Escher 1838 Paracelsus
Heinrich Escher,
Paracelsus 1838 |
Text
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Durch das Gesagte scheint endlich die streitige Abstammung von Paracelsus ausgemittelt. Der Vater war Wilhelm Höhener von Gais, der sich zu Einsiedeln niedergelassen und dort verheirathet hatte. Dagegen ist es unmöglich gewesen, Licht in das Dunkel zu bringen, welches auf seiner Jugendgeschichte schwebt. Man weiß nicht, wie lange sich der Vater zu Einsiedeln aufgehalten hat, wie er nach Villach gekommen, was aus der Mutter geworden ist. Von Einigen wird behauptet, Paracelsus sei ein uneheliches Kind gewesen. Auch wird erzählt, er sei in seinem dritten Jahre durch den Biß eines Schweines so verletzt worden, daß Entmannung daraus entstand; daher sei er immer bartlos gewesen und habe die größte Abneigung gegen das weibliche Geschlecht gezeigt. Es ist indessen wegen des wüthenden Hasses seiner zahlreichen Gegner, und der blinden Vergötterung, womit besonders seine spätern Anhänger ihn verehrten, schwierig, aus diesen und andern Geschichten die Wahrheit auszumitteln. – Auch der Gang, welchen seine Bildung nahm, kann nicht genau verfolgt werden. Er selbst sagt darüber 1) : „Von __________
1) Im zweiten Buche der großen Wundarznei, im dritten Tractat, Cap. 1.
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2) Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker. 1. Heft. S. 18. 1819.
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Nach seiner Entfernung von Basel beginnt wieder das frühere unstäte Leben. Über ein Jahr trieb er sich im Elsaß herum und stand besonders auch bei dem Adel dieser Gegenden in hohem Ansehen. Er erwarb hier bedeutende Summen, ergab sich aber immer mehr der Verschwendung und Völlerei. Mit der niedrigsten Classe von Menschen verschwelgte er die halben Nächte beim Wein, und nur außerordentliche Geisteskräfte konnten bei so viehischem Treiben den Sieg behaupten. Paracelsus verhehlt dies auch nicht im Geringsten. In der Vorrede zum Spitalbuche, wo er sich nach seiner Gewohnheit heftig gegen andere Arzte äußert, sagt er: Es komme nicht auf äußere Pracht an, sondern auf Erfahrung und verrichtete Thaten. „Denn es bezeugt der Rhein, die Thonaw (Donau) und die guten Gesellen, daß Kleidung, Haus und Hoff, so wol etwan einer unter euch hat, mir oft ein Monat nicht gekleckt (hingereicht) hatt. Es ist nicht eines Arztes Lob, so er sein Gut vertrinkt, oder sein Haus im Guß durchgehet, daß er hierauf verdorben sei (zu Grunde gerichtet). Ich hab mein Hauptgut behalten, das Geld verdümelt (verschwendet) und obs ein Grafschaft wär, noch ist meinem Hauptgut nichts abgangen.“ Dieses Hauptgut (Capital) sei die Kunst selbst; mit dieser müssen sie mit ihm kämpfen. – Verschiedene Orte, wo er sich in diesen Jahren aufgehalten, gibt er in den Vorreden und Zueignungsschreiben seiner Schriften an. Im J. 1528 den 8. Juli datirt er zu Colmar (Opp. T. II. p. 376), den 25. Nov. 1529 zu Nürnberg (ibid. p. 149), den 1. März 1530 zu Beritzhausen (ibid. p. 680), im nämlichen Jahre zu Amberg (ibid. p. 626), dazwischen muß er zu Eßlingen gewesen sein, wo, wie er ebendaselbst sagt, sein Elend anfing, das die Nürnberger vollendet haben. Diese Klagen beziehen sich theils auf Betrügereien, wodurch er um seinen Lohn verkürzt worden, theils auf ein Druckverbot des Rathes zu Nürnberg gegen eine seiner Schriften, das durch die Universität Leipzig war ausgewirkt worden. In dem Schreiben, das Paracelsus deswegen an den Rath erließ (Opp. T. II. p. 679), beruft er sich darauf, daß Nürnberg „aus Kraft des Evangeliums“ die Wahrheit beschirmen sollte, und anerbietet sich zu einer Disputation. – Im J. 1531 und den folgenden Jahren war er zu St. Gallen und im Appenzellerlande (Opp. T. L. 51. T. II. p. 637. 