoch jene lichten Boten nicht herausfinden können. Unser Nachbar, der vielleicht ein schärferes Auge oder eine genauere Kenntniß von der Lage der Sterne hat, weist uns endlich mit deutender Hand zurecht. Jetzt auf einmal scheu wir jene ersten Sterne und verlieren sie nun nimmermehr aus dem Auge, ja können nicht begreifen, daß wir sie nicht von Anfang an wahrgenommen haben. Nun denn! Laßt euch dieses Schriftchen hier ein solcher Wegweiser sein! Laßt es gleichsam wie eine Festrakete in die Höhe steigen, hell flammend für eine Minute, sodaß ihr auf seiner funkelnden Bahn

[p. VI]


einen Stern am vaterländischen Himmel erblicken könnet, von welchem ihr vorher nichts gewußt hattet! Seht! Die Rakete ist bereits wieder erloschen. Kümmert euch nicht weiter um sie. Laßt sie als leere Hülse verkohlt und zerrissen wieder unten aus der Erde im Gestrüppe liegen. Aber der Stern, den euch ihr augenblicklich Flackern gezeigt hatte, den behaltet fest im Auge und seinem freundlichen Strahle schenkt auch einen eben so freundlichen Blick! Wißt ihr, wie dieser von euch neu entdeckte, schimmernde Punkt am reichbesäeten Himmel euers Vaterlandes heißt? Paracelsus heißt er.

Pfarrhaus zu Wyla. Ende März. 1851.
Dr. Hans Locher.


[p. 1]


I.
Von dem Papste, welchen der Schweizer Paracelsus von Hohenheim gestürzt hat.


Im Jahr 148 nach Christi Geburt vernahm zu Pergamus in Kleinasien ein Baumeister, Namens Nikon, in einem Traume das Geheiß, seinen damals 17jährigen Sohn die Arzneiwissenschaft studiren zu lassen. Nikon, ein frommer Mann, hatte nichts Eifrigeres zu thun, als der Stimme des Gottes, der zu ihm im Traume gesprochen hatte, zu gehorchen. Und im Interesse seines Sohnes hat er wohl daran gethan. Schwerlich hat je ein einzelner Traum solch einen unberechenbaren Einfluß und solch gewaltige Folgen gehabt, als derjenige jenes asiatischen Architekten. Denn diesem Traume verdankt die Medicin nicht bloß eine ihrer stolzesten Zierden, sondern es entschied derselbe für mehr als anderthalb Jahrtausende über das Schicksal der Medicin. Die Frucht jener Traumerscheinung war nämlich ein System, welches sich jener langen, in der Geschichte der Wissenschaft beispiellos dastehenden Herrschaft und einer in der That unerhörten Vergötterung erfreute, welches nicht nur bis tief in das Zeitalter der Reformation hinein die Heilkunde in Fesseln schlug, sondern welches zur Stunde noch im Kreise der Aerzte und der Laien in hundert leichten Anklängen fortspukt. Jener Sohn, der mit dem Jahre 148 Mediciner werden mußte, hieß: Klaudius Galenus. Er hatte bisdahin vornehmlich Mathematik und Philosophie getrieben, namentlich sich tief in die Geheimnisse der aristotelischen Philosophie hineingearbeitet. Mit jenem Zeitpunkte besuchte er aber nunmehr die Schulen der Pergamenischen Aerzte und begab sich nach einem 4jährigen, mit dem rastlosesten Eifer getriebenen Studium nach Smyrna und Korinth, wo er sich auf der einmal betretenen Bahn mächtig weiter förderte. Um des lycischen Erdpeches, des syrischen Asphaltes und anderer naturwissenschaftlicher Forschungen willen machte er hierauf große Reisen durch Kleinasien und Palästina.


[p. 2]


 Wie heutzutage ein Aufenthalt zu Wien oder Paris für den jungen Arzt den Schlußstein seiner Studien bildet und wie für ihn der Besuch dieser Städte in den Augen des Publikums nicht nur Empfehlung, sondern beinahe Erforderniß geworden ist, so galt damals Alexandrien für den Mittelpunkt der gelehrten Welt. Es wählte deßhalb Galen mit dem größten Rechte diesen üppigen Königssitz, um sich daselbst, besonders in der Anatomie, die nirgends mit größerem Eifer betrieben wurde, auszubilden und überhaupt seine medicinischen Studien zu vollenden. Alexandrien bot freilich damals nur einen matten Wiederschein mehr von dem wunderbaren Glanze dar, in welchem es sich unter der ersten ruhmgekrönten Herrschaft der Ptolemäer gesonnt hatte. Allein trotz des Verfalles hatte die Arzneiwissenschaft jene beiden Eigenthümlichkeiten fortwährend zu bewahren gewußt, welche die alexandrinische Medicin von ihrem ersten Auftreten an charakterisirt haben.

 Die erste derselben ist die Pflege, welcher sich von jeher in der Stadt der Ptolemäer die Anatomie zu erfreuen hatte. Wenn wir uns der frommen Scheu erinnern, welche die alten Griechen vor ihren Todten durchdrang und welche ihnen ein Oeffnen derselben als fluchwürdiges Verbrechen erscheinen ließ, und wenn wir wissen, daß die ägyptische medicinische Schule unmittelbar aus der griechischen hervorgegangen war, so hat es auf den ersten Blick für uns etwas Befremdendes, in Alexandrien Sektionen, und zwar Sektionen in einem großartigen Maaßstabe vorgenommen, als einen ganz gewöhnlichen Gebrauch von der Gründung der dortigen Schule an anzutreffen. Wir können uns diese Erscheinung durch nichts anderes erklären, als durch die alte ägyptische Sitte des Einbalsamirens. Dadurch war das Volk bereits seit unvordenklicher Zeit daran gewöhnt worden, das Antasten und Ausschneiden eines todten Körpers nicht mehr als empörenden Frevel, sondern als etwas Erlaubtes, ja als Norm zu betrachten, und die großen Gründer der medicinischen Akademie zu Alexandrien wußten gleich von Anfang an aus diesem einzigen Punkte, in welchem der Aegypter dem Hellenen an vorurteilsfreier Richtung des Geistes überlegen war, für die Blüthe der Wissenschaft den reichsten Gewinn zu ziehen. So ward denn Alexandrien durch das ganze Alterthum hindurch der Sitz des anatomischen Studiums. Zwar

[p. 3]


artete dieses in der sittlich verpesteten Umgebung bald genug auf mancherlei Weise aus. Allein immerhin bot sich einem jungen Arzte dort allein die Gelegenheit dar, sich in jener Grundlage seiner Wissenschaft praktisch auszubilden. Freilich wurden zu Galen’s Zeit zu Alexandrien schön längst keine menschlichen Leichname mehr zergliedert und Galen selbst benutzte zu seinen Untersuchungen außer einer großen Menge von Thieren, namentlich von Affen, einen aus seinem Grabe weggeschwemmten Leichnam und einen unbegraben liegen gebliebenen, von Raubvögeln zerfressenen Räuber. Doch die Schriften der großen alexandrinischen Anatomen, sowie überhaupt anderes nothwendiges Material zum Studium jenes Zweiges der Medicin konnten dort allein angetroffen werden.

 Die zweite Eigenthümlichkeit der alexandrinischen Schule besteht in der mit unverhältnißmäßiger Vorliebe getriebenen Ausbildung, welche daselbst der Lehre von den Giften zu Theil wurde. Wenn wir gewahr werden, daß die ganze Bearbeitung der Arzneimittellehre sich beinahe ausschließlich bloß um das Kapitel der Gifte und Gegengifte dreht, wenn wir sehen, wie diesem Gegenstande selbst die Dichter in langen Gedichten ihre Begeisterung weihen und wenn wir die unglaubliche Anzahl der großentheils ekelhaften oder abenteuerlichen Ingredientien durchmustern, welche die berühmtesten Antidota zusammensetzen, so erhalten wir auf der einen Seite einen sehr schwachen Begriff von dem Standpunkte, auf welchem sich der praktische Gehalt der alexandrinischen Medicin befand, auf der andern Seite aber eine düstere Ahnung von der Art und Weise, in welcher deren Hülfeleistung in Anspruch genommen werden mochte. Denn wenn wir das, was uns die Geschichte von dem ägyptischen Hofleben meldet, mit der so eben berührten Seite der dortigen Medicin zusammenhalten, so wird sich Niemand des Gedankens enthalten können, daß wohl der vorzugsweisen Ausbildung jenes einzelnen Zweiges der Arzneiwissenschaft äußere Umstände werden Anregung und Vorschub geleistet haben.

 Hier studirte nun Galen bis in sein 28. Jahr und kehrte von da im Jahr 159 nach Christus wieder in sein Vaterland zurück. Auf Befehl der Priester, die dem Tempel des Aeskulap und dem damit verbundenen Gymnasium vorstanden, übernahm er die Kur der öffentlichen Kämpfer und hatte Hiebei während 6 Jahren Gelegenheit, die Chirurgie auszuüben. Ein in Pergamus ausgebro-

[p. 4]


chener Aufruhr vermochte ihn, Kleinasien zu verlassen, und das Glück, welches die griechischen Aerzte in Rom machten, bewog ihn, die Hauptstadt der Welt zu seinem Aufenthalt zu wählen. Vier und dreißig Jahre alt, im vierten Regierungsjahre der Kaiser M. Aurelius Antoninus und Lucius Berus schlug er wirklich seinen Wohnsitz in Rom auf. Mehrere glückliche Kuren verschafften ihm bald ein bedeutendes Ansehen, namentlich der Scharfblick, mit welchem er als die Ursache der schweren, bis dahin erfolglos behandelten Krankheit einer vornehmen Römerin deren Leidenschaft für den Possenreißer eines Theaters erkannte. Er kam bald mit ausgezeichneten Staatsmännern und Philosophen in Verbindung, trat aber mit der großen Zahl der ausübenden Aerzte nicht in freundschaftliche Verhältnisse. Vielmehr wurde er durch den Ruhm, den ihm seine Erstlings-Kuren verschafften, besonders durch seine außerordentliche Geschicklichkeit in der Voraussage des Ausganges der Krankheiten, sowie durch seine anatomische Fertigkeit der Gegenstand des Neides aller römischen Aerzte. Uebrigens scheint er wenig praktische Geschäfte gehabt zu haben, da er z. B. einen Knecht, der auf dem Lande an einer Augenentzündung litt, alle Tage zweimal besuchen konnte. Wirklich verzichtete er auch bald auf die Ausübung seiner Kunst und blieb bloß in der beständigsten und umfassendsten Thätigkeit für die Wissenschaft und begründete seinen Ruf vorzüglich durch physiologische Vorlesungen, die von den gebildeten Vornehmen Roms häufig besucht wurden. Bald sah er sich indessen genöthigt, diesen öffentlichen Vorträgen zu entsagen, weil ihn seine römischen Kollegen zu heftig anfeindeten und sich jeder Gelegenheit und jedes Mittels bedienten, Blößen an ihm ausfindig und dieselben in der gehässigsten Weise lächerlich zu machen. Daß er durch seine eigene Persönlichkeit zu diesen Anfeindungen Veranlassung gegeben habe, macht seine Eigenliebe, die sich tausendfältig zu erkennen gibt, mehr als wahrscheinlich. Denn mit immensem Wissen, hinreißender Beredsamkeit und gewandter Dialektik verbunden ist diese Charakterschwäche die übelste Empfehlung bei Kunstgenossen, am meisten bei solchen, denen alles wissenschaftliche Bestreben fremd war, wie zu Galen’s Zeiten in Rom.

 Diese widerwärtige Stellung, in welcher er sich zu Rom befand, mag ihn in seinem 38. Jahre zur Rückkehr nach Pergamus bewogen

[p. 5]


haben. Ehe er aber seine Vaterstadt wieder betrat, besuchte er noch verschiedene Länder, um merkwürdige Naturprodukte und Arzneimittel au Ort und Stelle zu sehen. Nach Cypern ging er, um die vortreffliche Bearbeitung der Metalle, namentlich des Kupfers, zu beobachten. Um die Balsamstaude zu untersuchen, ging er nochmals nach Palästina, und Lemnos besuchte er, um die Bereitung der Siegelerde mit eigenen Augen zu sehen, wobei er Gelegenheit hatte, die übliche Ansicht, als beruhe die rothe Farbe jener Erde auf einer Vermischung einer gewissen Thonart mit Blut, als irrig erkennen zu können.

 Nach kurzem Verweilen in seiner Vaterstadt wurde er bereits im nächsten Jahre von den Kaisern Lucius Berus und Marcus Aurelius zurückberufen. Dieselben hielten sich damals in Aquileja auf, um mit dem größten Nachdrucke den Krieg gegen die Markomannen und andere deutsche Völker führen zu können. Zu Fuße ging nun Galen durch Thracien und Macedonien und blieb bei den Kaisern in Aquileja, um für sie Theriak zu bereiten. Dieser Theriak ist eine aus 62 Stoffen zusammengesetzte Panacee, welche ursprünglich aus der alexandrinischen Schule stammt, allein zur Zeit Galen’s nach dem berühmten Rezepte des Andromachus, des Leibarztes Nero’s, bereitet wurde und sich unter der nämlichen Benennung auch noch in unsern heutigen Apotheken vorfindet. Der Kaiser Mark Aurel hatte nur zu demjenigen Theriak Zutrauen, welches aus den Händen Galen’s kam, und er verzehrte von dem abenteuerlichen Gemische täglich im gesunden wie krankhaften Zustande eine bedeutende Portion. Auf der Rückreise nach Rom starb Lucius Berus an einer Pest, welche in Italien große Verheerungen anrichtete. Galen erhielt nun von Mark Aurel die Aufforderung, ihn auf seinem Zuge nach Deutschland zu begleiten, entschuldigte sich aber mit einem Traume, worin es ihm Aeskulap abgerathen habe, und gieng als Leibarzt des jungen Cäsar Commodus nach Rom zurück. Entfernt von Tagesgeschäften benutzte er jetzt seine Muße zur Ausarbeitung zahlreicher und wichtiger Werke, die zum Theil durch den Brand des Friedenstempels unter Commodus Regierung verloren giengen, wodurch die ganze Bibliothek im Palatium vernichtet wurde. Zugleich beschäftigte er sich wieder mit Vorlesungen; wie es scheint, nur wenig mit der Behandlung von Kranken. Noch unter den Kai-

[p. 6]


fern Pertinax und Septimius Severus (197 n. Chr.) hielt er sich in Rom auf. Wenigstens kochte er für letztern Kaiser auch noch Theriak, obwohl das Mittel, wie er uns meldet, wegen Mangel an einer bestimmten Zimmtsorte bei weitem nicht mehr so heilkräftig ausfiel, als früherhin. Galen starb dann im Anfänge des 3. Jahrhunderts nach Chr. Ob zu Rom oder zu Pergamus und genau in welchem Jahre er gestorben, ist unbekannt.

 Die schriftstellerische Fruchtbarkeit Galen’s ist eine unglaubliche, vielleicht beispiellose. Er verfaßte über 500 einzelne Werke, von denen 125 nicht medicinische Gegenstände betreffen, sondern philosophischen, juristischen, mathematischen und grammatischen Inhaltes sind. Von diesen Schriften hat sich keine einzige erhalten. Von den medicinischen Werken sind 48 ebenfalls verloren gegangen, von denen der Verlust mehrerer großer anatomischer Arbeiten am meisten zu beklagen ist. Wir besitzen dagegen noch 83 unzweifelhafte ächte, 19 zweifelhafte, 45 unächte u. s. f. Ferner Liegen in den einzelnen Bibliotheken noch 80 Schriften als Manuskripte zerstreut, welche zur Stunde noch ungedruckt sind. Von den ächten Schriften führen die wichtigsten folgende Titel: „Von den anatomischen Handgriffen. — Von der Anatomie der Venen und Arterien. — Von der Anatomie der Muskeln. — Von dem Nutzen der Theile des menschlichen Körpers. — Von den erkrankten Orten. — Von den Unterschieden der Fieber. — Von dem Unterschiede der Pulsarten. — Von den kritischen Tagen. — Von der Mischung und Kraft der einfachen Arzneimittel. — Von der Zusammensetzung der Arzneien nach den Arten derselben. — Von der Heilmethode.“ Die beste Quelle dieser Büchernotizen findet sich bei Galen selbst. Es verfaßte nämlich derselbe gegen das Ende seines Lebens ein Werk unter dem Titel: „Von den eigenen Büchern,“ worin er über die von ihm verfaßten schriftstellerischen Arbeiten Bericht und Rechenschaft ablegt. Jene 125 nicht medizinischen Schriften, sowie übrigens seine ganze, auch in seinen arzneiwissenschaftlichen Werken durchgeführte Schreibeweise berechtigten den Pergamener, den Ruhm eines Vielwissers zu beanspruchen. Leider muß ihm aber mit der Ueberlassung dieses stolz tönenden Titels auch jener Klang zweifelhafterer Reinheit mitgegeben werden, welcher in nur zu vielen Fällen jenem Attribute beinahe

[p. 7]


allen Werth raubt. Galen theilt mit seinen Amtsbrüdern im Gebiete der Vielwisserei den Vorwurf der Ungründlichkeit und Oberflächlichkeit in vollem Maaße. Ueberhaupt hat die Geschichte der Medicin nur einen einzigen Mann auszuweisen, welchem der Name eines Vielwissers eine Glorie reiner, unvergleichlicher und unvergänglicher Schönheit verleiht und welcher deßhalb auch als eine ganz außerordentliche Erscheinung in den Annalen der gesammten Wissenschaft leuchtet. Wenn wir zu vorliegender Arbeit nicht die Veranlassung aus einem Gefühle des Patriotismus geschöpft hätten, würden wir dieses Mannes, der unserer vorliegenden Betrachtung sonst vollkommen fern steht, gar nicht gedacht haben. Allein jenes Motiv entschuldigt hinlänglich diesen Schritt und so nennen wir denn als jenen Polyistor ächten und makellosen Gehaltes unsern Landsmann Albrecht Haller von Bern.

 Dieser Mann nun, mit dessen einzelnen Lebensumständen wir so eben unsere Leser nach dem vorhandenen dürftigen Materiale bekannt gemacht haben, ist derjenige, welcher am Eingange als „Papst“ bezeichnet ist. Zur Ertheilung dieser Würde haben wir das entschiedenste Recht, sobald man uns gestattet, den Papst als eine Autorität definiren zu dürfen, welche die Ueberzeugung eines Jeden vollständig für sich in Beschlag nimmt, sie unterjocht und in die Fesseln bestimmtet und unerschütterlicher Glaubensartikel schlägt, als eine Autorität, welche spricht: „was ich denke und was ich glaube, das allein ist wahr und gut — also denke du gerade so wie ich — anders denken und anders glauben heißt: falsch und unwahr, also sündhaft und verdammungswürdig denken und glauben.“ Mit Absicht haben wir uns bei dieser Begriffsbestimmung starker Ausdrücke bedient. Ob man nun im Allgemeinen mit dem Ausdrucke Papst eine solche Meinung verbinden darf, oder nicht, thut hier nichts zur Sache. Genug, jeder unserer Leser kann auf den Namen Galen im vollsten Umfange das Gewicht jener Definition werfen.

 Als der unwiderleglichste Beweis für die Theilnahmlosigkeit, mit welcher selbst auch das gebildetste Publikum die geschichtliche Entwicklung der Medicin verfolgt, ist uns immer die geringe Würdigung erschienen, welche Galen in Schriften allgemein historischen Inhaltes, wie in wettern Kreisen überhaupt, gefunden hat. Wahrlich, die Erscheinung

[p. 8]


eines einzelnen Mannes, von welchem ein System ausgegangen ist, das während mehr als 1500 Jahren unumstößliche Bibelautorität besaß, das während mehr als 1500 Jahren die Aerzte aller bekannten Länder zu sklavischen Nachbetern gemacht hat, das folglich für mehr als 1500 Jahre einer der edelsten Wissenschaften Stillstand gebot, besitzt nicht nur für den Arzt ein beschränktes Fachinteresse, sondern bildet einen Punkt von hoher und inhaltsschwerer Bedeutung auf dem weiten Gebiete der Kenntniß des menschlichen Herzens und der menschlichen Entwicklung überhaupt.

 Zu der Zeit, in welcher Galen auftrat, befand sich die Medicin in einem Zustande der trostlosesten Spaltung. Man hört die Laien oft der gegenwärtigen Arzneikunde den Vorwurf machen, daß sie so viele einzelne, sich gegenseitig verwerfende und anfeindende Schulen und Sekten enthalte, und die Wörter Homöopathen, Wasserkünstler, Rademacherianer u. s. f. sind bereits verfolgende Stichwörter für uns geworden. Die Wahrheit jenes Vorwurfes muß zugegeben werden. Allein es beruht diese Erscheinung zu sehr aus dem Wesen unserer Wissenschaft und zu sehr auf dem Wesen des menschlichen Geistes überhaupt, als daß man sich über dieses Sachverhältniß irgendwie verwundern könnte, als daß sich dasselbe nicht vielmehr einem jeden als etwas ganz Natürliches und Nothwendiges aufdrängen müßte. Soviel können wir aber versichern, daß die Zahl der gegenwärtigen verschiedenen Meinungen und Sekten in der Medicin ohne allen Vergleich eine geringere ist, als zu Ende des 2. Jahrhunderts nach Christus, und daß unsere Wissenschaft nie ein buntscheckigeres Kleid getragen hat, als damals. Alle Schulen, welche seit dem Zeitalter des Hippokrates aufgetreten waren, dauerten damals noch fort, zählten ein größeres oder geringeres Kontingent von Anhängern und waren einerseits einer Empirie ergeben, welche der Knecht des finstersten Aberglaubens war, anderseits einer Spekulation, welche sich mit den Grimmassen und der Gereiztheit eines Affen um taube Nüsse stritt. Zu keiner Zeit hat der Zustand der Medicin ein Gemälde von so düstern Farben dargeboten, um so düsterer, als zu keiner Zeit, weder vorher noch später, von so vielen Seiten her der Ruf ertönte: „wir, wir haben das Rechte, die alleinige, die ewige Wahrheit!“ Diese niederschlagende Verfassung der medicinischen

[p. 9]


Verhältnisse konnte einem solchen Kopfe, wie Galen, natürlich nicht entgehen, und zwar um so weniger, als er von Lehrern aus fast allen diesen Schulen unterrichtet worden war und sich mit deren einzelnen Ansichten auf seinen weiten Reisen noch näher vertraut gemacht hatte. Er unternahm nun die gewaltige Aufgabe, dadurch, daß er sich allen jenen Systemen zugleich entgegenstellte, die Wissenschaft selbst zu reformiren und in dieser reformirten, neu erstandenen Wissenschaft alle jenen widerstreitenden Elemente zu vereinigen. Diese Aufgabe löste der Asiate in einem Grade der Vollständigkeit, daß er vielleicht in dieser Beziehung auf dem Gebiete menschlicher Leistungen überhaupt ohne Nebenbuhler dasteht. Schon bei seinen Lebzeiten konnte er sein Werk beinahe als beendet betrachten und von seinem Tode an erhielt sich dasselbe in ganzer Ausdehnung während jener unerhört langen Zeit, welche wir oben genannt haben. Welches Ansehen sich schon in früher Zeit an den Namen Galen knüpfte, beweist unter Anderm der Umstand, daß gleich nach seinem Tode seine Vaterstadt Pergamus goldene Medaillen zu seinen Ehren prägen ließ, welche man bei Bernhard von Montfaucon abgebildet findet.

