Müller-Guttenbrunn 1928 Paracelsus

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Adam Müller-Guttenbrunn,
Paracelsus in Wien
1928

Text

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Paracelsus in Wien.

Der Wiener Stadtrat hat seinerzeit einem neuen Straßenzuge im dritten Bezirke den Namen jenes medizinischen Wundermannes gegeben, der einst ganz Europa mit seinem Ruhme erfüllte und dessen Andenken sich noch heute, nach vierhundert Jahren, in der Phantasie und im Wortschätze des deutschen Volkes behauptet. Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim war sein voller Name. Und dieser Mann war ein Schwabe. Ein ganzes Weltbild tut sich auf vor uns beim Klange seines aufgedonnerten Gelehrtennamens, man sieht die groß- mächtige Perücke, unter der die Gelehrten an der Grenz- scheide des Mittelalters ihre Weisheit verbargen, man hört den Schwulst, den sie redeten, und man vernimmt auch das Scheppern des Raufdegens, den sie, wie ihre Studenten, gern an der Seite trugen. Und Paracelsus zählte zu dieser Gilde. Über seine Genialität hob ihn über seine Standesgenossen weit empor. Sein geschwollener Name gehört noch ganz seiner Zeit, er ist ein Produkt der Mode, er selbst aber strebte über diese hinaus. Er geriet früh in Konflikte mit seinen Standesgenossen an den Universitäten, sein unstetes Naturell warf ihn aus dem normalen Geleise und er verfiel in ein ziemlich bewegtes Wanderleben. Dieses führte ihn im Jahre 1537 auch nach Wien. Und wie stark muß der Eindruck seiner Persönlichkeit hier gewesen sein, da sein bombastischer Name noch heute in Wien geläufig ist. Sonst aber weiß man im Volke wohl wenig von Theophrastus Paracelsus und seinem Verhältnisse zu Wien und Österreich. Der wunderliche Mann wurde jahrhundertelang falsch beurteilt, man warf ihn mit den gelehrten Abenteurern

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seiner Zeit zusammen und tat ihn in der Aufklärungsepoche kurzer Hand ab. Selbst Johannes Scherr zählt den Paracelsus in seiner Kulturgeschichte noch zu den gelehrten Gauklern, obwohl er dessen Genialität nicht bestreitet. Und nicht einmal über seine Herkunft war man sich klar. Die Wiener Geschichtsschreiber wußten darüber noch vor zwanzig Jahren nichts Gewisses. Jedenfalls gaben sie ganz falsche Daten an. heute weiß man, daß Paracelsus als der Sohn des Arztes Wilhelm Bombast von Hohenheim in Maria-Einsiedeln im Kanton Schwyz am 17. Dezember 1493 geboren wurde und daß er schon in seinem neunten Lebensjahre nach Villach in Kärnten kam, wohin sein Vater übersiedelt war. Dort verlebte er seine Jugend und empfing von seinem gelehrten Vater den ersten Unterricht in Chemie. praktisch wurde er in Schwaz in Tirol in diese Wissenschaft eingeführt, wo er im Bergwerkslaboratorium arbeitete und dem Wesen der Alchemie näherrückte. Seine dortigen Lehrer mögen An-hänger dieser Geheimwissenschaft gewesen sein und den Stein der Weisen gesucht haben; er selbst scheint zu nüchtern und praktisch veranlagt gewesen zu sein für solchen Hokuspokus. Er zog aus jenen Lehrjahren den positivsten Nutzen, entdeckte viele neue chemische Verbindungen und wurde später der Begründer der pharmazeutischen, der medizinischen Chemie. Als junger Arzt schrieb er auf Grund seiner Schwazer Erfahrungen als erster über die Berufskrankheiten der Bergleute.

