Escher 1838 Paracelsus

From Theatrum Paracelsicum
Heinrich Escher,
Paracelsus
1838

Text

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PARACELSUS (Philippus Aureolus Theophrastus Bombast von Hohenheim), genannt Paracelsus, einer der merkwürdigsten und geistreichsten Arzte und Naturforscher des 16. Jahrh., aber ein wunderbares Gemisch von genialischen Ideen und tiefen Blicken in die Natur, mit einer excentrischen Imagination, und mit kabbalistischem, alchemistischem und theosophischem Aberglauben. Nach der gewöhnlichen Meinung, die auch Paracelsus selbst bestätigt, wurde er im J. 1493 in dem Flecken Einsiedeln in der Schweiz geboren; deswegen nennt er sich auch zuweilen Eremita. Sein Vater Wilhelm, der später zu Villach in Kärnthen sich als Arzt aufhielt, und um 1534 gestorben ist, soll der natürliche Sohn eines teutschen Edelmanns von hohem Stande, aus dem alten schwäbischen Geschlechte Bombast von Hohenheim, und mit dem nachherigen Großmeister des Johanniterordens, Georg Bombast von Hohenheim, verwandt gewesen sein. Paracelsus dankt auch in seiner Chronika des Landes Kärnthen den Ständen dieses Landes für die Gewogenheit, welche sie seinem Vater bewiesen haben während eines 32jährigen Aufenthalts (opp. Tom. I. p. 248). Die Sammlung, welche Theophrast’s Schüler, Michael Toxites, im J. 1574 zu Strasburg herausgegeben hat (Testamentum Philippi Theophrasti Paracelsi), enthält neben Theophrast’s Testament eine Urkunde des Magistrats von Villach über seines Vaters Leben und Tod, und den Empfangschein eines Peter Wesener, Procurators des Klosters Einsiedeln, für zehn Gulden, die ihm von den Verwandten seines Oheims Paracelsus, des Bruders seiner Mutter, seien bezahlt worden. Zugleich ersieht man daraus, daß die Schwester von Theophrast die Aufsicht über das Krankenhaus der Abtei geführt hat. Zu Einsiedeln wurde auch ein silberner Kelch aufbewahrt, mit welchem Paracelsus sich vom Todtenfall soll losgekauft haben. Die Sage bezeichnete ferner zwei Häuser als seine Geburtsstätte, das eine nahe bei der sogenannten Teufelsbrücke bei Einsiedeln (nicht zu verwechseln mit der Teufelsbrücke am Gotthard), das andere an einer Stelle, die das hohe Nest genannt wurde, woher der Name Paracelsus abgeleitet wird. Es scheint daher diese Angabe von des Paracelsus Geburtsorte nicht zu bezweifeln, und es wird höchst wahrscheinlich, daß seine Mutter eine Hörige des Klosters Einsiedeln und deswegen dem Kloster fallpflichtig gewesen. Die Hörigkeit ging aber bekanntlich in den meisten Fällen von der Mutter auf die Kinder über, wenn der Vater schon frei war, nach der Regel, daß die Kinder der bösern Hand folgen. Darauf würde sich dann jene Sage von dem Kelche und vielleicht auch die Bezahlung von zehn Gulden an den Procurator der Abtei beziehen. Dagegen ist der Name seines Vaters Bombast von Hohenheim, und die Abstammung aus diesem adeligen Geschlechte höchst wahrscheinlich ein Mährchen. Das eigne Zeugniß des Paracelsus kann hier nichts beweisen, da Eitelkeit und Prahlerei Hauptzüge seines Charakters waren, und er es mit der Wahrheit nicht genau nimmt. Schon Haller hat (in seiner Bibl. med. pract. Vol. 2, p. 2) richtig, jedoch ohne Beweis, angegeben, daß der Vater von Paracelsus eigentlich Höhener oder Höchener hieß, und von Gais im Canton Appenzell herstammte. Der bisher unbekannte Hauptbeweis dafür findet sich in der ungedruckten Chronik eines Zeitgenossen von Paracelsus, Johannes Keßler von St. Gallen, eines höchst wahrheitliebenden Mannes. Dieser führt in seinem Werke (Sabbatha, oder St. gallische Reformationsgeschichte) ganz einfach und als etwas Bekanntes an, daß Paracelsus ein Höhener von Gais gewesen. Er verdient auch um so mehr Glauben, da Paracelsus im I. 1531, also grade zu der Zeit, wo Keßler seine Sabbatha schrieb, sich zu St. Gallen aufhielt. Dazu kommt nun noch, daß urkundliche Beweise vorhanden sind, daß unter andern Appenzellern auch Höhener von Gais in den Canton Schwyz ausgewandert sind. Die Übersetzung des Namens in Paracelsus war nach der Sitte des Jahrhunderts, und die Veränderung in Hohenheim schmeichelte seiner Eitelkeit. Dadurch wird es auch erklärlich, warum sich Paracelsus längere Zeit im Canton Appenzell aufgehalten hat. Noch ist nämlich zu Huntwil und Urnäsch die allgemeine Sage, er habe einige Jahre in der Gemeinde Urnäsch gelebt. Seine Wohnung sei aber sehr unstät gewesen von der ersten Mühle an in dieser Gemeinde an der Grenze von Huntwil, bis in den Roßfall hinten im Thal. Wahrscheinlich fällt dies in die Zeit zwischen 1531 und 1535. In Urnäsch hinterließ er zum Danke einen mäßigen Folioband Handschriften, der zuletzt in den Händen eines Mannes zu Huntwil war. Als dieser um 1760 starb, konnten sich seine vielen Verwandten in den Gemeinden Huntwil, Urnäsch und Stein über den Besitz des Kleinods nicht vereinigen. Das Werk wurde also getheilt, und jede Familie erhielt einige Blätter. Daher kommt es, daß noch heutzutage in diesen Gemeinden Viele sich heimlich mit sympathetischen Curen abgeben. Auch ist dort ein Bauer im Besitze einer Pergamentrolle, die nach seiner Behauptung von Paracelsus herrühren soll, deren Inhalt wir aber nicht erfahren konnten.

 Durch das Gesagte scheint endlich die streitige Abstammung von Paracelsus ausgemittelt. Der Vater war Wilhelm Höhener von Gais, der sich zu Einsiedeln niedergelassen und dort verheirathet hatte. Dagegen ist es unmöglich gewesen, Licht in das Dunkel zu bringen, welches auf seiner Jugendgeschichte schwebt. Man weiß nicht, wie lange sich der Vater zu Einsiedeln aufgehalten hat, wie er nach Villach gekommen, was aus der Mutter geworden ist. Von Einigen wird behauptet, Paracelsus sei ein uneheliches Kind gewesen. Auch wird erzählt, er sei in seinem dritten Jahre durch den Biß eines Schweines so verletzt worden, daß Entmannung daraus entstand; daher sei er immer bartlos gewesen und habe die größte Abneigung gegen das weibliche Geschlecht gezeigt. Es ist indessen wegen des wüthenden Hasses seiner zahlreichen Gegner, und der blinden Vergötterung, womit besonders seine spätern Anhänger ihn verehrten, schwierig, aus diesen und andern Geschichten die Wahrheit auszumitteln. – Auch der Gang, welchen seine Bildung nahm, kann nicht genau verfolgt werden. Er selbst sagt darüber 1) : „Von

