Histories/Clemens von Weyhrother (1864), Der goldene Kopf

From Theatrum Paracelsicum
Clemens von Weyhrother (1856), ‘Der goldene Kopf’,
in: Prager Sagen, Gesammelt von Clemens Ritter von Weyrother, Prague 1864, p. 78–85
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Quote as: https://www.theatrum-paracelsicum.com/index.php?curid=3154

[p. 78] Der goldene Kopf

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts bewohnte das Haus „zum goldenen Kopf“ in der Jesuitengasse, gegenwärtig Karlsgasse genannt, ein Wundarzt. Er hatte zu ebener Erde eine Officin, in welcher ein Subjekt die Leute bediente. Er selbst kümmerte sich wenig um sein Geschäft, denn er saß den ganzen Tag über alchymistischen Büchern. Der frühe Morgen fand ihn schon beim Lesepult und erst nach Mitternacht legte er sich zu Bette, wo er gewöhnlich von schweren und bangen Träumen gequält wurde, die ihm das Finden des Steines der Weisen als etwas Unmögliches verkündeten. Wenn er dann erwachte und zu seinen Büchern eilte, welche ihm die Zukunft so lockend und verführerisch darstellten, ihm die Möglichkeit zeigten das Arcanum zu finden, aus welchem er die Goldtinktur und das Lebenselixir zu bereiten hoffte, dann vergaß er die Träume der Nacht, und ergab sich im Wachen den schädlichen Träumerein, welche seine Einbildungskraft reizten und ihn dem praktischen Streben immer mehr entfremdeten. Er schürte in seinem Laboratorium Feuer auf dem Herde an, stellte Retorten und Tiegel zurecht, um [p. 79] das Präparat von fester Gestalt und rother Farbe zu bereiten, welches nach alchymistischen Grundsätzen pulverisirt, auf ein anderes fließendes Metall geschüttet, dieses in Gold verwandelt, und in möglichst kleiner Gabe als Arznei innerlich genommen, das Alter verjüngt, das Leben verlängert und alle Krankheiten heilt. Von diesem Wahn befangen, vernachlässigte er sein Geschäft immer mehr, und wenn Leute kamen, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, so schickte er sie hinab in die Officin, denn er hoffte durch die Goldmacherkunst ein reicher Mann zu werden und seine Stelle niederzulegen. Sein Subjekt befand sich dabei vortrefflich, denn während sein Herr oben im Laboratorium destillirte, barbirte, schröpfte er, ließ zur Ader, richtete gebrochene Glieder ein, und das Geld, welches er für seine Mühe und Arbeit einnahm, fiel in seine Tasche, und er sparte ein hübsches Sümmchen zusammen. Dabei war er lustig und guter Dinge. Wenn er am Morgen erwachte, verrichtete er sein Gebet, und ging singend an die Arbeit, und wenn der Abend kam, legte er sich nie zu Bette, ohne Gott zu danken, daß er seinen Fleiß gesegnet. Er würde daher auch nie mit seinem Herrn getauscht haben, der von Tag zu Tag immer finsterer und düsterer wurde, je weniger er sein Ziel erreichte. Eines Tages kam in die Officin ein seltsam aussehender Mann, der nach dem Wundarzt fragte. Der Fremde war klein, kurzes, schwarzes, struppiges Haar umgab wie Borsten seinen großen Kopf mit hoher hervorragender Stirne, die kleinen, wie Kohlen leuchtenden Augen lagen tief in ihren Höhlen, die starken Backenknochen und die lange Nase war mit dunklem Roth bedeckt, und der große Mund mit zwei Reihen [p. 80] weißer, funkelnder Zähne besetzt. Eine hohe spitzige Mütze von rothem Tuch saß keck auf der rechten Seite des Kopfes, die kleine Gestalt mit großen Füßen und dünnen Beinen, so wie die langen Arme mit breiten Händen, war in ein eng anliegendes Gewand von schwarzem Sammt, und in einen faltigen, langen, schwarzen Tuch-Mantel, der bis auf die Fersen reichte, gekleidet. Der Subjekt erschrak, als die Gestalt in die Barbierstube trat, denn er fühlte nur zu gut, daß sie nichts Gutes verkünde. Er wies daher den Fremdling in das erste Stockwerk, in welchem der Herr wohnte, und war froh als er, ohne sich aufzuhalten, die Officin verließ. Der Fremde stieg die Treppe hinauf, klopfte dreimal an die Thüre des Laboratoriums und die Stimme des Wundarztes rief „Herein“. Der Arzt, dem das Erscheinen des Fremdlings nichts weniger als angenehm war, denn es störte ihn in seinen alchimistischen Träumereien, fragte ihn unwillig, was er von ihm begehre, und warum er nicht in der Barbierstube geblieben sei?

