Histories/Anonymous (1885), Doktor Sassafraß

From Theatrum Paracelsicum
Anonymous (1885), ‘Doktor Sassafraß’,
in: Neuigkeits-Welt-Blatt (Wien), no. 146, 28 June 1885, p. 2–3
[Source on ANNO.at]
Quote as: https://www.theatrum-paracelsicum.com/index.php?curid=3149

[p. 2] Doktor Sassafraß.

Woher stammt der so häufig gehörte Name „Doktor Sassafraß?“ Diese für Viele interessante Frage beantwortet der Spezialist des „Welt-Blatt“ in lokalhistorischen Angelegenheiten auf folgende Weise:

Mit der Scherzbezeichnung „Doktor Sassafraß“ benennen Freunde von Aerzten diese selbst bei vorkommenden Gelegenheiten, wo man sich gegenseitig in guter Laune befindet. Es geschah dies bereits vor langen Zeiten, wie denn auch der Tonheros Beethoven den Sohn seines Freundes, des Hofrathes Breuning, welcher Arzt gewesen, mündlich oder in Briefen gern „Doktor Sassafraß“ zu bezeichnen liebte. Auch in humoristischen Novellen, in Volkspossen und dergleichen wird der darin vorkommende, irgend eine lachenerregende Gewohnheit kundgebende Arzt mit dem Namen „Doktor Sassasraß“ gekennzeichnet. Die Bezeichnung ist also — ob im Ernst oder Scherz gebraucht — nur auf Aerzte anwendbar, wie solches von jeher der Fall gewesen. Welcher Arzt aber gab die allererste Grundlage dazu und was war daran Ursache? Diese Frage soll sofort eingehend erörtert werden.

Es war im Jahre 1538 gewesen, als ein hochberühmter Arzt, den sogar der Ruf begleitete, ein „Wundermann “ zu sein, auch die Haupt- und Residenzstadt Wien besuchte — es war dies Philipp Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim. Er stand damals im Alter von 47 Jahren, war Professor an der Universität zu Basel, ungemein wohlerfahren in Botanik, Chirurgie, Astrologie (Sterndeuterei), Metallurgie und Alchymie (Goldmacherkunst), so daß die ganze Welt von seinem gelehrten Ruhme erfüllt war. Man schrieb ihm die wunderbarsten Kuren zu, glaubte, er besitze die Mittel, Gold zu machen und das menschliche Leben zu verlängern, welcher Meinung er nicht nur nicht widersprach, sondern dieselbe vielmehr durch mystische Reden und Thaten bestärkte, wozu er allerdings beinahe gezwungen war, denn die Geheimnißkrämerei gehörte in jenen Tagen zur Modeleidenschaft und der Vernünftige konnte sein Fortkommen nur dann finden, wenn er die Leicht- [p. 3] gläubigkeit der Menge, obgleich sie verlachend, doch zu seinem Nutzen ausbeutete.

Seine ungeheure Geschicklichkeit in der Erkenntniß der Krankheiten, was heute Diagnose genannt wird, die Schnelligkeit in der Heilmethode, oft mit den einfachsten Medikamenten erzielt, verhalfen ihm zu seinem unsterblichen Ruhme, aber auch zu zahllosen Neidern und Gegnern und zogen ihm viele Verfolgungen zu, welche durch sein heftiges Temperament, seine unverschleierten Ausdrücke in den Kontroversen (Streitfragen) immer mehr gesteigert wurden.