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1) Im zweiten Buche der großen Wundarznei, im dritten Tractat, Cap. 1.
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Kindheit auf habe ich die Ding getrieben, und von guten Underrichtern gelernet, die in der Adepta Philosophia die ergründetsten waren. Erstlich Wilhelmus von Hohenheim, meinem Vater, der mich nie verlassen hat. Denn nach und mit sampt ihm eine große Zahl, die nit wol zu nennen ist, mit sampt vielerlei Geschriften der Alten und der Neuen u. s. w.“ Er nennt hierauf mehre Bischöfe und Abte, unter andern den Abt Trithemius von Spanheim, dann beruft er sich auch auf Entdeckungen, welche der bekannte Sigmund Fugger zu Schwaz in Tyrol und seine Laboranten gemacht haben. Hütten- und Bergwerkskunde waren überhaupt damals in blühendem Zustande in Teutschland. Besonders waren die Fugger zu Augsburg im Rufe großer Einsichten; sie besaßen reiche Bergwerke, unter andern eben das zu Schwaz. Nachdem nämlich Paracelsus von seinem Vater den ersten Unterricht erhalten hatte, wobei jedoch von gründlicher Schulbildung keine Rede war, trieb er sich an vielen Orten herum, und gab sich nach Art der damaligen fahrenden Schüler mit Astrologie, Chiromantie, Nativität stellen und allerlei Heilkünsten ab. Besonders hielt er sich bei Bergwerken und in Schmelzhütten auf. Hier sammelte er viele metallurgische Kenntnisse, aber auch viele abergläubische Meinungen, die dann auf seine medicinischen und naturwissenschaftlichen Ansichten einen ganz entscheidenden Einfluß übten. Er fand darin weit mehr Befriedigung, als ihm mehre Hochschulen gewährten, die er ebenfalls besuchte. Die damals allgemein übliche Galenische Heilmethode und der stumpfe Autoritätsglaube konnte dem genialen Geiste nicht genügen. Über den Eindruck, welchen ihm das, was er hörte und sah, machte, äußert er sich in der Vorrede zur großen Wundarznei so: „Ich habe, je und je mit großem Aufsehen und fleißiger Arbeit mich geflissen zu erfahren den Grund in der Arznei, ob sie doch möge ein Kunst geheißen werden oder sein, oder nicht, oder was doch in ihr sei.“ Allein die Ungewißheit der Sache, da er gesehen, „daß so viele Kranke verdorben, getödtet, erlahmet, und gar verlassen worden,“ habe ihn mehre Male zu dem Entschlusse bewegt, von dieser Kunst zu lassen. Indessen habe er dies mehr seiner Einfalt zugemessen: „Hab also die hohen Schulen erfahren, lange Jahr bei den Teutschen, bei den Italienern, bei den Frankreichischen und den Grund der Arznei gesucht, mich nicht allein derselben Lehren und Geschriften, Büchern ergeben wollen, sondern weit gewandert gen Granatan (Granada, wo damals noch von den Arabern her geheime Weisheit vermuthet wurde), Lizabon, durch Hispanien, durch England, durch die Mark, durch Preuß, durch Litthauen, durch Polandt, Ungarn, die Wallachei, Siebenbürgen, Crabaten (Croatien), Windisch Mark, auch sonst andere Länder; und in allen den Orten und Enden fleißig und emsig nachgefragt, – nicht allein bei den Doctoren, sondern auch bei den Scherern, Badern, elehrten Ärzten, Weibern, Schwarzkünstlern, bei den Alchymisten, bei den Klöstern, bei Edlen und Unedlen, bei den Gescheidten und Einfältigen.“ Er sei aber zu keiner Gewißheit gelangt. Als Resultat seiner Forschungen gibt er an, „daß ihrer keiner diese Kunst im Grunde je gewußt, noch erfahren, noch verstanden hat, und daß sie um die Kunst der Arznei gangen sind und noch gingen wie eine Katz um den Brei, und daß sie lehreten, das sie selbst nicht wußten, daß sie ihr Disputiren nicht verstunden u. s. w. Schreier und Schwätzer waren sie im Pracht und Pomp, und war in ihnen nichts als ein Todtengrab, das auswendig, schön ist, inwendig ein stinkendes faules Aaß voller Würme. Auf solches ward ich gezwungen fürbaß (ferner) zu suchen, derselbigen bösen Lügen Lesen verlassen und einem andern Grund nachzufahren, der da unbefleckt sei mit den gemeldeten Fabeln und Klappern.“ Er warf also die Bücher von sich, sodaß er selbst sagt, er habe in zehn Jahren kein einziges Buch gelesen; eigene Versuche, eigenes Erforschen der Natur, und die Mittheilungen von Menschen aller Art, mit denen er auf seinen beständigen Wanderungen in Berührung kam, und denen er sehr leichtgläubig traute, sobald sie sich auf gemachte Erfahrungen beriefen, sollten ihn belehren. An genauern Nachrichten über seine Reisen fehlt es indessen; die Berichte seiner Anhänger sind durchaus unzuverlässig. Sie lassen ihn Ägypten und das Morgenland besuchen, und von dort die alte Weisheit der Morgenländer und des Hermes Trismegistus zurückbringen. Nach van Helmont kam er auch nach Moskau, wurde dort von den Tataren gefangen, und weil er Eunuch war, dem Chan zugeführt, der ihn dann mit seinem Sohne nach Constantinopel gesandt habe, wo ihm der Stein der Weisen geschenkt worden sei. Gewiß ist nur so viel, daß er viele Jahre lang herumgereist ist; aber dafür, daß er weit über die Grenzen von Europa hinausgekommen sei, findet sich keine sichere Spur. Paracelsus selbst führt in der Vorrede zum Spitalbuche einzig die Insel Rhodus an. Dagegen zeigt die Art, wie er später auftrat, daß er diese Zeit zu Erwerbung eines, für die damaligen Zeiten seltenen, Schatzes von naturwissenschaftlichen und medicinischen Kenntnissen, die zum Theil ganz neu waren, verwendete. Er hatte mehre Feldzüge als Arzt und Wundarzt mitgemacht. In ebenderselben Schrift sagt er: „Dieweil ich auch im Niederland, in der Romaney, in Neapolis, in Venedischen, Dennenmärkische und Niderländischen Kriegen, so treffliche Summa der Fabrischen auffbracht (geheilt) und ob den vierzigerlei Leibkrankheiten, so in denselbigen funden worden, in Gesundheit aufgericht.“ Im vierten Bande der Abhandlungen der königlichen Societät der Wissenschaften zu Kopenhagen findet sich wirklich der Beweis, daß er als Arzt bei den Truppen König Christianus II. gewesen. Ob er irgendwo graduirt hatte, ist durchaus ungewiß. Er nennt sich zwar beider Arzneien Doctor und sagt in seiner sechsten Defension (wo er als Grund angibt, warum ihn die Apotheker haßten, daß er nur kurze Recepte schreibe und ihnen ihre Büchsen nicht leere): „Nun urtheilet selbst, wem bin ich mehr schuldig? oder wem hab ich als ein Doctor geschworen?“ Allein er nennt nirgends die Universität, von welcher er den Grad erhalten habe, und nach der gering schätzigen Art, womit er von dem medicinischen Studium auf allen damaligen Universitäten spricht, ist es nicht wahrscheinlich, daß er sich irgendwo um den Grad be-

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worben habe. Auch können sich jene Worte auf den Eid beziehen, den er sich selbst aufgelegt hatte. Derselbe dient zur Charakteristik des Mannes und lautet so: „Das gelob ich: Mein Arzney zu vollfertigen, und nit von der zu weichen, so lang mir Gott das Ampt vergönnet, und zu widerreden aller falschen Arzney und Lehre (in den Auszügen aus Paracelsus Schriften, welche Rixner und Siber 2) geben, sind hier aus einer andern Stelle [Tom. 2. p. 651] die Worte eingeschaltet: „keine Hoffnung in hohe Schulen zu setzen, dem Baretlein [Doctorhut] nicht nach zustreben, denselben keinen Glauben zu geben“). Demnach, daß ich die Kranken lieben will, ein jeglichen mehr, als wann es mein Leib antreffe. Den Augen (Augenschein?) nit zu verlassen, darin richten nach seinem Erzeigen. Auch keine Arzney geben ohn Verstand; kein Gelt ohn gewunnen (ohne es verdient zu haben) einnehmen; keim Apoteker zu vertrauen; keim Kind den Gewalt befehlen (d. h. die Geheimnisse oder die Bereitung der Arzneien, anzuvertrauen; in dieser Bedeutung kommt „befehlen“ in jener Zeit oft vor. Die Erklärung dieser Worte bei Rixner und Siber „Zwang in Rücksicht der Bewegung befehlen“ ist unrichtig), nicht wenen (wähnen), sondern wissen; dergleichen keinen Fürsten arzneyen, ich hab dann den Gewinn im Seckel; keinem Edelmann auf seinem Schloß; kein Mönch, kein Nunn (Nonne) in ihrem Gewalt (Kloster); in Franken und Behem (Böhmen) nichts arzneyen, und so ein Arzt krank läg, beim theuersten zu handlen, für das (darum), so mich einmal Einer ließ nimmer annehmen (weil einer meine Annahme als Arzt verhinderte). In der Ehe, wo Untreu gemerkt wird mit der Arznei, es sei Frau wider den Mann, oder er wider sie, sonder Rath nicht zu haben in ihrer Krankheit (nicht besonders mich der Sache anzunehmen), Geistlichen in ihrer Krankheit nicht verhengen (Arzneien verordnen), wo Plage ist, fahren lassen. Wo die Natur verseyt (versagt), nicht weiter zu versuchen. Wer mir den Lidlohn vorhelt (Bezahlung vorenthält), mein nicht würdig zu sein erkennen. Keinen Apostaten, aber alle Secten sonst, anzunehmen (in die Cur zu nehmen); bei den Arzten nicht übersehen; Frauen Hülf selber erzeigen; den Martialischen und Saturnischen rauch (rauh, streng gegen sie zu sein); schwer Beladenen, den Melancholischen Rath zu thun u. s. w.. Das Alles bei dem, so mich geschaffen hat, gelobe ich.“ Einzelnes in diesem Eide bezieht sich auf Erfahrungen, die Paracelsus gemacht hatte. Er heilte z. B. den Markgrafen Philipp von Baden, den eine Dysenterie dem Tode nahe gebracht hatte. Die Leibärzte hatten ihn aufgegeben und der Markgraf versprach Paracelsus eine fürstliche Belohnung, wenn er ihn rette, hielt aber, als er hergestellt war, sein Wort nicht; darum nahm sich Paracelsus vor, keinem Fürsten Arznei zu geben, „er habe dann den Gewinn im Seckel.“ Ahnliche Geschichten erzählt Paracelsus hier und dort in seinen Schriften. – Er trat nämlich nach seinen langen Irrfahrten endlich wieder in Teutschland auf; Zeit und Ort sind nicht genau bekannt. Allein mehre glückliche Kuren an vornehmen Personen, und von Krankheiten, die bisher für unheilbar gegolten hatten, wie Podagra, Wassersucht, Aussatz u. s. w., erregten großes Aufsehen. Der Neid anderer Ärzte, ungewohnte und geheimnißvolle Kunstsprache, neue Heilmittel, die er anwandte, prahlende Verkündigung seiner großen Thaten, und die absprechende Art, womit er auf die bisherigen Orakel in der Medicin, auf Theophrast, Galenus, Avicenna loszog, Alles diente dazu, seinen Ruf zu verbreiten. Er wurde daher im J. 1526 nach dem Rathe des Ökolampadius als Stadtarzt nach Basel berufen und hielt nun an der, damals durch die Bewegungen, welche die Reformation veranlaßte, in nicht geringen Verfall gerathenen Hochschule wider die bisherige Gewohnheit Vorlesungen in teutscher Sprache. Der Zulauf, den er als Arzt erhielt, und die Menge von Zuhörern, die ihm aus der Nähe und Ferne, namentlich auch von Freiburg und Tübingen, nach Basel folgten, erregten jedoch bald den Neid der übrigen Lehrer. Sie besorgten an ihrem Erwerbe Schaden zu leiden, und daß ihre Kunstgeheimnisse zu sehr der Menge möchten verrathen werden. Er gerieth daher auch hier, wie überall, bald in Streit mit seinen Collegen, die er durch heftige Ausfälle noch mehr reizte. Schon die Art, wie er auftrat, mußte sie erbittern, indem er öffentlich vor seinen Zuhörern die Werke des Galenus und Avicenna (Ibn Sina) verbrannte, und dadurch gewissermaßen allen damaligen Ärzten den Krieg erklärte. Sie versuchten daher ihm das Vorlesen bei der Universität, wo er täglich zwei Stunden gab, zu verwehren, und foderten ihn auf, sich einem Eramen zu unterwerfen, weil man nicht wisse, ob er Doctor sei. Seinen Schülern wurde der Doctorgrad verweigert. Paracelsus wandte sich deswegen in einem Schreiben an den Magistrat, stellte vor, daß er seine Anstellungen bei Fürsten, Herren und Städten wegen des Rufes nach Basel aufgegeben, daß ihm viele Fremde nach Basel gefolgt seien, und verlangte Schutz. Zugleich zeigte er, wie nothwendig, eine Prüfung der Apotheker und Visitation der Apotheken sei, und verlangte, daß ihm dieselbe aufgetragen und ihnen ein Eid abgenommen werde, daß sie keine ge heime Verabredungen mit den Ärzten haben. Dadurch regte er aber natürlich noch mehr Feinde gegen sich auf. Seine Stellung wurde noch um so gefährlicher, da er sich immer mehr dem Hange zum Trunke ergab (s. d. Art. Oporinus), und Einige, die seine drastischen Mittel gebraucht hatten, und für den Augenblick geheilt worden waren, vor Abfluß eines Jahres starben. Dies war auch der Fall mit dem berühmten Buchdrucker Froben; durch einen Fall von der Treppe hatte er sich am Fuße so verletzt, daß die Arzte ihn endlich nur durch Amputation glaubten retten zu können. Allein Paracelsus stellte ihn durch seine Mittel so her, daß er noch zwei Male die Messe zu Frankfurt zu Pferde besuchen konnte. Sein im J. 1527 erfolgter Tod rührte jedoch von einer andern zufälligen Ursache her (vgl. Opp. Tom. I.952). Paracelsus gewann dadurch auch das Zutrauen des Erasmus, dem er in einem Briefe (s. Opp. Paracelsi, T. I. p. 443) über seine körperlichen Beschwerden solche Auskunft ertheilte, daß