 Man würde sich übrigens irren, wenn man aus dem außerordentlichen Erfolge der galenischen Lehre den Schluß ziehen wollte, daß deren Urheber auch selbst eine außerordentliche Erscheinung, ein wahres Wunder von Genie gewesen sein müsse. Wie der Funke, der dort auf dem Herde wirkungslos versprüht, eine Stadt in die Luft jagen kann, wenn er in ein Pulverfaß schlägt, so kann bisweilen auch ein einzelner Mann, der unter gewöhnlichen Verhältnissen eine höchst unbedeutende Rolle gespielt haben würde, von besondern Umständen begünstigt Ereignissen als Hebel dienen, welche in gar keinem Verhältnisse zu seiner moralischen oder intellektuellen Begabung stehen, welche vielmehr, bereits zum Ausbruche reif, nur eines Anstoßes geharrt haben, komme derselbe von der Hand eines Riesen oder eines Zwerges. Es fällt uns nicht ein, Klaudius Galenus zu einem solchen Funken oder Zwerge machen zu wollen. Auch als Persönlichkeit an und für sich betrachtet ist und bleibt er eine bedeutende ungewöhnliche Erscheinung. Allein ebenso entschieden müssen wir darauf dringen, zur Schätzung dieses Mannes den Maaßstab nicht dem beispiellosen Erfolg seiner Lehre zu entnehmen; denn dieser ist nicht

[p. 10]


aus deren innerem Werthe, sondern aus der Macht der Umstände, aus dem damaligen Zustande der Medicin, aus dem Verfall der Wissenschaften überhaupt, aus der Geistesträgheit und Dunkelheit das Mittelalters u. s. f. zu erklären. Vielleicht drückt man sich hierüber am einfachsten und einleuchtendsten aus, wenn man sagt, es trage der an sich ganz zufällige Umstand, daß das System von Galen das letzte gewesen ist, welches vor der Erschlaffung und Barbarei des Mittelalters aufgestellt und in einer anziehenden Form bekannt gemacht worden ist, die Schuld, daß dieses galenische System während der ganzen Dauer des Mittelalters allgemein herrschend gewesen ist und als unumstößliche Norm gegolten hat. Wenn es überhaupt oft genug trügerisch ist, aus der Größe einer Wirkung auf die Größe der Ursache schließen zu wollen, so ist die Sache noch ungemein prekärer, wenn es sich um den Erfolg eines Systemes, vor Allem eines medicinischen, handelt. Unsere Wissenschaft befindet sich nämlich auf einem Standpunkte, welcher jedes Recht zur Aufstellung eines Systemes, das mehr als bloß formellen Werth besitzt, versagt, und wir erklären ohne Scheu, daß die Aufstellung eines solchen Systemes von vorne herein gegen, nicht für die Intelligenz seines Urhebers spricht. Nichtsdestoweniger feiern derlei Systeme glänzende Triumphzüge, deren sich die jubelnde Menge in Schaaren anschließt. Der Mensch hat Vielleicht vor nichts eine solche Scheu, als vor dem eigenen Denken. Jeder, der es unternimmt, ihm diese Mühe abzunehmen, kann eines dankbaren Entgegenkommens versichert sein und erscheint ihm als Wohlthäter. Nunmehr ist nicht zu läugnen, daß tu unserer Wissenschaft von Zeit zu Zeit Systeme zu Tage gefördert worden sind, welchen der Vorzug nicht abgestritten werden kann, daß sie ihren Anhängern den Gebrauch ihrer Denkkraft möglichst leicht machen. Das sind auch immer diejenigen Systeme gewesen, welche sich des größten Beifalles und des dauerndsten Einflusses erfreut haben. In Religion wie in Wissenschaft ist Orthodoxie das bequemste und süßeste Ding von der Welt, noch um so süßer und lockender, als man für seine Frömmigkeit, sein treues Festhalten am Alten u. s. f. Lob einerndtet, während man sich im Innern ganz wohl bewußt ist, daß der eigentliche und wahre Grund jener Orthodoxie — Geistesträgheit, Scheu vor intellektueller Anstrengung ist. Welche Wirkung ein System,

[p. 11]


welches dritt Grundübel der menschlichen Natur zu schmeicheln weiß, auch in wissenschaftlicher Beziehung auf die Gemüther hat, welch empfängliches Erdreich es in jeder Brust findet und wie falsch der Schluß ist, sich ein großartiges Resultat immer durch einen großartigen Hebel erklären zu wollen, dafür können wir aus verhältnißmäßig neuer Zeit ein merkwürdiges Beispiel anführen. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts machte ein Schotte, John Brown, ein medicinisches System bekannt, welches sich weniger in England, als in Deutschland und Italien sogleich einen bedeutenden Anhang zu verschaffen wußte, und zwar um keines andern Grundes willen, als weil es dem Arzte die Ausübung seines Berufes auf die denkbar leichteste, freilich auch gewissenloseste Weise vorkaute. Dieser sogenannte Brownianismus herrschte während einiger Decennien auf dem Festlande mit der Despotie des galenischen Systemes im Mittelalter. Wenn er jetzt längs gestürzt ist, so klingt er nichtsdestoweniger in hundert leichtern und lautern Tönen noch fort und der Name Brown erfreut sich zur Stunde noch allgemeiner Bekanntschaft. Frägt man aber z. B. in den nämlichen Kreisen nach einem Manne, wie Sydenham, so trifft man aus keine Antwort. Kaum, daß der Name nicht ganz so fremdartigen Klang hat, als ein chinesisch Wort. Und doch ist dieser Thomas Sydenham eine ohne allen Vergleich großartigere Erscheinung, als jener John Brown. Allein ein System hat er allerdings nicht aufgestellt und dadurch den Weihrauch der großen Menge verscherzt. Ein ganz ähnliches Beispiel bietet uns in der neuesten Zeit Frankreich mit seinem Broussais und seinem Andral dar, und gerade wie jener zu diesem, wie Brown zu Sydenham, verhält sich Galen zu Hippokrates, freilich in großartigeren Dimensionen.

 Galen und Hippokrates sind beinahe die beiden einzigen medicinischen Namen aus dem Alterthume, für welche der Arzt des 19. Jahrhunderts noch eine gewisse Erinnerung aufbewahrt hat und welche auch dem Ohre des gebildeten Laien nicht vollkommen fremde tönen. Damit diese Erinnerung nicht eine vollständig unklare und vage sei, sondern auch eine gewisse Berechtigung in sich trage, fügen wir über das gegenseitige Verhältniß jener beiden klassischen Koryphäen unserer Wissenschaft ein paar Worte bei. Galen ist ein schimmerndes Talent; nichts mehr. Hippokrates dagegen eine der höchsten sittlichen

[p. 12]


und geistigen Größen, welche je auf den menschlichen Namen eine Marie geworfen haben. Wie tief in der Moral unserer Kunst, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, Galen unter Hippokrates steht, beweist unter anderm der Vergleich des Benehmens beider Heilkünstler gegenüber einer ausgebrochenen, mit furchtbarer Heftigkeit wüthenden Pest. Hippokrates verließ seinen von der Pest verschonten Aufenthaltsort und bot seine Dienste dem von der mörderischen Krankheit schrecklich heimgesuchten Vaterlande an. Wie benahm sich Galen in einem ähnlichen Falle? Wir haben oben erwähnt, daß er seine Vorträge in Rom wegen der Anfeindung der dortigen Aerzte geschloffen und die Weltstadt verlassen habe. Dieser Umstand war allerdings mitwirkende Ursache. Allein reden wir hier nicht mit panegyrischen Euphemismen, sondern mit historischem Gerechtigkeitssinn! Gerade um die Zeit, als der Pergamener seine Vorlesungen einstellte, brach in Rom die große Pest aus, die während des Feldzugs von Lucius Verus gegen die Parther in Seleucia entstanden war, sich ziemlich rasch vom Orient nach dem Occident verbreitet hatte, und unmittelbar nach dem Triumphzug der Kaiser durch eine beispiellose Sterblichkeit in der Hauptstadt selbst, wie in allen Provinzen des Abendlandes so große Verlegenheiten herbeiführte, daß sie selbst die politischen Begebenheiten 3 Jahre lang aufzuhalten vermochte. Anstatt diese Pest mit Rath und That zu bekämpfen, verließ Galen deren Schauplatz, zog sich zuerst nach Campanien zurück und segelte bald nach Pergamus. Hiebei begeht er noch dir wissenschaftliche Unredlichkeit, in seinen Werken die Versicherung zu geben, daß er unzählige Pestkranke gesehen habe. Allein diese Versicherung weiß er nur durch äußerst kurze, mangelhafte und fragmentarische Angaben zu unterstützen, was um so auffallender ist, als auf der einen Seite jene Seuche weitaus die wichtigste ihres Zeitalters war und auf der andern Seite sonst die schriftstellerische Eigenthümlichkeit Galen’s eine ermüdende Weitschweifigkeit ist. Als Schriftsteller erscheint Galen als Schwätzer, bisweilen geistreich, aber selten; enorm gelehrt; voller dialektischer Spitzfindigkeit. Es ist daher nichts begreiflicher, als daß seine Werke in den Repositorien unserer Bibliotheken der ungestörtesten Ruhe genießen. Sie bieten in der That eine unerquickliche, fast unerträgliche Lektüre. Den ächten hippokratischen Schriften ist dagegen

[p. 13]


der unverkennbare Stempel des Genies aufgedrückt. Es durchdringt uns diese Empfindung von den ersten Seiten an und mögen wir auch vielleicht des positiven Gewinnes wenig mehr daraus ziehen, so besteht das wunderbare Vorrecht eines großen Geistes eben darin, ewig jung zu sein und zu allen Zeiten allen denen, die sich ihm nähern, wenigstens einen kleinen Strahl aus seiner Sonne zu spenden. Einen merkwürdigen Kontrast mit der ausnehmenden Bescheidenheit des griechischen Weisen bildet der maaßlose, lächerliche Eigendünkel des Asiaten. Was sollen wir dazu sagen, wenn sich Galen z. B. an einer Stelle folgendermaaßen ausdrückt: „Zwar hat Hippokrates etwas geleistet und die Bahn gebrochen. Aber ich habe sie geebnet und gangbar gemacht, wie Kaiser Trajan die Heerstraßen im römischen Reiche?“ Alles, was sich Gutes bei Galen vorfindet, mit einziger Ausnahme der Anatomie, worin er wirklich Großes und Selbstständiges geleistet hat, findet sich in der frühern Heilkunde wenigstens ebenso praktisch, und zum Theil wohl noch besser und lichtvoller bearbeitet. Was er hinzugefügt hat, trägt dogmatisches Gepräge und ist eben deßhalb zum großen Theil unpraktisch, weil ihm der Sinn für schlichte Erfahrung am Krankenbette gänzlich abgieng. Die überwiegende wissenschaftliche Größe des Hippokrates stellt sich im Vergleich mit derjenigen des Galen schon dadurch heraus, daß jener sich wohl gehütet hat, ein medicinisches System aufzustellen. Freilich ist er deßhalb von diesem auf der Bühne der Geschichte in den Hintergrund gedrängt worden.

 Es ist hier nicht der Ort, dieses verhängnißvolle System in seiner ganzen Sophistik und Hohlheit vorzuführen. Wenn wir uns dieser Mittheilung enthalten, so liegt der Grund wahrlich nicht darin, daß wir fürchten, es möchte der Kleinasiate im Kreise unserer Leser auch jetzt noch Proselyten machen. Damit man sich indessen wenigstens einigermaaßen eine Vorstellung von dem medicinischen Glaubenskodex des Mittelalters zu machen vermöge, erlauben wir uns folgende Andeutungen:

 Galen gründete seine Lehre von dem Leben des menschlichen Organismus zunächst auf die bekannten 4 Elemente, welche er im thierischen Haushalte durch Schleim, Blut, gelbe Galle und schwarze. Galle repräsentirt sein läßt. Gesundheit ist nach ihm gleichbedeutend

[p. 14]


mit Ebenmaaß zwischen diesen Elementen oder „Kardinalsäften.“ Krankheit entsteht durch Ueberwiegen des oder der einen Elemente vor dem andern. Dieses Vorwalten des einen Elementes gibt sich sogleich durch Vorwalten irgend einer seiner verschiedenen Eigenschaften zu erkennen. Es besitzen nämlich jene 4 Elemente 4 Elementarqualitäten, d. h. Wärme, Kälte, Trockenheit, Feuchtigkeit und wir erhalten dadurch Krankheiten des Schleimes, des Blutes, der gelben und der schwarzen Galle, je mit vorwaltender Wärme, mit vorwaltender Kälte, mit vorwaltender Trockenheit oder Feuchtigkeit. Diese 4 Elementarqualitäten finden sich nunmehr auch in den Arzneikörpern vor, mit denen wir die Krankheiten heilen, und der ganze Heilplan ergibt sich somit klar und einfach genug. Eine Krankheit mit vorwaltender Wärme erfordert ein Arzneimittel mit vorwaltender Kälte u. s. f. Dadurch aber, daß Galen diese Elementarqualitäten erst noch weiterhin in 4 Grade eintheilte, und daß er die Ansicht ausstellte, es könne jede Arznei 2 oder 3 Elementarqualitäten, und zwar dieselben wiederum in verschiedenem Grade in sich vereinen, eröffnet sich ihm ein unabsehbares Feld der willkührlichsten und spitzfindigsten Combinationen. Gesetzt z. B., man wolle eine Krankheit heilen, deren Erscheinungen in einem Vorwalten der Wärme, und zwar im zweiten Grade, und in einem Vorwalten der Feuchtigkeit, und zwar im dritten Grade, beruhen, so gilt es nun nach Galen, einen Arzneistoff zu suchen, der die Elementarqualität der Kälte im zweiten, diejenige der Trockenheit im dritten Grad besitzt. Daß sowohl die Constatirung dieser Aufgabe, als deren Lösung nichts weiters ist, als ein abgeschmacktes Hirngespinnst und daß daraus keine andere Frucht erwachsen kann, als höchstens eine mit mehr oder minder Geist durchgeführte Rabulistik, brauchen wir selbst dem Laien nicht weiter zu versichern. Im Allgemeinen läßt sich das gesammte medicinische System Galen s dadurch charakterisiren, daß man es als einen Versuch betrachtet, die hippokratische Medicin mit platonischer Philosophie zu vereinigen. Ein durch und durch unsinnig Unterfangen; denn das Große und Eigenthümliche der hippokratischen Medicin besteht gerade in ihrer Freiheit von jedem Zwange eines Systemes, und, wenn auch Galen zur Bekleidung der hippokratischen Heilkunde allerdings das ausgebildetste und erhabenste von allen philosophischen

[p. 15]


Lehrgebäuden geborgt haben mag, so mußte das Unternehmen doch immer unglücklich ausfallen, weil dessen Ziel ein unnatürliches war.

 Es ist von jeher der Fluch der Reformatoren gewesen, daß man vermöge jener dem Menschen angebornen Geistesträgheit, von welcher wir oben gesprochen haben, so gerne da stehen bleibt, wo sie selbst stehen geblieben waren, sei es, weil ihre eigene Einsicht in gewissen Beziehungen noch eine mangelhafte gewesen war, oder weil ihnen der Standpunkt ihrer Zeit jenen Halt geboten hätte. Bei den Reformatoren auf den verschiedenartigsten Gebieten sehen wir die traurige Erscheinung, daß man ihr Werk als etwas Fertiges, Abgeschlossenes betrachtet hat, während sie es selbst, freilich nicht immer mit klarem Bewußtsein, nur für den Anfang einer fortgehenden Schöpfung, nur für die Morgenröthe einer schönern Zeit gehalten wissen wollen. Als ein solches abgeschlossenes Werk ward nun auch jenes System des Klaudius Galenus von Pergamus den folgenden Zeitaltern übergeben, während schon die allgemein gewordene geistige Schlaffheit den Verfall der Wissenschaften vorbereitete. Neuere Bearbeitungen wurden nicht weiter gewagt. Aus der Medicin wie aus jeder Kunst und Wissenschaft überhaupt war das innere, reiche, schaffende Leben verschwunden und der sklavische, Autoritäten aller Art blind nachbetende Geist des Mittelalters sah von jetzt an ohne selbstständiges Forschen in den Trophäen wie in den Ruinen der Vergangenheit den Inbegriff alles Vollkommenen und ein unerreichbares Ideal. Die spätern Jahrhunderte bedurften eines Leitsterns. Daß sie Galen gleich zu ihrem Abgotte wählten, war ein unseliger Mißgriff, welcher sich strafen mußte, wie jede Schwärmerei und jede Abgötterei sich straft.

 Eine merkwürdige Thatsache ist noch, daß das Mittelalter bloß ungefähr bis zum Jahr 1000 nach Christus seine Medicin unmittelbar aus den Werken Galen’s selbst schöpfte, von da an dagegen dasselbe System aus den Händen der Araber in Empfang nahm, allein ebenfalls durchaus bloß als galenisches Lehrgebäude. Neben Aristoteles und Hippokrates war es unter den griechischen Autoren nämlich vorzüglich Galen, welcher im Reiche der Kalifen glänzende Aufnahme und je länger je ausschließlichere Bearbeitung fand. Die arabische Medicin muß in der That durchaus als eine galenische betrachtet werden. Es ist uns gewissermaaßen ein psychologisches Räthsel, wie es gekommen

[p. 16]


ist, daß eine Ration, welche, wie die arabische, in ihrer Brust das Feuer ihres Himmelstriches birgt und deren geistiges Leben sonst im schrankenlosen Schwärmen einer glühenden Phantasie besteht, gerade demjenigen Schriftsteller ihre Vorliebe und ihre Pflege zuwandte, der sich durch kalte und nüchterne Sophistik auszeichnet. Wir begegnen übrigens dem nämlichen Phänomen in der arabischen Literatur überhaupt. Ja der Prosa keines Volkes nimmt z. B. die Grammatik eine so hohe Stelle und eine solche Stufe der Ausbildung ein, wie in der arabischen, und auch in der Poesie keines Volkes wird man eine solche Masse von Gedichten finden, deren Inhalt wiederum nichts weiters ist, als Silbensophistik, Klangrabulistik und Reimkoketterie, alles Eigenschaften, welche in gewisser Beziehung ebenfalls den Flitterstaat unsers medicinischen Papstes ausmachen. Daß Galen dadurch nichts gewann, daß er durch den mahomedanischen Halbmond passirte, ist begreiflich. Zu der Schwierigkeit seiner Deutung überhaupt kam dadurch noch als neue Hemmung die Sprache hinzu, welche die Veranlassung zu den mannigfaltigsten Mißverständnissen wurde.

 Am Ende des Mittelalters erschien nun aber ein Mann, welcher die Fesseln sprengte, in welche Galen 15 Jahrhunderte geschlagen hatte, und welcher den Zauber löste, der seit bald unvordenklicher Zeit auf der Arzneikunde lastete:

 Dieser Mann war ein Schweizer von Geburt und nannte sich Paracelsus von Hohenheim.


[p. 17]



II.
Von dem Luther, welcher den Papst Klaudius Galen gestürzt hat; nämlich von dem Schweizer Theophrastus Paracelsus von Hohenheim.


In den letzten Jahrzehenten des fünfzehnten Jahrhunderts Ließ sich zu Einsiedeln in der Schweiz ein gewisser Wilhelm Bombast von Hohenheim als praktischer Arzt nieder. Es stammte derselbe aus der alten und berühmten schwäbischen Familie der Bombaste ab, die sich von dem adligen Schlosse Hohenheim (nachmals Eßlinger Hof oder Meiler), nächst dem Dorfe Pfinningen bei Stuttgart, Bombaste von Hohenheim nannten. Aus welchen Beweggründen und in welchem Jahre jener Wilhelm Bombast, welcher ein naher Verwandter des Großmeisters des Johanniterordens, Georg Bombast von Hohenheim, war, nach der Schweiz gezogen ist, weiß man nicht. Nur so viel steht historisch begründet da, daß derselbe nicht im Flecken Einsiedeln selbst, sondern in einem, erst im Jahr 1814 wegen seiner Baufälligkeit niedergerissenen und neu ersetzten Hause an der über das Ufer der wilden Sihl erbauten, sogenannten Teufelsbrücke gewohnt und daß er sich im Jahr 1492 mit der Aufseherin des Krankenhauses, welches als milde Stiftung mit dem berühmten Kloster zusammenhieng, verheirathet hat. Aus dieser Ehe entsprang ein einziges Kind. Dieses Kind ist der Held vorliegender Denkschrift, eine Zierde der Wissenschaft, ein Ruhm unsers Vaterlandes Es ist dasselbe: Paracelsus. Alle andern Angaben über seine Abkunft und seinen Namen sind entschieden unrichtig. Verschiedene ältere und neuere Schriftsteller, wenigstens bis auf Albrecht von Haller, legen ihm den Namen Höchener bei und bezeichnen als seinen Geburtsort Hoheneck, Hundsweil, namentlich aber Gais im Kanton Appenzell. Noch in neuester Zeit ist uns von einem Freunde mitgetheilt worden, daß sich in der zuletzt erwähnten Gegend und zwar in Archiven, wie in Hän-

[p. 18]


den von Bauern verschiedene Papiere vorfinden, welche über die frühere Lebensgeschichte des Paracelsus wichtige Ausschlüsse und namentlich den Beweis enthalten sollen, daß derselbe im Appenzeller Lande geboren worden. Leider ist es uns noch nicht gelungen, diese Dokumente zu Gesichte zu bekommen. Allein, wenn in denselben vielleicht immerhin interessante Daten zu entdecken sind, so darf man sich zur Stunde noch über deren Entbehrung wenigstens in der Beziehung trösten, daß für die Geburt des Paracelsus in der Nähe von Einsiedeln Belege vorliegen, welche in keiner Weise von einer andern Richtung, wie von Appenzell her, entkräftet werden können. So z. B. beweist eine, den gedruckten Testamentsakten beigefügte Quittung des Abteiprokurators, Peter Wesener, zu Einsiedeln, worin der Empfang eines Legats von 10 Gulden bescheinigt wird, die sein „lieber Oheim“ Paracelsus seinen nächsten Verwandten in der Schweiz vermacht hatte, daß dieser Ort wirklich seine Heimat und sein Geburtsort gewesen sei.