So wurzelt Paracelsus mit seiner Jugend und seinem ersten Bildungsgange in Österreich. Und da er nach einem bunten Wanderleben den Rest seiner Jahre in Salzburg verbrachte und dort im Jahre 1541 starb (in der St. Sebastianskirche findet man noch sein Grabmal), so gehört der Mann mit dem fremdartigen Namen und dem Nimbus eines indischen Zauberers eigentlich zu uns.

Im Sommer 1537 tauchte der hochgelahrte Doktor Theophrastus Bombastus Paracelsus in Wien auf und er kam bereits mit dem ganzen Nimbus eines Wundermannes

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hieher. Er hatte früh große Reisen unternommen, war Feldarzt in mehreren Kriegen, dann Stadtarzt in Basel gewesen. An der dortigen Hochschule hatte er Vorträge gehalten, die das größte Aufsehen hervorriefen. Er sagte sich los von der alten medizinischen Schule und ihrer Stubengelehrsamkeit. Die Erfahrung und das Experiment rückte er in den Vordergrund, ihm war der Mensch ein Teil der Natur und sein Leben nichts weiter als ein organisch-chemischer Prozeß. So selbstverständlich das heute klingt, so revolutionär erschien es damals. Er verwarf das Wunder in der Medizin und spürte dem Heiltriebe der Natur nach. Dieser sei der mächtigste Faktor der ganzen Wissenschaft. Heilstoffe suchte er in der einfachsten Form zu gewinnen. Für die Wundbehandlung stellte er — wie wunderlich! — die Reinlichkeit als das oberste Gesetz hin. Dieser Mann war den Quacksalbern der alten Schule zu gefährlich. Er überwarf sich mit den Ärzten und dem Magistrat von Basel und verließ schon nach zwei Fahren seinen Posten. Ruf seinem unsteten Wanderleben, das von da ab begann, schrieb er Buch um Buch, ohne die Mittel zu besitzen, sie auch drucken zu lassen. Sein Wesen mag recht exzentrisch, herrisch und theatralisch gewesen sein. Und ganz los von der Gelehrtenmode seiner Zeit konnte er ja nicht, er redete ihre dunkle Sprache und haftete an ihren Fachausdrücken, und da man ihn einmal als Zauberer und Wundermann ausgeschrien hatte, so mochte er wohl auch nichts dagegen getan haben, für einen solchen zu gelten. Mundus vult decipi. Um so weniger, als er oft im Elend lebte und sich dann die Mittel seiner Existenz wie ein Charlatan erwerben mußte. Ein berechtigtes Selbstgefühl wird durch schlimme Lebens- umstände nur gesteigert. Und mit einem solchen gewappnet, kam Paracelsus nach Wien. Manche Kur in aristokratischen Häusern war ihm geglückt und hatte seinen Ruf gehoben. Er hatte vieles geschrieben und noch mehr gedacht. Nicht nur über Medizin. Ihm war das ganze Gebiet der Naturwissenschaften Untertan und er trieb praktische Botanik,

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Astrologie, Metallurgie, Alchemie und Chemie. Auch war er ein guter Chirurg und seine Stärke als Arzt soll die Diagnose gewesen sein. Sein Blick erkannte stets den Sitz einer Krankheit. Kein Wunder, daß er als Wundermann galt. Die Unwissenheit, in der das Volk versunken war, ließ jedes höhere Wissen und können als Zauberei erscheinen. Und die Geheimniskrämerei mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen war die Mode der höheren kreise. Ihre verschwenderische Lebensweise aber schaffte ihnen ein stetes Geldbedürfnis und sie glaubten nur zu gern jenen Charlatanen, die die Goldmacherei betrieben. Auch von den medizinischen Gauklern ließen sie sich foppen, die das Arkanum zur Ver-

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längerung des menschlichen Lebens gefunden zu haben behaupteten. Und ganz Wien war erfüllt davon, daß Paracelsus alles könne, aus Eisen Gold machen, aus Kranken Gesunde, aus Gesunden Unsterbliche.