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2) Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker. 1. Heft. S. 18. 1819.
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Erasmus in der Antwort seine Verwunderung ausdrückt, wie ihn Paracelsus so genau und richtig beurtheilen könne, da er ihn nur ein einziges Mal gesehen habe. Dann fügt er bei, Frobenium ab inferis revocasti, hoc est, dimidium mei: si me quoque restitueris, in singulis utrumque restitues. – Indessen sank doch allmälig sein Credit zu Basel durch die Umtriebe seiner Gegner und durch seine eigene Schuld. Ein Proceß mit einem Domherrn Cornelius von Lichtenfels gab Veranlassung, daß er sich entfernen mußte. Dieser hatte sich geäußert, daß er demjenigen, der ihn von seinen Magenbeschwerden befreien würde, 100 Gulden bezahlen wolle. Paracelsus übernahm die Cur gegen diese Belohnung und heilte den Kranken mit drei einzigen Pillen von seinem sogenannten Laudanum. Da der Domherr sich weigerte, ihm für diese wenigen Arzneien die verheißene Summe zu bezahlen, so belangte ihn Paracelsus vor Gerichte. Allein dieses setzte willkürlich den Lohn herunter, und da Paracelsus im Zorne darüber sich auf höchst beleidigende Weise äußerte, so riethen ihm seine Freunde Basel eilig zu verlassen. Genau ist die Dauer seines Aufenthaltes in dieser Stadt nicht bekannt; sie scheint aber vom Spätjahre 1526 bis in den Anfang des Frühlings 1528 sich zu erstrecken. Im November 1526 war er wenigstens schon in Basel und ein Jahr nachher war er noch dort. In der Zwischenzeit hatte er einen Besuch in Zürich gemacht, wie man aus einem Briefe an die zürcher Studenten sieht, die er mit dem schmeichelhaften Ausdrucke combibones optimi anredet (Tom. I. p. 952). In seinen Werken sind verschiedene kurze, in seinen Vorlesungen nachgeschriebene Collegienhefte seiner Schüler theils in teutscher, theils in lateinischer Sprache abgedruckt: De Icteritiis (Tom. I. p. 444), de morbo dissoluto, de morbis vermium, de morbis caducis, de undimia seu morbis resolutis, de morbis siccis seu phthisi, de lepra, de gutta, de asthmate, de febribus extraneis, de capitis ad versitatibus internis, de doloribus matricis, de doloribus dentium, aurium et oculorum (p. 451 sqq.). De urinarum ac pulsuum judiciis item de physio omia, quantum medico opus est (p. 731). De vulneribus (Tom. II. p. 552). De Morbis ex Tartaro oriundis (Tom. I. p. 392). Ein kurzes, prahlendes Programm, worin er zu seinen Vorlesungen einladet, findet sich in seinen Werken (1. Bd. S. 950). Dasselbe ist vom 7. Juni 1527.

 Nach seiner Entfernung von Basel beginnt wieder das frühere unstäte Leben. Über ein Jahr trieb er sich im Elsaß herum und stand besonders auch bei dem Adel dieser Gegenden in hohem Ansehen. Er erwarb hier bedeutende Summen, ergab sich aber immer mehr der Verschwendung und Völlerei. Mit der niedrigsten Classe von Menschen verschwelgte er die halben Nächte beim Wein, und nur außerordentliche Geisteskräfte konnten bei so viehischem Treiben den Sieg behaupten. Paracelsus verhehlt dies auch nicht im Geringsten. In der Vorrede zum Spitalbuche, wo er sich nach seiner Gewohnheit heftig gegen andere Arzte äußert, sagt er: Es komme nicht auf äußere Pracht an, sondern auf Erfahrung und verrichtete Thaten. „Denn es bezeugt der Rhein, die Thonaw (Donau) und die guten Gesellen, daß Kleidung, Haus und Hoff, so wol etwan einer unter euch hat, mir oft ein Monat nicht gekleckt (hingereicht) hatt. Es ist nicht eines Arztes Lob, so er sein Gut vertrinkt, oder sein Haus im Guß durchgehet, daß er hierauf verdorben sei (zu Grunde gerichtet). Ich hab mein Hauptgut behalten, das Geld verdümelt (verschwendet) und obs ein Grafschaft wär, noch ist meinem Hauptgut nichts abgangen.“ Dieses Hauptgut (Capital) sei die Kunst selbst; mit dieser müssen sie mit ihm kämpfen. – Verschiedene Orte, wo er sich in diesen Jahren aufgehalten, gibt er in den Vorreden und Zueignungsschreiben seiner Schriften an. Im J. 1528 den 8. Juli datirt er zu Colmar (Opp. T. II. p. 376), den 25. Nov. 1529 zu Nürnberg (ibid. p. 149), den 1. März 1530 zu Beritzhausen (ibid. p. 680), im nämlichen Jahre zu Amberg (ibid. p. 626), dazwischen muß er zu Eßlingen gewesen sein, wo, wie er ebendaselbst sagt, sein Elend anfing, das die Nürnberger vollendet haben. Diese Klagen beziehen sich theils auf Betrügereien, wodurch er um seinen Lohn verkürzt worden, theils auf ein Druckverbot des Rathes zu Nürnberg gegen eine seiner Schriften, das durch die Universität Leipzig war ausgewirkt worden. In dem Schreiben, das Paracelsus deswegen an den Rath erließ (Opp. T. II. p. 679), beruft er sich darauf, daß Nürnberg „aus Kraft des Evangeliums“ die Wahrheit beschirmen sollte, und anerbietet sich zu einer Disputation. – Im J. 1531 und den folgenden Jahren war er zu St. Gallen und im Appenzellerlande (Opp. T. L. 51. T. II. p. 637. 644). Andere Daten jedoch ohne Angaben der Jahre sind von München und Nördlingen. Ebenso wenig läßt sich das Jahr ausmitteln, in welchem er die kleine Schrift: „Von der Pestilenz“ geschrieben hat (T. I. p. 356). In der Vorrede sagt er, daß ihn nur die äußerste Noth getrieben, diese Arcana mitzutheilen. Das gegenwärtige Jahr habe ihn in ein ungeduldig Elend getrieben: „Dann Gunst, Gewalt und die Hundtsketten waren mir zu schwer überladen.“ Er sei dadurch gezwungen worden, eilig fremde Lande zu besuchen, und sei also nach Inspruck gekommen, aber wegen seiner schlechten Kleidung genöthigt worden, weiter zu ziehen. Zu Sterzingen habe er dann zwei Freunde gefunden, Kerner und Marx Poschinger. Während er nun da war, sei die Pestilenz eingebrochen. Er habe deswegen die nachfolgende Schrift über diese Krankheit dem Rathe übergeben. „Wie geschah aber mir? als einem der sich unter die Kleien mischt, den fressen die Säu. Zween Bresten (Fehler) hat ich an mir an demselben Ort: mein Armut und mein Frommkeit. Die Armut sei dem Bürgermeister verächtlich gewesen: Jetzt ward der Sentenz gefällt, daß ich kein Doctor wäre. Der Frommkeit halben richtet mich der Prediger und der Pfarrer aus. Also ward ich in Verachtung abgefertigt.“ Er sei daher mit Marx Poschinger nach Meran gezogen, „daselbs hab ich Ehr und Glück gefunden. So aber dieß mein Libell (diese Schrift über die Pestilenz) einem gemeinen Rath und der Gemeinde (zu Sterzingen) so treulich, als ihr gesetzt hab, überantwortet wäre worden, wollte ich weder meiner Frommkeit