 Der vollständige Namen des Paracelsus lautet:

Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim.

Bei diesem Punkte müssen wir gleich einige Augenblicke verweilen, weil derselbe die Veranlassung zu mancherlei Irrungen in der Auslegung, namentlich aber zu vielerlei kleinlichen Beschuldigungen wider den persönlichen Charakter des Besitzers dieser volltönenden Namenreihe geworden ist.

 Zunächst ist sein eigentlicher Taufname „Theophrastus.“ Eines der frühesten Zeugnisse, die wir hierüber besitzen, ist ein lateinischer Brief, den er von Basel aus an seinen Freund, Dr. Christoph Klauser in Zürich, sandte, und worin er sich „Theophrast von Hohenheim“ nennt. Ebenso schreibt er sich in einem Briefe an die Studenten von Zürich, welche er warnt, nicht so in den Tag hinein zu leben; in der Widmung seiner Schrift über das Bad Pfäffers an den Abt daselbst, und noch in einer Reibe größerer und kleinerer Arbeiten. Dann drückt er sich auch selbst ganz bestimmt dahin aus, „daß er durch Taufe und Art Theophrastus heiße.“ Wenn nun über seinen Taufnamen kein Zweifel obwalten kann, so ist dieß noch weniger bei seinem Stammnamen der Fall. Er nennt seinen Vater „Wilhelmus

[p. 19]


von Hohenheim“, und in einem noch erhaltenen Briefe bezeichnet er sich als „Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus,“

 Dieser letztere Zusatz wird vielleicht nur dieses einzige Mal von Theophrastus selbst erwähnt; jedenfalls findet er sich in seinen Schriften und Briefen, ausnehmend selten vor. Dagegen ist er im Laufe der Zeit zu seiner gewöhnlichen Benennung geworden Allein unter seinen verschiedenen Mauren ist er gerade derjenige, dessen Ursprung am unklarsten ist. Viele glauben darin ein Anspielung auf den berühmten lateinischen, medicinischen Schriftsteller Celsus zu finden und behaupten, Theophrastus von Hohenheim habe sich durch jenen Ausdruck neben, ja sogar über jenen Römer setzen wollen. Allein es ist dieß im höchsten Grade unwahrscheinlich. Theophrast hielt überhaupt auf Autoritäten, auf großen alten Namen nichts; am wenigsten vielleicht auf Celsus, und zwar deßhalb, weil er denselben auch nicht ein einziges Mal in irgend einer seiner Schriften erwähnt. Andere wollen in dem Worte Paracelsus nichts anderes als nach einer in damaliger Zeit häufigen Sitte eine Uebersetzung seines Geschlechtsnamens von „Hohenheim“ sehen. Uns ebenfalls wieder wenig einleuchtend. Abgesehen von der immerhin überaus sonderbaren Uebersetzungsmanier muß dabei auffallen, daß „Theophrastus von Hohenheim“ und „Paracelsus“ neben einander gestellt sind. Wären dieselben gleichbedeutend, so wäre doch wohl das eine oder das andere weggeblieben, gerade so wie z. B. der Freund Luther’s auch nirgends unter dem Namen „Melanchthon Schwarzerd“ wird aufgeführt werden. Noch andere behaupten, sein Haus habe das hohe Nest geheißen und er davon die Benennung gewählt. Diese Behauptung steht unerwiesen da. Wenn man überhaupt nicht darauf verzichten muß, die wahre Deutung des Ausdruckes „Paracelsus“ ausfindig zu machen, so erklärt man denselben vielleicht noch am besten dadurch, daß Theophrastus von Hohenheim sich das Prädikat „celsus, erhaben“ beigelegt, sich indessen hiemit nicht begnügt, sondern sein schmückendes Beiwort noch durch die Vorsetzsilbe para gesteigert hat. Wir könnten nämlich aus Hohenheim’s Schriften verschiedene Beispiele anführen, aus denen sich in unzweifelhafter Weise der merkwürdige Gebrauch jenes Wörtchens in der Bedeutung von „sehr, überaus“ ergibt. Paracelsus wäre also demzufolge so viel als „der überaus erhabene.“ Wenn es allerdings

[p. 20]


auffallen mag, daß Jemand sich einen solchen anspruchsvollen Beinamen anmaaßt, so bemerken wir darauf, daß ein Unterfangen dieser Art ganz im Geist der damaligen Zeit, namentlich auch in dem dreisten, oft unläugbar von einer gewissen Prahlerei durchzogenen Auftreten des Arztes von Einsiedeln lag. Uebrigens kann aus diesem Namen Paracelsus für ihn selbst gerade am allerwenigsten der Anlaß zu einem Tadel gezogen werden. Wir haben nämlich bereits oben erwähnt, daß er sich diese Bezeichnung äußerst selten, ja vielleicht bloß ein einziges Mal beilegt, und man bemerke, daß er sich in jenem Briefe: „Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus nennt. Es scheint daraus hervorzugehen, daß der Name nicht von ihm, sondern von einer andern Seite, wahrscheinlich von einem begeisterten Anhänger ausgegangen sei und sich in weitern Kreisen eine gewisse Geltung zu verschaffen gewußt habe, welcher, sei es nun freiwillig oder mit Widerstreben, der Betreffende zu folgen gezwungen war. Uebrigens werden auch wir von nun an unsern merkwürdigen Landsmann nicht anders als mit diesem räthselhaften Namen bezeichnen.

 Was den Beinamen Aureolus, welchen wir nur zwei Mal ausgeschrieben finden, betrifft, so ist auch dessen Deutung schwierig. Am wahrscheinlichsten scheint er eine scherzhafte Anspielung auf eine Schrift des alten griechischen Schriftstellers Theophrastus zu sein, worin dessen Name mit einem solchen Zusatze verbunden erscheint. Paracelsus nennt sich nur selten so, und dann abgekürzt, nämlich A. oder Aur.

 Der Zusatz Bombast ist ein in dem Hohenheimischen Stammbaume herkömmlicher. Das adelige Geschlecht der Bombaste von Hohenheim lebte in Schwaben. Auch wird in der Urkunde der Stadt Villach, welche über das Ableben des Vaters unsers Paracelsus ausgefertigt wurde, als Sohn und Erbe bezeichnet: „Der Ehrenfest Hochgelert Herr Theophrastus Bombast von Hohenheim.“

 Der Name Philippus findet sich, außer in einer dem Paracelsus mit Unrecht zugeschriebenen Schrift, bloß auf seinem Leichensteine in Salzburg. Eine um so bemerkenswerthere Erscheinung, als einem Platze dieser Art eine gewisse Bedeutung und ein Anspruch auf historische Begründung zugestanden werden muß. Indessen ist es. durchaus unmöglich zu ermitteln, wie dieser Name dorthin gekommen.




 Außer diesen Namen besaß Paracelsus noch verschiedene Pseudonymen, wie Germanus, Suevus, Arpinas. Am häufigsten unter diesen, namentlich von Erasmus von Rotterdam fortwährend gebraucht, kommt vor: Einsiedler aus dem Schweizer Land (Helvetius Eremita), welcher Ausdruck übrigens nicht durch ein einsiedlerisches Leben, sondern durch seinen Geburtsort Einsiedeln zu erklären ist. In jenem Briefe an Dr. Klauser in Zürich nennt er sich ebenfalls „Einsiedler.“

 Aus dieser Reihe von Namen haben nun viele Widersacher des Paracelsus bereits den Grund zu bittern Anfechtungen seines persönlichen Charakters geschöpft. Sie wähnen zur Schilderung des Mannes keiner weitern Auseinandersetzung zu bedürfen, als daß sie jenen Reichthum von Namen entfalten und mit der Behauptung schließen, es offenbare sich hierin schon das ganze marktschreierische, mit eitelm Flitter sich putzende Wesen dessen, der sich unter einer solchen Hülle habe der Welt produciren dürfen. Und in der That, wir verargen keinem unserer Leser das leise Lächeln, das um seine Lippen spielte, wie er zuerst vernommen, daß der angekündigte Luther der Medicin „Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim“ heiße. Namen erscheinen überhaupt als ein so werthloser Tand, daß Prunken mit derlei Dingen im hohen Grade läppisch und lächerlich vorkommt. Allein prüfen wir den vorliegenden Fall genauer! Zuerst lag eine solche Vermehrung der Namen im Charakter des Mittelalters. Namentlich war es zur Zeit der Reformation etwas ganz gewöhnliches, daß sich Gelehrte lateinische, griechische, überhaupt volltönende Namen beilegten. Pseudonymen, welche abwechselnd gebraucht wurden, kamen sehr oft vor; Calvin z. B. besaß deren nicht weniger als sieben. Vor allem ist nun aber zur Rechtfertigung des Paracelsus geltend zu wachen, daß er sich nicht ein einziges Mal mit allen jenen sechs Namen schreibt, und nicht nur das, sondern es führt ihn auch keiner seiner Zeitgenossen, ja kein bald nach ihm lebender Schriftsteller mit diesem Namengefolge an. Vielmehr ist dasselbe als ein Werk des Hasses, des Hohnes und der Verläumdung zu betrachten, welche sich erst in späterer Zeit darin gefielen, den gefeierten Arzt von Einsiedeln durch eine solche Zusammenstellung bereits in äußerlicher Beziehung lächerlich zu machen und ihn aus diese

[p. 22]


Weise von vornehmem als einen gewöhnlichen Wunderdoktor darzustellen. Laffen Sie uns übrigens, werthe Kollegen, in jeder Beziehung gerecht und aufrichtig sein! Ich bitte Sie, irgend ein medicinisches Werk, namentlich eines z. B. aus der Berliner Schule, von Ihrem Büchergestelle herunterzulangen, den Titel aufzuklappen und nachzusehen, welche Beisätze dem Namen des Verfassers angeschlossen sind? Wenn wir hier nun von einem schwarzen, einem rothen Adlerorden, 1., 2., 3. Klasse, mit oder ohne Schleife, mit oder ohne Laub, u. s. w. lesen, glauben Sie auch noch, daß unserm rationellen 19. Jahrhundert das Recht zukomme, mit stolzem Selbstgefühle ein Zeitalter zu bemitleiden, in welchem sich ein Arzt „Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim“ nennen durfte. Abgesehen davon, daß Paracelsus sich nirgends mit allen diesen mittelalterlichen Schleifen und Orden schmückt, thut die moderne deutsche Medicin sicherlich am klügsten, über diesen Punkt jedes Hohnlächeln zu unterdrücken und in aller Stille sich einem sichereren Gebiete zuzuwenden.

 Der Vater des jungen Paracelsus zog im Jahre 1502 nach der Stadt Villach in Kärnthen, wo er 1534 als angesehener Arzt und Bürger starb. Schon in früher Jugend genoß Paracelsus den Unterricht seines Vaters, der eine nach damaligen Begriffen recht hübsche Bibliothek besaß und welcher seinen Sohn in den Anfangsgründen der Medicin, Wundarzneikunst und Alchemie unterrichtete. Dieser Mann ist überhaupt die einzige Autorität, dessen Paracelsus mit Anerkennung und Unterwürfigkeit gedenkt. Mit kindlicher Dankbarkeit erinnerte er sich desselben fortwährend und rühmte sich keines Menschen, als nur dessen, der ihn erzeugt und in seiner Jugend auferzogen hatte. Nach einiger Zeit übergab Wilhelm Bombast von Hohenheim seinen einzigen Knaben dem Unterrichte verschiedener Klostergeistlichen, besonders demjenigen des gelehrten Bischofs Eberhart Paumgartner von Lavant im Kloster S. Andrä im Laronthale in Kärnthen und des Matthäus von Scheidt zu Seckau. Im 16. Lebensjahre bezog Paracelsus die Universität Basel. Ob er übrigens seine medicinischen Studien nach dem regelmäßigen akademischen Gange verfolgt, ob er nicht vielmehr schon bald nach Beginn derselben einen Widerwillen gegen die ganze damalige Lehrmethode gefaßt und sich

[p. 23]


eine eigene Bahn geschaffen habe, dafür bieten sich uns zwar keine historische Beweise dar; allein die Lösung jener Fragen kann kaum zweifelhaft sein. Wenigstens sind seine Worte „ich bin in dem Garten erzogen, da man die Bäume verstümmelt“ gerade nicht das glänzendste Zeugniß eines dankbaren Schülers und wir finden ihn auch bald nach seiner Ankunft in Basel wieder von dieser Stadt entfernt, in der Lehre bei dem berühmten Alchymisten, Johannes Trithemius, damals Abt zu Sponheim, nachher zu Würzburg, und etwas später benutzte Paracelsus das Laboratorium des reichen und als Chemiker weit und breit berühmten Siegmund von Fugger zu Schwatz in Tirol, von welchem der junge Schweizerarzt sehr viel lernte. Der Ungestüm der Jugend und eine unermüdliche Wißbegierde ließen ihn übrigens in kurzer Zeit auch die gefeierte Fugger’sche Goldküche wieder verlassen und trieben ihn an, sich in ein unstätes Wanderleben hineinzuwerfen, über welches genaue Berichte mangeln. Er durchzog einen großen Theil von Europa, besuchte namentlich die berühmtesten Universitäten und erwarb sich auf irgend einer derselben den Doktorgrad. Ebenso erweiterte er in den merkwürdigsten Bergwerken, wie im Erzgebirge, in Schweden u. s. f. seine Kenntnisse der Metalle. Er selbst nennt Spanien, Portugal, Preußen, Polen, Siebenbürgen, Ungarn und Kroatien als die Länder, welche er durchreist, und erwähnt an einer andern Stelle „einer edelen Fraw zu Stockholma in Dänemark“, welche ihn die Zubereitung eines schmerzstillenden Wundwassers gelehrt habe. Angeblich soll er auch Asien und Afrika durchwandert haben: allein dieser Behauptung widerspricht er selber. Dagegen gieng er von Schweden aus in Gesellschaft eines tartarischen Fürsten durch Rußland über Moskau nach Konstantinopel. Auf diesen mannigfaltigen Kreuz- und Querzügen bereicherte er sein Wissen nicht bloß durch den Umgang mit den gebildeten Ständen, sondern er suchte seine Kenntniß der Natur und des Menschen vorzugsweise durch den Verkehr mit alten Weibern, Scharfrichtern, Schäfern, Juden, Badern, Fuhrleuten, Zigeunern u. s. f. nach allen Richtungen hin zu vervollständigen. Man sah ihn daher nicht selten sich in Gesellschaft solcher Leute auf den Landstraßen und in den Wirthshäusern herumtreiben, ein Umstand, welcher von seinen Gegnern zu den bittersten und ungerechtesten Verunglimpfungen benutzt wurde.


[p. 24]


 Nach 10 jähriger Abwesenheit in einem Alter von 32 Jahren, erschien Paracelsus wieder in Deutschland und wußte sich durch eine Reihe glücklicher Kuren bald einen berühmten Namen zu verschaffen. Wahrscheinlich, wenigstens nach den Zeugnissen von Konrad Geßner u. A., ließ er sich bereits im Jahre 1525 als praktischer Arzt zu Basel nieder. Soviel steht fest, daß er sich in einer im Jahr 1526 verfaßten Schrift „Doktor beider Zweige der Medicin und Arzt zu Basel“ nennt. Der Ruf seines Namens und seiner ärztlichen Geschicklichkeit, vorzüglich aber die Empfehlung des gelehrten Oekolampadius erwarben ihm im Jahre 1527 die Stelle eines Professors an der Universität Basel mit einem ansehnlichen Gehalte.

 Die hohe Schule zu Basel war damals eine der angesehensten gelehrten Anstalten und es herrschte in der Stadt überhaupt ein reges, geistiges Leben. Während nämlich früherhin in Basel nur religiöse Uebungen, von den Wissenschaften nur Grammatik und Dialektik getrieben worden wären, hatte die Gründung der Universität im Jahre 1460 und die Aufnahme Basels in den eidsgenössischen Bund im Jahre 1501 hierin eine große Veränderung hervorgerufen. Den gewaltigsten Umschwung brachte aber das Jahr 1520 mit seiner Reformation der Kirche zu Stande. In Basel hatten sich seit dem Anfange des 16. Jahrhunderts eine Menge tüchtiger und aufgeklärter Männer vereinigt, zu welchen von dem genannten Jahre an nun vorzüglich solche hinzukamen, welche hier einen Zufluchtsort gegen den Zwang suchten, welchen man anderswo der freien Aeußerung ihrer Ueberzeugung auferlegen wollte. Aus der großen Anzahl solcher, oft ausgezeichneter Flüchtlinge heben wir einzig den uns bekanntesten hervor, Ulrich von Hutten, welchem Basel im Jahre 1522 freilich nur für kurze Zeit eine Freistätte bot. Diese Revolution in ihrer gesummten geistigen Thätigkeit verdankte die Stadt hauptsächlich zwei Männern, dem so eben erwähnten Oekolampadius und dem Erasmus von Rotterdam. Zwar war das Wirken dieser beiden großen Gelehrten zunächst kein gemeinsames, weder in der Art, wie sie zu Werke giengen, noch in dem Ziele, welches sie sich vorsteckten; denn während Oekolampadius im Verein mit Zwingli die kirchliche Reformation schuf, ist dagegen Erasmus als Reformator auf dem klassischphilologischen Gebiete zu betrachten. Allein es wird Niemand

[p. 25]


läugnen können, daß diese beiden Revolutionen aus einem gleichen Bedürfnisse, aus der gleichen mächtigen Aufforderung, aus der gleichen, nicht mehr abzuweisenden Nothwendigkeit entsprungen sind, Fesseln zu sprengen, welche die religiöse Ueberzeugung und die wissenschaftliche Forschung während langer Jahrhunderte gefangen gehalten hatten. In dieser Beziehung trafen die Bahnen, welche Oekolampadius und Erasmus verfolgten, an einem gemeinsamen Ziele zusammen und ihr Wirken war ein sich gegenseitig unterstützendes und förderndes. Ein Gebiet lag übrigens noch da, auf welchem seit vielleicht noch längerer Zeit der gleiche drückende Zauber lastete und auf welchem ebenso dringend als dort ein Helfer Noth that. Wir meinen das Gebiet der Naturwissenschaften. Auch hier mußte eine neue Bahn gebrochen, von einem freien, kühnen Geiste eine durchgreifende Revolution gewagt werden. Es ward nun zwar dieselbe erst ungefähr 100 Jahre später von dem unsterblichen Brüten, Franz Baco, Lord von Verulam, in umfassender Weise bewirkt. Allein wenigstens für einen Zweig der Naturwissenschaften, nämlich für die Heilkunde, fand sich bereits jetzt schon ein Regenerator, und zwar ein Regenerator, der seinen Acker mit dem nämlichen unverdrossenen Eifer, mit der nämlichen Kühnheit und Genialität, aber auch mit dem nämlichen Erfolge umgepflügt und mit neuem und reinem Samen besäet hat, wie die kirchlichen Reformatoren. Daß dieser Reformator der Heilkunde nicht des gleichen gefeierten Namens genießt, wie seine großen religiösen Mitkämpfer im Revolutionswerke, ist begreiflich genug. Die Interessen, welche er Vertrat, greifen bei weitem nicht so tief, finden nicht in jeder menschlichen Brust solch mächtigen Anklang und sind überhaupt nicht so hoher und heiliger Art, als diejenigen, welchen ein Luther und ein Zwingli ihr Leben weihten.

 Jener Reformator der Medicin ist unser großer Arzt von Einsiedeln, Theophrastus Paracelsus von Hohenheim.. Der Umstand, daß ihm Oekolampadius die Stelle an der Universität Basel verschaffte, läßt annehmen, daß derselbe in Paracelsus einen ihm verwandten Geist und ein dem seinen entsprechendes Streben entdeckt hatte. So finden wir also merkwürdiger Weise in Basel ein Triumvirat von Männern beisammen, von denen jeder nach einer bestimmten Richtung hin an einer großartigen Umwälzung ar-

[p. 26]


beitete, welche in Hinsicht auf welthistorische Bedeutung zwar verschieden, in der Idee aber die gleiche war. Hiebei dürfen wir nicht verschweigen, daß wenigstens in einer Beziehung einem unbefangenen Beobachter die Thätigkeit eines Paracelsus großartiger erscheint, als diejenige seiner beiden andern Kollegen. Während nämlich die kirchliche Reformation außerhalb Basel von drei Heroen voll wunderbarer Kraft in’s Werk gesetzt wurde, so daß Oekolampadius neben denselben nur als unbedeutender Mitstreiter erscheint, während auch Erasmus von Rotterdam in andern Gegenden der Schweiz und von Deutschland gleichgesinnte und mächtige Unterstützung fand, stand Paracelsus von Hohenheim nicht bloß in Basel, sondern überhaupt vollkommen vereinzelt da und mußte den ihm zugefallenen Theil des Reformationswerkes ohne die geringste anderweitige Hülfe, ganz aus eigenem Genie und aus eigener Thätigkeit vollführen. Freilich hat er sich deßhalb auch in den unvergänglichen Ruhm des glücklichen Ausganges seines Unternehmens mit Niemand anderm zu theilen.

