Zöhrer 1878 Vagabund

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Ferdinand Zöhrer,
Ein alpiner Vagabund der Wissenschaft
1878

Text

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Ein alpiner Vagabund der Wissenschaft
Biographische Skizze

Wer seine Wiege in den Centralalpen der Schweiz stehen hatte, einen Theil seines Lebens in den Kalkalpen Kärntens zubrachte und schließlich in die kühle Erde von Salzburg sich betten ließ, der ist wohl ein Kind der Alpen zu nennen; und wenn ein solcher Mensch noch einen berühmten Namen getragen hat, so verdient er es, daß ein „Organ für Alpenkunde“ sein Gedächtniß

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auffrischt. Dankbar wird eine Aufklärung aber auch der Tourist anerkennen, der bei einer Wanderung durch die Urschweiz oder ins Baselland, durch Kärnten oder Salzburg gar oft dem Andenken eines Mannes begegnet, dessen Name gern mit wunderbaren Beisätzen genannt wird, von dem aber die modernen Reisebücher fast Nichts als die Grabschrift im Kirchhofe von St. Sebastian in Salzburg bringen. In der Vorhalle der Sebastianskirche finden wir eine stumpfe Pyramide mit einer Reliefbüste in Mönchskleidung. Es ist das Grabmal des berühmten Naturforschers und Arztes Theophrastus Paracelsus v. Hohenheim, von dem die lateinische Nachschrift lehrt, daß er „Wunden und Podagra, die Wassersucht und andere Krankheiten des Körpers auf eine wunderbare Art heilte † 1541.“ Wer war dieser Mann? fragt sich der Tourist. „Insignis medicinae doctor‘ sagt die Inschrift. Woher ist er gekommen, wo hat er gelebt und wunderbar geheilt? Die Inschrift erzählt uns Nichts, das Reisehandbuch gibt keine Auskunft und doch möchte der Tourist von diesem Manne noch Manches wissen. Vielleicht ist er diesem Namen in einem Unterhaltungsjournale schon begegnet, das ihn unter die Alchymisten oder gar unter die Quacksalber aufgenommen, daß es ein Unrecht, diesen berühmten Arzt unter die Abentheurer zu rechnen, wird der Verfasser in nachstehenden Zeilen beweisen, die den so häufig verunglimpften Gelehrten der sich im Lande und unter den Leuten der norischen Alpen durch seine gelungenen Kuren, gar wohlthätig gezeigt doch wenigstens in den Augen des sein Grabdenkmal beschauenden Touristen zu verdienten Ehren bringen sollen. Verfasser dieser Skizze hat oft Gelegenheit, an der Stätte vorbeizukommen, wo das Geburtshaus des Paracelsus v. Hohenheim gestanden. Es ist diese in der Nähe der „Teufelsbrücke,“ die sich über die in der Tiefe donnernden Sihl wölbt, am Fuße des bewaldeten Etzel im Cantone Schwyz. Ringsumher um diese Geburtsstätte ist es öde und kahl; schattenlos, weit und breit ohne Obstbaum, dehnt sich das Moorthal, von der Sihl und Alp durchflossen, gegen den Flecken Einsiedeln hin. Bei dem Anblicke dieser trostlosen Landschaft, die erst auf der Höhe des Etzel selbst im Anblicke des Zürichersees Reiz gewinnt, gedenkt Verfasser dieser Skizze oft an das Grab des vergessenen Gelehrten auf dem herrlichsten Flecke der Alpen, in Salzburg, er denkt an das nicht minder schöne Oberösterreich, des Verfassers eigene Heimat; manchmal gelingt es ihm nur bei einer Flasche feuerigen Leutschner’s, der an den Gestaden des Zürichersees reift, trübseliger Gedanken los zu werden. Die Gelehrten stritten sich herum, wo der Geburtsort des Theophrastus Paracelsus am richtigsten zu suchen sei. Die „von Hohenheim“ sollen bald aus Appenzell stammen, bald aus dem Würtembergischen eingewandert sein. Heute ist es unzweifelhaft, daß er am Fuße