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noch meiner Armuth entgolten haben.“ Diese Vorrede ist von Meran datirt. In der oben angeführten Schrift von Rixner und Siber (S. 8) wird sie ins Jahr 1530 gesetzt. Indessen findet sich kein Beweis dafür, und es ist auffallend, daß er dieser Ereignisse weder in der zu St. Gallen geschriebenen Dedication seines Opus Paramirum an den berühmten Arzt von Wadt (Vadianus), Bürgermeister zu. St. Gallen (Opp. T. I. p. 24), noch in der Vorrede zum dritten Buche dieser Schrift (datirt St. Gallen 15. März 1531. ibid. p. 50) gedenkt. Mit mehr Wahrscheinlichkeit möchte der Aufenthalt zu Sterzingen und Meran nach dem Aufenthalte in der Schweiz zu setzen sein. Dieser scheint bis 1535 gedauert zu haben; denn den 31. August 1535 unterzeichnet er im Kloster Pfäfers die Dedication seiner Beschreibung des dortigen Bades an den Abt des Klosters. Den 7. Mai 1536 datirt er zu Münchraht, den 24. Juli desselben Jahres zu Augsburg (Opp. T. II. Vorrede), 1537 finden wir ihn in Mähren (Opp. T. I. p. 686) und mit dem Vorsatze, nach Wien zu gehen (ibid. p. 688), und den 24. Aug. 1538 zu St. Veit in Kärnthen (Opp. T. I. p. 249), den 15. April 1541 datirt er am Schober (ibid. p. 692) und den 5. Aug. desselben Jahres zu Salzburg (ibid. p. 686). Hierher hatte ihn der Erzbischof Ernst berufen und seine Lage schien sich zu verbessern; allein schon den 24. September des nämlichen Jahres starb er im 48. Jahre seines Alters. Drei Tage vorher hatte er sein Testament gemacht, worin er seine Habseligkeiten (16 Dukaten, 1 Mark 3 Loth ungemünztes Gold, 11 Mark 10 Loth Silbergeräthe nebst Kleidern u. s. w.) dem dortigen Hospital legirte, mit Ausnahme einiger kleiner Legate. Seine Manuscripte und die wenigen Bücher, die er besaß, gab er einem Barbier Andreas Wendel. Das nach seinem Tode aufgenommene Verzeichniß seiner Bücher ist merkwürdig für die Charakteristik des Mannes; es enthält nichts anderes als Folgendes: 1) Concordantiae Bibliorum. 2) Biblia parva forma. 3) Novum Testamentum. 4) Interpretationes Hieronymi super Evang. in duobus libellis. 5) Ein gedrucktes und sieben geschriebene Arzneibücher und sonst allerlei andere Collectur. 6) Mehr etliche und allerlei geschriebene Collectur in Theologia. so Theophrastus soll concipirt haben. – Das Haus, worin er zu Salzburg lebte, wird noch gezeigt; an demselben ist sein Bildniß gemalt. –

 Die Geschichte der Schicksale des Paracelsus wird immer fragmentarisch bleiben, da sein beständiges Umherschweifen unmöglich macht, den Faden zu verfolgen, und die Einzelnheiten, welche seine Anhänger und seine Gegner erzählen, gleich unzuverlässig sind. Er äußerte selbst gegen seine Schüler, daß er nie lange an einem Orte bleiben könne. Immer aber folgten ihm Einzelne derselben nach, obgleich sein Übermuth, sein unverträgliches Wesen und sein tolles, wildes Leben die Einen bald wieder vertrieb, während Andere ihn verließen, sobald sie glaubten, ihm etwas von seinen geheimen Künsten abgelauscht zu haben. Vor diesen ungetreuen Schülern, die er mit Judas vergleicht (T. II. p. 292), warnt er wiederholt in seinen Schriften (p. 173). Ehe er noch den Mund geschlossen, wissen sie schon mehr als er selbst, und während er mit großer Sorgfalt die Kranken behandle, würgen sie einen nach dem andern ab (p. 301). Ausdrücklich warnt er auch vor den Auditoribus, so er zu Basel verlassen habe: „die mir haben die Federn ab dem Rock gelesen, die mir haben Urin aufgewärmt, die mir haben gedient und gelächlet, und wie die Hündlein umgestrichen und angehangen. Das sind und werden Erzschelmen geben u. s. w.“ (Opp. T. I. p. 143). Daher klagt er auch, daß wenige von seinen Schülern gut ansgefallen seien. In der Vorrede zu den Büchern Berthonnä (Opp. T. II. p. 335) stellt er folgende Berechnung auf: „Was ich in Arzten geboren hab aus den hunderten von Pannonia, sind zween wol gerathen, aus den Confin Poloniä drei; aus den Regionen der Saren zween; aus den Sclavonien Einer; aus Bohemien Einer; aus dem Niderland Einer; aus Schwaben. Keiner; wiewol in einem jeglichen Geschlechte große Zahlen gewesen sind. Ein jeder aber hat mein Lehr nach seinem Kopf gesattelt. – Aus meinem Patria, als die letzten, sind noch nit erwachsen: welche sie aber für erwachsen gehalten haben, setz ich neben schwäbischen und in die Secten der verlornen Arzten.“ Eine ähnliche Berechnung findet sich in den Fragmentis de Morbo gallico (opp. T. II. p. 648), wo er doch einen Schwaben gelten läßt, und auch unter seinen Landsleuten Einige. Besonders aber nennt er als getreuen Schüler Johannes Oporinus von Basel; ferner Doctor Cornelius (Agrippa von Nettesheim) und einige Andere (p. 174).

 Wie jeder ausgezeichnete Mann, so muß auch Paracelsus, wenn ein begründetes Urtheil über ihn soll gefällt werden, nach den Verhältnissen seiner Zeit und nach seiner eignen Stellung zu derselben betrachtet werden. Dadurch wird es erklärlich, wie ein großer Geist, in welchem die erhabensten Ideen leben, der die geistreichsten Ansichten und treffliche Lehren laut verkündigt hat, zugleich die verkehrtesten Richtungen verfolgen und dem schimpflichsten Aberglauben sich ergeben konnte. Darum sind aber auch die Urtheile über ihn zu allen Zeiten so widersprechend gewesen und werden es bleiben, so lange nur einzelne Seiten seines Wirkens dargestellt, nicht sein ganzes Streben im Zusammenhange aufgefaßt wird. Paracelsus trat in einer Zeit der Gährung und kühner Angriffe gegen althergebrachte Lehren und Meinungen auf. Der Autoritätsglaube war erschüttert. Luther und, unabhängig von ihm, Zwingli sprengten mit kräftiger Hand die Fesseln, worin die Geistesthätigkeit bisher gebunden lag. Die Namen verloren ihr Gewicht, und fruchtlos kämpfte die scholastische Philosophie für Behauptung ihrer Herrschaft. Frei entfaltete sich die jugendliche, losgebundene Kraft in jeder Richtung; auch auf die Heilkunde und ihre Grundlage, die Naturwissenschaften, mußte die Bewegung der Geister sich erstrecken. Paracelsus trat als Reformator auf, als in diesen Wissenschaften auch schon Einiges durch entstandene Zweifel an der Untrüglichkeit des Ibn Sina, Galenus etc. war vorbereitet worden. Ihn hatte das Leben und die Erfahrung gelehrt; aber gründlicher Schulbildung, stufenweiser Verstandesentwickelung entbehrend, häufte er in seinem Geiste eine Masse von Wahrheiten und Irrthümern

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auf, deren Gestaltung, zu einem zusammenhängenden Ganzen das Werk einer zügellosen Phantasie, nicht eines prüfenden Verstandes war. Mehr noch als in irgend einem andern Zweige des menschlichen Wissens mußte diese Richtung in den Naturwissenschaften neben tiefen und genialischen Ideen auf die abenteuerlichsten Vorstellungen führen; denn die Bahn war kaum noch geöffnet, und dunkler Wahn und Aberglaube haftete tief in allen Gemüthern. Es ist übrigens schwierig, ein zusammenhängendes System aus seinen Schriften zu entwickeln, da sein Styl sehr verworren und, wie es scheint, zuweilen mit Absicht dunkel ist, die Echtheit mancher seiner Schriften bezweifelt wird, und Widersprüche sich nachweisen lassen, die um so begreiflicher sind, da er nach dem Zeugnisse von Oporinus seine Schriften großentheils dictirte, wenn er betrunken war. Manches, was in ihm lag, dachte er sich auch wahrscheinlich selbst nicht ganz klar; gewiß schwebte ihm wenigstens der Zusammenhang, der in seinen Ideen, trotz aller Verwirrung, lag, nur dunkel vor. Durch Vergleichung der überall zerstreuten Außerungen ergibt sich indessen folgender Ideengang, welchem das uralte Emanationssystem, die Erzeugung aus einer ewigen Substanz, und daher die Idee von dem allgemeinen Naturleben zum Grunde liegt. Alle sichtbaren Dinge waren zuerst unsichtbar in Gott (der ἀρχέτυπος des Philo), dieselben alle, wie sie gewesen, sind gefaßt in einen Limbus, der ein sichtbarer Körper wurde (in der Schrift Philosophia nennt er den Limbus das Mysterium magnum). Aus diesem ging die ganze Welt hervor und aus ihr dann jedes einzelne Geschöpf und endlich der Mensch selbst. Der Limbus ist also die Erde und der Himmel, die untere und obere Sphäre, die vier Elemente und was in ihnen ist. Aus demselben sind alle Geschöpfe durch Trennung oder Ausscheidung entwickelt worden. Denn kein Geschöpf ist früher oder später oder besonders geschaffen worden, sondern Alles miteinander, wie ein Bild in einem Stücke Holz ist, obgleich es nicht gesehen wird. Zuerst wurden die Elemente ausgeschieden: das Feuer wurde zum Himmel, die Luft zur Leere, das Wasser zur Flüssigkeit, die Erde zum Erdball. Darauf folgte eine zweite Scheidung: der Himmel theilte sich in das Firmament und in die Sterne, die Luft in ihre verschiedenen Kräfte und Bewohner, Fata, Impressiones, Incantationes, Maleficia, Somnia, apparitiones etc.; das Wasser in Fische, Salz, Corallen, Meerwunder, Nymphen, Sirenen etc.; die Erde in Metalle, Steine, Sand. Pflanzen, Thiere, Menschen, Gnomen Nachtfrauen, Riesen etc.; das Leben aber kommt von dem Humor; dieser ist Liquor vitae. Dieser Humor ist ein Ens für sich selbst (vergl. Opp. Tom L. P 16). Die letzte Scheidung ist nun diejenige, durch welche alle Dinge jeder in ihren ersten Anfang zurückkehren, d. h. zum Nichts. Dann bleibt nur das, was vor dem Mysterio magno gewesen und ewig ist. Zu Nichten werd’ ich, aus Nichts bin ich ersten Anfangs nach. Aber die Seel’ in mir ist aus Etwas geworden, darum sie nicht zu Nichts kommt. Dann ist zwischen den Ätheren nichts Unewiges mehr, sondern ohne Ende. Aus dieser Entstehung der Dinge folgt nun, daß jedes Geschöpf sein Bild in der großen Welt hat. Die große und die kleine Welt, Marokosmus und Mikrokosmus (die Welt im Kleinen), sind ihrer Natur nach nur eine Creatur. Ganz besonders aber ist der Mensch der Mikrokosmus. Nachdem nämlich Gott alle Dinge aus Nichts geschaffen, hat er auch den Menschen aus einer Massa geschaffen, die ein Auszug (Extract) des Subtilsten und Besten gewesen ist von allen Geschöpfen im Himmel und auf Erden. Der Mensch ist deswegen die kleine Welt, denn er ist ein Auszug aus allen Sternen, aus allen Planeten, aus dem ganzen Firmament, aus der Erde und allen Elementen, und er ist das fünfte Wesen (die Quintessenz), der Kern von den vier Elementen. Der Unterschied zwischen der großen Welt und dem Mikrokosmus, zwischen den Elementen und dem fünften Wesen besteht nur darin, daß der Mensch in eine andere Form geschaffen ist, sodaß die Erde in ihm Fleisch, das Wasser Blut, das Feuer Wärme und die Luft Balsam ist. Er hat alle Kräfte und Eigenschaften der Welt in sich, ist aber nicht nach der Welt, sondern nach Gottes Bild gemacht, aus dem edelsten Compositum, wie keines nimmermehr werden wird. Alle himmlische Läufe, irdische Natur, wässerische Eigenschaft, luftische Wesen sind in ihm; in ihm ist die Natur aller Früchte der Erde und aller Erze, Natur der Wasser, dabei auch alle Constellationes und die vier Winde der Welt (Opp. Tom. I. p. 103). Die Erhaltung seines Leibes nun zieht der Mensch aus den vier Elementen; aber die „Sinnligkeit“ (d. h. den Geist) hat er nicht aus den Elementen, sondern sie entspringt aus dem Gestirn; denn alle thierische Weisheit, Geschicklichkeit und alle Künste sind im Gestirn, von welchem es der Mensch hat, und dies heißt „das Licht der Natur.“ Wie nun der Mensch seinen Leib von den Elementen ernährt, so ernährt er seinen Geist aus dem Geiste des Gestirns. Die Sonne und die Sterne gießen nämlich nicht blos elementisch, zur Erwärmung und Erhaltung, ihre Strahlen in den Menschen, sondern auch siderisch, indem sie ihm Kräfte, Weisheit und Kunst geben. Im Menschen aber ist Etwas, das diese Wirkungen aufnimmt, wie die Erde die Wirkungen der Sonne durch ihre anziehende Kraft auf dieselbe aufnimmt. Neben dem elementarischen Leben des Leibes und dem siderischen des Geistes hat aber der Mensch noch eine Seele oder die Vernunft. Diese kommt ihm unmittelbar von Gott, nicht von den Elementen, noch wie der Geist vom Firmament. Das elementarische Leben und der Geist hören daher im Tode auf; die Seele aber stirbt nicht; sie geht zu Gott zurück. Sobald nämlich das Kind empfangen wird im Fleische, so geht von Gott ein Wort aus, das dem Fleische seine Seele gibt. Sie ist das Centrum des Menschen, in welchem alle andern Geister wohnen, gute und böse. Wie ein König, der viele Räthe bei sich hat, den guten oder bösen Räthen folgen kann, so hat die Seele freie Wahl, ob sie dem Rathe der andern Geister folgen will oder ihrer eignen Einsicht. Wie nun das Kind neu ist, so ist auch die Seele zuvor nie gewesen. Aber das Kind ist sterblich, die Seele nicht; sie wird vom Tode wol wieder genommen, aber nicht überwunden, sondern sie fährt zu Gott und lebt ewig. Es ist also im