 Folgende Stelle mag als Beweis dienen, daß wir ihn mit Fug und Recht als eine verwandte, ebenbürtige Erscheinung neben jene Glaubenshelden haben stellen dürfen. Wie sich diese „Liebhaber der Wahrheit“ nannten, so beurkundet sich bei unserm Arzte auch die nämliche Liebe zur Wahrheit und Unabhängigkeit von jeder Autorität in den Worten: „Dieweil kein Evangelium in der Arznei bisher beschrieben ist, sollte die Wahrheit weiter zu suchen nicht verboten sein. Die Arzney ist gerichtet in die Welt, gleich einem Schiff auf dem Meere, das keine bleibende Statt hat, sondern durch den Schiffmann geführt, nach dem was begegnet, nicht nach dem gestrigen Wind, sondern nach dem heutigen. Die Ungerechten haben ihren Grund gesetzt, daß weiter nichts möge gefunden werden, denn was gefunden ist; die Gerechten aber suchen sie für und für und wollen ihre Kunst bessern. Es ist freventlich, ein Neues aufzubringen und das Alte zu verwerfen; so aber Billigkeit da ist, warum sollte es dann nicht geschehen?“ —

 Am 5. Junius 1527 kündigte Paracelsus durch ein kurzes lateinisches Programm an, „daß er gesonnen sei, zwei Stunden täglich“, seine eigenen Bücher über Medicin, Chirurgie und Physik zu erklären, um die Erkenntniß und Kur der Krankheiten den Wißbegierigen

[p. 27]


einzuprägen, und zwar in guter alter Weise, Ohne Beachtung fremder Autoritäten, so wie die Natur selbst es gut heiße und er es durch Natur und Erfahrung gebilligt habe.“ Seine Vorträge verbreiteten sich über fast alle Theile der Medicin und mehrere ihrer Hülfsfächer und bestanden keineswegs aus bloßen Commentaren zu Galen, worauf sich das ganze Wissen und Wirken der damaligen Professoren seines Faches beschränkte, sondern, was Paracelsus vortrug, war im eigentlichen Ginn des Worts seine eigene, von ihm der Natur entnommene und durch Pein Nachdenken entwickelte Wissenschaft. Zunächst trug er die Lehre von den Wunden, von der Gelbsucht, die Beurtheilung des Urins, des Pulses und der Physiognomie vor und reihte daran die Behandlung von weitem 14 Krankheiten. Der Beifall, unter welchem er sein Professoramt begann, steigerte sich bald zur Bewunderung und unter seinen Zuhörern befanden sich Viele, welche bereits seit langer Zeit die Schülerbänke verlassen hatten und weit in die Tiefen der Wissenschaft eingedrungen waren Neben ihrem reellen Gehalt verdankten die Lehrvorträge des Paracelsus den allgemeinen und außerordentlichen Beifall, deren sie sich zu erfreuen hatten, auch noch dem äußerlichen Umstande, daß unser dreister Neuerer dieselben in deutscher Sprache hielt. Dieß war ein unerhörtes Unterfangen, das sogleich das größte Aufsehen erregte. Es bildete dieß schon in formeller Beziehung eine Kriegserklärung an den alten Schulzwang und die herkömmliche Ueberlieferung, gegen welche Paracelsus mit allen Waffen zu Felde zog. Dabei gewann er zugleich noch, das seine Ansichten sich in einem ungleich größern Kreise verbreiten und mehr Anhänger finden konnten, als wenn er sich der lateinischen Sprache bedient hätte.

 Noch in einer andern, gleichsam symbolischen Weise sagte er sich gleich mit Uebernahme seiner Professur von dem allgewaltigen herrschenden Systeme los. Er schleuderte demselben nämlich dadurch den Handschuh hin, daß er vor einer großen Versammlung feierlichst die Werke des Avicenna verbrannte. Avicenna ist Hiebei als gleichbedeutend mit Galen aufzufassen, indem er nämlich der berühmteste unter den arabischen Aerzten und zu gleicher Zeit derjenige ist, dessen Werke nichts anders als eine Uebersetzung und als ein Wiederhall des Papstes von Pergamus sind. Aus den Händen Avicenna’s empfieng das

[p. 28]


ganze Mittelalter den alten Galen gleichsam in einer neuen, mit orientalischen Schnörkeln aufgestutzten Auflage. Paracelsus selbst erwähnt jenes Ereigniß mit den Worten: „Ich hab die Summa der Bücher in Sankt Johannis Feuer geworfen, auf daß alles Unglück mit dem Rauch inn Lufft gang;“ und ein Zeitgenosse berichtet darüber: „derselbige lehret zu Basel, als der Religion Zwietracht der Hohen Schul wesen schon zerstöret hat, in deutscher Sprach, auff sein Manier offentlich die Arznei, der Galenischen gantz widersinnig, darumb er auch den Avicennam, ein alten Scribenten, in der Universität verbrennet haben soll.“ Er achtete aber auf keine weitern Rücksichten als die, seine Zuhörer ihrer eigenen freien Urtheilskraft zurückzugeben und ihnen möglichst jedes mechanische Nachbeten abzugewöhnen. „Was ist Höheres, ruft er aus, an einem Auditore und Discipulo dann daß er in einer weichen Schalen liege, die da nicht erherte, bis er seiner Disziplin gewachsene Flügel erlangt hab’ und alsdann der Ruthen entrinne? Ehrlich und löblich ist es dann solchen, daß sie die Alten aus den Nestern stoßen. Denn Kunst und Weisheit, Zucht und Liebe sollen alle Stunden erhoben werden über ihren Meister und auswachsen wie die junge Buche, die durch ihr Aufwachsen den alten Buchen ihr Lob nimmt.“ „Der Arzt soll einen andern Grund suchen zu heylen und nicht wie die alten auf einer Leiren geiget haben, derselbigen nachdantzen.“

 Indessen beschränkte sich seine Thätigkeit nicht bloß auf seinen Lehrstuhl, sondern griff auch vielseitig in das Leben ein und seine Theorie machte er selbst zur Praxis. Sein Motto: „Lehren und nicht Thun, das ist klein, Lehren und Thun, das ist groß und gantz“ konnte er namentlich in seiner Stellung als Stadtarzt, welches Amt ihm gleichzeitig mit der Professur verliehen worden war, in hinlängliche Ausführung bringen. Als solcher machte er beim Magistrate den Antrag, die Apotheken einer Untersuchung unterwerfen zu dürfen, ob die Apotheker ihre Kunst verständen, gehörigen Vorrath an den nöthigen Mitteln hätten und für ihre Waaren nicht einen ungebührlichen Preis forderten. In einem Briefe an den Stadtrath von Basel drückt er sich darüber folgendermaaßen aus: „Dieweil ich von Euer Gnaden bestellt, weiß ich mich pflichtig, all Mängel und gebrechen, so nachteilig seyn, anzuzeigen. Daß ich dann auch wissen

[p. 29]


mög, dieselbigen Apotheker kein heimlich Pact mit etlichen Doktoren und Ärzten haben; daß sie ihrer Apotecken zu tag Und nacht treulich warten: demnach ihre Apotecken visitiren, ob sie deren, wie sichs gebürt, gerüst und versehen seyn, Arm und Reich in ziemlichen Tax ihrer waaren unüberschätzt zu halten. Dann es sich viel begibt, daß Doktor und Apotheker Pact und geding mit einander machen. Die Apotheker spielen gar gerne den Arzt, da doch derjenige, welcher einen Fisch sieden kann, kein Fischer, und der, welcher Wein trinken möge, kein Rebmann sey.“ Durch rücksichtslose Befolgung dieser Grundsätze zog er sich natürlich den Haß der Apotheker zu. Die Aerzte brachte er namentlich durch seine ungemein einfache Receptirmethode wider sich auf und aus seinen Grundsätzen, welche er über diesen Punkt ohne Hehl äußerte („der Arzt sey verständig, erfahren und nicht allein ein Scribent der Recepten.“ „Je länger geschrifft, je kleiner der Verstand, je länger die Recepte, je weniger tugendt.“ „Ihr sollen euch nit verwundern lassen, daß ich so kurtze Recept setz oder mach. Dann ursachen: was mehr darzu käm, wäre eine verderbung der Artzney), erwuchsen ihm die vielfachsten Anfeindungen. Seine Kollegen im Professoramt hatten sich seiner Anstellung aufs hartnäckigste widersetzt, weil sie über dieselbe nicht um ihre Meinung befragt worden waren, und, eifersüchtig auf seinen wachsenden Ruhm, schrieen sie ihn als einen herzugelaufenen Landstreicher aus, von dem man nicht wisse, woher er komme und ob er wirklich Doktor sei. Diese üble Stimmung bei seinen Amtsbrüdern steigerte sich je länger je mehr, besonders nach einer Kur, welche Paracelsus bei dem Buchdrucker Johann Froben, dem Freunde des Erasmus und vieler anderer Gelehrten, verrichtete. Froben war von einer bedeutenden Höhe herabgestürzt und bekam einige Zeit darauf die heftigsten Schmerzen im rechten Fuße. Es fehlte nicht an Aerzten, welche aus eine Amputation drangen. Allein Paracelsus verschaffte ihm durch ein Opiummittel Schlaf und stellte ihn überhaupt so weit wieder her, daß jener zwei Mal zu Pferd nach Frankfurt reifen konnte. Ueberhaupt erwarb gerade dieses in seiner nähern Zusammensetzung unbekannt gebliebene Opiat unserm genialen Heilkünstler einen so großen Ruf, daß er weithin in der Umgegend bis in das Elsaß als ein „zweiter Aeskulap „ angesehen ward. Nachdem der Neid

[p. 30]


und Haß seiner Kollegen ihm bereits seit längerer Zeit den Aufenthalt zu Basel verleidet hatten, gab endlich der Streit mit einem gewissen Domherrn Cornelius von Lichtenfels die Veranlassung zu seinem Abgänge von dieser Stadt. Dieser hatte nämlich dem Paracelsus für seine Heilung vom Magenweh, woran ihn bereits alle übrigen Aerzte erfolglos behandelt, 100 Gulden versprochen, weigerte sich aber, da die Heilung bereits nach 3 Opiumpillen eintrat, sein Versprechen zu halten. Paracelsus klagte. Der Urtheilsspruch lautete, daß der Kanonikus nur nach der gewöhnlichen Medicinaltare zu zahlen habe, was in diesem Falle 6 Gulden ausmachte. Darüber ward dessen Arzt so empört, daß er öffentlich gegen den Magistrat Schimpfworte ausstieß und — was wohl auf eine Schmähschrift schließen läßt — „böse Zeddel fliegen ließ“, in Folge welcher Zornäußerungen er es für das Gerathenste hielt, Basel heimlich zu verlassen und sich nach dem Elsaß zu flüchten. Höchst wahrscheinlich kam ihn bei seinem unruhigen Naturell dieser Wechsel seines Wohnplatzes nicht schwer an. Wenigstens bezog er von nun an bis zu seinem Tode keinen festen Aufenthalt mehr, sondern führte ein wahrhaftes Nomadenleben. Wann Paracelsus Basel verlassen, läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Aus dem Umfange seines dortigen Wirkens läßt sich indessen annehmen, daß er dort immerhin zwei bis drei Jahre gelebt habe und somit ungefähr im Jahre 1528 oder 1529 fortgezogen sei.

 Mit unverhohlener Freude warf sich nunmehr der große medicinische Reformator wieder in jenes unstäte Wanderleben hinein, welches er in seinen jüngern Jahren geführt hatte und welches nur durch die verhältnißmäßig ruhige und solide Episode seines Basler Aufenthaltes unterbrochen worden war. Wie damals als Jüngling, so trieb er sich jetzt als Mann auf besuchten Heerstraßen wie auf einsamen Fußpfaden, in volkreichen Städten wie in abgelegenen Weilern herum, und ihn, der noch kurz vorher das gebildetste Publikum von Basel und andern Städten an seine Kanzelvorträge gefesselt gehalten hatte, sah man jetzt wieder mit Schäfern, Zigeunern und Kärrnern verkehren, in welchem Vereine Paracelsus öfterer die Rolle des Schülers, als diejenige des Lehrers, jedenfalls immer diejenige des aufmerksamen Beobachters spielte. Mag sich diese seine herumziehende Lebensart großentheils durch seinen unstäten und unbefriedigten Gemüthszustand, durch seine

[p. 31]


ganz eigenthümliche Individualität erklären, so hat man sich über ein solches Wanderleben in der damaligen Zeit bei weitem nicht in dem Grade zu verwundern, wie ein solches uns heutzutage allerdings auffallend erschiene. Wir finden damals manche der berühmtesten Männer fast immer unterwegs, ohne bleibende Stätte, wenn auch nicht gerade in der Umgebung, welche Paracelsus vorzugsweise aufsuchte und aus welcher er für seinen ganz speziellen, jenen andern, wie z. B. dem Erasmus, fern liegenden Zweck der Erforschung der Natur den reichsten Gewinn zog. Die Verbindungsmittel zwischen den einzelnen Städten und Ländern waren damals zu dürftig, als daß nicht nothwendigerweise Jemand, dem darum zu thun war, die anderwärtigen Fortschritte in Kunst und Wissenschaft kennen zu lernen, diesen Zweck einzig und allein durch Reisen von Land zu Land und durch sein persönliches Erscheinen an den verschiedenen Stellen zu erreichen suchen mußte.

 Trefflich spricht sich mit seiner gewohnten Eigenthümlichkeit Paracelsus selbst in folgender Weise über diesen Punkt aus: „Die Kunst gehet keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden: Darumb hab ich füg und verstand, daß ich sie suchen muß, und sie mich nit. Ich hab etwan gehört, daß ein Arzt soll ein Landfarer seyn: dieses gefelt mir zum besten wol, denn Ursach: die Krankheiten wandern hin und her, so weit die Welt ist, und bleiben nicht an einem ort. Will einer viel Krankheiten erkennen, so wander er auch: Wandert er weit, so erfert er viel, und lehrnet viel erkennen. Die englischen Humores sind nit ungarische, noch die neapolitanischen preußisch — darumb mußst du dahin ziehen, wo sie sind. Gibt wandern nicht mehr verstand, dann hinderm Ofen fitzen? Also acht ich, daß ich mein wandern billich verbracht, hab mir ein lob und kein schand zu seyn. Denn das will ich bezeugen mit der Natur: Der sie durchforschen wil, der muß mit den Füßen jhre Bücher tretten. Die gschrifft wird erforschet durch ihre Buchstaben, die Natur aber durch landt zu landt, als offt ein Landt als oft ein Blat. Also ist Codex Naturae, also muß man ihre Bletter umbkeren.“

 Die zweite Reiseepoche im Leben des Paracelsus stimmt mit der ersteren darin überein, daß wir ebenfalls keine nähern historischen Angaben über sie besitzen. Nur aus einzelnen Stellen in den Vor-

[p. 32]


reden zu verschiedenen seiner Werke und aus sonstigen spärlichen Notizen kann man einige seiner zeitweiligen Wohnplätze kennen lernen. Mein dazwischen hinein fallen wieder ganze Jahre, über welche jeglicher Bericht mangelt. So finden wir ihn z. B. im Jahre 1529 in Kolmar im Elsaß, in Nürnberg, München, Regensburg, Meran. Bis 1535 wissen wir beinahe nichts von ihm. Doch steht so viel fest, daß er diese Jahre fast ausschließlich in der Schweiz verlebte und zwar den größten Theil davon, wenigstens die letzten drei Jahre, in und um Zürich. Auch in St. Gallen hielt er sich geraume Zeit auf und damit hängen wahrscheinlich jene oben erwähnten Dokumente zusammen. Im genannten Jahre erscheint er in dem damals schon berühmten Bad Pfäffers.

 In diesem Jahre verfaßte er sein „Consilium für den Stadtschreiber Adam Reißner zu Mindelheim“, um ihn von langwierigen rheumatischen Leiden zu befreien. Diesem Rathe fügte er die Bemerkung bei: er bedürfe nun für 6 Jahre keines weitern Rathes. Der Erfolg bestätigte diese kühne Prophezeiung vollständig. Denn der Stadtschreiber, früher beständig krank, wurde ganz gesund und erreichte ein Alter von 70 Jahren. Im Jahr 1536 ist er in Augsburg; 1537 zu Kromau in Mähren und in Wien. 1538 wieder in Augsburg und in Meran im Tirol. Aus diesen kargen Daten läßt sich wenigstens so viel entnehmen, daß diese zweite Wanderungsperiode zu ihrer Bühne bei weitem nicht eine Strecke von dem Umfange gewählt hat, wie die erste. Während diese nämlich durch den weiten Halbkreis von Lissabon, Stockholm, Moskau und Konstantinopel begränzt war, scheint Paracelsus seine Streifzüge als Mann ausschließlich auf die Schweiz und die deutschen Lande beschränkt zu haben. Roch eine zweite Eigenthümlichkeit unterscheidet dieses zweite Stadium von dem ersten. Als Jüngling hatte nämlich Paracelsus seine Reisen allein zurückgelegt. Wenigstens berechtigt uns nichts zu der Annahme, daß er bereits damals von einem Gefolge von Schülern begleitet gewesen sei. Dagegen schloß sich ihm auf seinem Herumschweifen vom Jahre 1529 an nunmehr allerdings ein solches bei. Es bestand dasselbe aus einer oft sehr zahlreichen Schaar von Schülern, welche übrigens zu diesem Begleite weniger von Wißbegierde, als von Eigennutz angetrieben worden waren. Der weitverbreitete Ruf, den

[p. 33]


Paracelsus genoß, seine seltenen Kenntnisse in der Lehre von den Metallen, die Reihe seiner glänzenden Kuren und seine ganze befremdende Persönlichkeit hatten nämlich das Publikum auf die Ueberzeugung gebracht, er befinde sich im Besitze eines Universalheilmittels oder des sogenannten Steins der Weisen. Um ihm diese vermeinten geheimen Künste abzulernen und dieselben dann zum eigenen Vortheile auszubeuten, schlossen sich ihm auf seinen Zügen eine Menge von Jüngern an, welche, in kurzer Zeit enttäuscht, ihren Meister wieder verließen und andern Platz machten, die ihrerseits im Ablauschen gewandter und glücklicher zu sein hofften. Nun gibt es nicht leicht ein peinlicheres Gefühl, als dasjenige der Enttäuschung; und, hatte der Hoffnung eine eigennützige Absicht, also ein unedles Motiv zu Grunde gelegen, so pflegt auch die äußerliche Kundgebung der erfahrenen Enttäuschung in der Regel eine unedle zu sein. So sind wir bei einer der Hauptquellen der vielfachen Verunglimpfungen und Verunstaltungen angelangt, welche der Charakter des Paracelsus erfahren hat. Es giengen dieselben nämlich von dessen eigenen Schülern aus, welche ihrer Wuth, ihre Träume von goldenen Bergen vernichtet zu sehen, in bittern Anfeindungen und Verläumdungen des großen Mannes Lust machten.

 Der bekannteste unter diesen Anhängern ist Johannes Oporinus, der mehr, als 3 Jahre dem Arzte von Einsiedeln als Diener und als Schreiber bei seinen literarischen Arbeiten folgte und ihn dann aus jenen Gründen verließ. Er wurde später Buchdrucker und Professor der griechischen Sprache zu Basel, erwarb sich einen allgemein bekannten Namen und urtheilte in dieser Stellung mit der größten Härte und Undankbarkeit über seinen ehemaligen Wohlthäter. Von ihm rührt namentlich die Schilderung des Paracelsus als eines Trunkenboldes her. Erst, nachdem derselbe gestorben, legte Oporinus eine große Verehrung für ihn an den Tag und. sprach seine tiefe Reue über sein früheres Benehmen aus.

 Wie klar Paracelsus die unreinen Absichten, die Treulosigkeit und Nichtswürdigkeit seiner Schüler durchschaut hat, spricht sich in seinen folgenden Worten aus: „Dieselben hatten ihm die Federn vom Rock gelesen, Urin aufgewärmt, gerietst und gelächelt, wie ein Hündlein um ihn herumgestrichen und ihm angehangen. Dieß konnten nur

[p. 34]


Erzschelme sein.“ — „Was ich von Aerzten geboren habe: aus den Hunderten von Pannonia, syn zween wohlgerathen: aus der Confyn (Nachbarschaft) Poloniä drey: aus den Regionen der Garen zween, aus den Slavonien einer: aus Bohemien einer, aus dem Niederland einer, aus Schwaben keiner. Wiewohl in einem jeglichen Geschlecht große Zahlen gewesen sind. Ein jeglicher hat meine Lehre nach seinem Kopfe gesattelt: einer fahrt mir’s in einen Mißbrauch zu seinem Seckel: ein anderer zeucht’s ihm in seine Hoffart, aber ein anderer glossirts und emendirts, und im Fürlegen für mich warens erstunkene Lügen.“ —

 1540 gieng Paracelsus nach Mindelheim und erreichte bald darauf das Ende seines unruhigen, thätigen und folgenreichen Lebenslaufes. Dieß geschah nämlich bereits im nächsten Jahre und zwar zu Salzburg. Hier regierte seit 1540 der wissenschaftlich gebildete Erzbischof Ernst, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Baiern, ein wissenschaftlich gebildeter Mann, namentlich ein Verehrer der Astrologie und der Naturwissenschaften, und es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser großmüthige Fürst unsern unstäten Landsmann nach jener Stadt, seiner Residenz, berufen hat. Allein nicht lange genoß hier Paracelsus der Früchte seiner unsäglichen Arbeiten und Mühen, aber auch seines wohlverdienten Ruhmes. Er erkrankte zu Salzburg im September 1541. Am 21. desselben Monats machte er sein (noch vorhandenes) Testament und starb hierauf am 24., 48 Jahre alt, in einem kleinen Stübchen des Wirthshauses „zum weißen Roß“ am Quai. Er wurde auf dem Kirchhofe von S. Sebastian beim Bruderhause begraben und erhielt einen Grabstein aus rothem Marmor und mit einer seine Verdienste sehr anerkennenden Inschrift in lateinischer Sprache („er habe Wassersucht, Podagra und andere unheilbare Leiden mit wunderbarer Kunst geheilt u. s. f.“). Bei einer spätern Ausbesserung der Kirche wurden seine Gebeine im Jahre 1752 wieder ausgegraben und an einem ehrenvollem Orte in der Vorhalle der Kirche beigesetzt. Gleichzeitig erbaute man über ihnen eine Pyramide aus weißem Marmor, worauf die Inschrift der ursprünglichen Grabplatte, fromme Sprüche und sein Wappenschild (Querbalken von Silber, worauf drei schwarze Kugeln gereiht sind) eingegraben wurden.


