Histories/Clemens von Weyhrother (1856), Der goldene Kopf

From Theatrum Paracelsicum
Clemens von Weyhrother (1856), ‘Der goldene Kopf’,
in: Bohemia (Prague), vol. 29, no. 251, 22 October 1856, p. 578, no. 252, 23 October 1856, 593–594
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[p. 578] Der goldene Kopf

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts bewohnte das Haus zum goldenen Kopf in der Jesuitengasse, gegenwärtig Karlsgasse genannt, ein Wundarzt. Er hatte zu ebener Erde eine Officin, in welcher ein Subject die Leute bediente. Er selbst kümmerte sich wenig um sein Geschäft, denn er saß den ganzen Tag über alchymistischen Büchern. Der frühe Morgen fand ihn sicher beim Lesepult und erst nach Mitternacht legte er sich zu Bette, wo er gewöhnlich von schweren und bangen Träumen gequält wurde. Wenn er dann erwachte, eilte er in sein Laboratorium, schürte Feuer auf dem Herde an, stellte Retorten und Tiegel zurecht, um das Präparat von fester Gestalt und rother Farbe zu bereithen, welches nach alchymistischen Grundsätzen pulverisirt, auf ein anderes fließendes Metall geschüttet, dieses in Gold verwandelt, und in möglichst kleiner Gabe als Arznei innerlich genommen, das Alter verjüngt, das Leben verlängert und alle Krankheiten heilt. Von diesem Wahn befangen, vernachlässigte er sein Geschäft immer mehr, und wenn Leute kamen, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, so schickte er sie hinab in die Officin, denn er hoffte durch die Goldmacherkunst ein reicher Mann zu werden und seine Stelle niederlegen zu können. Sein Subject befand sich dabei vortrefflich, denn während der Herr oben im Laboratorium destillirte, schröpfte er, ließ zur Ader, richtete gebrochene Glieder ein, und das Geld, welches er für seine Mühe und Arbeit einnahm, fiel in seine Tasche, und er sparte ein hübsches Sümmchen zusammen. Dabei war er lustig und guter Dinge. Wenn er am Morgen erwachte, verrichtete er sein Gebet und ging singend an die Arbeit, und wenn der Abend kam, legte er sich nie zu Bette, ohne Gott zu danken, daß er seinen Fleiß gesegnet.

Eines Tages kam in die Officin ein seltsam aussehender Mann, der nach dem Wundarzt fragte. Der Fremde war klein, kurzes, schwarzes, struppiges Haar umgab wie Borsten seinen großen Kopf mit hoher, hervorragender Stirne, die kleinen, wie Kohlen leuchtenden Augen lagen tief in ihren Höhlen, die starken Backenknochen und die lange Nase war mit dunklem Roth bedeckt und der große Mund mit zwei Reihen weißer, funkelnder Zähne besetzt. Eine hohe, spitzige Mütze von rothem Tuch saß ihm auf der rechten Seite des Kopfes. Die kleine Gestalt mit großen Füßen und dünnen Beinen, so wie die langen Arme mit breiten Händen war in ein enganliegendes Wamms von schwarzem Sammt und in einen faltigen, langen, schwarzen Tuchmantel, der bis auf die Fersen reichte, gekleidet.

Der Subject erschrak, als die Gestalt in die Barbierstube trat, denn er fühlte nur zu gut, daß sie nichts Gutes verkünde. Er wies daher den Fremdling in das erste Stockwerk, in welchem der Herr wohnte, und war froh, als er, ohne sich aufzuhalten, die Stube verließ. Der Fremdling stieg die Treppe hinauf und mußte dreimal an die Thüre des Laboratoriums pochen, ehe die Stimme des Wundarztes „Herein!“ rief. Der Arzt, dem das Erscheinen des Fremdlings nichts weniger als angenehm war, denn es störte ihn in seinen alchymistischen Träumereien, fragte ihn unwillig, was er von ihm begehre, und warum er nicht in der Barbierstube geblieben sey.

Der Fremde verzog den breiten Mund zu einem grinsenden Lächeln, zog aus der Tasche seines Mantels eine Phiole hervor, die mit einer gelben Flüssigkeit gefüllt war, und hielt sie dem Wundarzt vor die Augen.

