Wachler 1824 Handbuch

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Ludwig Wachler,
Handbuch der Geschichte der Litteratur
1824

Text

[p. 251]


B. Chemiatrie.

Die Empfänglichkeit der Aerzte für neue Ansichten und das Erwachen des, knechtische Abhängigkeit von Auctoritäten verwerfenden selbstständigen Untersuchungsgeistes, sich beurkundend in Schriften Guill. Rondelet´s [st. 1566], J. Argentier´s [st. 1572], Lor. Joubert´s [st. 1582] u. A., und weit entscheidender die, auch von großen Köpfen und angesehenen Gelehrten in Schutz genommene Hinneigung des Zeitalters zu theosophischer Mystik, der Glaube an Astrologie und das Vertrauen auf Alchymie erklären die wundersam allgemeine Wirksamkeit des Paracelsischen Systems und die nachhaltigen Folgen, welche dasselbe in seiner weiteren Fortbildung für die Wissenschaft gehabt hat. Philipp Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombast von Hohenheim aus Einsideln b. Zürich [geb. 1498; st. 1541], mit großen Geistesgaben ausgestattet, arm an zünftig gelehrter Bildung, reich an mannigfachen Erfahrungen von ungleichem Werthe, mit unklarer innerer Selbstthätigkeit die Natur und den Menschen beobachtend, ein unsteter wohlwollender Fanatiker und Wunderdoctor, wendete sich, wie viele durch Schulweisheit unbefriedigte treffliche Denker vor und mit ihm, der Geheimlehre der Kabbala zu und ging darauf aus, dieselbe mit der Medicin zu verbinden; er machte auf die fruchtbare Ergiebigkeit und wissensch. Unentbehrlichkeit der Chemie aufmerksam, empfahl mehre gute, meist mineralische Arzneymittel, deutete psychische Ansichten in der Arzneywissenschaft an und brachte manche glückliche und fortgesetzte Forschung anregende Beobachtungen in Umlauf; vergl. S. 230.; Schröckh Lebensbeschr. B. 1 S. 42; Sprengel Gesch. d. Arzneyk. B. 3 S. 226 f. (235 fl. der II Ausg.)

 [Die meisten Paracelsisten waren Teutsche ohne gelehrte Vorbildung; einer der berühmteren Leonh. Thurneisser zum Thurn aus Basel [geb. 1530; st. 1595?], am geschäftigsten und litter. thätigsten zu Berlin im Grauen Kl. 1571 bis 1584; von da zog er wahrscheinlich nach Italien vergl. Möhsen Beytr. z. Gesch. d. Mark. Berlin 1783. 4 S. 188 fll.; der Däne P. Severin [st. 1602]; aber auch die gelehrten Joh. Winther v. Andernach [st. 1574], L. Battus in Rostock [st. 1591] u. A. erklärten sich für ihn. – In Italien machte s. System wenig Glück; mehr in Frankreich durch Jac. Gohory [st. 1576) u. Jos. du Chesne [st. 1609]. Ausbreitung gewann es durch Rosenkreuzer; ein sehr wirksamer Vertreter desselben war der berühmte und an eigenthümlichen Gebilden der phantasirenden Vernunft reiche
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Englische Theosoph Rob. Fludd [st. 1637]: Opp. Oppenh. Frkf. etc. etc. 1617 fll. 6 F. vergl. Ebert Lex. 1 S. 612 f.
 Conciliatoren der Paracelsischen und Galenschen Theorie: Theod. [st. 1588] u. Jac. Zwinger [st. 1610]; Raym. Minderer [st. 1621]; Mich. Döring [st. 1644]; vorzüglich Dan. Sennert in Wittenberg [st. 1637], dessen Institutt. (Wittenb. 1611. 4 u. oft) als das beliebteste Lehrbuch für lange Zeit galten.
 Gegner des P., welche theosoph. Schwärmerey bestritten, aber den Werth der Chemie anerkannten und an wissensch. Ausbildung des chemiatrischen Systems Antheil hatten: Bernhard Dessenius Cronenburg [st. 1574]; vorzüglich Th. Erast [st. 1582], H. Brucaeus [st. 1593] und der achtbare And. Libavius [st. 1616]. Mehre gelehrte Aerzte am Ende des XVI und im Anf. des XVII Jahrh. hoben die bewährteren und brauchbaren Grundsätze des P. hervor und trugen zur Entwickelung der systematischen Chemiatrie bey. Unter Teutschen und Italiänern ging der Paracelsianismus bald in Spiritualismus über.]