[p. 35]


 Ueber die Art seines Todes herrscht noch vollkommenes Dunkel, welches sich nicht leicht wird aufhellen lassen. Am wahrscheinlichsten erfolgte sein früher Hinschied in Folge unausgesetzer, übermäßiger geistiger Anstrengung. Dabei kann nicht geläugnet werden, daß sein unregelmäßiges Leben, namentlich seine Liebe zum Trunke, in bedeutendem Grade dazu mitgewirkt haben werden. Andere lassen ihn an Gift gestorben sein, wofür keine historischen Beweise vorliegen. Dagegen war bereits zur Zeit seines Todes die Ansicht, daß Paracelsus durch Meuchelmord umgekommen, sehr verbreitet. Merkwürdiger Weise schien dieselbe in neuerer Zeit eine gewichtige Bestätigung in der Entdeckung des berühmten Anatomen Sömmering gefunden zu haben, welcher im Jahr 1812 an dem noch vorhandenen und durch seine eigenthümliche Bildungsform ausgezeichneten Schädel unsers großen Landsmannes einen Sprung wahrnahm, welcher sich durch eigen großen Theil der linken Hälfte des Kopfes zieht und seit seiner Auffindung, durch das beständige Untersuchen vergrößert, nunmehr für Jedermann sichtbar geworden ist. Diese Auffindung eines Knochenbruches erhält dadurch eine große Bedeutung, daß für eine solche Verletzung die Art und Weise des Meuchelmordes, welcher an Paracelsus verübt worden sein soll, spricht. Ueber diese wird uns nämlich in einer ungefähr 100 Jahre nach seinem Tode zu seinem Andenken erschienenen Schrift folgendes berichtet: „Paracelsus war neben andern Doktoribus nebst seinen heimlichen Widersachern auf einem Gastgebot gewesen, daselbst ward er von der Doktoren Diener und andern auf ihn bestellten Sicariis ergriffen, von einer Höhe abgekürzt und ihm also der Hals gebrochen worden; denn auf keine andere Weise hat man ihm sonst beikommen können. Hatte also der selige Mann eines plötzlichen, unversehenen und erbärmlichen Todes mit gesundem Herzen sterben müssen.“ Wahrscheinlich ist indessen der unter diesem Namen aufbewahrte und vorgezeigte Schädel des Paracelsus unächt und untergeschoben, und für eine unzweifelhafte Konstatirung dieser Veranlaßung seines Todes gehen uns authentische Zeugnisse vollständig ab.

 Wenn das Testament, welches noch erhalten und neuerdings abgedruckt worden ist, wirklich das ächte paracelsische ist, so weist dasselbe zwar keinen besondern Segen von Glücksgütern nach, schließt

[p. 36]


indessen, vom Standpunkte der damaligen Zeit aus betrachtet, auch die Annahme von Noth und Mangel aus Daß übrigens Paracelsus während seiner unruhvollen Laufbahn öfters mit diesen zu kämpfen hatte, beweisen verschiedene Stellen seiner Schriften. Z. B. folgende, welche zugleich auch dazu dienen mag, zu zeigen, mit welcher Ergebenheit und Würde er seine Armuth trug. „Habe kein Acht meines Elends, du Leser,“ schreibt er, „laß mich mein Uebel selbst tragen. Ich habe zwei Gebrechen an mir, meine Armuth und meine Frommheit! Die Armuth ward mir vorgeworfen durch einen Bürgermeister, der etwa zu Inspruck die Doktores hatte gesehen in seidenen Kleidern an den Fürstenhöfen, nicht in zerrissenen Lumpen an der Sonne braten. Jetzt wurde die Sentenz gefällt, daß ich kein Doktor sei. Der Frommheit halben richtet mich der Prediger und der Pfarrer aus, dieweil ich kein Zutütler der Venus ( — eine Schwäche, von welcher Paracelsus notorisch frei war, eine zu seiner Zeit um so anerkennenswerthere Erscheinung) bin, auch mit nichten diejenigen liebe, die da lehren, was sie selbst nicht thun.“ —

 Wir haben oben gesehen, daß die Anzahl der volltönenden Zusätze, welche sich rechts und links an den Namen Paracelsus reihen, seinen Feinden Veranlaßung zu einem höchst ungerechten Vorwurfe gegeben hat. Ganz ähnlich verhält es sich hinsichtlich seiner Schriften. Auch deren angebliche übergroße Menge zog dem Verfasser die Beschuldigung seichter, oberflächlicher Vielschreiberei zu. Man war um so bereitwilliger, demselben kurzweg im Allgemeinen jeden tiefern, wissenschaftlichen Gehalt abzusprechen, als es nicht schwer fiel, viele Widersprüche in den einzelnen Werken aufzufinden, so wie überhaupt zahlreiche Stellen auszuführen, die allerdings die Klarheit, Besonnenheit und Würde des Verfassers nicht im besten Lichte erscheinen ließen. Wir finden angegeben, es habe Paracelsus 33 Bücher über Medicin und 235 über Philosophie, ja nach andern sogar 230 Bücher über Philosophie, 46 über Medicin, 12 über Staatskunst, 66 über Geisterbeschwörung und 7 mathematischen Inhalts verfaßt. Wenn wir nunmehr auch diesen Grund einer Anklage wider den wissenschaftlichen Charakter unsers Landsmannes prüfen, so ergibt sich dessen Haltlosigkeit noch in einem weit höhern Grade, als bei der seinem Namenprunke entnommenen, an sich weit geringfügigeren Verdächtigung

[p. 37]


Vorerst wäre in der That schon von vorne herein eine schriftstellerische Thätigkeit von dem Umfange, wie sie angegeben wird, bei einem Manne, dessen Leben beinahe fortwährend unstät, herumschweifend und vielen Verfolgungen ausgesetzt war, im höchsten Grade befremdend und kaum für möglich zu halten. Daß ferner Paracelsus selbst der Vielschreiberei abgeneigt war, zeigt unter andern z. B folgende Stelle in einer seiner Schriften: „Solt in der Lenge die Wahrheit liegen, so hätte Christus zu wenig geredt. Die Wahrheit soll man schreiben und setzen, und wo man zweifelt, auch den Grund nicht weiß, das schreiben underlassen. Nehmend euch Exempel, wie so kurz die Propheten und Evangelisten geschrieben haben; Ursach: sie haben die Warheit geschrieben.“ Allein wir haben noch ungleich direktere Beweise, welche jene Beschuldigungen entkräften. Vor seinem 33. Jahre ist Paracelsus überhaupt als Schriftsteller gar nicht aufgetreten und, da wir wissen, daß er bereits in einem Alter von 48 Jahren gestorben ist, so schwindet der Zeitraum, während dessen Dauer er jene unglaubliche Menge seiner Schriften verfaßt haben soll, auf eine verhältnißmäßig sehr kurze Spanne zusammen, eine Spanne, welche zudem noch beinahe vollständig von einem unausgesetzten Wanderleben in Beschlag genommen ist. Im Jahr 1326 verfaßte er eine Schrift über die Zusammensetzung von Recepten, welche er in Basel einem Theile seiner Vorlesungen zu Grunde legte. Von diesem Jahre an beginnt dann eine Reihe von Werken, welche nicht nur höchst geringer ist, als gewöhnlich angegeben wird, sondern von denen Paracelsus wahrscheinlich kein einziges bei seinen Lebzeiten veröffentlicht hat. Mit Ausnahme eines chirurgischen Werkes, bei welchem übrigens die Sache auch noch zweifelhaft ist, kamen sämmtliche Schriften unsers medicinischen Reformators erst nach seinem Tode an das Licht. Man hat deßhalb die große Folioausgabe, deren gewaltige Dimensionen unserm vielfach verkannten Landsmanne so oft zum Vorwurfe gemacht worden sind, durchaus nicht als die Sammlung der ächten Paracelsischen Schriften anzusehen, sondern es ist dieselbe eine Zusammenstoppelung von Arbeiten, deren einer Theil verstümmelt, deren anderer und größerer Theil untergeschoben ist. Bei der Abfassung dieser großen Gesammtausgabe ging man mit solchem Leichtsinne zu Werke, daß man Schriften, welche mit Erbitterung die paracelsischen Ansichten

[p. 38]


bekämpften, als ächt paracelsisch mit in die Ausgabe aufnahm, weil der auf dem Titel vorkommende Name unsers Einsiedler Arztes glauben Machte, daß die Schrift von ihm herrühre.

 Der Umstand, daß Paracelsus seine Werke nicht dem Drucke übergab, sondern als Manuscripte aufbewahrte, erklärt zur Genüge die gränzenlose Verwirrung und das Ungegründete der maaßlosen Anschuldigungen, welche aus dieser Quelle entsprungen sind. In der That dürste die Literaturgeschichte kaum ein ähnliches Beispiel darbieten, in welchem der gute Name eines Mannes, sowohl in moralischer als in wissenschaftlicher Beziehung, unter der Last von Schriften erlag, welche ihm fälschlich beigelegt oder fälschlich als Zeugen wider ihn gedeutet worden sind. Paracelsus Pflegte seine Werke zu dictiren, und zwar dictirte er sehr rasch. So konnte es nicht ausbleiben, daß seine Schreiber ihn mißverstanden, zumal wenn diese, wie es öfter geschah, das in deutscher Sprache Diktirte lateinisch niederschreiben mußten. Weil Paracelsus seine Werke nicht für den Druck bestimmte, blieben sie ohne die letzte Feile. Was ist deßhalb begreiflicher, als daß sie nach seinem Tode mit sinnentstellenden Fehlern abgedruckt werden mußten, zumal wenn die Handschrift des Schreibers eine unleserliche war? So ist z. B. des Paracelsus Abhandlung vom langen Leben ganz deutlich, einfach, verständlich, während die Uebersetzung, welche Oporin von diesem Werke liefert, dunkel und mit Mystik überhäuft ist. Der weit verbreitete Ruf des Paracelsus verlieh diesen Manuscripten einen hohen Werth. Die Nachfrage nach solchen mehrte sich und Haß wie Spekulation waren schamlos genug, deren neue zu fabriciren und unter dem Namen des Paracelsus herauszugeben, um durch die verfälschte Waare Spott und Verachtung auf das Andenken des kühnen Neuerers zu laden oder sich damit zu bereichern. Sogar ein Oporinus, jener erwähnte Gefährte unsers unstäten Priesters des Aeskulap, spricht sich über dieses Verhältniß in einem seiner Briefe folgendermaaßen aus: „Ich muß mich in der That wundern, daß so viele Schriften zum Vorschein kommen, welche alle dem Paracelsus zugeschrieben werden und aus dessen Verlassenschaft sein sollen; denn ich bin überzeugt, daß er von dem Inhalte einiger dieser Schriften nie geträumt, geschweige denn wachend dergleichen gedacht habe.“ Und Johannes Huser, kölnischer Leibarzt, welcher 1616—1618 die ge-

[p. 39]


sammelten Werke des Paracelsus in Straßburg herausgab, sagt irr seiner Widmung an Ernst, Erzbischof zu Köln: „Wie oft also kann der Fall eintreten, daß man etwas für theophrastischen Unsinn erklärt, woran dieser gar keinen Theil hat, indem das Manuscript immer vorher durch viele Hände gekommen, und dadurch auf mancherlei Weise verändert und entstellt worden sein kann.“ Die größte Entstellung der paracelsischen Schriften, wenigstens diejenige, welche seinen wissenschaftlichen Charakter am meisten gefährdet hat, rührt übrigens vielleicht weniger von seinen Feinden, als von seinen Freunden her, d. h. solchen, welche in ihm wirklich einen Wunderdoktor, einen Auffinder des Steines der Weisen u. s. f. zu erkennen glaubten, denen deßhalb seine Schriften viel zu klar und einfach erschienen und welche nun dieselben mit allerlei verworrenem, mystischen Zeug auszuschmücken suchten. Wollten doch diese guten Leute auch nimmermehr zugeben, daß ihr Herr und Meister, er, der Besitzer des Lebenselixires, bereits in seinem 48. Jahre habe vom Tode ereilt werden können, und vielleicht ist jene Erzählung von seinem Meuchelmord nichts anderes, als ein Mährchen, ersonnen in der Absicht, den frühzeitigen Hinschied in einer Weise zu erklären, welche dem übermenschlichen Wissen und Vermögen des mit Geistern verkehrenden und über ein unsterbliches Leben gebietenden Lehrers keinen Eintrag thäte.

 Die Frage, welche von den unter dem Namen des Paracelsus erschienenen Schriften wirklich auch denselben zum Verfasser haben und welche ihm nur fälschlich zugeschrieben werden, blieb ihrer ungemeinen Schwierigkeit wegen mehrere Jahrhunderte hindurch unerledigt. Selbst die Kritik der neuern Zeit wagte sich lange Zeit nicht daran. Erst in den letzten Jahren ist diese Aufgabe gelöst worden, und zwar auf die befriedigendste Weise. Wir verdanken diese Sichtung des gränzenlosen Wirrwarrs, der in der Fluth der sogenannten paracelsischen Schriften herrschte, einer mit seltener Meisterschaft durchgeführten Untersuchung, welche Professor Marx in Göttingen vorgenommen hat.

 Als Kennzeichen der Aechtheit einer paracelsischen Arbeit betrachtet dieser ausgezeichnete Schriftsteller und Kritiker 1. die Dedikation der Schrift an einen hohen Gönner, nach allgemeiner Sitte der damaligen Zeit, verbunden mit Bemerkungen über den Zweck der Arbeit und über

[p. 40]


die eigene Person des Verfassers, sowie mit Angabe des Orts und der Zeit der Abfassung; 2. die Unterschrift des wahren Namens des Verfassers: „Theophrastus von Hohenheim;“ 3. den nicht theologischen, nicht philosophischen und mystischen, sondern medicinischen oder naturwissenschaftlichen Inhalt der Schrift. Ferner ist die Schreibart in den ächten Schriften durchaus einfach, klar und verständlich, während in den unächten allerdings meist ein „bombastischer“ Styl herrscht. Nach diesen Prinzipien führt Marx 10 Schriften auf, welche als unzweifelhaft ächt paracelsisch betrachtet werden dürfen, z. B.: Die kleine Chirurgie — Die große Wundarznei — Sieben Bücher von allen offenen Schäden, so aus der Natur geboren werden — Von den Imposturen der Aerzte — 3 Bücher (1. die Verantwortung über etlich Verunglimpfung, 2. Irrgang und Labyrinth der Aerzten. 3. vom Ursprunge des Sandts und Steins) — Bon dess Bads Pfeffers, im Obern Schweiz gelegen, Tugenden, Kräften und Wirkung, Ursprung und Herkommen, Regiment und Ordnung. — Außer diesen führt Marx noch 3 Werke von zweifelhafter Aechtheit an und erklärt alles Andere entweder für verfälscht oder untergeschoben.

 Paracelsus wollte bereits bei seinen Lebzeiten mehrere seiner Werke wirklich auch dem Drucke übergeben, fand aber so oft Anfeindungen und Hinderungen dabei, daß er es unterließ. So widersetzte sich z. B. die Leipziger Fakultät hartnäckig der Veröffentlichung der Schrift „Von den Imposturen der Aerzte“ und der Stadtrath von Nürnberg, wo sich der unstäte Mann damals aufhielt, verweigerte in Folge dessen die Druckbewilligung. Dergleichen Streitigkeiten kamen auch später hin und wieder vor. Eine kräftige Stütze hatte Hiebei Paracelsus an den Landständen von Kärnthen, denen er zum Danke auch einen Theil seiner Schriften schenkte.

 Baptista van Helmont, einer der größten Aerzte des 16. und 17. Jahrhunderts, und für unsern hier vorliegenden Zweck deßhalb ein erwähnenswerther Mann, als er der erste große Name ist, welcher sich mit Würde und Begeisterung, mit Bewußtsein und Genie unsers vielfach geschmähten Landsmannes annahm — dieser van Helmont äußert an einer Stelle, es habe Paracelsus gemeint, daß die Wissenschaft unter den Deutschen nur deutsch reden sollte und Paracelsus selbst ruft irgendwo: „ob

[p. 41]


mir die hohen Schulen folgen wollen oder nicht, was kümmert’s mich? Sie werden noch niedrig genug werden, und mehr will ich richten nach meinem Tode gegen sie, als bei meinem Leben, wo sie mich verachten, daß ich allein bin, daß ich neu bin, daß ich deutsch bin.“ Er ist auch dieser seiner Ansicht bei der Abfassung seiner Werke treu geblieben: denn er schrieb dieselben in deutscher Sprache.

 Wir haben oben des Aufsehens gedacht, welches der Umstand, daß er zu Basel medicinische Vorträge in seiner Muttersprache hielt, erregte. Als medicinischer Schriftsteller in deutscher Sprache auftreten, war aber ein bei weitem noch kühneres Unternehmen, welches indessen für die Heilkunde ebenso bedeutungsvoll und folgenreich wurde, wie die luther’sche Uebersetzung der Bibel in einem ungleich weitern Kreise für die religiösen Interessen und die Literatur überhaupt. Mit der Zeit der Reformation war es zwar immer mehr in Gebrauch gekommen, wissenschaftliche Arbeiten in deutscher Sprache erscheinen zu lassen. Allein die überwiegende Mehrzahl der Gelehrten stemmte sich dieser angeblichen Unsitte mit Hartnäckigkeit entgegen und sprach über Verfasser wie über Inhalt einer Schrift schon von vorneherein das Verdammungsurtheil aus, wenn dieselbe in deutschem Gewande herausgegeben wurde. Namentlich war dieß in der Medicin der Fall, welche literarisch ausschließlich in der Sprache der mittelalterlichen Scholastik, in Latein, gelehrt und nach der Sitte, welche durch den Lauf der Zeit zu einem Gesetze oder Gebote geheiligt worden war, gelehrt werden durste. Die hohe Weisheit eines Galen in den gemeinen Kreis der „Frau Muttersprache“ herabziehen, war eine unerhörte Profanation, deren gelindeste Strafe in einem gänzlichen Ignoriren bestand. Mit Ausnahme der heftigen Reibungen, welche Paracelsus wegen der Veröffentlichung seiner Arbeiten mit einzelnen Fakultäten und mit dem kaiserlichen Censurkollegium, welches damals zu Nürnberg niedergesetzt war, zu bestehen hatte und in denen er, der verlassene und unstäte, dürftige Wanderer, meistens unterlag, beobachtete auch wirklich die ganze Gelehrtenwelt dem dreisten Reformator und seinen Werken gegenüber anfänglich bloß ein vornehmes Stillschweigen. Sie hielt es unter ihrer Würde, nicht nur ein Urtheil abzugeben, sondern überhaupt ein Wort zu ver-

[p. 42]


lieren über einen Mann, der auf den Landstraßen wie ein gewöhnlichen Quacksalber herumzog, der sich anmaßte, Galen als einen Lügner zu verschreien und Schriften gegen denselben erließ, welche in der Sprache des Pöbels, d. h. in deutscher Sprache, abgefaßt waren. Diejenigen, welche sich dagegen gleich von Anfang an mit einer Art schwärmerischer Gier auf die paracelsischen Werke warfen, waren gerade die Laien. Es sahen diese nämlich mit Freude und Stolz sich durch dieselben das Gebiet einer Wissenschaft geöffnet, welches ihnen bis dahin durch den Riegel scholastischer Gelehrsamkeit verschlossen gewesen war. Freilich brachte dieser Umstand auch den Nachtheil mit sich, daß nunmehr jeder Laie, weil er den wörtlichen Sinn dieser neuen, deutschen ärztlichen Schriften verstand, sich berechtigt glaubte, jetzt auch seine Meinung zu äußern und mit entscheidender Stimme über streitige Punkte abzuurtheilen. Nur zu oft schrieb er deßhalb in das paracelsische Manuscript, das ihm unter die Hände kam, kurzweg seine eigenen Ideen hinein, ergänzte Lücken nach seiner Weise und so entstand jener wüste Galimathias, welcher in so hohem Grade den Ruhm des Paracelsus gefährdete und welcher eine Marter für jeden Forscher in seinen Schriften ist. Damit aber dieselben auch in den Regionen der Gelehrten Berücksichtigung finden konnten, war es nothwendig, dieselben in das wissenschaftliche Hofkleid zu kostümiren und so finden wir den originalen deutschen Ausgaben zur Seite auch gleich von Anfang an lateinische Uebersetzungen. Daß diese mit dem Grundtexte nicht immer übereinstimmen, ist aus den mehrfach erwähnten Gründen leicht begreiflich. Überhaupt konnte, abgesehen von absichtlicher, gehässiger oder aus Schwärmerei begangener Verfälschung, die durch und durch deutsche Natur des Paracelsus, welche ihre Außerung in der kernigen, treuherzigen und ungesuchten Sprache des Alltagslebens suchte und fand, nur in höchst ungenügender Weise und auf Kosten aller ächten Originalität im lateinischen Idiome, namentlich in dem Latein der Scholastik wiedergegeben werden. Daß hierin wiederum eine reiche Quelle für Mißverständnisse, falsche Auslegungen und wohl oder übelgemeinte Verbesserungen lag, ergibt sich ebenfalls ohne weitere Auseinandersetzung.