644). Andere Daten jedoch ohne Angaben der Jahre sind von München und Nördlingen. Ebenso wenig läßt sich das Jahr ausmitteln, in welchem er die kleine Schrift: „Von der Pestilenz“ geschrieben hat (T. I. p. 356). In der Vorrede sagt er, daß ihn nur die äußerste Noth getrieben, diese Arcana mitzutheilen. Das gegenwärtige Jahr habe ihn in ein ungeduldig Elend getrieben: „Dann Gunst, Gewalt und die Hundtsketten waren mir zu schwer überladen.“ Er sei dadurch gezwungen worden, eilig fremde Lande zu besuchen, und sei also nach Inspruck gekommen, aber wegen seiner schlechten Kleidung genöthigt worden, weiter zu ziehen. Zu Sterzingen habe er dann zwei Freunde gefunden, Kerner und Marx Poschinger. Während er nun da war, sei die Pestilenz eingebrochen. Er habe deswegen die nachfolgende Schrift über diese Krankheit dem Rathe übergeben. „Wie geschah aber mir? als einem der sich unter die Kleien mischt, den fressen die Säu. Zween Bresten (Fehler) hat ich an mir an demselben Ort: mein Armut und mein Frommkeit. Die Armut sei dem Bürgermeister verächtlich gewesen: Jetzt ward der Sentenz gefällt, daß ich kein Doctor wäre. Der Frommkeit halben richtet mich der Prediger und der Pfarrer aus. Also ward ich in Verachtung abgefertigt.“ Er sei daher mit Marx Poschinger nach Meran gezogen, „daselbs hab ich Ehr und Glück gefunden. So aber dieß mein Libell (diese Schrift über die Pestilenz) einem gemeinen Rath und der Gemeinde (zu Sterzingen) so treulich, als ihr gesetzt hab, überantwortet wäre worden, wollte ich weder meiner Frommkeit |
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Die Geschichte der Schicksale des Paracelsus wird immer fragmentarisch bleiben, da sein beständiges Umherschweifen unmöglich macht, den Faden zu verfolgen, und die Einzelnheiten, welche seine Anhänger und seine Gegner erzählen, gleich unzuverlässig sind. Er äußerte selbst gegen seine Schüler, daß er nie lange an einem Orte bleiben könne. Immer aber folgten ihm Einzelne derselben nach, obgleich sein Übermuth, sein unverträgliches Wesen und sein tolles, wildes Leben die Einen bald wieder vertrieb, während Andere ihn verließen, sobald sie glaubten, ihm etwas von seinen geheimen Künsten abgelauscht zu haben. Vor diesen ungetreuen Schülern, die er mit Judas vergleicht (T. II. p. 292), warnt er wiederholt in seinen Schriften (p. 173). Ehe er noch den Mund geschlossen, wissen sie schon mehr als er selbst, und während er mit großer Sorgfalt die Kranken behandle, würgen sie einen nach dem andern ab (p. 301). Ausdrücklich warnt er auch vor den Auditoribus, so er zu Basel verlassen habe: „die mir haben die Federn ab dem Rock gelesen, die mir haben Urin aufgewärmt, die mir haben gedient und gelächlet, und wie die Hündlein umgestrichen und angehangen. Das sind und werden Erzschelmen geben u. s. w.“ (Opp. T. I. p. 143). Daher klagt er auch, daß wenige von seinen Schülern gut ansgefallen seien. In der Vorrede zu den Büchern Berthonnä (Opp. T. II. p. 335) stellt er folgende Berechnung auf: „Was ich in Arzten geboren hab aus den hunderten von Pannonia, sind zween wol gerathen, aus den Confin Poloniä drei; aus den Regionen der Saren zween; aus den Sclavonien Einer; aus Bohemien Einer; aus dem Niderland Einer; aus Schwaben. Keiner; wiewol in einem jeglichen Geschlechte große Zahlen gewesen sind. Ein jeder aber hat mein Lehr nach seinem Kopf gesattelt. – Aus meinem Patria, als die letzten, sind noch nit erwachsen: welche sie aber für erwachsen gehalten haben, setz ich neben schwäbischen und in die Secten der verlornen Arzten.