Der Fremde verzog den breiten Mund zu einem grinsenden Lächeln, zog aus der Tasche seines Mantels eine Fiole hervor, die mit einer gelben Flüssigkeit gefüllt war, und hielt sie dem Wundarzt vor die Augen.

Dieser starrte sie verwundert an und sagte mit bebender Stimme: „Wer seid Ihr, und was ist in dieser Fiole enthalten?“

Der Fremde entgegnete mit schnarrender Stimme: „Das Elixir, welches Ihr seit zwanzig Iahren sucht, und nicht finden könnt!“

[p. 81] „So seid Ihr ein Alchymist, und habt erreicht, was Tausenden nicht gelungen ist!“

„Freilich, Ihr kurzsichtiger Thor, der noch hundert Jahre in seinem Laboratorium stehen und destilliren kann und doch nichts herausdestilliren wird!“

„Beweiset, beweiset, daß Ihr kein elender Prahler seid, und zeigt mir die Wirkung Eurer Goldtinktur.“

„Oh, mit tausend Freuden!“ sagte der Fremde, öffnete die gläserne Fiole, goß einige Tropfen auf die aus Bronze geformte Büste des Theophrastus Paracelsus, die im Laboratorium aufgestellt war, und in wenigen Minuten war sie in Gold verwandelt. Als dies der Wundarzt sah, fiel er vor dem Fremden auf die Knie nieder, und stammelte: „Herr, wenn Ihr nicht ein Geist der Hölle seid, so enthüllt mir das Geheimniß, welches Euch diese Wunder-Flüssigkeit bereiten lehrte.“

„Steht auf! Ihr Stümper, der nur deßhalb vergebens laborirte, weil er nie die smaragdne Tafel des Hermes

Trismegistos sah, auf welcher die Grundsätze der Alchymie verzeichnet sind.“

„Und ward Euch dies außerordentliche Glück zu Theil?“ fragte zitternd der Wundarzt.

„Ja, in den Pyramiden von Egypten habe ich ihre geheimnißvollen Schriftzüge verstehen gelernt,“ sagte der Fremde und warf einen verächtlichen Blick auf den Wundarzt, der sich vor Staunen und Bewunderung nicht zu fassen wußte.

Hierauf ging er zum Herd, besah die Kolben und Retorten, warf sie lachend auf den Fußboden, daß sie in [p. 82] Stücke zersprangen, löschte das Feuer aus, und sagte: „Mit solchem Apparat, und bei solcher Gebahrung werdet Ihr freilich nichts zu Stande bringen. Es ist am besten, Ihr werft den ganzen Plunder weg, und befolgt meine Lehren. Kommt in Eure Stube und hört, was ich Euch zu verkünden habe!“ Der Wundarzt nahm das Licht, welches in der Nähe des Herdes stand, und begleitete den Fremden in die dem Laboratorium gegenüber liegende Wohnstube. Dort angekommen schob der Arzt dem Fremden einen hohen Lehnstuhl zu, in welchem er sich niederließ, und setzte sich ihm gegenüber, in der Erwartung der Dinge, welche ihm der Fremde verkünden werde. Dieser streckte seine dünnen Beine aus, dehnte sich in dem Stuhl, und sagte: „Vor

Allem, mein verehrter Herr Bader, muß ich Euch sagen, daß Ihr ein ausgemachter Narr seid!“ „Ein Narr?“ fuhr der Wundarzt auf.

„Ja, ein Narr! weil Ihr Euer Geschäft vernachlässigt, und statt Euch durch Eure Geschicklichkeit und Euren Fleiß ein wenn gleich mäßiges, allein für Eure Person hinreichendes Einkommen zu sichern, lieber Euer Hab und Gut nach und nach in Rauch aufgehen läßt.“

„Im Gegentheil, wenn Ihr mich in Euere Geheimnisse einweiht, so werde ich ja das Verlorene tausendmal ersetzen,“ entgegnete der Wundarzt zitternd vor Erwartung und Ungeduld.

„Wißt Ihr aber auch, um welchen Preis ich Euch zu meinem Schüler machen will?“ fragte der Fremde, und seine kleinen Augen schleuderten funkelnde Blicke auf den Wundarzt.