 Bei der Würdigung der deutschen Sprache, deren sich Para-

[p. 43]


celsus in seinen Schriften bediente, müssen wir noch eines Umstandes gedenken, Her nicht ohne historisches Interesse ist. Unser Landsmann begann seine schriftstellerische Laufbahn erst zu Basel. Nun wissen wir, daß damals namentlich Basel diejenige Stadt war, in welcher der Forderung der Zeit, daß das, was Allen Roch thue, auch Allen zugänglich gemacht werden müsse und daß dieses vor allen durch den Gebrauch der Muttersprache möglich werde, Anerkennung und Erfüllung zu Theil ward. So treffen wir von dem ersten Beginne der Reformation an eine ganze Reihe in deutscher Sprache verfaßter Werke von größerer oder geringerer Wichtigkeit, welche alle zu Basel gedruckt und herausgegeben wurden. So erschien hier z. B. im Jahre 1515 von Pamphilus Gengenbach die erste gedruckte deutsche Komödie. Johann Eberlin aus Günzburg, einer der frühesten Anhänger der Reformation, kam 1521 flüchtig nach Basel, wo er sich auf den Kanzeln in seiner Muttersprache hören ließ. Vor allem aus ist in dieser Beziehung aber Luther’s Bibelübersetzung zu erwähnen, welche 1522 bet Adam Petri gedruckt wurde. Im Jahr 1524 mußte Andreas Carlstadt Sachsen verlassen, kam nach Basel und ließ hier viele deutsche Traktate drucken. Wir haben oben erwähnt, daß Paracelsus seinen Ruf an die dortige Universität der Empfehlung des Oekolampadius verdankte. Run ist dieser kirchliche Reformator gerade derjenige, welcher das genannte Streben zu Basel vorzugsweise unterstützte. Dieser Gönner unsers Einsiedler Arztes ist es, der 1526 statt der lateinischen Lieder bei dem Gottesdienste die deutsch übersetzten Psalmen einführte, welcher die Messe in deutscher Sprache hielt und seinem Gehülfen Bonifacius Wolfhard befahl, in deutscher Sprache zu taufen. Es ist deßhalb sehr wahrscheinlich, daß er auch bestimmend auf Paracelsus eingewirkt und ihm die nämliche Bahn angewiesen habe, auf welcher et bei seiner Reformation der Heilkunde mit der möglichsten Sicherheit des Erfolges zu Werke gehen könne. „Nun ist hie, sagt Paracelsus, mein Fürnemmen zu erklären, was ein Arzt sein soll, und das auff Deutsch, damit das in die gemein gebracht werde.“ —

 Nachdem wir die äußern Lebensumstände, dir Schriften und das allgemeine Wirken unsers merkwürdigen Landsmannes durchgangen haben, wollen wir noch einen Blick auf das Schicksal seines Namens und auf seine Persönlichkeit werfen. Weder im ganzen Verlaufe der

[p. 44]


Weltgeschichte noch in der Entwicklung irgend einer Wissenschaft ist uns ein Charakter bekannt, über weichen so verschiedenartig geurtheilt worden ist, wie über Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim. Wir schweigen über das Lob und den Tadel, welche ihm bereits bei seinen Lebzeiten und kurz nach seinem Tode gespendet worden sind. Seine Stellung als Reformator mußte es mit sich bringen, daß in dem einen wie in dem andern zu weit gegangen wurde, und wenn von einzelnen Seiten her sein Name als derjenige eines eigentlichen Wunderthäters, eines Zauberers u. s. f. gepriesen wird, so finden wir dagegen auf der andern Seite, und zwar gerade bei den gelehrten Klassen, Ausdrucke wie „dieses Ungeheuer, dessen Schriften ekelhafte Kloaken u. s. f.“ häufig genug. Ja, es muß zugestanden werden, daß vom Beginn der reformatorischen Laufbahn des Paracelsus an bis lange Jahre später die Schaar seiner Anhänger dem ungestümen Heere seiner Widersacher nichts weniger als gewachsen ist. Wenigstens verhält sich dieß in solcher Weise auf dem Gebiete der Literatur; denn, während wir zahllosen Pamphleten zu seinen Ungunsten begegnen, erfreut uns bei seinen Lebenszeiten nur eine einzige eigentliche Schutzschrift (Radtich Brotoffer, deutliche Entdeckung was von Theophrasto Paracelso zu halten sey, ob er seine hohe Weisheit und Kunst von Gott oder dem Teufel gehabt.“ Goslar 1517.) Es beweist dieses Verhältniß auch wieder, daß der dreiste Neuerer seine Freunde der größten Anzahl nach unter den ungebildeten oder wenigstens unter den nicht als Schriftsteller auftretenden Ständen besessen habe, daß dagegen die Klaffe der Gelehrten ihm feindlich gegenüber gestanden sei. Merkwürdig ist Hiebei noch, daß seine erbittertsten Gegner gerade seine Landsleute waren. Des berühmten Baslers, Joh. Oporin, dessen Grimm gegen seinen ehmaligen Lehrer in einem unreinen Motive seine Quelle hat, haben wir früher gedacht. Auch Geßner in Zürich war unserm Reformator nicht sonderlich hold; doch läßt er seiner Abneigung nirgends in ungemäßigter Weise ihren Lauf. Dagegen ist sein erbittertster Gegner ein gewisser Thomas Erastus, (sein eigentlicher Geschlechtsname ist Lieber), aus Baden in der Schweiz gebürtig, und Professor zu Heidelberg und Basel. Dieser griff in verschiedenen, lateinisch geschriebenen Abhandlungen (sie führen den Titel: Disputationen über die neue Medicin des Philippus Paracelsus) seinen Landsmann mit einer beispiellosen Hef-

[p. 45]


tigkeit und Gemeinheit an. Als ein Beweis für den Haß dieses Erastus gegen Paracelsus mag dienen, daß er z. B. bei der Abfassung einer seiner sogenannten Disputationen seine Feder nicht nur im bildlichen, sondern im buchstäblichen Sinne in Galle tauchte und damit seine Streitschrift schrieb. Unter allen diesen Widersachern, welche im 16. Jahrhundert die paracelsischen Grundsätze anfeindeten, verdient eigentlich nur ein einziger den Namen eines Kritikers in einem würdevollern Sinn des Wortes. Es ist dieses: Andreas Libavius aus Halle, Professor der Geschichte zu Jena, dann Arzt und Direktor des Gymnasiums zu Coburg, ein vorurtheilsfreier Gegner der neuen Lehre, welcher zwar scharf und streng manche Willkürlichkeiten des Paracelsus rügt, allein keineswegs blind zu der Fahne Galen’s schwört.

 Auch in den spätern Jahrhunderten überwiegt die Zahl der Feinde des Paracelsus fortwährend noch die seiner Freunde. Stillschweigend zwar hatte man seine Reformation angenommen und fieng an, deren reichen Fruchtsegen einzuerndten. Allein die Fortschritte, welche die Heilkunde je länger je mehr machte, führte man wunderbar genug keineswegs auf den Schöpfer der neuen Zeit zurück, bekämpfte im Gegentheil denselben wegen einzelner specieller Ansichten, um welche es sich gar nicht zu streiten lohnte, und welche in keinem Vergleich zu dessen unsterblichen Verdiensten kommen. Bezeichnend ist immerhin, daß jener van Helmont, ein getreuer Anhänger des Paracelsus ist; denn es liegt in der hohen Stellung, welche dieser Niederländer anerkannter Maaßen unter den Aerzten seines Zeitalters einnimmt, wenigstens in indirekter Weise ein anerkennendes Zeugniß für die Vortrefflichkeit der neugestalteten, paracelsischen Medicin. Ueber seinen Lehrer spricht sich van Helmont folgendermaaßen aus: „Paracelsus war ein Vorläufer der wahren Arznei, von Gott gesandt und mit der Wissenschaft ausgerüstet, die Körper durch Feuer zu zerlegen, und seine vortrefflichen Kuren haben ganz Deutschland in Bewegung gesetzt. Er war ein Mann von hohen Gaben im Lichte der Natur: er wußte jedoch vieles bloß aus Erfahrung gewisser geheimer Mittel und ihrer Praxis, die er von allerlei Leuten aufgetrieben und erlernt hatte, als daß er selbst den rechten Grund immer erkannt hätte. Er war eine Zierde des ganzen Deutschland, und die Schmähungen, die gegen ihn ausgestoßen

[p. 46]


wurden, sind nicht einer tauben Nuß werth.“ Mein selbst ein van Helmont vermochte nicht, den Namen Paracelsus zur verdienten Anerkennung zu bringen. Neben seinem Urtheile treffen wir ungleich mehr anderslautende an, aus denen Spott und Verachtung gegen denjenigen spricht, welchem der ewige Ruhm zukommt, die Zwingburg Galen s zur Ruine gemacht zu haben.

 Wenn Baco von Verulam über ihn sagt, er vermische sehr oft Göttliches mit Natürlichem, Heiliges mit Gemeinem, und Wissenschaftliches mit Träumereien, ja völligem Unsinn, so dürfen sicherlich all die ersten Ingredientien dieser einzelnen Mischungen auf Rechnung des Paracelsus gesetzt werden, dagegen die zweiten auf diejenigen seiner verfälschenden und mißverstehendnen Abschreiber.

 Wahrend des ganzen vorigen Jahrhunderts steht die Wage zu Ungunsten des ersten freien Denkers auf ärztlichem Gebiete.

 A. F. Hecker (nicht zu verwechseln mit dessen Sohne, dem großen Forscher in der Geschichte der Medicin) urtheilt noch im Jahre 1819: „Ein Mann ohne alle wissenschaftliche Bildung konnte kein System haben.“ In Anbetracht des 19. Jahrhunderts, dessen Kind der Verfasser ist, jedenfalls das albernste und nichtssagendste Urtheil von allen, welche je über Paracelsus gefallt worden sind.

 Eine Würdigung von einer Seite her dürfen wir, so grob und niedrig sie tönt, nicht unterlassen, noch anzuführen, weil sie an sich schon bezeichnend für. die Art und Weise ist, in welcher Paracelsus während mehrerer Jahrhunderte beurtheilt zu werden pflegt und weil die Seite, von der sie stammt, ein historisches und patriotisches Interesse darbietet. J. J. Zimmermann, von Brugg im Kt. Aargau, zuerst Stadtarzt daselbst, nachher weit und breit bekannter Leibarzt zu Hannover, der berühmte Verfasser des zu Zürich erschienenen Werkes „über die Einsamkeit“, überhaupt ein großer Name des vorigen Jahrhunderts, weiß über Paracelsus nichts anderes zu sagen, als: „Er lebte wie ein Schwein, sah aus wie ein Fuhrmann, fand sein gröstes Vergnügen in dem Umgang des liederlichsten und niedrigsten Pöbels, und war die meiste Zeit seines ruhmvollen Lebens hindurch besoffen; auch schienen alle seine Schriften im Rausche geschrieben!“

 Was soll man Nun aber dazu sagen, wenn man hört, daß innerhalb weniger Jahre zwei ausgezeichnete, noch lebende medicinische Schrift-

[p. 47]


steller folgende zwei Urtheile über Paracelsus von Hohenheim abgegeben haben? Der eine sagt: „Wer kaun ein Buch von Theophrastus in die Hand nehmen, ohne sich sofort zu überzeugen, daß der Mann wahnsinnig war.“ Der andere ruft voll Begeisterung: „Ich glaube mit Wahrheit aussagen zu können, daß der Tadel, der ihm (Paracelsus) geworden, größtentheils als ungegründet und ungerecht, und er selbst als einer der erhabensten Menschen aller Geister und Völker angesehen werden müsse.“ Es nimmt uns Wunder, ob die historische Kritik in gegenwärtiger Zeit über irgend eine andere Persönlichkeit, welche nicht in die Interessen der gegenwärtigen Zeit als noch lebend oder erst gestorben hereinspielt, zwei so sich schnurstracks entgegenlaufende Urtheile auszuweisen vermag. Wir stehen auf keiner der beiden Seiten.

 Was jene zuerst angeführte Meinung betrifft, so halten wir es kurzweg unter der Würde des Paracelsus und unter unserer eigenen, den Gegenbeweis dafür zu liefern, daß der unvergeßliche Reformator der Medicin nicht wahnsinnig gewesen sei. Die Beweisführung, daß derjenige, welcher einen solchen Ausspruch hat thun können, in der genannten Beziehung erkrankt sei, möchte ungleich leichter zu leisten sein, als er sein Urtheil zu begründen im Stande sein wird. Wir hoffen, daß jeder unserer Leser, welcher nur mit einer gewissen Aufmerksamkeit unserer Behandlung gefolgt ist, welcher nur einen Blick auf die von uns mitgetheilten Stellen aus den Schriften unsers großen Landsmannes geworfen hat, voll Ueberzeugung willig und bereit ist, der größten medicinischen Autorität gegenüber fest und ernst zu erklären: Paracelsus war nicht wahnsinnig.

 Allein wir schaaren uns auch nicht um jenes zweite Urtheil, obwohl dasselbe der Wahrheit unendlich näher ist, als das erste. Es ist aber in diesem Ausspruche eine Extravaganz, welche wir nicht billigen können. Weder in sittlicher noch in intellektueller Beziehung ist Paracelsus „einer der erhabensten Menschen aller Zeiten und Völker.“ Allein er ist gerade erhaben genug, um ein solch pomphaftes Lob nicht nöthig zu haben. Auch im Loben schadet Schwärmerei stets dem Gegenstande, auf welchen sie sich wirft; denn mit Schwärmerei ist immer Unklarheit verbunden. Aber niemals frommt, auch um der besten Absicht willen, Unklarheit einer Sache, der guten jedenfalls noch

[p. 48]


weniger, als der schlechten. Indem wir deshalb jenes Word Jahn’s (von ihm stammt nämlich der Posaunenton) als übertrieben von der Hand weisen, stehen wir keinen Augenblick an, gerade in diesem genialen, leider nur zu oft sich einem schwärmerischen Enthusiasmus und einer nebeligen Spekulation hingebenden medicinischen Schriftsteller *) mit aufrichtigem Danke den Mann zu begrüßen, welcher den verkannten und verhöhnten Arzt von Einsiedeln zuerst wieder in der deutschen Wissenschaft zu Ehren gebracht und für ihn mit siegenden Gründen jenen Zoll eingefordert hat, welchen ihm nicht bloß die deutsche, sondern die Heilkunde jedes Landes zollen muß. Außer den Arbeiten von Jahn hat Lessing in Berlin das begonnene Werk mit unverdrossenem Sammlerfleiße mächtig weiter gefördert. Seinen Forschungen verdanken wir unter anderm auch das Bild des kühnen Zerstörers der galenischen Alleinherrschaft, welches an der Spitze vorliegender Denkschrift steht.

 Namentlich aber ist durch eine kritische Untersuchung der neuesten Zeit jedes solche Urtheil, wie das oben erwähnte, welches den Paracelsus für wahnsinnig erklärte, ein für alle Mal unmöglich gemacht worden. Es kann nämlich ein Ausspruch dieser Art nur dadurch einigermaaßen erklärt werden, daß dessen Verfasser Werks als von Paracelsus herrührend betrachtet, mit denen derselbe gär nichts zu schaffen hat. Allerdings wurden bis auf die neueste Zeit Schriften wenigstens als angeblich aus der Feder des großen Reformators stammend in der Liste seiner Werke mit aufgeführt, Schriften, die freilich den Schluß auf Geisteskrankheit des Verfassers zu motiviren scheinen. Seit aber Marx in Göttingen diesen Punkt gesichtet und die

__________
*) Wie ein eminent geistreicher Mann sich bisweilen zu ebenso eminentem Unsinn verleiten lassen kann, beweist folgende Stelle, welche wir in einer der Arbeiten Jahn’s über Paracelsus treffen: „er (P.), der nur von Deutschen, nie von Ausländern verstanden werden kann.“ — Zum Glück ist die Erkenntniß der Wahrheit an keine Nationalität gebunden, und, was Paracelsus Wahres und Richtiges sagt, wird so gut von dem Franzosen und dem Britten, als von dem Deutschen verstanden werden. Wenn aber jene Worte sich auf das verworrene Zeug und den mystischen Aberglauben beziehen, welche sich als nothwendiger Ausfluß der damaligen Zeit auch hin und wieder in den Schriften des Einsiedler Arztes finden, so dürste um das ausschließliche Verständniß solcher Partien die deutsche Nation nicht sonderlich zu beneiden sein.
[p. 49]


beinahe zum Sprichwort gewordene Produktionskraft des Paracelsus um ein Bedeutendes reducirt hat, werden die wenigen, als ächt erkannten paracelsischen Schriften dazu dienen, einem jeden Leser den redlichen Willen, die feurige Liebe zur Wahrheit, den kühnen Muth, den durchdringenden Scharfblick und das hohe Genie ihres Verfassers klar und überzeugend in die Augen springen zu lassen.

 Was nun die vielfach gemißhandelte Persönlichkeit von Theophrastus Paracelsus von Hohenheim anbetrifft, so können selbst seine erbittertsten Gegner, wie Oporin, Erastus u. s. f., ihn keiner einzigen Handlung zeihen, welche nur den leichtesten Schatten auf die Ehrenhaftigkeit seines Charakters wirft. Bei der maaßlosen Heftigkeit, mit welcher sie bei ihren Anfeindungen zu Werke gehen, und bei der tollen Uebertreibung, mit welcher sie die verschiedenen Schwächen des großen Reformators ausbeuten, dürfen wir versichert sein, daß sie mit unedler Freude den kleinsten Anlaß benutzt und gehörig in den Vordergrund gestellt haben würden, welcher sich zu einer Anklage gegen dessen männliche Würde, gegen dessen Ehre dargeboten hätte. Aber keiner von ihnen hat es gewagt, die Redlichkeit seines Herzens, die Uneigennützigkeit seines Charakters, seine Wohlthätigkeit gegen Arme, seine Gewissenhaftigkeit gegen Kranke anzutasten, und, sobald uns an Paracelsus diese Tugenden verbürgt sind, blicken wir mit einer Art ruhiger, wohlgemuther Befriedigung den andern Anfechtungen entgegen, welche wider seine Persönlichkeit erhoben werden; denn, vorausgesetzt, es sollten dieselben für sich auch bedeutende Gründe anzuführen wissen, so schadet dieß Alles der Würde und dem Ruhme unsers großen Reformators unendlich weniger, als wenn sein Name in Beziehung nur auf eine einzige jener Tugenden von einem, auch nur leichten Flecken getrübt wäre. Durchweg stellt sich uns Paracelsus als ein biederer Ehrenmann in allen seinen Schriften dar und wir finden Stellen in denselben, welche einen tiefen sittlichen Eindruck machen. Namentlich ist das Feuer und die Entschiedenheit, mit welchen er überall für die Wahrheit in die Schranken tritt, wahrhaft erhebender Art: „Ob ich nicht billig, ruft er, mög die Redligkeit eines Arzts auch lassen ein Grundt seyn und eine Säule in der Artzney? Was ist des Artzts Redligkeit? Ja, ja! nein, nein! darauf soll er gründen. — Denn Gott will daß der Mensch wahr-

[p. 50]


hastig sey, nit ein Zweifler und Lügner, hat die Wahrheit beschaffen, nit die Lügen, den Arzt also in der Wahrheit zu sein verordnet und beschaffen, nichts in Lügen. Die Wahrheit nun ist sein Redligkeit. Also ist des Artzts Redligkeit, daß er so standhaft und so wahrhaft sey, als die erwählten Apostel Christi, denn er ist nit minder bei Gott.“ — „Das Höchste, so wir Artzten an uns haben, ist die Kunst, nachfolgend das dem gleich ist, ist die Liebe für den Kranken und deren zweien ist die Hoffnung der Beschluß Diese Liebe empfahn wir aus der Liebe Gottes, in derselbigen Liebe müssen wir sie wieder austheilen und durch uns dem Dürftigen zugehen lassen. Und zum dritten müssen wir dieselbe so brauchen, als treffs uns selbst an. In welcher Maaß die Liebe ist, dermaßen wird auch das Wetter über uns gehen. Ist unsere Liebe groß, so werden wir große Frucht in der Artzney dadurch schaffen; wird sie bresthaftig seyn, so werden unsere Früchte mangelhaftig befunden. Also stehet auch die Hoffnung in denen hohen erfarnen Dingen. Wo die Hoffnung nicht ist, da ist ein gut Gewissen, daß derselbige nichts kann. Denn der allein hofft, der es weiß, der es nicht weiß, hofft nichts, sondern zweifelt.“ — „Den Reichen und den Armen in der Gemeine dienen nach Gottes Gebote; lieben, was recht, und ehren, was wahr ist, steht mir und allen Biedermännern ähnlich! Wo aber allein das Maul sich regt, und sonst kein Glied mehr — erstorben ist da Herz und Seele zum Guten.“

 Von dem tiefen religiösen Sinne des Paracelsus gibt zum Beispiel noch folgende Stelle eine zu jedem Herzen sprechende Kunde: „Denn der Arzt, der eines gutten glaubens ist, der leugt nit und ist ein Vollbringer der Werck Gottes. Denn wie er ist, also ist er seins selbst zeugnuß: das ist, du must in Gott eines ehrlichen, redlichen, starken, wahrhaftigen Glaubens seyn, mit allem deinem gemüt, hertzen, sinn und gedancken, in aller liebe und vertrawung: alsdann auff solchen Glauben und Liebe Wirt Gott sein warheit nit von dir ziehen, und Wirt dir seine Werck offenbar machen, glaublich, sichtlich, tröstlich.“ — „Denn der Mensch ist von Gott gesetzt, daß er sich begnügen und zufrieden sein soll, es möge hageln, donnern, gefrieren u. s. w.; Alles, was geschieht, ist der Wille Gottes. Deswegen soll der Mensch unerschrocken sein. Wer aber erschrickt und nur den Abgang seines Nutzens betrachtet, handelt gegen das Gebot

[p. 51]


Gottes, und zweifelt an der Schrift, an der Liebe, an der Hoffnung vnd an dem Glauben; denn es zweifelt nur der, der nicht in dem lebt, was ihm sein Gewissen giebt. Das Gewissen ist aber die von Gott gegebene Natur, in welcher wir uns ersehen sollen, ohne weiter zu suchen den Verstand in unserm Leben, die Sitten und Tugenden, sondern nur thun, was sie uns lehrt. Wer sich selbst nicht vertrauet, vertrauet auch Gott nicht; denn Gott hat ihm gegeben, auf was er vertrauen soll. Von Andern lernen und nach Andern sich richten, ist eine Verführung. Thue immer für dich selbst, was dir Christus und Gott vorgelegt hat, nach der Natur und Eigenschaften einer Taube und Schlange. Aus deinem, nicht eines andern, Gemüthe, Hertzen und Kräften liebe Gott, lasse einem andern seine Kräfte selbst brauchen; denn die Kräfte Anderer sind fremde Kräfte, gelten Nichts, verführen, machen Krankheiten in der Vernunft, im Leibe, in den Sinnen, in den Gedanken. Diese verhüte durch das, was dir deine eigene Natur aus deiner Mutter Leibe gegeben hat, und bewahre dich wohl.“ — „Derohalben müssen die Dinge hier auf Erden gegründet werden auf die heilige Schrifft und auf die Lehre Christi, welches denn ein feiner fester Grund ist. Darum wollen wir sie den Grund und Eckstein legen auf drei fürnehme Punkte: als aufs Gebet, dazu gehöret suchen und klopffen, dadurch wir Gott, den Allmächtigen, ersuchen und erinnern seiner Verheißungen; so dasselbe ist rechter Gestallt und mit reinem, andächtigem Herzen geschicht, alsdann wird uns gegeben, und finden, was wir suchen, und wird uns eröffnet und aufgethan Alles, was uns verborgen und verschlossen ist. Der andere Punkt ist auf das Glauben, der die Berge versetzt und in das Meer wirfst, dem denn Alles möglich ist, wie Christus selbst sagt. Der dritte ist auf die Imagination, so dieselbe in unserm Gemüth recht angezündet wird, mag sie mit diesem Glauben leicht Übereinkommen. — „O Heiliger Geist, weise mir daß ich nicht weiß, und lehre mich, das ich nicht kan, und gib mir, das ich nicht habe. Gib mir die meinigen fünf Sinnen, daß du, Heftiger Geist, wohnest drinnen, mit den sieben Gaben soltu mich begaben, und soll deinen göttlichen Frieden haben. O Heiliger Geist, lehre und weise mich, daß ich recht leben kan gegen Gott meinen Nechsten, amen.“ —


[p. 52]


 Wir haben diese längern Partien aus den Schriften des Paracelsus keineswegs in der Absicht herausgehoben, daß dieselben als unbedingte Beweise für die Ehrenhaftigkeit und den religiösen Gehalt seines Charakters, sowie für sein tugendhaftes Leben gelten sollen. Wir wissen nur zu wohl, daß, gerade wie ein Geistlicher auf der Kanzel predigen kann, was er will, und hernach doch treiben, was er mag, so auch ein Arzt im Stande ist, in seinen Schriften trefflich zu moralisiren, und wenn auch sein Leben und sein Wirken ganz anderer Farbe ist. Allein jedenfalls können unsere Leser jenen Stellen wenigstens so viel entnehmen, daß Paracelsus von Hohenheim keilt gewöhnlicher, marktschreierischer Wunderdoktor ist, für welchen er immerfort viel zu allgemein angesehen wird, und sie werden uns zugeben, daß jene Worte nicht nur der Feder eines medicinischen Reformators, sondern selbst eines kirchlichen in vollem Maaße würdig sind. Zudem können sie allerdings noch als Beweise für jene unsere Anerkennung, unsere Schilderung des Charakters des Paracelsus dienen, und zwar deßhalb, weil im Verlaufe seines ganzen Lebens keine einzige Handlung diese herzerhebenden Ergüsse Lügen straft.