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des Etzel im Bezirke Einsiedeln geboren wurde und zwar 1493. Er selbst sagt von sich: „Der ich bin von Einsiedeln, dess Land’s ein Schweizer.“ In seinem Testamente mit nach seinem Tode eingesetzten Datum: „Salzburg 8. Dezember 1541, bestätigt der Artikel IV, worin er seinen Verwandten in civitate Einsiedel HeIvelciorum 10 Gulden vermacht“, daß Paracelsus aus Einsiedeln gebürtig; dieses Legat wurde nebst Empfang eines Silberbechers von Peter Wesner, Spitalverwalter des Klosters und Neffe des Verstorbenen quittirt. Paracelsus Vater war Arzt, seine Mutter vor ihrer Verehelichung eine Hörige des Stiftes Einsiedeln. Sein Vater unterrichtete ihn in den Anfangsgründen der damals noch in Windeln liegenden Medizin; gewiß hatte der wißbegierige junge Mann auch Zutritt im Kloster, wo die Mönche sich auch auf die Heilkräfte der Pflanzen verstanden, wo ihm in alten Folianten gute Abhandlungen über Mathematik, Astronomie und die Werke eines Hippokrates Aurelius zur Verfügung gestanden. Die nähere und fernere Umgebung seiner Heimat bot dem angehenden Arzte eine reiche Beute seltener Pflanzen und die Petrefakten des Hinteren Sihlthales lieferten dem Forscher einen Beweis der Wunder der Urwelt. Goethe machte bekanntlich bei einem Besuche der Gegend von Einsiedeln auch Jagd auf die schönen Annularien, die Terebrateln, Palmüberreste, Nummuliten, die sich in prächtigen Exemplaren vorfinden.

 So hielt es Paracelsus mit der Theorie; für die Praxis hatte er eigene Anschauungen, die ihn zu einem echten „Vagabunden der Wissenschaft“ machten. „Ich habe gehört,“ sagt er von sich, „daß ein Arzt soll ein Landfahrer werden; dieses gefelt nur wohl. Will einer viel Krankheiten erkennen, so wander er auch.“ Im 16. Jahre besuchte er die Hochschule in Basel, nachdem er vorher einen tüchtigen Unterricht von dem gelehrten Bischofe Eberhard Baumgartner im Kloster St. Andrae in Kärnten erhalten hatte. In späteren Jahren, nachdem sein Vater nach Villach übersiedelt war, hielt sich Paracelsus gerne lange in Kärnten auf, nannte es „nach dem Land meiner Geburt das ander mein Vaterland.“ Die Villacher zeigen heute noch das Scheidtenberg’sche Haus, wo er gewohnt hat.

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 Einem unwiderstehlichen Hange, seine medizinischen Kenntnisse zu bereichern, folgend, durchwanderte Paracelsus, nachdem er fast alle berühmten Hochschulen besucht hatte, halb Europa, diente auch in Dänemark und in den Niederlanden als Feldarzt. In den Laboratorien des gelehrten Arztes Trithenius zu Sponheim und des Sigmund Fugger zu Schwaz in Tirol, bereicherte er seine Kenntnisse in der Chemie, mit denen er es jedoch nie auf den „Stein der Weisen“ abgesehen hatte, wie die Verläumdung ihm nachsagt. Er selbst sagt: „der wahre Gebrauch der Chemie sei nicht Gold zu machen, sondern Arzneien darzustellen.“ Um 1526 saß er auf dem Lehrstuhle der Medizin in Basel, wo er meist in deutscher, derber Sprache seine eigenen Anschauungen vortrug und sich bestrebte, in der Praxis mit dem Wuste von Süpplein und Tränklein aufzuräumen und dafür chemische Präparate auszunehmen; dadurch machte er sich die „mit den Doctores und Medici in heimlich Pakt stehenden Apotheker“ zu erbitterten Feinden. Die gegenseitig mündlich und schriftlich zugeschleuderten Schmeicheleien lassen das aufdämmernde Zeitalter der Reformation genugsam erkennen. Paracelsus, dieser Luther der Medizin, sagt selbst von sich: „Von der Natur bin ich nicht subtil gespunnen, ist auch nicht meines Landes Art. Wir werden auch nicht mit Feigen erzogen, noch mit Meth, noch mit Weizenbrod; aber mit Käse, Milch und Haberbrod.“ Ein Jahrhundert später kamen noch die Kartoffeln und der Kabis (Kohl) in das Einsiedlerkochbuch, die Bewohner blieben aber den