Dieser starrte sie verwundert an und sagte mit bebender Stimme: „Wer seid Ihr, und was ist in dieser Phiole enthalten?“

Der Fremde entgegnete mit schnarrender Stimme: „Das Elixir, welches Jhr seit zwanzig Jahren sucht und nicht finden könnt.“

„So seyd Jhr ein Alchymist und habt erreicht, was Tausenden nicht gelungen ist?“

„Freilich, Jhr kurzsichtiger Thor, der noch hundert Jahre in seinem Laboratorium stehen und doch nichts herausdestilliren wird.“

„Beweiset! Beweiset, daß Ihr kein elender Prahler seyd, und zeigt mir die Wirkung Eurer Goldtinktur!“

„Oh, mit tausend Freuden!“ sagte der Fremde, öffnete die gläserne Phiole, goß einige Tropfen auf die aus Bronze geformte Büste des Theophrastus Paracelsus, die im Laboratorium aufgestellt war, und in wenigen Minuten war sie in Gold verwandelt. Als dies der Wundarzt sah, fiel er vor dem Fremden auf die Knie nieder, und stammelte: „Herr, wenn Jhr nicht ein Geist der Hölle seyd, so enthüllt mir das Geheimniß, welches Euch diese Wunderflüssigkeit bereiten lehrte!“

„Steht auf, Jhr Stümper! der nur deßhalb vergebens laborirte, weil er nie die smaragdne Tafel des Hermes Trismegistos sah, auf welcher die Grundsätze der Alchymie verzeichnet sind.“

„Und ward Euch dies außerordentliche Glück zu Theil?“ fragte zitternd der Wundarzt.

„Ja, in den Pyramiden von Egypten habe ich ihre geheimnißvollen Schriftzüge verstehen gelernt!“ sagte der Fremde, und warf einen verächtlichen Blick auf den Wundarzt, der sich vor Staunen und Bewunderung nicht zu fassen wußte. Hierauf raffte der Fremde die alchymistischen Bücher zusammen, schleuderte sie in die Flammen, klopfte mit seinen dürren Fingern an die Retorten und Kolben, warf sie lachend auf den Fußboden, daß sie in Stücke zersprangen und sagte: „Mit solchem Apparat und bei solcher Gebahrung werdet Jhr freilich nichts zu Stande bringen. Kommt in Eure Stube und hörte, was ich Euch zu verkünden habe.“

[p. 593] Der Wundarzt nahm das Licht, welches in der Nähe des Herdes stand, und begleitete den Fremdling in die dem Laboratorium gegenüberliegende Wohnstube. Dort angelangt, schob der Arzt dem Fremden einen hohen Lehnstuhl zurecht, in welchem er sich niederließ, und setzte sich ihm gegenüber, in der Erwartung der Dinge, welche ihm der Fremde verkünden werde. Dieser streckte seine dünnen Beine aus, dehnte sich in dem Stuhl, und sagte: „Vor Allem, mein verehrter Herr Bader, muß ich Euch sagen, daß Ihr ein ausgemachter Narr seyd!“

„Ein Narr?“ fuhr der Wundarzt auf.

„Ja, ein Narr! weil Jhr Euer Geschäft vernachlässigt, und statt Euch durch Eure Geschicklichkeit und Euren Fleiß ein, wenn gleich mäßiges, allein für Eure Person hinrei⟪chen⟫des Einkommen zu sichern, lieber Euer Hab und Gut nach und nach in Rauch aufgehen lasset.“

„Jm Gegentheil, wenn Jhr mich in Eure Geheimnisse einweiht, so werde ich ja das Verlorne tausendmal ersetzen,“ entgegnete der Wundarzt zitternd vor Erwartung und Ungeduld.

„Wißt Jhr aber auch, um welchen Preis ich Euch zu meinem Schüler machen will?“ fragte der Fremde, und seine kleinen Augen schleuderten funkelnde Blicke auf den Wundarzt.

„Und wäre es auch um mein Seelenheil. Jch will die Früchte meiner jahrelangen Mühen endlich einmal genießen, und dasjenige erringen, wonach ich Tag und Nacht strebte.“

„Und könnt Ihr den unsterblichen Theil Eures Ich so leichten Kaufs hingeben, um irdische vergängliche Güter zu erwerben?“

„Ja! ich will! und wenn Jhr der Fürst der Hölle selbst seyd, so will ich Euch für ewig zinsbar seyn, nur lehret, lehret mich die Bereitung der Goldtinctur!“