“ Eine ähnliche Berechnung findet sich in den Fragmentis de Morbo gallico (opp. T. II. p. 648), wo er doch einen Schwaben gelten läßt, und auch unter seinen Landsleuten Einige. Besonders aber nennt er als getreuen Schüler Johannes Oporinus von Basel; ferner Doctor Cornelius (Agrippa von Nettesheim) und einige Andere (p. 174). Wie jeder ausgezeichnete Mann, so muß auch Paracelsus, wenn ein begründetes Urtheil über ihn soll gefällt werden, nach den Verhältnissen seiner Zeit und nach seiner eignen Stellung zu derselben betrachtet werden. Dadurch wird es erklärlich, wie ein großer Geist, in welchem die erhabensten Ideen leben, der die geistreichsten Ansichten und treffliche Lehren laut verkündigt hat, zugleich die verkehrtesten Richtungen verfolgen und dem schimpflichsten Aberglauben sich ergeben konnte. Darum sind aber auch die Urtheile über ihn zu allen Zeiten so widersprechend gewesen und werden es bleiben, so lange nur einzelne Seiten seines Wirkens dargestellt, nicht sein ganzes Streben im Zusammenhange aufgefaßt wird. Paracelsus trat in einer Zeit der Gährung und kühner Angriffe gegen althergebrachte Lehren und Meinungen auf. Der Autoritätsglaube war erschüttert. Luther und, unabhängig von ihm, Zwingli sprengten mit kräftiger Hand die Fesseln, worin die Geistesthätigkeit bisher gebunden lag. Die Namen verloren ihr Gewicht, und fruchtlos kämpfte die scholastische Philosophie für Behauptung ihrer Herrschaft. Frei entfaltete sich die jugendliche, losgebundene Kraft in jeder Richtung; auch auf die Heilkunde und ihre Grundlage, die Naturwissenschaften, mußte die Bewegung der Geister sich erstrecken. Paracelsus trat als Reformator auf, als in diesen Wissenschaften auch schon Einiges durch entstandene Zweifel an der Untrüglichkeit des Ibn Sina, Galenus etc. war vorbereitet worden. Ihn hatte das Leben und die Erfahrung gelehrt; aber gründlicher Schulbildung, stufenweiser Verstandesentwickelung entbehrend, häufte er in seinem Geiste eine Masse von Wahrheiten und Irrthümern |
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Diese allgemeinen physikalischen Ideen sind nun überall in seinen Schriften zerstreut, zugleich aber mit theosophischen, kabbalistischen und astrologischen Vorstellungen, mit apokalyptischen und chiliastischen Träumereien verwebt. Eine vollständige Darstellung dieser Meinungen gestattet hier der Raum nicht; sie wurden aber von großer Wichtigkeit dadurch, daß Paracelsus dieselben auf die Heilkunde anwandte. Er stellte vier Columnas der Arzneiwissenschaft auf. Die erste nennt er die Philosophie der Erde und des Wassers, also seine mystische Physik. Zweitens „die Astronomie und Astrologie, mit vollkommener Erkenntniß beider Elemente, der Luft und des Feuers.“ Drittens die Alchimie (Chemie) „ohne Gebresten mit aller Bereitung, Eigenschaft und Kunstreich über die vier gemeldten Elemente: Und daß die vierte Säule sei die Tugend, und bleibe beim Arzt bis in den Tod, die da beschließ und erhalte die andern drei Säulen“ (Opp. Tom. I. p. 199). Der Arzt aber muß dazu geboren sein, und sein Wissen aus folgenden Quellen schöpfen: Vor Allem aus Gott, von welchem der Geist der Menschen ist, und zu dem er wieder gehet, denn von ihm fließt alle Weisheit aus und auf diesem Wege nur kommen die Geheimnisse der Natur in uns. (Dieses Versenken in die Idee von der Gottheit und die damit verbundene Verachtung der Gelehrsamkeit kommt bei Paracelsus, wie bei andern Schwärmern, häufig vor.) Hierauf aus dem Firmament, das die Menschen krank und gesund macht. Drittens muß er die Gesundheit und