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Menschen eine dreifache Weisheit (Wissen), die fleischliche, das ist die viehische, zweitens die siderische, das ist die Kunst und zeitliche Vernunft; drittens die Weisheit von dem Geiste, den Gott dem Menschen in der Empfängniß gibt. Die beiden ersten sind sterblich; die Weisheit aber, die im dritten Geiste ist, bringt mit sich göttliche Tugend. Von den Dreien aber, woraus der Mensch besteht, Leib, Geist und Seele, kann nur der Geist nach dem Tode erscheinen. Dieser Geist ist nun eben das, was er an andern Orten (z. B. Tom. I. p. 788) den geistigen oder unsichtbaren Leib des Menschen nennt, der allein sieht, hört, empfindet etc., während die Augen, Ohren, das Fleisch nur seine Wohnung sind. Vater und Mutter allein aber bringen keinen Menschen hervor, sondern sie sind die Werkzeuge; von Außen müssen dabei auch die Elemente und das Gestirn wirken; was ohne sie entsteht, ist „ein Misgewächs.“ Welche Influenz nun, der Eigenschaft des Vaters, der Mutter, der Elemente oder des Gestirns die stärkste ist, diejenige herrscht auch in dem Kinde vor. Die Urmaterie der Dinge findet aber Paracelsus nicht in den vier Elementen, sondern (wie schon vor ihm die beiden Holland und der angebliche Basilius Valentinus) im Sulphur, Mercurius und Sal. Außer diesen ist, nach ihm, im physischen Körper nichts als das Leben. Allein diese drei Bestandtheile zeigen sich nur im Zerlegen in die letzte Materie, z. B. im Brennen. Wir können nun zwar diese erste Materie nicht erklären, aber der Sulphur spiegelt sich ab im Schwefel, der Mercurius („nicht ein metallischer Leib, sondern ein metallischer Geist“) im Quecksilber und das Sal im Salze. In ihrer Reinheit haben sie die Natur der Flüssigkeit. Um daher thätig zu sein, muß der Sulphur verbrennen, das Sal sich auflösen, der Mercurius sublimirt werden. Sie stehen in allen Dingen in einem wechselseitig bestimmten Verhältnisse. Wird dasselbe gestört, so wird auch die Materie zerstört. Alle drei zusammen aber sind der Ursprung der vier Elemente. Diese vier Elemente müssen zusammen wirken, und wo sie nicht zusammen sind, folgt Verderbniß. Aber in allen Dingen ist eines derselben vorherrschend. Sie wurden zuerst als körperliche Dinge geschaffen. Diesem Corpus wurde dann aber ein lebendiger Geist zu Theil, welcher aus dem Corpus und durch dasselbe seine Wirkungen vollbringt. Die Elemente sind nämlich nichts Anderes als ein Subjectum, durch welches etwas soll vollbracht werden; d. h. sie sind die Dinge, in welche das Vivum gelegt ist. Also ist ein Regierer und ein Herrscher in den Elementen, der aus ihnen treibt, was in ihnen ist. Dieser treibt das Feuer, das brennen muß, treibt die Erde, daß sie Frucht geben muß, treibt das Wasser, daß es Fische erhalten muß, treibt die Luft über die ganze Erde, treibt die Sonn und Mond und Sterne in ihrem Laufe. Obgleich nun alle Dinge aus und in den Elementen sind, so sind ihre Wirkungen doch nicht von den Elementen als solchen, sondern von ihren verborgenen Kräften (diese Grundkräfte nennt Paracelsus Tom. I. p. 612 Astra, was zu manchem Misverständnisse Veranlassung gegeben hat). So kam Paracelsus zu der Idee von dem allgemeinen Leben der Natur. Das Leben eines jeden Dinges ist nichts Anderes als ein spiritualisches Wesen, ein unsichtbares und unbegreifliches Ding, und ein Geist. Es hat auch nicht allein nur das ein Leben, was sich regt und bewegt, sondern Gott hat im Anfang aller Dinge kein einziges Ding ohne einen Spiritum geschaffen, den es verborgen in sich führt. In dem Spiritus liegt die Kraft und nicht im Körper. Der Körper kann zerstört werden, der Spiritus aber nicht. In der Zerstörung des Körpers wird er davon abgesondert und geschieden; er läßt den Körper todt liegen und geht wieder dorthin, woher er gekommen, nämlich in Luft und Chaos des obern und untern Firmaments. Denn es gibt mancherlei Spiritus, coelestes, infernales, hominis, metalli, salium, gemmarum, aromatum, herbarum etc. Aus diesem Geiste erklärt Paracelsus auch die Wirkungen der Wünschelruthe (Tom. II. p. 388).

 Diese allgemeinen physikalischen Ideen sind nun überall in seinen Schriften zerstreut, zugleich aber mit theosophischen, kabbalistischen und astrologischen Vorstellungen, mit apokalyptischen und chiliastischen Träumereien verwebt. Eine vollständige Darstellung dieser Meinungen gestattet hier der Raum nicht; sie wurden aber von großer Wichtigkeit dadurch, daß Paracelsus dieselben auf die Heilkunde anwandte. Er stellte vier Columnas der Arzneiwissenschaft auf. Die erste nennt er die Philosophie der Erde und des Wassers, also seine mystische Physik. Zweitens „die Astronomie und Astrologie, mit vollkommener Erkenntniß beider Elemente, der Luft und des Feuers.“ Drittens die Alchimie (Chemie) „ohne Gebresten mit aller Bereitung, Eigenschaft und Kunstreich über die vier gemeldten Elemente: Und daß die vierte Säule sei die Tugend, und bleibe beim Arzt bis in den Tod, die da beschließ und erhalte die andern drei Säulen“ (Opp. Tom. I. p. 199). Der Arzt aber muß dazu geboren sein, und sein Wissen aus folgenden Quellen schöpfen: Vor Allem aus Gott, von welchem der Geist der Menschen ist, und zu dem er wieder gehet, denn von ihm fließt alle Weisheit aus und auf diesem Wege nur kommen die Geheimnisse der Natur in uns. (Dieses Versenken in die Idee von der Gottheit und die damit verbundene Verachtung der Gelehrsamkeit kommt bei Paracelsus, wie bei andern Schwärmern, häufig vor.) Hierauf aus dem Firmament, das die Menschen krank und gesund macht. Drittens muß er die Gesundheit und Krankheit der Elemente kennen, um zu entscheiden, aus welchem Elemente eine Krankheit komme, denn was das Holz faulen macht, bewirkt auch Fäulniß im menschlichen Körper. Viertens muß er wissen, wie vielerlei Arten von Körpern in dem einzigen menschlichen Körper oder dem Mikrokosmus sind, indem er denselben mit dem Makrokosmus vergleicht. Das fünfte Buch, aus welchem der Arzt lernen soll, ist die Alchimie, d. h., nach der Erklärung von Paracelsus, nicht blos die eigentliche Chemie, wobei er des Goldmachens gar nicht gedenkt, sondern auch jede durch Feuer geschehende Zubereitung der Naturstoffe für den Gebrauch. Sogar der Bäcker heißt ihm deswegen Alchimist oder Vulcanus. „Die Alchimia ist von Gott gesetzt als ein rechte Kunst der Natur, und die Sudlerei, wie die Montpelierischen Apotheker handlen, ist kein Kunst.“