 Es anerkennen vielleicht mehrere unserer Kollegen die Schönheit jener Reden. Allein es behagen ihnen dieselben deßhalb nicht, weil sie daraus den Schluß zu ziehen sich berechtigt glauben, es sei der Arzt von Einsiedeln ein Kopfhänger, ein augenverdrehender BetBruder gewesen und habe unter seine Medicin Religion mit rechtgläubigen Sprüchlein gemengt. Diese Schlußfolgerung wäre eine durchaus falsche. Man sieht sich in seinen Schriften vergebens nach verfänglichen theologischen Untersuchungen um. Von Zeit zu Zeit bricht sich sein tiefes religiöses Gefühl in einem reichen, warmen Strome Bahn, allein bloß als reine Angelegenheit seines Innern und mit Vermeidung aller dogmatischen Subtilitäten. So spricht er fast nirgends über seine Stellung zur Kirche, niemals über ihre einzelnen Satzungen; sondern von der Wichtigkeit seines Berufes durchdrungen, fühlt er sich von Zeit zu Zeit aufgefordert, seine heilige Kunst auch an das Heilige, sein Priesteramt an Gott anzuknüpfen, und es geschieht dieß immer in einer Weise voll Einfacheit, Würde und Hoheit: „Der Arzt ist ein Knecht der Natur und Gott ist der Herr der Natur.“ „Der Arzt ist, der in den leiblichen Krankheiten Gott ver-

[p. 53]


steht und verweßt; darumb muß er aus Gott haben dasjenige, das er kann.“ „Der ohne Kunst gesund wird, danke Gott von wegen seines Glücks; der mit der Kunst, danke um die Kunst.“ „Gott ist der Erst Arzt. Aber die Ungläubigen, die schreyen zu den Menschen um Hülfe. Aber Ihr sollt zu Gott schreyen; Er wird euch wohl zuschicken den gesund macher; es sey dann einen Heiligen, oder einen Arzt, oder sich selbst.“

 Es wäre ein merkwürdiges, psychologisches Räthsel, wenn Jemand, der wie Paracelsus einer seit langen Jahrhunderten in Fesseln geschlagenen Wissenschaft wieder ihre Freiheit gab und welcher diese große Aufgabe nur dadurch zu lösen vermocht hat, daß er kühn alle und jede menschliche Satzung, allen und jeden Autoritätenglauben zu Boden trat, auf dem Gebiete der Religion seinen Grundsätzen untreu und hier zum sclavischen Nachbeter geworden wäre. Dieß war bei unserm Landsmanne auch nicht der Fall. Wenn er auf dem Felde der Heilkunde als Reformator allein dastand, gehört er auf demjenigen der heiligsten Interessen der Menschheit wenigstens unter die Schaar jener glorreichen Kämpfer seiner Zeitgenossen, welche eine neue Zeit, ja eine neue Welt geschaffen haben. Ueberraschende Stellen in den Schriften des Paracelsus, in denen sich die nämliche Freiheit des Denkens, welcher der Medicin ihre Umgestaltung verdankt, auch auf jenem andern Gebiete mit der größten Entschiedenheit kund gibt, und welche in der That der Feder eines Luther’s entflossen zu sein scheinen, sind z. B. folgende: „Denn von allen Sekten, die jetzt blühen, besitzt keine die wahre Religion. Man muß daher den Text der heiligen Schrift ohne alle subjektive Auslegung lesen, bis einst in einer künftigen Zeit die wahre Religion erscheinen wird.“ — „Aus dem entspringt die unwissend Grobheit der Theologen, die da groß Auslegung machen in dem, das die Meiste nicht verstehen, und uns Menschen nicht wissend ist, wie es der gemeint hat, der es gegeben: und sie doch also ihm seine Wörter nach ihrer Hoffart und Geizigkeit ränken und ziehn, da viel Beschiß entstanden ist, und alle Tag neu erfunden worden. Darumb wir die Vernunft, die nit in Mysterien fundirt, sichtlich für nichts achten.“ — „Und leichtlich sind die falschen Heiligen zu erkennen in ihren Zeichen und Leben. So wisset, daß am fürderlichsten ist, daß ihr Acht habt auf ihr

[p. 54]


Leben. So es pharisirt, so es der Reu zustreicht, so es feiert im Worte Gottes, so sie lehren und nicht thun selbst: so ist Alles aus. Das so Gott zeichnet, legt es gar gewaltig an Tag und gar scheinbarlich, daß die Andern allemal dunkel und trüb herfürbrechen. Denn nehmet euch ein Exempel an den Aposteln, wie schnell und behend sie gewirkt haben, die Teuffel ausgetrieben, die Todten auferwekt. Also sollen Alle die beweisen und zeichnen, so sich geistlich nennen. Denn der ist nicht geistlich, der die Kleidung führet, der ist aber geistlich, der die Werke thut des Haupts, d. i. Christi. Die andern sind Simeones und Malefici.“ — Wenn für einen Arzt im Mittelalter ein Galen keine heilige Person mehr war, so ist anzunehmen, daß einem solchen auch die Heiligen der Kirche keine abgöttische Verehrung und Unterwürfigkeit werden abgezwungen haben. Deßhalb spricht auch der Zertrümmerer des galenischen Lehrgebäudes in folgender Weise sein Verdammungsurtheil über die kirchlichen Autoritäten aus: „Die Heyligen seynd im Himmel und nit im Holz.“— „Ein jeglicher Mensch ist ihm selbst der nechst bei Gott.“ — „Ich Widerrede euren heiligen Vätern, denn sie haben alle dem Leibe geschrieben, und nit der Seele, sie haben Poeterei getrieben und nit die Theologie, sie haben Schmeichelei getrieben und nit die Wahrheit erzwecket. Ihrer ist auch keiner zum Märtyrer geworden. Sie sind Alle des Bauchs Lehrer und Prediger, keiner der ewigen Seligkeit.“ — „Daher nützt Nachäffung dessen, was die Heiligen gethan haben zu Nichts, sondern wird vielmehr zur Verdammniß.“

 In ähnlicher Weise erklärt sich Paracelsus gegen den Unfug, der damals mit Wallfahrten getrieben ward, wie z. B. bei der Wallfahrt zur schönen Marie zu Regensburg. „Oft, sagt er, verwandelt man Wundschäden in S. Johannsbuße, St. Küriss-Rache, S. Antonsfeuer u. dergl., läßt Messen lesen, fastet, betet, trinkt das Wasser aus dem heiligen Brunnen, opfert den Heyligen, macht Verheißungen und Gelübde, steuert nach Vermögen u. s. w. Der Eigennutz macht aus den Heyligen Aerzte und aus den Bächen Apotheken. Manchmal mischt man unter das Wasser den Saft heilender Kräuter, schreibt die Ehre dem Heyligen zu, wäscht sich die Hände und ist unschuldig wie Pilatus.“


[p. 55]


 Bald in drolliger Komik, bald in unverhohlener Entrüstung läßt Paracelsus seinem Grimme freien Lauf, wenn er sich von reichen Patienten um das wohlverdiente Honorar betrogen fand. Es wurde dieß aber auch nicht selten, und zwar gerade von den höchsten Ständen, mit einer Gemeinheit und unter einer so niedrigen Form getrieben, wie es in unserm Jahrhundert wohl nicht leicht mehr Vorkommen mag. Wir haben oben des Streites des Paracelsus mit einem Basler Domherrn gedacht, welcher Umstand die Veranlassung zum Wegzuge oder vielmehr zur Flucht des erstern aus Basel wurde. Folgender Handel ähnlicher Art mag als Beitrag zur Kenntniß der Sittengeschichte der damaligen Zeit hier noch eine Stelle finden: Ein reicher Bürger zu Amberg in der Pfalz, Sebastian Castner, litt an fressenden Geschwüren unter dem Knie und am Arm, und der Münzmeister in Regensburg ersuchte Paracelsus, der damals gerade an jenem Orte war, den Kranken zu besichtigen. Trotz der ihm verheißenen großen Belohnung wurde ihm schon der erste Ritt nicht bezahlt, sondern er mit leeren Worten abgespeist. Paracelsus wollte nun nichts mehr mit ihm zu thun haben: „Denn, wo im anfang ein solcher Filz ist, was soll sich der Artzt im endt dazu versehen?“ Der Münzmeister legte indessen die Sache wieder bei und versprach in einem Revers, wenn Castner genesen würde, an seiner Statt eine große Summe zu bezahlen. Paracelsus begann daher die Kur von Neuem, und heilte zuerst den Arm. Allein der Bruder des Kranken stahl ihm die Arznei, und glaubte, die Kur nun selbst vollenden zu können. AIs daher die Heilung schon zu Ende gieng, wurden sie grob und spotteten seiner.

 Solche und ähnliche Vorfälle mochten Veranlassung gewesen sein, daß sich unser Landsmann, welchem selbst seine bittersten Feinde den außerordentlichen Erfolg seiner Kuren nicht abstreiten konnten, folgernden Eidschwur ablegte: „Das gelob ich: meine Artzney zu vollfertigen und nit von der zu weichen, so lang mir Gott das Ampt vergönnt, und zuwiderreden aller falschen Artzney und Lehren, kein Hoffnung in Hohen Schulen zu setzen, item dem Baretle (Doctorhut) nit nachzustellen, item demselbigen nit Glauben zu geben, dann die Krancken zu lieben, ein jeglichen mehr, als wann es mein Leib antreffe, den Augen nit zu verlassen (dem Augenschein nicht zu vertrauen), sondern zu urtheilen nach den Anzeichen; auch keine Artzney

[p. 56]


geben ohne Verstand, noch Gelt ohngewunnen (ohne Verdienst) Einnemmen, kein Apotecker zu vertrauen, kein Kind den gewalt befehlen; nicht wenen, sondern wissen, dergleichen kein Fürsten (namentlich wurde der Sprecher dieses Gelübds von dem Markgrafen Philipp von Baden, der, von seinen Leibärzten aufgegeben, bereits dem Tode nahe war und welchen Paracelsus von seiner Ruhr wieder heilte, aus die schmählichste Weise betrogen, nachdem er ihm eine fürstliche Belohnung zugesagt hatte) artzneyen, ich hab dann den gewinn im Seckel, kein Edelmann auff sein Schloß, kein Münch, kein Nunn in ihrem gewalt (Kloster): In Francken und Beheim nichts artzneyen, und wo ein Artzt Kranck läg, am theursten zu behandlen, für das, so mich einmal Einer ließ nimmer (im Spital) annehmen: In der Ehe, wo untrem bemerkt wirdt, es sey Fraw wider den Mann oder Er wider Sie, mit der Artzney sie nicht zu übernehmen, Geistlichen in ihrer Kranckheit nichts verhängen (verordnen), wo Klage ist, Alles fahren zu lassen. Wo die Natur versagt, nit weiter zu versuchen, wer mir den Lidlon (Lohn) vorhelt, mein nicht würdig zu sein erkennen, keinen (meiner) Apostaten, aber alle Sekten sonst anzunemmen, bei den Aerzten nichts zu übersehen, Frawen Hülffe selber zu erzeigen, u. s. w. u. s. w. Das Alles bei dem, so mich beschaffen hat, zu halten gelob ich.“

 Man achte aber wohl, daß der Unmuth unsers Landsmannes über Nichtbezahlung seiner Dienste sich nur in solchen Fällen kund gibt, in denen seine Patienten reiche Leute waren. Gegen arme Kranke bewies er, treu seinem Gelübde, die reinste Uneigennützigkeit. Es geht dieß sowohl aus seinen Schriften als aus den aufbewahrten Zeugnissen von Zeitgenossen hervor. Er sagt einmal: Wenn er auch sein Geld verdummelt habe, so hätte er doch sein Hauptgut nicht eingebüßt. Die Medicin sey eine Spekulation geworden, sie würde des Gewinnstes wegen erlernt. Die Aerzte suchten den Pfennig, nicht die Kunst. Ihr Herz sei weit von der Zunge; der Seckel sei ihr Herz. „Was ist euch, ruft er mit Ernst seinen Amtsbrüdern zu, nutz, so ihr aller Kranken Güter gewinnt und sie im Leibe verderbet, ist es nicht eure Selbstverdamnuß?“

 Wir haben bis dahin gesehen, daß Paracelsus über jede Anfeindung erhaben ist, welche seine persönliche Würde betrifft. Wir haben

[p. 57]


in dem Reformator der Heilkunde zugleich auch einen ehrenhaften Charakter und einen redlichen Willen zu verehren. Getrost wenden wir uns nunmehr zu jenen Anschuldigungen, welche sich nicht auf Flecken des ehrlichen Namens, sondern auf einzelne Schwächen des Temperamentes, auf Blößen der Individualität beziehen.

 Man hat unserm merkwürdigen Arzte sein herumschweifendes Leben zum Vorwurfe gemacht. Wir haben diesen Punkt theils mit eigenen Gründen, theils durch Stellen, die wir den Schriften des Angefochtenen selbst entnommen haben, bereits in’s Reine zu bringen gesucht. Zu jenen von seinen eigenen Aeußerungen fügen wir noch folgende ähnlichen Gehaltes: „ich bin der Kunst nachgegangen, sogar mit Gefahr meines Lebens, und habe mich nicht geschämt, selbst von Landfahrern, Nachrichtern und Scheerern zu lernen. Denn wir sehen die Liebhaber weite Wege durchziehen, um das köstliche und herrliche Weib zu erblicken; wieviel eher muß dies geschehen, der prächtigen und erhabenen Kunst wegen.“ — „Keinem wächst sein Meister im Haus, noch hat Einer seinen Lehrer hinter dem Ofen. Wo Gott die Kunst hingelegt, da soll sie gesucht werden. Das ist eine große Erkenntniß im Menschen, daß er die Gaben Gottes sucht, wo sie liegen, daß wir gezwungen sind, den selbigen nachzugehen. So nun ein Zwangniß da ist, wie kann man einen verachten, der solches thut? Es ist wohl wahr, die es nicht thun, haben mehr, denn die es thun. Die hinter dem Ofen bleiben, essen Rebhühner, die den Künsten nachgehen, essen eine Milchsuppe. Die Winkelsitzer tragen Ketten und Seiden. Die da wandern, Vermögen kaum den Zwilch zu bezahlen. Die in der Ringmauer haben Kaltes und Warmes, wie sie wollen: die den Künsten nachziehen, hätten keinen Schatten, wenn der Baum nicht wäre. Der nur dem Bauch dienen will, der folget mir nicht; er folget denen, die in weichen Kleidern gehen. Wiewohl sie auch zum Wandern nichts taugen. Denn Juvenalis hat es beschrieben, wie allein der fröhlich wandert, der nichts hat. Darum betrachten sie den Spruch: damit sie nicht gemordet werden, bleiben sie hinter dem Ofen und kehren Bieren um Also glaub ich, daß ich bisher mein Wandern billig verbracht habe und mir dieses ein Lob und keine Schande sei.“ Wir anerkennen vollständig, daß eine ungeregelte, beständig wechselte und vagabundirende Lebensweise dem Wirken eines Mannes empfindlichen Eintrag thut und

[p. 58]


seinem Charakter sowohl als seinen Leistungen, allmählig, aber unabweisbar, ebenfalls etwas Unstätes, Gesetzloses, eine gewisse Halbheit verleiht, daß vielmehr ein Mann nur im Besitz einer ruhigen Existenz und bei der Ausübung seines Berufes an einem bestimmten Orte die ihm vom Schicksal beschiedene Lebensaufgabe am umfassendsten und glücklichsten lösen kann. So lassen wir auch jenes von Paracelsus durchgeführte Raisonnement für einen Arzt in gewöhnlichen Zeiten nicht nur nicht gelten, sondern verwerfen es geradezu als entschieden falsch. Allein man vergesse nicht, daß Paracelsus die wenig Menschen bestimmte Rolle eines Reformators durchzuführen hatte, eine Rolle, die namentlich bei dem damaligen Zustande des Landerverkehrs einen häufigen Wechsel des Wohnsitzes zu motiviren schien. Allein auch trotz dieses Umstandes stehen wir keinen Augenblick an, unsere persönliche Meinung dahin abzugeben, daß sogar ein Paracelsus seine Aufgabe schneller und umfassender erfüllt haben würde, wenn er nicht so herumgewandert, sondern z. B. fortwährend zu Basel in seiner Stellung als Professor geblieben wäre. Auch hat ihn eigentlich keineswegs sein Beruf als Reformator in die weite Welt hinausgetrieben, sondern das unstäte, nimmer an Ruhe Gefallen findende Wesen seiner Individualität; und jene Gründe, welche er uns für sein Vagabundiren angibt, sind nichts anders, als ein nachher künstlich erborgtes, hübsches Mäntelchen für jenen, an und für sich ganz unklar in ihm gelegenen Drang. Jedenfalls ist nicht zu läugnen, daß dem Ruhme unseres Landsmannes bei seinen Zeitgenossen die ewigen Wanderzüge nicht sonderlich gefrommt haben und die rücksichtslose, jede Form verhöhnende Barschheit und das trotzige Sichselbstgenügen seines Charakters müssen wohl hauptsächlich als nothwendige Frucht derselben betrachtet werden. Gerade diese Charakterzüge waren aber dann der Verbreitung der neuen Lehre. nicht am zuträglichsten, weil sie eine gerechte Würdigung ihres Meisters sehr erschwerten.

 Einer der häufigsten Vorwürfe, welche dem Paracelsus gemacht werden, ist der der Völlerei und Trunksucht. Diese Anschuldigung stammt vornehmlich aus 2 Quellen her, nämlich von Thomas Erastus und von Johannes Oporinus, Das Zeugniß des erstern darf kurzweg von der Hand gewiesen werden; denn dieser blindeste aller Widersacher unsers Reformators benimmt sich mit einem solchen tollen

[p. 59]


Fanatismus, daß er bei einer ruhigen und unbefangenen Würdigung kein Recht auf Sitz und Stimme hat. Wichtiger ist das Urtheil Oporin’s, schon um seines berühmten Namens willen. Wir wissen, daß Oporin als Famulus längere Zeit dem Paracelsus folgte, um gewisse Geheimmittel von ihm zu erlangen, und unzufrieden, als er diese Hoffnung vereitelt sah, zur Buchdruckerei übergieng. Es ist somit jedenfalls kein unparteiischer Zeuge. Ja schon sehr frühe wurde die Vermuthung laut, daß unter seinem Namen vorhandene kleine Schrift nicht einmal von Oporin herrühre, sondern ein untergeschobenes Machwerk der Basler Feinde des Paracelsus sei. Endlich raubt den Aussagen des großen Buchdruckers noch der Umstand allen Werth, daß er selbst dieselben nach dem Tode des Paracelsus widerrufen hat. In jener, angeblich oporin’schen Schrift wird nun behauptet, daß unser Reformator ein eigentlicher Trunkenbold gewesen, ja daß er seine Schriften im berauschten Zustande seinen Schreibern dictirt habe. Wir appelliren hierüber einfach an unsere Leser. Wenn wir, der Wahrscheinlichkeit nach, annehmen, daß dieselben von den Werken ihres kühnen Landsmannes gar nichts weiters kennen, als die denselben enthobenen Stellen in unserer Denkschrift, so wird sich gleichwohl jeder von ihnen berechtigt fühlen, auszusprechen, daß jene Behauptung unwahr, jene Stellen nicht in betrunkenem Zustande geschrieben sein können. Wäre dieß der Fall, so hatte unsere Zeit das Mittelalter um eine besondere Art des Rausches zu beneiden; denn in einem Rausche des gegenwärtigen Jahrhunderts pflegt man ganz anders zu reden und zu schreiben. Mit welcher Perfidie man bei den Anschuldigungen des Paracelsus zu Werke gegangen ist, beweist folgendes Beispiel. Man führt an, derselbe nenne die Studenten „meine gar lieben Zechgenossen, combibones optimi“, und schließt daraus: wer schamlos genug sei, als Lehrer seine Schüler in jener Weise tituliren zu dürfen, der müsse ein ausgemachter Trunkenbold sein. Der Sachverhalt ist nun aber dieser: jener Ausdruck kommt ein einziges Mal und zwar unter folgenden Umständen vor. Paracelsus hatte von Basel aus einen Besuch in Zürich gemacht und im Kreise der dortigen Studenten einige fröhliche Abende verlebt, war dann zurückgereist und hatte seinen Freund, den berühmten Buchdrucker Johannes Froben, in Folge eines Schlagflusses todt gefunden. In einem Briefe meldet er dieß

[p. 60]


seinen jungen Zürcher Freunden und sagt, während sie munter und vergnügt bei einander gesessen, hätten sie alle, ohne eine Ahnung davon zu haben, jenen großen Verlust erlitten, und bei diesem Anlasse redet er die Zürcher Studenten allerdings einmal mit „meine gar guten Zechgenossen“ an. Allein dieser Ausdruck hat nicht nur nichts Störendes, sondern findet in dem Zusammenhange eine tiefe, rührende Bedeutung. Ueberhaupt kann Niemand diesen warm gemüthlichen Brief des Paracelsus ohne innige Theilnahme lesen und es bietet derselbe gerade einen Beweis für den schönen und edeln Charakter des Verfassers.

 Wenn nun auch Paracelsus selbst gesteht, es gehöre „ein voller Zapf“ nicht an’s Krankenbett und wenn er in seinen Schriften häufig zur Mäßigkeit ermahnt, so wissen wir aus vielerlei sichern Quellen zu gut, daß er es für seine Person mit diesen Ermahnungen nicht zu buchstäblich nahm und daß, wenn er sich für den Dienst zwischen zwei Göttern, wie Galen und Bacchus, zu entscheiden gehabt hätte, seine Wahl nicht lange schwankend geblieben wäre. Allein, wenn man auch manchmal einen Trunk zu viel thut, ist man zum Glück deßhalb noch nicht unter die Trunkenbolde zu rechnen und, zugegeben, daß Paracelsus ein zu großer Freund des Weines gewesen und mit lustigen Brüdern bisweilen unmäßig gezecht habe, so kann das einer derben und kräftigen Natur eingeräumt werden, ohne daß sie dadurch in unserer Achtung bedeutend sinkt, um so weniger, wenn man die damalige Zeit, in welcher starkes Trinken mehr als Ehre, denn als Schimpf galt, und namentlich noch das beständige Herumwandern unsers medicinischen Reformators bedenkt.