Krankheit der Elemente kennen, um zu entscheiden, aus welchem Elemente eine Krankheit komme, denn was das Holz faulen macht, bewirkt auch Fäulniß im menschlichen Körper. Viertens muß er wissen, wie vielerlei Arten von Körpern in dem einzigen menschlichen Körper oder dem Mikrokosmus sind, indem er denselben mit dem Makrokosmus vergleicht. Das fünfte Buch, aus welchem der Arzt lernen soll, ist die Alchimie, d. h., nach der Erklärung von Paracelsus, nicht blos die eigentliche Chemie, wobei er des Goldmachens gar nicht gedenkt, sondern auch jede durch Feuer geschehende Zubereitung der Naturstoffe für den Gebrauch. Sogar der Bäcker heißt ihm deswegen Alchimist oder Vulcanus. „Die Alchimia ist von Gott gesetzt als ein rechte Kunst der Natur, und die Sudlerei, wie die Montpelierischen Apotheker handlen, ist kein Kunst.“ |
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Einige seiner eigenthümlichen Ansichten und Lehren verdienen noch besondere Erwähnung. Vor Allem gehört hierher seine Lehre vom sogenannten Tartarum oder Tartarus, welche Sprengel in der Geschichte der Medicin „eine der gemeinnützigsten und brauchbarsten Neuerungen“ nennt, die Paracelsus gemacht hat. Im ersten Bande seiner Werke findet sich eine Schrift „Von den tartarischen Krankheiten, nach dem alten Namen vom Stein, Sand und Gries.“ Diese alten Namen erklärt er für unrichtig, weil sie diese Krankheiten zu sehr beschränken; der Tartarus gibt ein Öl, ein Wasser, eine Tinctur, ein Salz, welches den Körper wie höllisches Feuer anzündet. Tartarus ist ihm das Unreine in jedem Ding, im Wasser, im Wein etc. Er entsteht im Menschen durch die Dinge, die er genießt. Denn in jeder Speise ist neben der Nahrung ein Gift, Tartarus, enthalten. Aber im Magen wohnt ein Alchymist, der Archeus (den er sonst auch Spiritus vitae nennt. Opp. Tom. I. p. 318), welcher Beides scheidet, den Tartarus destruirt und ihn durch den Stuhlgang und den Urin austreibt. Wird aber der Tartarus nicht durch den Archeus destruirt, so wird er durch Spiritus salis coagulirt, und damit entsteht der Tartarus des menschlichen Leibes. Wie der Zimmermann aus einem Stücke Holzes nichts mehr machen kann, wenn es verbrannt wird, so muß der Archeus im Magen den Tartarus nicht blos ausscheiden, sondern destruiren, damit der Spiritus salis denselben nicht coaguliren und zum menschlichen Tartarus machen könne; sonst bleibt er in dem Körper. Ist also der Archeus geschwächt, sodaß er die Scheidung nicht vollständig machen kann, so entsteht aus dem mit dem Guten vereinigten Gifte eine Fäulniß; bewirkt er wol die Scheidung, aber nicht die Destruction des Giftes, so entsteht durch den Salzgeist der Tartarus. Diesen Tartarus betrachtet er nun als den Grundstoff aller Krankheiten, die aus Verdickung der Säfte, oder aus Rigidität der festen Theile, oder Ansammlung erdiger Stoffe entstehen, und fodert daher vom Arzte, daß er auf den Archeus wirke, d. h. die Thätigkeit der Natur leite und unterstütze, und daß er nicht wähne, die Säfte verändern zu können. Noch nimmt er eine andere Art des Tartarus an, der nicht von Außen in den Menschen kommt, sondern ihm angeboren ist, weil der Mikrokosmus alle Eigenschaften des Makrokosmus hat und deswegen auch Tartarus in ihm sein muß (Opp. Tom. I. p. 291). Bemerkenswerth ist ferner, daß er auf chemische Untersuchung des Urins dringt (Opp. T. I. p. 304), und was er (p. 1019 sq.) von den Wirkungen der äußerlichen Anwendung des Magnets gegen Blutflüsse, Flüsse des Stuhlgangs und gegen Krankheiten behauptet, die sich von ihrem Centrum über den Körper ausbreiten. Besonders verdient hat sich aber Paracelsus um die