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Ueberlieferungen ihrer Vorfahren treu, ließen das subtile Gespinnste nicht aufkommen, das sie unter Tannenzapfen nicht — brauchen konnten. Nach einem durch ein entzogenes Honorar für eine gelungene Cur hervorgerufenen Streite mit dem Magistrate der Stadt Basel verließ er 1528 die Stadt, wanderte in der Schweiz und in Deutschland umher, durch seine Curen bei Reich und Arm einen großen Anhang sich verschaffend. Seine Schüler, die sich Paracelsisten nannten, sind in den meisten Fällen als Schänder seines Namens anzusehen; viele derselben folgten ihm in dem Wahne, daß er „geheime Landana und goldmachende Tinkturen“ besitze. Paracelsus erlaubte sich oft Scherze mit ihnen; wenn sie sich dann enttäuscht gesehen, verließen sie ihn, seinen Namen schimpfend und lästernd. Er selbst sagt von ihnen: „die mir haben gedient und gelächelt und wie die Hündlein umgestrichen und angehangen — daß sind und werden Erzschelmen geben.“ Ordnung und geregelte Cassa waren bei einem so unruhigen Geiste nicht zu finden. Die Reichen bezahlten ihn oft nicht, die Armen beschenkte er, Diebe bestahlen ihn. Zum Trunkenbolde, wie ihn seine Feinde ausschrieen, sank er nicht. Paracelsus war es, der in seiner Archidoxa prächtige chemische Themate zur Auflösung brachte, die Chemie der Pharmacie als Schwester beigab, die Quecksilber- und Eisenpräparate mit Erfolg einführte; er wendete Brennspiegel und Sammelgläser an, kannte die Trennung des Goldes vom Silber durch Scheidewasser, bereitete aus heilkräftigen Pflanzen seine Quintessenz und die Extracte. Im Laboratorium unter Phiolen und Retorten erschien er der Welt als Magiker und Adept, der im Hexenkessel braut. Seine Verdienste um die Chirurgie, gesammelt auf Schlachtfeldern, sind bedeutend, auch die erste wissenschaftliche Untersuchung der Heilgewässer ist sein Werk. Arcanum ist bei ihm Gesundheit, Arcana, die Bäder. Wirklich originell sind seine Ansichten, denen zu Folge der Mensch alle einzelnen Erscheinungen des äußeren Naturlebens in sich vereint, die den Mikrokosmus bilden. Unter den geehrten Lesern des „Tourist“ giebt es gewiß Aerzte, die den Anschauungen des alpinen Gelehrten Interesse abgewinnen können. So nannte Paracelsus die Wassersucht eine mikrokosmische „Ueberschwemmung,“ die nur durch Ableitung und Trockenlegung geheilt werden könne; die Atrophie (Auszehrung nannte er eine mikrokosmische „Austrocknung,“ die verschiedenen Arten der Koliken vergliech er mit den 4 Hauptrichtungen der „Windrose,“ den Schlagfluß mit dem „Blitze,“ Krankheiten, die durch Ablagerung fester Krankheitsprodukte entstehen, nannte er „tartarische;“) so erkannte er ganz genau das Wesen der Schwindsucht und Gicht. Daß er der Astrologie nicht ergeben gewesen, beweist sein Werkchen gegen „Sterndeuterei.“ Gerade bei Beurtheilung seiner Werke

