Histories/Joseph Ferdinand Weigl (1855), Das Gold im Fluße

From Theatrum Paracelsicum
Joseph Ferdinand Weigl (1855), ‘Das Gold im Fluße’,
in: Innsbrucker Nachrichten, vol. 2, no. 114, 19 May 1855, p. 741–742
[Source on ANNO.at]
Quote as: https://www.theatrum-paracelsicum.com/index.php?curid=3145
Joseph Ferdinand Weigl (1855), ‘Das Gold im Fluße : (Schluß)’,
in: Innsbrucker Nachrichten, vol. 2, no. 115, 21 May 1855, p. 749–750
[Source on ANNO.at]
Quote as: https://www.theatrum-paracelsicum.com/index.php?curid=3145

[741] Das Gold im Fluße.
Von J. F. Weigl.

Jn der Nähe der alten St. Peterskirche zu Salzburg stand im Jahre 1541 ein einsames Gebäude, von grotesken Gartenanlagen umgeben. Eine hohe Mauer zog sich um den Garten her, so daß man kaum die Wipfel der höchsten Bäume darin bemerken, und der Bewohner ganz unbeachtet und von der Welt geschieden leben konnte. Das Haus selbst hatte ein abenteuerliches Ansehen und war von gothischer Bauart. Pfeifensäulen strebten an demselben empor, die Thüren und Fenster liefen in Spitzbogen zu, das Dach hatte bunte Zinnen, und zum Ablaufen des Wassers dienten Drachen- und Hundegestalten von Blech an den Gesimsen.

Hatte man die Stiege, die unter dem fast immer geschlossenen Thore lag, überschritten, so gelangte man in eine geräumige Halle des ersten Stockwerkes, in welcher bestaubte Bilder und alte Waffen hingen. Eine Reihe von Zimmern schloß sich daran an, deren phantastische Ausschmückung nicht wenig auf den Charakter ihres Herrn schließen ließ. Durch hohe, farbige Fenster fiel das Licht auf den glatten Estrich, und streute bunte Blumen auf denselben hin.

Der Adept selbst bewohnte einen ganz andern Raum, wo ein erstickendes Miasma auf die Lunge wirkte, Küchenrauch die Wände schwärzte, und Staub die Luft dermaßen schwängerte, daß der durch eine zerbrochene Scheibe hereindringende Sonnenstrahl förmlich einem Staubbalken glich, der schief über das Zimmer hinfiel. Jn diesem Gemache wimmelte es von Tiegeln, Phiolen, Röhren und Retorten. Eine Menge Präcipitate standen in Flaschen, Bücher: die tabula smaragdina und — „die allerkostbarste Jungfrau Alchymia“ lagen um- [p. 742] her, und Geräthschaften, wie sie einem Theosophen, Nekromanten, Magier und Adepten erforderlich waren; was Alles in dem glücklichen Arzte Theophrastus Paracelsus sich vereinigte.

Aber das Feuer des Herdes war jetzt erloschen, die Blasbälge ruhten, die Tiegel waren ausgeglüht. Jn einem kleinen finstern Gemache, dessen Fenster sorgsam geschlossen waren, und in dem nur eine einzige Lampe brannte, lag mit stieren Augen, auf sein Lager hingestreckt, der Mann im Sterben, der das Elixir des Lebens verkaufte und den Stein der Weisen besaß. Es stand wohl ein Fläschchen neben seinem Lager, auf welchen tinctura universalis geschrieben war, aber dieses schien nur ein Spott auf den sterbenden Adepten zu sein.

Das Lager war hart und einfach, obgleich sonst Theophrastus kein Mann der Abstinenz war. An der Seite des Bettes stand eine große, eiserne Kiste, mit Ketten umspannt und mit Schlössern stark verwahrt. Die düster brennende Ampel beleuchtete noch im Hintergrunde ein menschliches Gerippe, das von Viertel- zu Viertelstunde mit dem Haupte nickte, und wenn die Stunde ablief, die Sanduhr in der rechten Hand umschlug.

Der Blick des Alchymisten starrte jetzt nach einem Geier, der in natürlicher Gestalt zwischen den zusammenlaufenden Spitzbögen des Gewölbes angebracht war.

„Jch bitte dich,“ sprach Paracelsus zu seinem Famulus, „verscheuche den Geier, der von Augenblick zu Augenblick meine Brust aufhacken will, wie jene des Prometheus.“

„„Herr, der Geier ist nur ausgestopft und da oben festgemacht!““

„Wohl! Wohl! Jch danke dir. — Er ist festgemacht und kann mir nichts zu Leide thun; dennoch pickt und hackt er in meinem Jnnern, und treibt mir den Todesschweiß in das Gesicht!“

Er wurde blaß. Er zählte still. Seine dunkeln Augen rollten in innerlicher Angst. Der Schädel des Gerippes hatte neunmal genickt.

„Neun Uhr,“ sprach er, „nun ist es Zeit. Oeffne hier die Kiste. Meine Kraft ist verschwunden — ich kann nicht. Hier hast du die Schlüssel. Zehn Schlösser versperren meine Schätze. Hahaha! die Schätze des Adepten! Wie sie darnach lungern! Wie sie ihre Seele und ihr Herzblut verpfänden möchten, fänden sie etwas in dieser Kiste!“

Der Famulus nahm die an einem großen Ringe befestigten Schlüssel, und begann aufzusperren.