Chirurgie gemacht, durch Aufstellung folgender Grundsätze und Ansichten, die damals ganz neu und unerhört waren. „Die Natur des Fleisches, des Leibes, des Geäders, des Beins hat einen angebornen Balsam, welcher die Wunden heilet. Jedes Glied trägt in sich selbst seine Heilung. Der Wundarzt aber hat durch seine Arznei dafür zu sorgen, daß die Elemente den Balsam nicht zurückschlagen oder verderben. Der Balsam bedarf indessen auch der Nahrung. Er erhält dieselbe theils durch die Speisen, theils durch die Arznei, welche über die Wunde gelegt wird. Es ist aber nicht die Arznei, welche die Wunden heilt, sondern der im Körper liegende Balsam, den er Mumia nennt und für süßen Mercurius erklärt (T. II. p. 338). So heilt auch durch die Mumia an einem jungen Baume ein Schnitt wieder zu, während in einem alten Baume die Mumia nicht mehr in hinlänglicher Kraft und Menge sich findet. Der Hund beleckt seine Wunde, damit die Mumia feucht und in gehöriger Temperatur erhalten werde. Überhaupt heilt die Natur selbst ihre Schaden, wenn ihre Temperatur erhalten wird. Die Arzneien für die Wunden sind also Conservativa, nicht Incarnativa, wie die Arzte sie bisher genannt haben, in der Meinung, daß sie selbst zu Fleisch werden. Die Aufgabe des Arztes ist also, jeder Wunde die passende Arznei aufzulegen, woraus die Mumia ihre Nahrung zieht, um desto kräftiger zu wirken. Daher verwirft Paracelsus auch das Verkleistern der Wunden mit Eiweiß etc., ebenso den Gebrauch von schneidenden oder brennenden Instrumenten, die Anwendung von Nähten etc. Diese Lehre von der Mumia bringt er auch mit der Idee vom Mikrokosmus in Verbindung (Opp. T. I. p. 103) und findet in der Mumia alle möglichen Kräfte der Natur. Daher leitet er dann auch die wunderbaren Heilungen ab, die am Grabe von Heiligen eine Zeit lang stattfinden können, bis die Mumia ganz vertrocknet sei. Es seien aber dies keineswegs Wunder, sondern natürliche Wirkungen der unsichtbaren Mumia. Paracelsus kannte auch schon außer der atmosphärischen Luft verschiedene Gasarten, unter andern das Gas, welches sich bei der Gährung und dem Aufbrausen der Körper entwickelt, dieses nannte er „wilden Geist,“ Spiritus sylvester. Ebenso machte er auf die Schädlichkeit der Metalldünste und auf den Einfluß der verdorbenen Luft in den Hospitälern aufmerksam. Er vermuthete schon, daß die Luft aus Wasser und Feuer bestehe und unterschied zwischen verborgenem und sichtbarem Feuer. Auch seine Vorstellungen von der Quinta essentia sind für sein ganzes System der Heilkunde wichtig. Quinta essentia ist ihm ein ganz rein ausgezogener Spiritus, in welchem allein die Natur, Kraft, Tugend und Arznei des Dinges, seine Farbe, sein Leben besteht. Es ist der Spiritus vitae, der aber bei Menschen und Thieren sterblich ist, in Pflanzen und Mineralien hingegen daurend. Darum kann aus Fleisch und Blut keine Quinta essentia gezogen werden. Wäre es möglich, das Leben des Herzens auszuziehen, ohne Zerstörung, wie es aus den Dingen, welche keine Empfindung haben, geschehen kann, so würden wir durch diese Quinta essentia ohne Krankheit das Leben ewig erhalten können. Dagegen kann z. B. aus einer abgebrochenen Melisse noch die Quinta essentia |