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Sechstens folgt die Erfahrung, wobei Paracelsus zwischen experimentum, experientia und scientia richtig unterscheidet. Endlich muß der Arzt durch die Magica belehrt werden, die allein die Geheimnisse der Natur enthüllt und die verborgenen Kräfte der Dinge zeigt (vergl. Labyrinthus medicorum. Opp. Tom. I. p. 266). In der Pathologie stellt dann Paracelsus fünf Entia als Hauptursachen der Krankheiten auf und erhebt sich mit großer Heftigkeit gegen die bisher herrschende Ansicht, welche alle Krankheiten aus den Elementen und der Beschaffenheit der Säfte ableitete. Diese fünf Ursachen entwickelt er ausführlich im Anfange der Schrift Paramirum (Opp. Tom. I. p. 1), wobei vorzüglich seine astrologischen und chemischen Ansichten hervortreten. Wie seine Lehre von den Ursachen und Zeichen der Krankheiten von den damals herrschenden Ansichten ganz abwich, so mußte auch seine Heilmethode neu und eigenthümlich sein. Die damaligen Arzte verkannten durchaus den Werth der Chemie für die Heilkunde, und chemische oder spagirische Ärzte (wie sich Paracelsus ausdrückt, von σρᾶν ausziehen und ἀγείρειν zusammenbringen) standen in schlimmem Credite. Paracelsus hat unstreitig das große Verdienst, die Chemie in die Apotheken eingeführt zu haben. Auch seine Gegner konnten ihm dasselbe nicht absprechen. Dadurch verschaffte er sich kräftiger wirkende Arzneien, theils durch die Extracte und Quintessenzen aus Pflanzen, theils besonders durch die Anwendung vieler Mittel aus dem Mineralreiche, des Eisens, Vitriolgeistes etc. Auch die Benutzung von Giften, der Bleipräparate, des Spiesglanzes, des Kupfervitriols und selbst des Arseniks lehrte er und wandte mit Erfolg Quecksilberpräparate innerlich gegen die damals in Gestalt einer acuten Krankheit furchtbar wüthende Lustseuche an. Wenn auch das eine oder andere dieser Mittel schon vor ihm entdeckt war, so bleibt ihm doch immer das Verdienst, theils die Kenntniß derselben verbreitet und die handwerksmäßige Geheimnißkrämerei der Ärzte zerstört, theils die bessere und vollkommnere Bereitung und Anwendung solcher Mittel gelehrt, theils durch die Heftigkeit selbst und das laute Geschrei, welches er überall erhob, den blinden Glauben an Autoritäten und hergebrachte Meinungen erschüttert und die Arzte zuerst wieder auf den Weg der Beobachtung und Erfahrung zurückgeführt zu haben. Er macht daher in der Medicin mit Recht Epoche, und noch mehr in der Chemie. Der Kampf aber, den er erregte, wurde von beiden Seiten mit der größten Heftigkeit und pöbelhaften Schimpfworten geführt. Er sagt selbst von sich: „Von der Natur bin ich nicht subtil gesponnen, ist auch nicht meines Lands Art,“ und seine Schriften geben überall die Belege davon, sowie von seiner unbegrenzten Anmaßung und Selbstgenügsamkeit. Wie alle Schwärmer verachtete er alle gelehrten, aus Büchern, besonders aus Griechen und Römern, geschöpften Kenntnisse; sein Stolz leitete alles Wissen unmittelbar aus dem göttlichen Wesen durch das innere Licht ab und foderte als eine der ersten Bedingungen von dem Arzte Kenntniß der Kabbala. Daher fährt er in der oben angeführten Stelle von den vier Grundsätzen der Arzneiwissenschaft fort: „Wie ich aber die Vier für mich nehme, also müsset ihrs auch nehmen, und müsset mir nach, ich nicht euch nach, Ihr Mir nach, Mir nach, Avicenna, Galene, Rhasis, Montagnana, Mesue etc. Mir nach und nicht ich euch nach, Ihr von Paris, von Mompelier, ihr von Schwaben, ihr von Meißen etc. Ich wird Monarcha, und mein wird die Monarchie sein.“ In der Vorrede zur Bertheonna (Tom. Il. p. 334), wo er die verschiedenen Classen angeblicher Arzte bezeichnet und die Kranken vor ihnen warnt, sagt er, die Erfahrung habe die einzelnen Specifica gezeigt. Dann aber haben die Arzte oder Receptmacher in jede Arznei noch eine Menge Anderes eingemischt, was nur wieder die Wirkung schwäche. Hippokrates, Avicenna, Rhasis haben durch eigne Erfahrung nichts erfunden, sondern „aus fremder Erfahrung ihre Ehre aufgeschöpft: und damit es nicht so gar laute nach dem gemeinen Lauf der Natur, sonder damit etwas Seltsames darin sei, das nicht jeder verstehe, hat ihr eigen Vernunft, die leider nicht groß gewesen ist, die Kunst der Componirung erdacht.“ Er äußert dann freilich (in der Vorrede zur Chirurgie) „bei meinen Zeiten wird ich das Fabelwerk nicht umstoßen mögen, denn es sind alte unbändige Hund, lernen nichts weiter, schämen sich abzusteigen in die Bekanntniß ihrer Thorheit;“ dann aber setzt er seine Hoffnung auf die Zukunft. Seine Gegner blieben ihm aber auch nichts schuldig. Er erfuhr viele Verfolgungen; der Tod eines jeden seiner Kranken wurde seinen Arzneien zugeschrieben, und sie suchten auch auf alle Weise den Druck seiner Werke zu hindern. Neben dem oben angeführten Beispiel zu Nürnberg gedenkt er auch noch dieses schändlichen Kunstgriffs im ersten Bande seiner Werke. S. 248 und 282. Leugnen läßt sich auch in der That nicht, daß bei allen Verdiensten, welche er um die Heilkunde und Chemie sich erworben hat, doch in verschiedenen Beziehungen sein Einfluß nachtheilig wirkte. Manches seiner Mittel enthielt auch schädliche Theile. Durch seine Hermetische Philosophie, durch die Verbindung der Magie, Kabbala und Astrologie mit der Chemie und Medicin hat er in diese Wissenschaften große Dunkelheit gebracht und den Hang zur eigentlichen Alchymie und Verwandlung der Metalle sehr befördert. Auch trug er umgekehrt durch die Bezeichnung metaphysischer und theologischer Ideen mit chemischen und medicinischen Kunstwörtern sehr viel zu der Unverständlichkeit des Sprachgebrauchs der Theosophen bei. Irrige Vorstellungen, die er von der Art, wie die Arzneien wirken, verbreitete, Empfehlung von unbrauchbaren Mitteln, und die unbedingte Verwerfung aller Galenischen Arzneien konnten nicht ohne nachtheilige Folgen sein. Werden indessen unparteiisch Vortheile und Nachtheile seines Wirkens in der Medicin und Chemie gegen einander abgewogen, so haben unstreitig die erstern das Übergewicht; denn so lange nicht der blinde Autoritätsglaube und die Herrschaft des Galenischen Systems erschüttert war, konnte von keiner wirklichen Verbesserung der Arzneiwissenschaft die Rede sein. Selbst die Ausbreitung der alchymistischen Träumereien hat, so groß auch die Zahl derer ist, die sich dadurch zu Grunde richteten, der Chemie unschätzbaren Gewinn gebracht durch die Entdeckung der wichtigsten Wahrheiten

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und Erfindungen, die ohne das unablässige Streben der vermeintlichen Goldmacher niemals oder erst weit später wären zu Tage gefördert worden. Ihm selbst war auch die Goldmacherei Nebensache, obgleich er von der Wirklichkeit dieser Kunst überzeugt war; aber sein Hauptbestreben war Verbesserung der Heilkunde (vgl. Opp. T. II. p. 101).