Da waren es denn des Paracelsus grimmigste Gegner, welche zuerst den Spottnamen: „Doktor Sassafraß “ auf seine Person in Anwendung brachten, jedoch nicht, wie mehrseitig geglaubt wird, als Verstümmelung seines Vornamens „Theophrastus“, sondern von seinem Haupt-Medikamente, der Saxifraga (Hauswurzel, Steinbrech, weil sie sich auf Mauern ansetzt und durch ihre üppig wuchernde Ausbreitung selbst Steine sprengt). Diese prächtige und heilsame Hauswurzel findet man heute noch auf den Gartenmauern der Häuser in Vorstädten und Landorten in großer Anzahl gepflegt. Daß Paracelsus seine vornehmlichsten Kuren mit dieser einfachen Hauswurzel, ferner mit Laudanum (Mohnsaft)-Pillen, welche er erfunden, vollführte, konnten ihm gar manche der Wiener Aerzte nicht vergeben, welche es für ihren Säckel vortheilhafter hielten, den Patienten je länger desto lieber an sich zu ketten und so mehrte sich die Zahl seiner Feinde und Gegner, über welche er in einer Audienz bei König Ferdinand I. in der Hofburg ganz offen sagte: „Allergnädigster Herr, der Haufe ist groß, der sich wider mich einlegt, klein aber ist ihr Verstand und ihre Kunst, darum sie mir nichts abkämpfen, denn sie haben der Proben zu wenige. Ich darf mich freuen, daß mir Schalke feind sind, denn die Wahrheit hat keine Feinde als die Lügner u. s. w.“ Und in einem Briefe, der aus Wien datirt ist, sagte Paracelsus: „Sie (die Aerzte nämlich) haben aber besser befunden, so ich zu St. Stefan bin, sie seien auf den hohen Markt, gang ich an den Lugeck (wo Paracelsus wohnte und zwar im „Laszla-Haus“, an der Stelle des heutigen Federlhof, Lugeck Nr. 3), daß sie gen St. Laurenzen gehen, welcher Gegenwärtigkcit von ihnen nicht zugelassen, sondern erfreuen sich mich zu verletzen, so ich vierzig Meilen von ihnen bin. Haben also dermassen ein Knopf gemacht, daß ich an Tag zu kommen mit meinen Werken nicht befinden hab´ mögen.“

Seine Manieren waren aber auch absonderlich. Kam er in Erregtheit, so wurde seine sonst strenge aber wohlwollende Miene verzerrt und er sprudelte in widerlichster Weise seine Streitpunkte hervor. Stand ein Tisch in der Nähe, so hieb er mit dem großen Schwerte, das er stets an der Seite trug und das auch seine kleine, gekrümmte Gestalt in komischer Weise hoch überragte, derart in denselben hinein, daß die Laudanum- Pillen, die er behufs schnellen Gebrauchs im Schwertknopfe stets bei sich trug, im ganzen Zimmer herumflogen. Er selbst sagte von sich: „Mein Betragen ist weder fein, noch milde, aber dies gefällt mir fast wohl. Von der Natur bin ich nicht subtil gesponnen, auch ist nicht die Art meines Geburtslandes (der Schweiz), daß man mit Seidenspinnen etwas zu erlangen trachtet. Man zieht bei uns die Kinder nicht mit Feigen, Meth oder Weizenbrod, sondern mit Käse, Milch und Honig.“

Mit der Anwesenheit des „Wundermannes“ ist eine liebliche Sage verbunden, welche sich an ein Wiener Haus knüpft, an den sogenannten Küßdenpfennig (Adlergasse Nr. 4). Seit uralten Zeiten befand sich in diesem Hause der Adlergasse eine Gastwirthschaft, beschildet „zum schwarzen Adler“, woher auch der Straßenname stammt. Der vermögliche Besitzer derselben im Jahre 1538 hatte als einziges Kind, einen Sohn, der eine entfernte dort bedienstcete Verwandle liebte, jedoch auf die Einwilligung des Vaters zur Verbindung mit dem armen Mädchen nicht rechnen durfte. Paracelsus soll nun oft in das Gasthaus gekommen sein und dort mit den Aerzten und Bürgern disputirt haben.