 In Hinsicht auf Sittlichkeit im engern Sinn des Wortes ist Paracelsus über jeden Vorwurf erhaben Er fordert vom Arzt, er soll sein rein und keusch, und so trifft man auch nichts bei ihm an, was das Ohr beleidigen, das Gefühl verletzen könnte. Nur wenige Schriften ähnlichen Inhaltes dürften sich einer solchen Sittenreinheit, als wie der seinigen, rühmen. „Der Geist des Herrn, sagt er, ist in den Frawen, der sich einbildet und setzt Frucht in ihnen. In ihnen ist der Geist, der vom Herzen kommt, zu dem er auch wieder geht.“ — Paracelsus blieb unvermählt.

 Daß die Außenseite des Reformators von Einsiedeln durch man-

[p. 61]


cherlei Fehler verunziert war, welche theils in dem Uebersprudeln eines urkräftigen Geistes und in dem Selbstgefühle einer durchaus freien Natur, theils in der Ungebundenheit eines fast unausgesetzten Wanderlebens, theils in der Schwierigkeit der ihm vom Schicksal zuerkannten historischen Rolle wurzelten, ist nicht zu verhehlen und durch die neuern Untersuchungen auch bestätigt worden. Namentlich ist es die Anmaaßung, der Eigendünkel und die Prahlsucht, welche vielfachen Anstoß gegeben haben und für Paracelsus die Quelle heftigen Tadels geworden sind. Allerdings scheint derselbe hinsichtlich jener Eigenschaften bisweilen alle und jede Schranken zu übersteigen. Nichtsdestoweniger glauben wir, daß er auch in dieser Beziehung unrichtig und ungerecht beurtheilt worden ist und daß wirkliche Prahlsucht nicht in seinem Charakter lag, sondern seinem Zeitalter, der Gewohnheit der damaligen Aerzte, den Umständen, unter denen er lebte, vorzüglich aber seiner Stellung als Zerstörer einer alten und Schöpfer einer neuen Wissenschaft zur Last fällt. Gerade dieser letztere Grund ist zu oft unberücksichtigt geblieben; seine Feinde haben denselben nicht zugeben wollen, seine Freunde nicht verstanden, ihn in’s rechte Licht zu setzen.

 Wir erklären uns entschieden gegen die Zumuthung, als ob wir für die Würdigung verschiedener Menschen auch einen verschiedenen Maaßstab aufstellen wollten; im Gegentheil stehen wir fest für die Ansicht ein, daß in Bezug auf das Gute und Böse, das Recht und das Unrecht, auf Ehre und Unehre an einen jeden Menschen, in welcher Stellung er sich immer befinden möge, die nämlichen Anforderungen gemacht werden müssen. Auf der andern Seite ist aber nicht zu läugnen, daß es gewisse Stellungen gibt, welche bei Fragen, welche nicht gerade tief sittlicher Natur sind, eine andere Beurtheilung erfordern, als es in gewöhnlichen Umständen der Fall ist. So z. B. die Stellung eines Reformators, namentlich in den Zuständen des Mittelalters. Man hat z. B. den Arzt von Einsiedeln deßhalb schwer angeklagt, daß er seine Vorträge an der Universität zu Basel mit Verbrennung der Schriften des Galen und des Avicenna eröffnet habe. Es ist richtig, ein solcher Schritt hätte unter den alltäglichen Verhältnissen etwas Lächerliches, ja Unwürdiges. An Paracelsus wird man es verzeihlich finden; ja nicht nur verzeihlich, sondern, wenn man bedenkt, daß zu seiner Zeit

[p. 62]


endlich einmal offen und kühn mit dem geistigen Despotismus gebrochen werden mußte, und wenn man weiß, welchen siegenden Eindruck ein solches allegorisches Wagniß aus die Menge macht, so kann man diese That unsers Landsmannes sogar für motivirt halten. Es verhält sich damit, wie mit dem bekannten Verbrennen der päpstlichen Bulle durch die Hand Lutherus. Auch dieses Unternehmen ist an und für sich betrachtet ein läppischer Knabenstreich. Wenigstens wird im gewöhnlichen Strome der Zeit ein gebildeter Manne sich nie zu einem Schritte dieser Art verstehen dürfen, ohne gerade dadurch an seinem Anspruch auf Bildung und Intelligenz viel einzubüßen Eine Handlung dieser Art ist ein Theatercoup, gewissermaaßen ein Charlatanstück. Allein daß dieses Urtheil in seiner ganzen Schärfe ebenso wenig auf jene kecke That des kirchlichen Reformators, als auf die entsprechende des medicinischen Anwendung findet, daß vielleicht auch sie durch die Zeitumstände geboten war, wollen wir gerne anerkennen. Wenn Mahomed seine epileptischen Anfälle, welche jeder anständige Mensch, über den das Schicksal diese unglückselige Krankheit verhängt hat, so gut wie möglich vor fremden Augen verbergen wird, zu imponirenden Demonstrationen vor dem Volke zu benutzen verstand, so ist dieses an sich unwürdige Benehmen wiederum wegen seines Berufes als Reformator und wegen der überwältigenden Wirkung, welche anerkannter Maaßen die Folge jener grausen Schauspiele war, in einem milderen Lichte aufzufassen.

 Von diesem Standpunkte aus erscheinen viele Handlungen des Paracelsus keineswegs motivirt — denn dieß ist das Unrechte niemals, allein wenigstens in bedeutendem Maaße entschuldigt. Hierher gehört namentlich auch der Ton in seinen Schriften, besonders wenn er von Galen und dessen Anhängern spricht und diesen sich gegenüber hält. Man hat sich vielfach daran gestoßen, daß er an dem Despoten von Pergamus auch so gar nichts gelten lasse, sondern ihn von Anfang bis zu Ende verdamme. Das ist wirklich der Fall. Der ärztliche Abt von Einsiedeln gönnt dem asiatischen Papste kein gutes Haar, sondern sucht ihn mit Stumpf und Stiel auszurotten. Jedermann muß zugeben, daß Paracelsus nicht anders verfahren konnte. Wie sich die kirchliche Revolutionsfrage für Luther auch nicht so stillte, ob der Papst ganz oder theilweise beizubehalten

[p. 63]


sei, sondern eben überhaupt, ob ein Papst oder aber ob keiner mehr, so handelte es sich in ganz entsprechender Weise auch in der Aufgabe, die Paracelsus zu lösen unternahm, bloß darum, soll Galen auf seinem Throne bleiben oder nicht, und als einleuchtend war, nein! — nun, dann fort mit ihm, vom Thron herunter, ohne Vergleich und ohne Verkommniß! So sehr ein solches Verfahren auch wieder gegen die gebührliche Art und Weise des gewöhnlichen Lebens verstößt, so sehr ist es auf der Seite eines Reformators, der in Gottes Namen eben einmal brechen will, das einzig geeignete und von Erfolg gekrönte. Wenigstens beweisen uns dieß die verschiedenartigsten, gelungenen Reformationen wie von Luther, Paracelsus, Mahomed, Baco von Verulam.

 So hat auch die Schreibart unsers Landsmannes nichts Verletzendes mehr für uns und die stärksten, trotzigsten, vernichtendsten und herausforderndsten Stellen, auf welche sich seine Gegner bei ihren Anfeindungen stützen, müssen wir in ihrer historischen Bedeutung aufzufassen suchen, und zudem sind sie bei weitem noch nicht so arg, als jene Polemik, durch welche Luther den römischen Stuhl wanken machte. Die Uebereinstimmung im Berufe ruft bei diesen zwei kecken Kämpen sehr oft eine merkwürdige Uebereinstimmung in der Art des Ausdrucks hervor, sodaß man dem einen ganze Seiten des andern, mit geringer Veränderung der speziellen Beziehungen unterschieben könnte. Von diesem Gesichtspunkte aus werden unsere Leser folgende dem dreisten ärztlichen „Landfahrer“ oft und schwer gemißdeutete Stellen nicht sonderlich mehr verargen: „Ich sage euch, mein Gauchhaar im gnick weiß mehr dann ihr und all eure Scribenten, und weine Schuhrinken sind gelehrter, dann euer Galenus und Avicenna. Und mein Bart hat mehr erfaren, dann alle eure hohe Schulen“. — „Mir nach Avicenna, Galenus, Rhases, Montagnana, Mesoë und ihr Andern! Mir nach und ich nit euch nach, ihr von Paris, ihr von Montpellier, ihr von Schwaben, ihr von Meißen, ihr von Cöln, ihr von Wien, und was an der. Thonau und Rheinstrom ligt, ihr Insuln im Meer. Du Italia, du Dalmatia, du Sarmatia, du Athenis, du Griech, du Arabs, du Israelita. Mir nach und ich nit euch nach, mein ist die Monarchey. Euwer wird keiner im hintersten Winkel bleiben, an den nicht die Hunde seichen werden: ich wirdt

[p. 64]


Monarcha, und mein wirdt die Monarchey seyn, und ich führe die Monarchey u. s. w.“ und es werden unsere Leser solche Stellen noch um so leichter verzeihen, wenn sie gewahr werden, wie dieser scheinbare Eigendünkel gleich wieder zusammenstürzt und einem tiefen Gefühle der Ohnmacht Platz macht: „Das merket wohl, daß Gott uns gesetzt hat die Strafe, das Anzeichen, das Exempel in unsern Krankheiten, daß wir sehen sollen, daß all’ unsere Sache nichts ist, und daß wir in kein. Ding gut ergründet sind und die Wahrheit wissen. Sondern in allen Dingen sind wir bresthaftig, und unser Wissen und Können ist nichts.“

 Die Art Polemik, mit welcher Paracelsus gegen seine Feinde zu Felde zog, ist in unsern Tagen freilich einem gebildeten Manne nicht mehr gestattet. Allein es erlaubt dieß noch nicht, deßhalb unsern Reformator kurzweg zu einem pöbelhaften Grobian zu stempeln. Auf die Schmähungen seiner Gegner, welche ihn „Waldesel von Einsiedeln, landstreicherischer Bettler, vom Beelzebock Besessener, Kakophrastus, Meuchelmörder u. s. f.“ titulirten, antwortete unser Landsmann mit einer Fluth ähnlicher Schmeicheleien, wie „heillose Lotterbuben, Lotterhölzer, Geltpfaffen, Stümpler, Lausjäger, Laussträler, Kadavera, schelmige Juden, Dr. Starwadel, Säue, für die das „Perlin“ nicht gehört, Schanddeckel, unwissende Stölpel, lausige Sophisten, Kälberärzte, Hundschläger, konterfeyte Oelgötzen, Polsterdoktoren, Galeni- Leviten, Zahnbrecher, Dr. Gimpel, grobe Ruffeldoktoren der hohen Schulen, Requiendoktoren, u. andere, welche die feine Sittsamkeit des 19. Jahrhunderts uns zu unterdrücken gebietet. Ferner ist ihm die alte Medicin eine „Diebs- und Beschißgrube.“ Auch Luther bedient sich gar oft ähnlicher Kraftworte in seinen Schriften und zwar in einem Grade, hinter welchem die rauhe deutsche Zunge, welche Paracelsus führte, weit zurücksteht. Es muß daher durchaus ein solcher Styl vom Standpunkte der damaligen Zeit aus beurtheilt und daran gedacht werden, daß Paracelsus, wenn er in der derben groben Zeit den Feinen und Höflichen hätte spielen wollen, er nie und nimmermehr durchgedrungen wäre; ihm wäre widerfahren, wie dem gesunden Fußgänger im Lande der Hinkenden. Die Ohren waren damals für ein starkes Wort nicht so empfindlich wie jetzt. Selbst die Gebildetsten nahmen an natürlichen Ausdrücken, derben Späßen, unverhoh-

[p. 65]


lenen Spott- und Schimpfreden kein Aergerniß und bezahlten einen derartigen Angriff sofort mit gleicher Münze. Das ganze damalige Leben war bis in seine tiefsten Lebenselemente aufgeregt. Es herrscht« Erbitterung Vieler gegen Viele und in diesem wild gährenden Streite gaben die Geistlichen, von denen gerade Milde und Versöhnung zu erwarten gewesen wäre, den Ton an, welchem sich nun die andern deshalb um so ungebundener überlassen zu dürfen glaubten. Paracelsus fühlte, daß sein trotziges, unbekümmertes, gerades Wesen zur Erreichung seines Zweckes nothwendig sei und erklärte dasselbe daher geradezu für eine Tugend, welche ihm als einem ächten Schweizer gezieme und welche sich auch nicht mehr ändern lasse, da Natur und Erziehung dieselbe zu tief in seine Person gelegt hätten. Bei dieser Gelegenheit finden wir folgende, um ihrer treuherzigen, gewinnenden Naivetät willen erwähnenswerthe Worte: „Nicht daß es genug sei, mich in etlichen Artikeln anzutasten, sondern auch das gehört dazu: ich sei ein wunderlicher Kopf mit verkehrter Antwort, Wäsche nicht jeglichem nach seinem Gefallen auf, antworte nicht einem jeglichen auf sein Fürnehmen mit Demuth, Sie schätzen und achten das eine große Untugend an mir zu sein; ich selbst aber schätze es für eine große Tugend, wollt nicht, daß es anders wäre, wie es ist; mir gefällt meine Weise ganz wohl. Damit ich mich aber verantworte, wie meine wunderliche Weise zu verstehen sei, so merket also: Von der Natur bin ich nicht subtil gesponnen, ist auch nicht meines Landes Art, daß man etwas mit Seidespinnen erlange. Wir werden auch nicht mit Feigen erzogen, nicht mit Meth, auch nicht mit Weizenbrod, aber mit Käse, Milch und Haberbrod. Es kann nit subtile Gesellen machen. Zu dem, daß Einem all’ sein Tag anhängt, was er in der Jugend empfangen hat. Derselbe scheint nun fast grob zu sein gegen die Subtilen, Katzreinen, Superfeinen. Denn dieselbigen, die in weichen Kleidern und bei Frauenzimmern erzogen werden, und wir, die in Tannzapfen erwachsen, verstehen einander nicht wohl. Darum so muß der Grobe grob zu sein beurtheilt werden, ob derselbige schon subtil und holdselig zu sein vermeint. Also geschiehet mir auch: was ich für Seiden achte, heißen die Andern Zwilch und Trillich.“


[p. 66]


 Wenn wir auf dem Titel unserer Denkschrift Paracelsus von Hohenheim mit der Würde eines Luther s der. Medicin bedacht haben, so ist das nicht eigene Erfindung. Vielmehr stammt dieser Vergleich bereits aus den Lebzeiten der beiden großen Reformatoren, und zwar war er von der feindlichen Partei ausgegangen. Der Name „Lutherus medicorum“ wurde wider den Arzt von Einsiedeln deshalb als Schimpfwort gebraucht und es äußert sich derselbe selbst hierüber, wie über seine Stellung zu Luther folgendermaßen: „Mit was Spott habt ihr ausgeschrieen, ich sei Lutherus medicorum, mit der Auslegung, ich sei Häresiarcha, Ich bin Theophrastus und mehr als die, mit denen ihr mich vergleichet. Ich bin derselbige und bin Monarcha medicorum dazu, und darf euch beweisen, was ihr nicht beweisen möget.“ „Dem Luther sind meistens Schwärmer, Schälke und Buben seind. Warum muß ich ein Luther heißen? Ihr thuts nicht zu ehren, sondern ihr verachtet den Luther. Aber ich weiß niemand, der Luthero seind sei, als wem er die Küche verschlechtert hat. Ich laß Lutherum sein Ding verantworten, ich will das Meinige auch verantworten. Wer dem Luthero seind ist, eine solche Rotte ist mir auch gehaßt. Und wie ihr von ihm meinet, meinet ihr von mir auch: dem Feuer zu!“ —

 Wenn wir eine Reihe von Werken über allgemeine Weltgeschichte nach einander durchgehen, so erstaunen wir über die mancherlei Art und Weise, in welcher das unermeßliche Gebiet eingetheilt wird. Gerade ihre große Anzahl nimmt den verschiedenen Eintheilungen jeden Anspruch auf allgemeine historische Gültigkeit und zeigt uns in ihnen nichts anderes, als eine Schaar von mehr oder minder gerechtfertigten subjectiven Ansichten der einzelnen Schriftsteller. Nur drei große Zeiträume sind es, welchen wir immer und immer wieder in gleicher Ausdehnung begegnen, und welche uns daher wegen ihrer ausnahmslosen Anerkennung keineswegs mehr als das Produkt einer individuellen Meinung, sondern als ein bleibendes, zum eigentlichen Volkseigenthum gewordenes Resultat der Geschichtsforschung erscheinen. Diese drei Zeiträume sind: Alterthum — Mittelalter — Neuzeit. Es hat sich diese Eintheilung in dem Grade in uns verkörpert, daß wir in der That

[p. 67]


kaum mehr an ein allmähliges und unmerkliches Uebergehen des einen dieser großen Zeitabschnitte in den andern glauben wollen, sondern uns in kindischer Weise einbilden, es seien dieselben gleichsam so scharf von einander getrennt, wie die Akte eines Theaterstückes: der Vorhang rausche nieder und die Zeit des Alterthums sei abgeschlossen; er hebe sie von neuem wieder und das Mittelalter beginne.

 In der Entwicklung der Wissenschaften, namentlich in derjenigen der Naturwissenschaften, finden wir diese drei Epochen nicht. Wir haben hier nur eine alte und eine neue Zeit. Ein Mittelalter gibt es nicht. Die Grenzmarke zwischen diesen beiden gewaltigen Perioden bildet eine ebenso gewaltige Erscheinung: Franz Baco von Verulam. Bis auf Baco: das Alterthum der Wissenschaften. Von Baco an: die Neuzeit derselben. Wir hätten nun nichts dagegen einzuwenden, wenn man auch die Heilkunde diesem Eintheilungsprinzipe unterwürfig machen und von dem Alterthum der Heilkunde, d. h. von der Medicin bis auf Baco, und von der Neuzeit derselben, d. h. von Baco bis auf unsere Tage, sprechen wollte. Doch erscheint es besser, die Geschichte unserer Wissenschaft von derjenigen ihrer Schwestern zu trennen, weil eigentlich erst die neuere Zeit sie als Glied in die Kette der Naturwissenschaften mit Bewußtsein und mit Konsequenz eingereiht hat und weil Baco’s Einfluß auf dieselbe in Vergleich mit demjenigen, welcher die andern Gebiete der Naturforschung umgestaltete, vorerst untergeordneter war und nur allmählig hervortrat. Allein wenn wir die Medicin auch für sich allein betrachten, so können wir ihr immerhin ebenfalls kein Mittelalter zugestehen; denn das, was man so nennen könnte, ist nichts anders, als der wortgetreue Nachklang der alten Zeit. Wir haben somit bei ihr auch bloß ein Alterthum und eine Neuzeit. Wer bildet hier die Gränzmarke? Wer ist hier der Schlußstein der alten und der Grundstein der neuen Welt? Ohne Zögern antworten wir: Theophrastus Paracelsus von Hohenheim, unser Landsmann.

 Bei dem Bilde, welches wir unsern Lesern von diesem denkwürdigen Manne in den obigen Blättern entworfen haben, enthielten wir uns mit Absicht aller ekstatischer Lobpreisung. Wir wollten kein Eloge, sondern Geschichte schreiben, und Ekstase beeinträchtigt nur zu leicht die beiden ersten Erfordernisse der Geschichtschreibung, Wahrheit und Klarheit. Wir

[p. 68]


fühlen keine Begeisterung für Paracelsus, allein gerade deßhalb eine um so solidere und besonnenere Achtung vor seinem Namen, eine um so motivirtere Anerkennung seiner Leistungen, einen um so aufrichtigeren Dank für seine Verdienste. Man würde irren, wenn man aus unserer Darstellungsweise, namentlich aus dem Eifer, mit welchem wir stets an die eigenen Worte des großen Arztes von Einsiedeln appellirten, den Schluß zöge, wir wollten das Studium seiner Schriften unsern Kollegen empfehlen, ja wir betrachteten etwa diese Werke als unvergängliche Quellen medicinischer Weisheit und medicinischen Wissens. Keineswegs. Es kann einer der gebildetste und beste Arzt sein, ohne je einen Blick in einen der Pergamentbände des Paracelsus geworfen zu haben, gerade so gut, wie einer der treuste und würdigste Protestant sein kann, ohne eine Zeile von Luther und Zwingli gelesen zu haben. Paracelsus hat seine Rolle ausgespielt und seine Größe wie sein Verdienst sind rein historischer Art, wie vielleicht auch diejenige jener seiner Mitkämpfer auf dem Gebiete der geistigen Revolution. Was er gewünscht, gehofft und angestrebt, hat sich zum kleinsten Theile während seines Lebens; reich, glänzend und umfassend aber nach seinem Tode verwirklicht. Daß die moderne Wissenschaft wohl keine positiven Resultate mehr aus den Büchern ihres ehemaligen Reformators glaubt ziehen zu können; daß unsere Intelligenz sich in ihrer Sehnsucht nach Befriedigung andern Fundgruben zuwendet, muß die Geschichte gestatten und gibt es auch gerne zu Mit desto lauterer und entschiedener Stimme wendet sie sich dagegen an die andere geistige Sphäre ihrer Söhne, welche sie ebenso gut m Anspruch nimmt, als die Sphäre des Wissens, nämlich an das Gefühl, und hier fordert sie fort und fort durch alle Jahrhunderte für ihre großen und schönen Namen den Tribut der Anerkennung und des Dankes. Diesen Tribut hat Theophrastus Paracelsus von Hohenheim verdient und wir zollen ihm daher denselben mit Wärme, mit Aufrichtigkeit, mit Ergebenheit; als Schweizer noch mit freudigem, patriotischen Gefühle.

 Dieses patriotische Gefühl tritt durch die Lust des heutigen Tages als feuriger Gruß auf unsere Lippen, als ein Gruß, welchen wir mitten in das Glockengeläute und in die Lobgesänge, in das Gläserklingen und das Raketenknattern hineinschleudern: an einem der stolzesten Tage der Schweizergeschichte ein Hoch dir, Paracelsus, du, einer der stolzesten Träger der Schweizerwissenschaft!

Bibliography

Locher, Hans: Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim, der Luther der Medicin und unser größter Schweizerarzt, Zürich: Meyer und Zeller, 1851.
  — View at Google Books here or here