 Einige seiner eigenthümlichen Ansichten und Lehren verdienen noch besondere Erwähnung. Vor Allem gehört hierher seine Lehre vom sogenannten Tartarum oder Tartarus, welche Sprengel in der Geschichte der Medicin „eine der gemeinnützigsten und brauchbarsten Neuerungen“ nennt, die Paracelsus gemacht hat. Im ersten Bande seiner Werke findet sich eine Schrift „Von den tartarischen Krankheiten, nach dem alten Namen vom Stein, Sand und Gries.“ Diese alten Namen erklärt er für unrichtig, weil sie diese Krankheiten zu sehr beschränken; der Tartarus gibt ein Öl, ein Wasser, eine Tinctur, ein Salz, welches den Körper wie höllisches Feuer anzündet. Tartarus ist ihm das Unreine in jedem Ding, im Wasser, im Wein etc. Er entsteht im Menschen durch die Dinge, die er genießt. Denn in jeder Speise ist neben der Nahrung ein Gift, Tartarus, enthalten. Aber im Magen wohnt ein Alchymist, der Archeus (den er sonst auch Spiritus vitae nennt. Opp. Tom. I. p. 318), welcher Beides scheidet, den Tartarus destruirt und ihn durch den Stuhlgang und den Urin austreibt. Wird aber der Tartarus nicht durch den Archeus destruirt, so wird er durch Spiritus salis coagulirt, und damit entsteht der Tartarus des menschlichen Leibes. Wie der Zimmermann aus einem Stücke Holzes nichts mehr machen kann, wenn es verbrannt wird, so muß der Archeus im Magen den Tartarus nicht blos ausscheiden, sondern destruiren, damit der Spiritus salis denselben nicht coaguliren und zum menschlichen Tartarus machen könne; sonst bleibt er in dem Körper. Ist also der Archeus geschwächt, sodaß er die Scheidung nicht vollständig machen kann, so entsteht aus dem mit dem Guten vereinigten Gifte eine Fäulniß; bewirkt er wol die Scheidung, aber nicht die Destruction des Giftes, so entsteht durch den Salzgeist der Tartarus. Diesen Tartarus betrachtet er nun als den Grundstoff aller Krankheiten, die aus Verdickung der Säfte, oder aus Rigidität der festen Theile, oder Ansammlung erdiger Stoffe entstehen, und fodert daher vom Arzte, daß er auf den Archeus wirke, d. h. die Thätigkeit der Natur leite und unterstütze, und daß er nicht wähne, die Säfte verändern zu können. Noch nimmt er eine andere Art des Tartarus an, der nicht von Außen in den Menschen kommt, sondern ihm angeboren ist, weil der Mikrokosmus alle Eigenschaften des Makrokosmus hat und deswegen auch Tartarus in ihm sein muß (Opp. Tom. I. p. 291). Bemerkenswerth ist ferner, daß er auf chemische Untersuchung des Urins dringt (Opp. T. I. p. 304), und was er (p. 1019 sq.) von den Wirkungen der äußerlichen Anwendung des Magnets gegen Blutflüsse, Flüsse des Stuhlgangs und gegen Krankheiten behauptet, die sich von ihrem Centrum über den Körper ausbreiten. Besonders verdient hat sich aber Paracelsus um die Chirurgie gemacht, durch Aufstellung folgender Grundsätze und Ansichten, die damals ganz neu und unerhört waren. „Die Natur des Fleisches, des Leibes, des Geäders, des Beins hat einen angebornen Balsam, welcher die Wunden heilet. Jedes Glied trägt in sich selbst seine Heilung. Der Wundarzt aber hat durch seine Arznei dafür zu sorgen, daß die Elemente den Balsam nicht zurückschlagen oder verderben. Der Balsam bedarf indessen auch der Nahrung. Er erhält dieselbe theils durch die Speisen, theils durch die Arznei, welche über die Wunde gelegt wird. Es ist aber nicht die Arznei, welche die Wunden heilt, sondern der im Körper liegende Balsam, den er Mumia nennt und für süßen Mercurius erklärt (T. II. p. 338). So heilt auch durch die Mumia an einem jungen Baume ein Schnitt wieder zu, während in einem alten Baume die Mumia nicht mehr in hinlänglicher Kraft und Menge sich findet. Der Hund beleckt seine Wunde, damit die Mumia feucht und in gehöriger Temperatur erhalten werde. Überhaupt heilt die Natur selbst ihre Schaden, wenn ihre Temperatur erhalten wird. Die Arzneien für die Wunden sind also Conservativa, nicht Incarnativa, wie die Arzte sie bisher genannt haben, in der Meinung, daß sie selbst zu Fleisch werden. Die Aufgabe des Arztes ist also, jeder Wunde die passende Arznei aufzulegen, woraus die Mumia ihre Nahrung zieht, um desto kräftiger zu wirken. Daher verwirft Paracelsus auch das Verkleistern der Wunden mit Eiweiß etc., ebenso den Gebrauch von schneidenden oder brennenden Instrumenten, die Anwendung von Nähten etc. Diese Lehre von der Mumia bringt er auch mit der Idee vom Mikrokosmus in Verbindung (Opp. T. I. p. 103) und findet in der Mumia alle möglichen Kräfte der Natur. Daher leitet er dann auch die wunderbaren Heilungen ab, die am Grabe von Heiligen eine Zeit lang stattfinden können, bis die Mumia ganz vertrocknet sei. Es seien aber dies keineswegs Wunder, sondern natürliche Wirkungen der unsichtbaren Mumia.

 Paracelsus kannte auch schon außer der atmosphärischen Luft verschiedene Gasarten, unter andern das Gas, welches sich bei der Gährung und dem Aufbrausen der Körper entwickelt, dieses nannte er „wilden Geist,“ Spiritus sylvester. Ebenso machte er auf die Schädlichkeit der Metalldünste und auf den Einfluß der verdorbenen Luft in den Hospitälern aufmerksam. Er vermuthete schon, daß die Luft aus Wasser und Feuer bestehe und unterschied zwischen verborgenem und sichtbarem Feuer. Auch seine Vorstellungen von der Quinta essentia sind für sein ganzes System der Heilkunde wichtig. Quinta essentia ist ihm ein ganz rein ausgezogener Spiritus, in welchem allein die Natur, Kraft, Tugend und Arznei des Dinges, seine Farbe, sein Leben besteht. Es ist der Spiritus vitae, der aber bei Menschen und Thieren sterblich ist, in Pflanzen und Mineralien hingegen daurend. Darum kann aus Fleisch und Blut keine Quinta essentia gezogen werden. Wäre es möglich, das Leben des Herzens auszuziehen, ohne Zerstörung, wie es aus den Dingen, welche keine Empfindung haben, geschehen kann, so würden wir durch diese Quinta essentia ohne Krankheit das Leben ewig erhalten können. Dagegen kann z. B. aus einer abgebrochenen Melisse noch die Quinta essentia

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ausgezogen werden, weil in ihr das Leben und die Kraft noch ist. In jedem Ding ist aber die Quinta essentia nur sehr klein und wenig; so auch im Golde, das nur durch dieselbe seine Kraft erhält, und ebenso in allen andern Dingen, sie tingirt den ganzen Leib des Dinges „wie ein Salz eine Suppe recht und gut macht.“ Verliert ein Metall, Stein etc. seine Farbe, so ist auch seine Quinta essentia weg. Jede Krankheit bedarf aber ihre besondere Quinta essentia; doch gibt es einige Quintae essentiae, die für alle Krankheiten dienen (vergl. Opp. T. I, 796). Zu solchen scheint er sein berühmtes Laudanum gezählt zu haben, dessen Bereitung unbekannt ist, dem er aber ausgezeichnete Wirkungen zuschrieb. Auch würde dahin der Lapis philosophorum oder der verborgene Geist der Natur zu rechnen sein, wie er nach seinen fünf Graden in der Schrift Apocalypsis Hermetis (Opp. Tom. III. p. 668) beschrieben wird, wenn nicht der Styl und die Art, wie Avicenna erwähnt wird, Zweifel gegen die Echtheit dieser Schrift erregen müßte.

 Neben dem, was Paracelsus für Heilkunde, Chemie und Naturwissenschaft überhaupt geleistet hat, darf aber auch nicht übersehen werden, wie viele Nahrung durch ihn Aberglaube aller Art erhielt. Von der Idee des allgemeinen Naturlebens war für einen Mann von so glühender Phantasie in jener Zeit der Schritt zu der Vorstellung unvermeidlich, daß das Weltall, die Erde, das Wasser, das Feuer mit einer zahllosen Menge geheimer, nicht von Adam stammender, nur mit Geist und Körper, aber nicht mit einer Seele begabter, Wesen bevölkert sei. Ausführlich schildert und benennt er ihre Classen, gibt ihren Verkehr und sogar Verheirathungen mit den Menschen an, und erzählt in allem Ernste läppische Kindermährchen (vergl. Opp. T. I. p. 78. T. II. p. 13. 180 sq. 291. 416 sq.). Ebendahin gehören seine Empfehlungen der Kabbala und Magie, der Werth, den er auf Buchstaben und Talismane setzte, die Ideen von den Einwirkungen auf Andere durch die Imagination und vermittels Bilder derselben, die aus Wachs bereitet werden. Von der Wahrheit und Wichtigkeit der Astrologie ist er ganz überzeugt: sie ist bei ihm ein Gemisch von Meteorologie, Nativitätstellen, Prophezeiungen und Kenntniß des Einflusses der Constellationen auf den Gesundheitszustand. Darum gehört ihm auch die Astrologie zur Heilkunde, und der Arzt muß, um die Krankheiten zu erkennen, immer die Planeten fragen, und die Beziehung jeder Pflanze zu ihrem bestimmten Sterne kennen, denn jeder Stern zieht durch seine anziehende Kraft die ihm entsprechende Pflanze aus der Erde, und theilt ihr seine Wirksamkeit mit. Höchst nachtheilig war auch in der Medicin seine Idee von den Signaturen, d. h., der Wahn, daß aus einzelnen äußern Zeichen der Pflanzen, aus ihrer Form, Zeichnung, Punkten etc., wenn sich eine Ahnlichkeit im menschlichen Körper finden läßt, die Wirkung derselben auf bestimmte Theile des Körpers oder bestimmte Krankheiten erkennen lasse. Wenn aber Paracelsus die Magie als die Wissenschaft durch Hilfe der Einbildungskraft große Dinge zu wirken und die Geheimnisse der Natur durch das innere Licht zu entdecken, empfiehlt, so verwirft er dagegen sehr entschieden die Nigromantie oder die Teufelsbeschwörungen und Zauberei; zwar nicht aus Überzeugung, daß solche Künste ein leerer Wahn seien, sondern aus Frömmigkeit, denn überall blickt durch allen Aberglauben ein frommes Gemüth durch. (vergl. Opp. T. III. p. 307). Daher ist auch auf die Worte, welche ihm seine Gegner überall vorwerfen: „Wenn Gott nicht helfen will, so helfe der Teufel,“ nicht mehr Gewicht zu legen, als auf andere seiner niedrigen und leidenschaftlichen Äußerungen. Seine religiösen Ansichten, insbesondere von dem Verhältnisse der Menschen zur Gottheit, ergeben sich aus dem oben Gesagten. Darum war er aber auch weder mit Luther noch mit der katholischen Kirche einverstanden, obgleich er sich nicht förmlich von letzterer trennte. Die mystische Erklärung der Bibel führte ihn auf ganz eigne Ansichten. Die Auslegung der sogenannten Lichtenbergischen Bilder, welche im Karthäuserkloster zu Nürnberg gefunden worden (T. III. p. 574 sq.) enthält deswegen die bittersten Ausfälle gegen das Verderbniß der Päpste und der katholischen Geistlichkeit überhaupt, und in einer andern Schrift sagt er: „Dem Luther sind meistens Schälke und Buben feind“ (T. I. p. 143). Aber ebendaselbst heißt es auch: „Ich lasse Lutherum sein Ding verantworten, ich will das meine selbst verantworten: denn er soll mir nicht ein Rinken (eine Schnalle) aufthun in meinen Schuhen.“ Von Zwingli spricht er dagegen mit großer Hochachtung in einem Brief an den Pfarrer Leo Judä in Zürich, bei Übersendung des Manuscripts von seiner Schrift über den 1531 erschienenen Kometen (Opp. T. III. p. 637). Er nennt ihn „unsern hocherfahrnen Meister,“ äußert, daß er dessen Schriften lese, und bittet Leo diese Arbeit zum Druck zu befördern, sobald er sie gelesen: „und doch daß du nichts handelst, es hab es dann unser Patron, Meister Ulrich Zwingli, wohl und gütlich verhängt.“ Sie beide, als die sonderlichen Vorgänger der Wahrheit sollen hierin Richter sein. Diese Außerungen des sonst so anmaßenden Mannes sind allerdings bemerkenswerth. Übrigens äußert er sich auch über einige Ärzte jener Zeit mit vieler Achtung, so über Vadianus zu St. Gallen, Christoph Klauser zu Zürich und Wolfgang Thalhauser zu Augsburg und es ist nicht zu verkennen, daß ihm die Beförderung der Heilkunde und das Wohl der Kranken wirklich angelegen war. Einen Brief an Klauser findet man im ersten Bande seiner Werke, S. 951. Gegen Ceremonien, Bilder und Verehrung der Heiligen, Wallfahrten etc. erklärt er sich in mehren Stellen seiner Schriften ganz entschieden, und rügt ernstlich den Wahn, daß durch dergleichen Mittel die Sünden gut gemacht werden. Auch in andern Beziehungen findet man oft mitten in allem Aberglauben helle Blicke; z. B. wenn er (T. III. p. 254 sq.) davon spricht, wie aus Kindern Hexen werden und woraus man dies erkennen könne. Er räth auf solche Zeichen Achtung zu geben, diese Personen nicht hart zu behandeln oder gar zum Feuer zu verurtheilen, „sondern daß sie in die Arznei kommen und von denen Dingen erlöst werden, dieweil uns Christus so viel tröstet, so wir fasten und beten, dadurch die Geister mögen austreiben.“ Er beschränkt dies auch nicht blos auf Kinder,