„Wie der Bluthund die Augen spannt! Wie er seine Begierde gar nicht verbergen kann! Gut getroffen! Du hast ein großes Talent, Schlösser zu öffnen.“

Der Famulus erröthete etwas, suchte aber diese Verlegenheit in der Geschäftigkeit des Aufschließens zu verbergen. Die Ketten rasselten nieder.

„Nun das Hauptschloß! Dreimal!“

Der Schlüssel ging dreimal im Schlosse herum und der Deckel öffnete sich, aber mit einem solchen Schlage und mit solcher Gewalt, daß der Famulus besinnungslos zu Boden fiel.


[749] Das Gold im Fluße.
Von J. F. Weigl.
(Schluß.)

„Die Explosion war gut!“ sprach der Kranke. Er besprengte den Diener, und dieser kam zu sich. „Siehst du, selbst in meiner Gegenwart hat dich die entbundene Gewalt dieser Kiste hingestreckt. Den Unberufenen hätte sie getödtet.“

Aus der Kiste leuchtete ein röthlicher Schimmer. Sie schien leer. Nur einige Goldbarren befanden sich auf dem Boden. Das röthliche Licht strömte von einer Phiole aus, die neben den Goldbarren lag.

„Nimm,“ sprach Paracelsus, „diese Phiole, verwahre sie an deiner Brust, aber behutsam. Dann nimm Hut und Mantel, und geh’ hinunter zur Brücke. Dort wirf die Phiole in die Salza!“

„„Herr!““ rief der Famulus, halb bittend.

„Jn die Salza, sag’ ich dir! Und kehre schnell zurück!“

Der Famulus gehorchte und ging.

Paracelsus lag eine Weile still; endlich starrten seine Augen nach dem Gerippe, und er sprach aufgeregt: „Was willst du, mein erster großer Meister, Tirthemius, daß deine Knochen sich befleischen, und in die Falten des Ge- [750] wandes sich verbergen, das sie einst getragen? Kommst du noch einmal, die Erinnerung an dich zu wecken. Als Tod warst du mein immerwährender Begleiter und Mahner. Jch habe deiner oft vergessen. Aber doch, Tirthemius, ich rang doch nach Wahrheit, ob ich sie auch vor den Augen der Menschen verhüllte. An der Pforte des Todes steh’ ich! Die Thüren des Gerichts werden sich öffnen! Wehe mir! Wehe!“ Bei diesen Worten verbarg er sein Haupt in das Kissen, vnd benetzte es mit Thränen.

„O süßer Quelle! Nicht mehr getrunken seit meiner Kindheit! Eine Oase nach der langen Wanderung durch die Wüste meines Lebens! — Horch! Horch! Sie nennen meinen Namen; er wird nicht vergehen, aber sein jetziger Nimbus wird schwinden!“

Der Famulus trat unter die Thür.

Paracelsus erhob sich auf seinem Lager und starrte verwundert nach seinem Diener: „Hast du gethan, was ich dir befohlen?“

„„Herr! Ja! Natürlich! Wie Jhr befahlt!““

„Du warfst das Fläschchen in die Salza?“

„„Ich warf es in die Salza, ich stand dabei mitten auf der Brücke. Es fiel schwer — ich sag Euch, Herr, recht schwer hinunter in die Fluth!““

„Was sahst du aber dabei, als es in das Wasser fiel?“

„„Herr, nichts! Jch sah gar nicht hinab, denn befürchtend, ich könnte etwas Unerwartetes sehen, wandte ich mich so schnell als möglich, hüllte mich in meinen Mantel, und lief, was ich konnte, von dannen!““

„Schändlicher!“ rief Paracelsus, „du hast das Fläschchen nicht in das Wasser geworfen, sonst müßtest du etwas gesehen haben, das alle deine Sinne in Anspruch genommen hätte. Jch sende dich jetzt noch einmal, und gebe dir den Tod als Begleiter mit!“

Das Gerippe hob langsam die Hand empor, in der es die Sense hielt.

Paracelsus warf einen befehlenden Blick gegen den Famulus. „Dein Leben ist verloren und das Erbtheil, das ich dir lasse, thust du nicht schnell, wie ich dir geheißen!“

Der Famulus ging.

Paracelsus hüllte sich wieder in seine Kissen.

Jn zehn Minuten kehrte der betäubte Famulus zurück. Was er gesehen — er gab es Niemanden kund. Paracelsus war todt. Das Gerippe lag über ihn hingestreckt, wie man sich über einen todten Freund stürzt. Die Kiste war zugeschlagen. Der Famulus wagte es nicht, sie zu öffnen, ungeachtet er die Goldbarren darin wußte.

Die Gerichte kamen. Sie übernahmen das Vermögen des Paracelsus, nach seinem letzten Willen, für das St. Sebastians-Hospital zu Salzburg, wo er auch begraben liegt. Seit jener Zeit geht die Sage, daß die Salze Gold mit sich führe. Der Werth der verschlungenen tinctura universalis soll sich über eine Million belaufen haben und war verloren.