Eines Tages war großer Skandal daselbst. Das Liebespärchen war vom Vater überrascht worden und das arme Schankmädchen erhielt Befehl, sofort das Bündel zu schnüre“. Paracelsus legte Fürbitte ein, erhielt aber den zornigen Bescheid, lieber seine rückständige Zeche zu bezahlen, als sich in Dinge zu mischen, die nur die väterliche Gewalt angingen; zudem drohte der Wirth dem Doktor, wenn nicht die augenblickliche Zechschuld erfolge, denselben aus dem Hause schaffen zu lassen.

Der Wundermann nahm einen messingenen Pfennig aus der Tasche und reichte ihn dem Wirthe als „Anzahlung“, wie er sich ausdrückte, nochmals eine Fürbitte in Betreff der Liebenden anschließend. Aber da gerieth der Wirth ganz aus dem Häuschen. Er warf den messingenen Pfennig gräßlich scheltend auf den Boden und schwor bei allen bösen Geistern, daß nur dann, wenn sich derselbe sofort in ein Goldstück verwandeln würde, sein Sohn die arme Dirne zum Weibe nehmen könne.

Da gebot Paracelsus dem Wirthe, den Pfennig aufzuheben und — siehe da! — ein schweres Goldstück lastete in seiner Hand. Die Nachricht davon verbreitete sich blitzschnell in der Stadt. Alles strömte herbei, um den Gasthof zu sehen, wo ein solches Zanberstücklein verübt worden und der Besitzer hatte von da an so viel Zulauf, daß er sein Vermögen verdoppelte. Außer sich vor Freude, küßte er den Goldpfennig unzählige Male und aus Furcht vor den von ihm zitirten bösen Geistern, wenn er seinen Schwur nicht hielte, ließ er schleunig das junge Liebespaar trauen. Von dieser Zeit an nannte man das Haus „zum Küßdenpfennig“, und die Szene wurde durch ein Steinbild an der Außenmauer verewigt, das einen stattlich gekleideten Mann vorstellt, der einen goldenen Pfennig küßt. Darunter stand die Geschichte, in erbauliche Verslein gebracht. Bei der im Jahre 1810 erfolgten Renovirung des alten Hauses wurde das Standbild entfernt und gerieth leider in Verlust. Das alte Haus wurde 1878 demolirt und an dessen Stelle erhebt sich nunmehr ein moderner Prachtbau.

Noch heute wird dem Fremden, der das Grabmal des zu Salzburg im Jahre 1541 verstorbenen Wundermannes Paracelsus besucht, bemerkt, daß hier „Doktor Sassafraß“ ruhe; freilich geschieht derlei nur seitens irgend eines Bäuerleins, auf das diese Gepflogenheit von Ur- Ur-Ur-Großvaters Seite her übergegangen war.

Nach Paracelsus Tode verschwand diese Bezeichnung auf lange, lange Zeit; es kurirten eben seine Nachfolger nicht mehr so ausschließlich mit der Saxifraga. Da tauchte auf einmal zur Zeit Kaiser Karl´s VI. ein sehr geschickter Arzt auf, ein Volksarzt und zugleich kaiserlicher Leibarzt, Namens Peter Bianchi (1700–1747), welcher allen seinen Patienten ein nicht minder heilkräftiges Mittel verordnete, nämlich das gelbbraune, geschwärzte Holz des Sassafraßbaumes in Nordamerika und die Sassaparilla (heilsame Wurzel der amerikanischen Stechrinde.) Ach! da hatte man ja den Jahrhunderte lang entbehrten „Doktor Sassafraß“ wieder und diesmal wollte die Anwendung besagen, daß die Kur des Dr. Bianchi nur darin bestände, seine Patienten Sassaparilla einnehmen zu lassen, dieses Medikament also ein wahres „Sassa-Fraß“ sei.

Und so blieb der wiedergeborene Scherzname von da an als Bezeichnung für alle Aerzte, mit denen man vertraulich Späße zu machen sich gestatten darf, bis auf den heutigen Tag.