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sondern erwähnt dabei ausdrücklich noch alte Weiber; auch diese soll man zu heilen suchen, sobald man die ersten Zeichen bemerke. Endlich ist auch noch für die Geschichte der geologischen Meinungen seine Idee von der Entstehung der Berge und Thäler bemerkenswerth (Opp. T. Ill. p. 384). „Anfänglich wurde die Erde von Gott ohne Thäler, Berge, Steine, Erze, eben und feste geschaffen, und erst durch die Hitze der Sonne verwandelt, in mancherlei Art, Farben, Erze, Minerale. Es entstand nämlich durch die Hitze der Sonne „eine schwefelhitzige, dunstige Wärme;“ welche die Erde ganz durchdrang. Diese Wärme vermischte sich mit der angeborenen wässerigen Feuchtigkeit der Erde, woraus ein neblichter Rauch oder Dunst geworden, der sich nach und nach sehr vermehrte. Da nun jeder Dunst in die Höhe strebt, so hat derselbe hier und dort die Erde hin und her geworfen und also Berge und Hügel gemacht.“ Man erkennt leicht, wie nahe Paracelsus hier den geologischen Ansichten der neuesten Zeiten steht.

 In so verschiedenen Beziehungen muß Paracelsus betrachtet werden. Faßt man hingegen nur einseitig den Naturforscher und Arzt, oder den Theosophen und Schwärmer ins Auge, so müssen die widersprechendsten Urtheile, in denen zwar auf beiden Seiten Wahrheit liegt, entstehen. Überdies stehen seine Behauptungen und Meinungen alle doch in genauer Verbindung, wenn er sich auch dieselbe nicht deutlich dachte, indem sie aus seiner allgemeinen Ansicht von Gott, Welt und Mensch hervorgingen, und können daher auch nur in dieser Beziehung richtig aufgefaßt werden. Wie viel Irriges nun auch darin liegen mag, so kann doch nicht geleugnet werden, daß sie die Erzeugnisse eines, zwar nicht logisch ordnenden, aber mit seltener Productivität begabten, wahrhaft genialen Geistes waren. Darum hat aber auch Paracelsus auf die folgende Zeit zugleich wohlthätig und nachtheilig eingewirkt. Nicht blos seine Grundsätze und Lehren der Heilkunde und Chemie, sondern auch seine theosophischen und kabbalistischen Schwärmereien verbreiteten sich besonders in Teutschland immer mehr und beförderten den Aberglauben in hohem Grade, bis dann später durch die geheime Gesellschaft der Rosenkreuzer diese sogenannte Theologie und Philosophie ihre höchste Ausbildung erhielt. Hinwieder bildete sich gegen Ende des 16. Jahrh. in der Medicin gegen die eigentlichen Paracelsisten die sogenannte chemische Schule, welche mit Weglassung der theosophischen und Hermetischen Meinungen, aber freilich auch seiner geistigern Ansichten von der Natur, sich nur an das hielt, wodurch Paracelsus wirklich die Medicin gefördert hatte. Als Schriftsteller erscheint Paracelsus verworren und dunkel; der Stylist ungebildet, schwülstig und nicht selten pöbelhaft, aber oft sehr kräftig. Viele Dunkelheit rührt auch von der eignen Terminologie her, deren er sich bediente. Er erfand ganz neue Wörter und brauchte andere in ganz eignen Bedeutungen wie z. B. Anatomie, welches er (T. II. p. 519) erklärt durch Stelle, Ort, Anfang und Ende einer Krankheit. Große Schuld fällt aber auf die Herausgeber seiner Schriften, indem nur der kleinere Theil derselben noch bei Paracelsus’ Lebzeiten herausgekommen ist. Sie sammelten ohne Wahl und Ordnung, was sie zusammenbringen konnten; an Zusätzen seiner Schüler fehlt es auch nicht, und manche Schrift ist in die Sammlungen aufgenommen worden, die entweder gar nicht, oder wenigstens nicht so von Paracelsus herrührte, denn unter seinem Namen suchte mancher seine eigenen Ideen zu verbreiten. Oporinus sagt wenigstens gradezu, daß Paracelsus den Inhalt von Einigem, was man ihm zuschrieb, nie geträumt habe. Wie es sich mit der Echtheit der hier und dort unter seinem Namen vorhandenen Handschriften verhalte, ist sehr schwer zu entscheiden. Morhof (im Polyhistor. I, 10) erwähnt seiner handschriftlichen Commentarii in omnes paene N. T. libros, und Goldast seiner Correspondenz mit Bartholomäus Schobinger zu St. Gallen, die ehemals in der Schobingerschen Familie zu St. Gallen aufbewahrt wurde. Die vollständigste gedruckte Sammlung, nach welcher auch hier immer citirt wurde, ist diejenige, welche durch den Arzt Johannes Huser zu Strasburg 1616 und 1618 in drei Foliobänden herausgekommen ist. Ebenderselbe, hatte vorher eine Ausgabe zu Basel in zehn Quartbänden besorgt 1589–1591 und hierauf zwei Foioausgaben zu Strasburg 1605 und 1613. Auch zu Frankfurt ist eine Ausgabe in zehn Quartbänden erschienen 1603. Ins Lateinische übersetzt erschienen Paracelsi Opera omnia medico-chemico-chirurgica. (cura Fr. Pitisci, Genev. 1658.) 3 Tom. in fol. Diese Ausgabe ist von den lateinischen die beste. Man hat andere Basil. 575. 8. in eilf Bänden und Francof. 1603. zwölf Bände in 4. Einzelne Schriften wurden auch ins Französische, Italienische und Griechische übersetzt. In den zu Bestimmung der Orte, wo er sich in verschiedenen Jahren aufgehalten hat, oben citirten Stellen aus seinen Werken findet man zugleich die Zeit, zu welcher er einige dieser Schriften vollendet hat. Die drei Schriften von den tartarischen Krankheiten, Labyrinthus Medicorum und Defensiones, deren Druck seine Gegner verhinderten, schenkte er 1538 den Ständen des Herzogthums Kärnthen mit der Bitte, dieselben zum Druck zu befördern, worauf er eine günstige Antwort erhielt (Opp. T. I. p. 248 u. 317). Es ist schon gesagt worden, daß nur wenige seiner Schriften, noch bei seinen Lebzeiten gedruckt wurden. Dahin gehören die drei ersten Bücher der großen Wundarznei, welche 1536 zu Ulm erschienen. Ferner die Erklärung der Lichtenbergischen Figuren (Mülhausen 1536); die Beschreibung des Bads zu Pfäfers (1535), die Deutung des Cometen des Jahres 1531 (Zürich 1531), De natura rerum (1539). Ein Verzeichniß der wichtigsten einzelnen Schriften findet sich in Gmelin’s Geschichte der Chemie. 1. Bd., S. 240 fg., in Rixner’s und Siber’s oben angeführter Schrift (S. 12) und in Athenae Rauricae. I, 171. Von Michael Toxites, Arzt zu Hagenau, hat man ein Onomasticum medicum et explicatio verborum Paracelsi (Argentorat. 1574) und von einem andern Schüler des Paracelsus, Gerhard Dorn, Arzt zu Frankfurt am Main, Dictionarium Theophrasti Paracelsi (Francof. 1583. 8. 1584. 4.). Die Clavis et manuductio, welche Paracelsus selbst verfer-

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tigt haben soll, und welche man in J. Rhenani Aureus Tractatus findet, scheint unecht zu sein 3).

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3) s. Sprengel, Gesch. der Arzneikunde. 3. Bd. Gmelin, Gesch. der Chemie. 1. Th. Arnold, Kirchen- und Ketzergeschichte. 11. Bd. L. 16. c. 22. 899-904. und im Anhang 92. 1502-1511. Boerhave, Elem. chemiae, Haller, Bibl. Botan. I, 249. Bibl. Anatom. I, 158. II, 739. Bibl. Chirurg. I, 183 sq. u. 598. Bibl. Pract. II, 2-12. Le Clerc, Hist. de la médecine. 792. Conring, De Hermetica medicina, L. II. c. 12. Morhof, Polyhistor. T. II. 118 sq. 250-252. Adami, Vitae Med. p. 12. Corrodi, Gesch. d. Chiliasmus. 3. Bd. S. 276. Haller’s Bibliothek der Schweizergesch. 2. Bd. S. 313 fg.

Bibliography

Escher, Heinrich: ‘Paracelsus’, in: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, ed. by J. S. Ersch and J. G. Gruber, section 3, part 11, Leipzig: Brockhaus, 1838, pp. 285-296.
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