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Neben dem, was Paracelsus für Heilkunde, Chemie und Naturwissenschaft überhaupt geleistet hat, darf aber auch nicht übersehen werden, wie viele Nahrung durch ihn Aberglaube aller Art erhielt. Von der Idee des allgemeinen Naturlebens war für einen Mann von so glühender Phantasie in jener Zeit der Schritt zu der Vorstellung unvermeidlich, daß das Weltall, die Erde, das Wasser, das Feuer mit einer zahllosen Menge geheimer, nicht von Adam stammender, nur mit Geist und Körper, aber nicht mit einer Seele begabter, Wesen bevölkert sei. Ausführlich schildert und benennt er ihre Classen, gibt ihren Verkehr und sogar Verheirathungen mit den Menschen an, und erzählt in allem Ernste läppische Kindermährchen (vergl. Opp. T. I. p. 78. T. II. p. 13. 180 sq. 291. 416 sq.). Ebendahin gehören seine Empfehlungen der Kabbala und Magie, der Werth, den er auf Buchstaben und Talismane setzte, die Ideen von den Einwirkungen auf Andere durch die Imagination und vermittels Bilder derselben, die aus Wachs bereitet werden. Von der Wahrheit und Wichtigkeit der Astrologie ist er ganz überzeugt: sie ist bei ihm ein Gemisch von Meteorologie, Nativitätstellen, Prophezeiungen und Kenntniß des Einflusses der Constellationen auf den Gesundheitszustand. Darum gehört ihm auch die Astrologie zur Heilkunde, und der Arzt muß, um die Krankheiten zu erkennen, immer die Planeten fragen, und die Beziehung jeder Pflanze zu ihrem bestimmten Sterne kennen, denn jeder Stern zieht durch seine anziehende Kraft die ihm entsprechende Pflanze aus der Erde, und theilt ihr seine Wirksamkeit mit. Höchst nachtheilig war auch in der Medicin seine Idee von den Signaturen, d. h., der Wahn, daß aus einzelnen äußern Zeichen der Pflanzen, aus ihrer Form, Zeichnung, Punkten etc., wenn sich eine Ahnlichkeit im menschlichen Körper finden läßt, die Wirkung derselben auf bestimmte Theile des Körpers oder bestimmte Krankheiten erkennen lasse. Wenn aber Paracelsus die Magie als die Wissenschaft durch Hilfe der Einbildungskraft große Dinge zu wirken und die Geheimnisse der Natur durch das innere Licht zu entdecken, empfiehlt, so verwirft er dagegen sehr entschieden die Nigromantie oder die Teufelsbeschwörungen und Zauberei; zwar nicht aus Überzeugung, daß solche Künste ein leerer Wahn seien, sondern aus Frömmigkeit, denn überall blickt durch allen Aberglauben ein frommes Gemüth durch. (vergl. Opp. T. III. p. 307). Daher ist auch auf die Worte, welche ihm seine Gegner überall vorwerfen: „Wenn Gott nicht helfen will, so helfe der Teufel,“ nicht mehr Gewicht zu legen, als auf andere seiner niedrigen und leidenschaftlichen Äußerungen. Seine religiösen Ansichten, insbesondere von dem Verhältnisse der Menschen zur Gottheit, ergeben sich aus dem oben Gesagten. Darum war er aber auch weder mit Luther noch mit der katholischen Kirche einverstanden, obgleich er sich nicht förmlich von letzterer trennte. Die mystische Erklärung der Bibel führte ihn auf ganz eigne Ansichten. Die Auslegung der sogenannten Lichtenbergischen Bilder, welche im Karthäuserkloster zu Nürnberg gefunden worden (T. III. p. 574 sq.) enthält deswegen die bittersten Ausfälle gegen das Verderbniß der Päpste und der katholischen Geistlichkeit überhaupt, und in einer andern Schrift sagt er: „Dem Luther sind meistens Schälke und Buben feind“ (T. I. p. 143). Aber ebendaselbst heißt es auch: „Ich lasse Lutherum sein Ding verantworten, ich will das meine selbst verantworten: denn er soll mir nicht ein Rinken (eine Schnalle) aufthun in meinen Schuhen.“ Von Zwingli spricht er dagegen mit großer Hochachtung in einem Brief an den Pfarrer Leo Judä in Zürich, bei Übersendung des Manuscripts von seiner Schrift über den 1531 erschienenen Kometen (Opp. T. III. p. 637). Er nennt ihn „unsern hocherfahrnen Meister,“ äußert, daß er dessen Schriften lese, und bittet Leo diese Arbeit zum Druck zu befördern, sobald er sie gelesen: „und doch daß du nichts handelst, es hab es dann unser Patron, Meister Ulrich Zwingli, wohl und gütlich verhängt.