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hat man sehr vorsichtig zu sein. Bon den ihm zugeschriebenen Schriften, bei 300 an der Zahl, sind wohl mehr als die Hälfte unterschoben. Wann hätte Paracelsus Zeit gefunden, auf seinen Wanderungen eine solche Zahl theologischer, philosophischer, astronomischer und medizinischer Werke zu schreiben ? Als wirklich echt sind anzusehen: die 7 Bücher von den Wunden, die 7 Bücher der Recepte, die kleine Chirurgie, die große Wundarznei, 9 Bücher von der Natur der Dinge, die Bücher seiner Verantwortung, über den Irrthum der Aerzte und einige kleinere Abhandlungen über die Steinkrankheit. Er selbst schrieb kurz, bündig und nur im „Schwyzerdütsch,“ dabei aber unleserlich und flüchtig, so daß bei Herausgabe seiner Schriften nach seinem Tode Verstümmelungen und Entstellungen, ja blühender Unsinn auftauchen mußten. Paracelsus trat im einfachen, wohl oft von Arbeiten im Laboratorium beschmutzten Gewande auf, obendrein war er ein Feind, der im Talare und mit Barett einherstolzirenden Doctores et Medici. Wenn die Forschung die Werke des Paracelsus heute auch weit überholt hat, so gebührt ihm doch das Verdienst, in einer Zeit, wo sich noch keine berühmten Hörsäle und anatomische Theater öffneten, seine wissenschaftliche Mission erfüllt, die Fesseln der Tradition gelöst, neuen Wahrheiten in der Medizin Eingang verschafft zu haben, wodurch er dem sich selbst beigelegten Schimpfnamen „Waldesel von Einsiedeln“ in keiner Weise nachlebte.

 Um 1536 zog Paracelsus nach Oesterreich, 1537 tauchte er in Mähren auf, 1538 in Kärnten, überall rationelle Heilungen vollbringend. Mit ihm zog die Sage und der Wunderglauben des Volkes. So finden wir in den Sagen Wiens seine Anwesenheit im Hause „Zum Küß den Pfenning,“ wo er ein Kupferstück in eitel Gold verwandelt und damit seine Zeche bezahlt haben soll; wir finden ihn bei Innsbruck, wo er in einem Walde den Teufel durch eine List zwingt, sich in eine Spinne zu verwandeln, die Paracelsus in ein Astloch sperrt und so eine arme Seele rettet. — Sein Ruhm veranlaßte 1541 den Erzbischof Ernst von Salzburg, ihn als Leibarzt an seinen Hof zu berufen, was Paracelsus, müde des Herumirrens, auch gerne angenommen. Doch nicht lange sollte er sich der Ruhe in Salzburg erfreuen; am 24. September 1541 starb Paracelsus plötzlich, ob in Folge eines Fiebers oder Nervenschlages ist ungewiß. Einige lassen ihn sogar als Opfer seiner Feinde und Neider nach einem Gastmahle über einen Felsen stürzend ermordet werden. In Salzburg wohnte er in der Linzergasse, dem Café Wahl gegenüber, wo am Hause 397 sein Portrait zu sehen ist. Sein Leichnam wurde stattlich begraben, zuerst im Sebastianskirchhofe, dann 1752 in der Vorhalle der Kirche beigesetzt. P. Moriz Symian sammelte 1760 Notizen

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über den unter den Namen Rastus oder Raster heute noch genannten Gelehrten, die in der Handschrift Nr. 502 der Einsiedler- Klosterbibliothek aufbewahrt sind. Verfasser dieser Skizze bewahrt dem oft miskannten Manne, der es mit seiner Mitwelt gut gemeint, der Nachwelt durch seine Kenntnisse und Erfahrungen Nutzen aufgesparrt hat, ein freundliches Andenken, wenn er in einer Höhe von 3000 Fuß im einsamen Alpthale an der Stätte bei der „Teufelsbrücke“ vorbeikömmt, wo die Wiege von Paracelsus von Hohenheim gestanden. Mögen es auch die Leser des „Tourist“ in Oesterreich thun, die an dem Grabe des Wundermannes stehen, in Salzburgs Sebastianskirche an dem einfachen Grabdenkmale herablesen, daß dort ein bewegtes, ein ehrliches Menschenleben zum Abschluße gekommen, das Leben eines „alpinen Vagabunden der Wissenschaft.“

Bibliography

Zöhrer, Ferdinand: ‘Ein alpiner Vagabund der Wissenschaft’, in: Jäger’s Tourist, 10 (1878), vol. 2, pp. 10–12, 33–36.