Joh. Baptist van Helmont aus Brüssel [geb. 1577; st. 1644], Spiritualist, erklärte alle Verrichtungen des menschl. Cörpers aus Gährungen, deckte viele Irrthümer in den gangbaren med. Grundvorstellungen auf und regte folgenreiche Forschungen an; sein von theoretischen Voraussetzungen abhängiges praktisches Verfahren hatte sichtbare Mängel: Opp. Frkf. 1682; 1707.4. – Fz de le Boë Sylvius aus Hanau [geb. 1614; st. 1672], Prof. in Leiden, gab, mit Benutzung Helmontscher und Cartesischer Ideen, der chemiatrischen Theorie ihre Vollendung; er lehrte das Leben thierischer Cörper als chemischen Proceß ansehen und die nächste Ursache aller Krankheiten in Schärfen suchen; s. einseitige und fehlerhafte Heilart richtete große Verwüstungen an. Er leistete dem medic. Studium wesentliche Dienste durch Einführung klinischer Vorlesungen und Uebungen in öffentl. Krankenanstalten, durch hāufige Leichenöffnungen und dringende Empfehlung der Erfahrung, so wenig diese seine Schulansichten begünstigte: Opp. Amsterd. 1679. 4; Genf 1693; Vened. 1708. F. - Thom. Willis [geb. 1622; st. 1675], Lehrer in Oxford [1660] und dann prakt. Arzt in London [1666], ein vortreflicher und besonders in Untersuchung des Gehirns [1664] glücklicher Zergliederer, schloss sich näher an Paracelsus an und erklärte die Fieberlehre aus chemischen Grundsätzen: Opp. Genf 1676; Amsterd. 1682. 2. 4; Vened. 1720. F.

 [Anhänger u. Verbreiter des chemiatr. S.: Otto Tachenius und P. J. Faber um 1650; Mich. Ettmüller [st. 1683]; J. J. Waldschmidt [st. 1689]; Ol. Borrichius [st. 1690]; Fz Mercier v.
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Helmont [st. 1699], weit überspannter, wie s. Vater; J. Dolaeus [st. 1707]; Gg Wfg. Wedel [st. 1721]; Nic. de Blegny [st. 1722].
 Conring wies schon mehre Schwächen des Systems nach; R. Boyle erregte wohlbegründete Zweifel gegen die chemischen Grundstoffe, von welchen dasselbe abhing. Hauptgegner, die s. Fall herbeyführten: Archib. Pitcarn [st. 1713], J. Bohn [st. 1718], H. Boerhave und F. Hoffmann.]

Bibliography

Wachler, Ludwig: Handbuch der Geschichte der Litteratur, vol. pt. 4: Geschichte der neueren Gelehrsamkeit, Frankfurt a.M.: Hermannsche Buchhandlung, 1824, pp. 251-253.
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other editions:

Wachler, Ludwig: Handbuch der allgemeinen Geschichte der literärischen Cultur, vol. 2. Hälfte, Marburg: Akademische Buchhandlung, 1805, pp. 1028-1029.
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Wachler, Ludwig: Handbuch der Geschichte der Litteratur, vol. pt. 4: Geschichte der neueren Gelehrsamkeit, Leipzig: Joh. Ambr. Barth, 1833, pp. 318-321.
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