“ Sie beide, als die sonderlichen Vorgänger der Wahrheit sollen hierin Richter sein. Diese Außerungen des sonst so anmaßenden Mannes sind allerdings bemerkenswerth. Übrigens äußert er sich auch über einige Ärzte jener Zeit mit vieler Achtung, so über Vadianus zu St. Gallen, Christoph Klauser zu Zürich und Wolfgang Thalhauser zu Augsburg und es ist nicht zu verkennen, daß ihm die Beförderung der Heilkunde und das Wohl der Kranken wirklich angelegen war. Einen Brief an Klauser findet man im ersten Bande seiner Werke, S. 951. Gegen Ceremonien, Bilder und Verehrung der Heiligen, Wallfahrten etc. erklärt er sich in mehren Stellen seiner Schriften ganz entschieden, und rügt ernstlich den Wahn, daß durch dergleichen Mittel die Sünden gut gemacht werden. Auch in andern Beziehungen findet man oft mitten in allem Aberglauben helle Blicke; z. B. wenn er (T. III. p. 254 sq.) davon spricht, wie aus Kindern Hexen werden und woraus man dies erkennen könne. Er räth auf solche Zeichen Achtung zu geben, diese Personen nicht hart zu behandeln oder gar zum Feuer zu verurtheilen, „sondern daß sie in die Arznei kommen und von denen Dingen erlöst werden, dieweil uns Christus so viel tröstet, so wir fasten und beten, dadurch die Geister mögen austreiben.“ Er beschränkt dies auch nicht blos auf Kinder, |
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In so verschiedenen Beziehungen muß Paracelsus betrachtet werden. Faßt man hingegen nur einseitig den Naturforscher und Arzt, oder den Theosophen und Schwärmer ins Auge, so müssen die widersprechendsten Urtheile, in denen zwar auf beiden Seiten Wahrheit liegt, entstehen. Überdies stehen seine Behauptungen und Meinungen alle doch in genauer Verbindung, wenn er sich auch dieselbe nicht deutlich dachte, indem sie aus seiner allgemeinen Ansicht von Gott, Welt und Mensch hervorgingen, und können daher auch nur in dieser Beziehung richtig aufgefaßt werden. Wie viel Irriges nun auch darin liegen mag, so kann doch nicht geleugnet werden, daß sie die Erzeugnisse eines, zwar nicht logisch ordnenden, aber mit seltener Productivität begabten, wahrhaft genialen Geistes waren. Darum hat aber auch Paracelsus auf die folgende Zeit zugleich wohlthätig und nachtheilig eingewirkt. Nicht blos seine Grundsätze und Lehren der Heilkunde und Chemie, sondern auch seine theosophischen und kabbalistischen Schwärmereien verbreiteten sich besonders in Teutschland immer mehr und beförderten den Aberglauben in hohem Grade, bis dann später durch die geheime Gesellschaft der Rosenkreuzer diese sogenannte Theologie und Philosophie ihre höchste Ausbildung erhielt. Hinwieder bildete sich gegen Ende des 16. Jahrh. in der Medicin gegen die eigentlichen Paracelsisten die sogenannte chemische Schule, welche mit Weglassung der theosophischen und Hermetischen Meinungen, aber freilich auch seiner geistigern Ansichten von der Natur, sich nur an das hielt, wodurch Paracelsus wirklich die Medicin gefördert hatte. Als Schriftsteller erscheint Paracelsus verworren und dunkel; der Stylist ungebildet, schwülstig und nicht selten pöbelhaft, aber oft sehr kräftig. Viele Dunkelheit rührt auch von der eignen Terminologie her, deren er sich bediente. Er erfand ganz neue Wörter und brauchte andere in ganz eignen Bedeutungen wie z. B. Anatomie, welches er (T. II. p. 519) erklärt durch Stelle, Ort, Anfang und Ende einer Krankheit. Große Schuld fällt aber auf die Herausgeber seiner Schriften, indem nur der kleinere Theil derselben noch bei Paracelsus’ Lebzeiten herausgekommen ist. Sie sammelten ohne Wahl und Ordnung, was sie zusammenbringen konnten; an Zusätzen seiner Schüler fehlt es auch