[p. 83] „Und wäre es auch um mein Seelenheil. Ich will die Früchte meiner jahrelangen Mühen endlich einmal genießen, und Dasjenige erringen, wonach ich Tag und Nacht strebte!“

„Und könnt Ihr den unsterblichen Theil Eures Ich´s so leichten Kaufes hingeben, um irdische vergängliche Güter zu erhalten?“

„Ja! und wenn Ihr der Fürst der Hölle selbst seid, so will ich Euch für ewig zinsbar sein, nur lehret, lehret mich die Bereitung der Goldtinktur!“

„Wenn Ihr Euch mir verschreibt, und mir dienen wollt, so sollt Ihr in wenigen Jahren ein reicher Mann sein.“

„Hier meine Hand darauf. Ich bin Euer mit Leib und Seele! Nur laßt mich nicht länger auf das Geheimniß warten!“

„Nun so hört! hört! und befolget was ich Euch sage!“

„Ich höre!“

„Werft alle Eure alchimistischen Bücher in´s Feuer, denn Ihr werdet dann erst zu lernen anfangen, wenn Ihr sie losgeworden seid. Schade um die Zeit, die Ihr auf das alberne Wissen verwendet habt, mit dem Ihr keinen Hund vom Ofen lockt und Euch nicht einen Heller einbringt. Was Ihr aus Büchern lernt, ist nicht der Rede werth. Elende Theorien, die in der Praxis keine Anwendung finden. Greift zur Rasirschüssel, schmiert Pflaster, bereitet Pillen und Latwerge, reißt den Leuten die hohlen Zähne aus, zapft ihnen das Blut ab, richtet Bein- und Armbrüche ein, und laßt Euch dafür gut bezahlen, so seid Ihr im Besitz des Geheimnisses Geld zu machen, folgt Eurem Subjekten, der, [p. 84] während sein Herr immer ärmer wurde, von Tag zu Tag sich bereicherte.

„Ist das Euer ganzes Geheimniß? Sonst habt Ihr mir nichts zu sagen?“ schrie der Wundarzt zitternd vor Zorn.

„Nichts! Für Euch gibt es nichts Besseres, denn Ihr seid keiner höhern Mittheilung werth!“ sagte der Fremde, stand auf und wollte das Zimmer verlassen. Da erfaßte den Wundarzt wahnsinnige Verzweiflung, er packte den Fremden wüthend bei der Brust und schrie: „Elender Gaukler, so kamst Du nur um mich zu vernichten? Deinetwillen warf ich meine Bücher in´s Feuer, Du hast mir meine Retorten zertrümmert, und nun verhöhnst und verspottest Du mich noch? Du sollst nicht lebend meine Stube verlassen, bis Du mir den Schaden vergütest, den Du angerichtet.“

„Ha, ha, elender Schwächling! Weißt Du nicht, daß ich Dein Herr und Gebieter bin? Du hast Dich mir ergeben, und wirst mir gehorchen. Falle auf die Knie und bettle um Dein Leben, sonst bist Du verloren!“ sagte der Fremde, und legte seine breiten, großen Hände an den Hals des Wundarztes, ihn wie eine Schraube zusammenpressend. Der Wundarzt krallte zwar seine langen Finger in die Brust des Fremden, dieser aber preßte die Hände immer fester zu, und warf ihn endlich erdrosselt zu Boden. Als der Fremde hinab in die Officin kam, sagte er zu dem Subjekten: „Geht hinauf zu Eurem Herrn, er wird nie mehr laboriren. Gute Nacht!“ und verließ nach diesen Worten die Barbirstube. Dem Subjekten kam diese Aeußerung verdächtig vor. Er eilte in die Wohnstube seines Herrn und sah ihn todt auf der Erde liegen. Alle Belebungsversuche waren vergebens. [p. 85] Der Wundarzt war und blieb eine Leiche. Er zeigte diesen Vorfall bei Gericht an, und klagte den Fremden des Mordes an, jedoch alle Nachforschungen blieben vergebens. Man hat von dem Fremden nie etwas mehr gehört! Unter den Papieren des Verstorbenen fand sich ein Testament vor, in welchem er seinen Gehilfen zum Universalerben einsetzte. Dieser wurde durch seinen Fleiß und die kleine Erbschaft, die er gemacht, in kurzer Zeit in Stand gesetzt, das Haus käuflich an sich zu bringen, und nannte es nach der vergoldeten Büste des Paracelsus „zum goldenen Kopf“.