nicht, und manche Schrift ist in die Sammlungen aufgenommen worden, die entweder gar nicht, oder wenigstens nicht so von Paracelsus herrührte, denn unter seinem Namen suchte mancher seine eigenen Ideen zu verbreiten. Oporinus sagt wenigstens gradezu, daß Paracelsus den Inhalt von Einigem, was man ihm zuschrieb, nie geträumt habe. Wie es sich mit der Echtheit der hier und dort unter seinem Namen vorhandenen Handschriften verhalte, ist sehr schwer zu entscheiden. Morhof (im Polyhistor. I, 10) erwähnt seiner handschriftlichen Commentarii in omnes paene N. T. libros, und Goldast seiner Correspondenz mit Bartholomäus Schobinger zu St. Gallen, die ehemals in der Schobingerschen Familie zu St. Gallen aufbewahrt wurde. Die vollständigste gedruckte Sammlung, nach welcher auch hier immer citirt wurde, ist diejenige, welche durch den Arzt Johannes Huser zu Strasburg 1616 und 1618 in drei Foliobänden herausgekommen ist. Ebenderselbe, hatte vorher eine Ausgabe zu Basel in zehn Quartbänden besorgt 1589–1591 und hierauf zwei Foioausgaben zu Strasburg 1605 und 1613. Auch zu Frankfurt ist eine Ausgabe in zehn Quartbänden erschienen 1603. Ins Lateinische übersetzt erschienen Paracelsi Opera omnia medico-chemico-chirurgica. (cura Fr. Pitisci, Genev. 1658.) 3 Tom. in fol. Diese Ausgabe ist von den lateinischen die beste. Man hat andere Basil. 575. 8. in eilf Bänden und Francof. 1603. zwölf Bände in 4. Einzelne Schriften wurden auch ins Französische, Italienische und Griechische übersetzt. In den zu Bestimmung der Orte, wo er sich in verschiedenen Jahren aufgehalten hat, oben citirten Stellen aus seinen Werken findet man zugleich die Zeit, zu welcher er einige dieser Schriften vollendet hat. Die drei Schriften von den tartarischen Krankheiten, Labyrinthus Medicorum und Defensiones, deren Druck seine Gegner verhinderten, schenkte er 1538 den Ständen des Herzogthums Kärnthen mit der Bitte, dieselben zum Druck zu befördern, worauf er eine günstige Antwort erhielt (Opp. T. I. p. 248 u. 317). Es ist schon gesagt worden, daß nur wenige seiner Schriften, noch bei seinen Lebzeiten gedruckt wurden. Dahin gehören die drei ersten Bücher der großen Wundarznei, welche 1536 zu Ulm erschienen. Ferner die Erklärung der Lichtenbergischen Figuren (Mülhausen 1536); die Beschreibung des Bads zu Pfäfers (1535), die Deutung des Cometen des Jahres 1531 (Zürich 1531), De natura rerum (1539). Ein Verzeichniß der wichtigsten einzelnen Schriften findet sich in Gmelin’s Geschichte der Chemie. 1. Bd., S. 240 fg., in Rixner’s und Siber’s oben angeführter Schrift (S. 12) und in Athenae Rauricae. I, 171. Von Michael Toxites, Arzt zu Hagenau, hat man ein Onomasticum medicum et explicatio verborum Paracelsi (Argentorat. 1574) und von einem andern Schüler des Paracelsus, Gerhard Dorn, Arzt zu Frankfurt am Main, Dictionarium Theophrasti Paracelsi (Francof. 1583. 8. 1584. 4.). Die Clavis et manuductio, welche Paracelsus selbst verfer- |
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3) s. Sprengel, Gesch. der Arzneikunde. 3. Bd. Gmelin, Gesch. der Chemie. 1. Th. Arnold, Kirchen- und Ketzergeschichte. 11. Bd. L. 16. c. 22. 899-904. und im Anhang 92. 1502-1511. Boerhave, Elem. chemiae, Haller, Bibl. Botan. I, 249. Bibl. Anatom. I, 158. II, 739. Bibl. Chirurg. I, 183 sq. u. 598. Bibl. Pract. II, 2-12. Le Clerc, Hist. de la médecine. 792. Conring, De Hermetica medicina, L. II. c. 12. Morhof, Polyhistor. T. II. 118 sq. 250-252. Adami, Vitae Med. p. 12. Corrodi, Gesch. d. Chiliasmus. 3. Bd. S. 276. Haller’s Bibliothek der Schweizergesch. 2. Bd. S. 313 fg.
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