Paracelsus ritt eines Sommertages bei der Taborlinie in Wien ein, denn er kam von Kromau in Mähren, wo er den Erbmarschall von Böhmen in ärztlicher Behandlung hatte. Er kam durch das Rotenturmer Tor und nahm sein Quartier im Federlhof am Lugeck (heute Bäckerstraße Nr. 2). So berichten die Lokalchronisten. Und sie behaupten, Paracelsus habe zwei Audienzen bei Ferdinand I. in der Hofburg gehabt. Sie meinen, er sei wahrscheinlich nur nach Wien gekommen, um vom deutschen König die Mittel zu erhalten für die Drucklegung seiner Werke. Und Ferdinand habe ihm schon nach der ersten Audienz tausend Goldgulden zugesagt. Diese wären ihm aber niemals ausbezahlt worden, denn Ferdinand hätte später erkannt, daß Paracelsus „ein unverschämter Lügner" sei. Was daran wahr, was böswilliges Geschwätz ist, dürfte kaum zu ermitteln sein. Unzweifelhaft ist nur, daß Paracelsus später eines seiner Haupt-werke, das Buch von der „Großen Wundarzney", dem Kaiser gewidmet hat. Und ebenso unzweifelhaft ist es, daß die Wiener Arzte voll Neid und Eifersucht waren gegen den interessanten Fremden und daß sie ihn redlich anschwärzten bei Hofe. Auch der berühmte Wiener Arzt und Geschichtsschreiber Wolfgang Lazius (der Lazzenhof gehörte ihm) ist davon nicht auszunehmen. Paracelsus scheint eine Diskussion mit den Wiener Ärzten gesucht, aber nicht gefunden zu haben. Man suchte ihn zu isolieren und ärgerte sich weidlich, daß das Volk ihm zulief und den Federlhof Tag und Nacht belagerte, um ihn zu sehen. In einem Briefe über seinen Aufenthalt in Wien spricht Paracelsus sich darüber sehr deutlich aus: „Sie (die Ärzte nämlich) haben aber befunden, besser sei, so ich zu St. Stephan bin, sie seien auf den hohen Markt, gang ich an den Lugeck, daß sie gegen St. Laurenzen gehen, welcher Gegenwärtigkeit von ihnen nicht zugelassen,

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sondern erfreuen sich, mich zu verletzen, so ich vierzig Meilen von ihnen bin. Haben also dermaßen ein Knopf gemacht, daß ich an den Tag zu kommen mit meinen Werken nicht befinden hab mögen."

Sein Selbstgefühl wurde nur gesteigert durch dieses Verhalten der gelehrten Kreise und ein Wiener Chronist will sogar die Ansprache kennen, die er an Kaiser Ferdinand in der Wiener Hofburg gehalten hat: „Allergnädigster Herr, der Haufe ist groß, der sich wider mich einlegt, klein aber ist ihr verstand und ihre Kunst, darum sie mir nichts abkämpfen, denn sie haben der proben zu wenige. Ich darf mich freuen, daß mir Schalke feind sind, denn die Wahrheit hat keine Feinde als die Lügner. Ich setzte meinen Grund, den ich habe und aus dem ich schreibe, auf vier Säulen: die Philosophie, die Astronomie, Chemie und die Tugend. Auf diesen vieren will ich fußen und eines jeglichen Gegenteils warten und acht haben, ob außerhalb der vier ein Arzt gegen mich aufstehen wird. Die Medici wollen mich umstoßen; ich aber werde grünen und sie werden dürre Feigenbäume werden. Bis an den letzten Tag der Welt müssen meine Schriften bleiben und wahrhaftig. Ich schreibe nicht der Sprache wegen, sondern wegen der Kunst meiner Erfahrenheit."

Die Richtigkeit dieser Ansprache bleibe dahingestellt, aber sie enthält immerhin den Kernsatz jener paradoxen und marktschreierischen Weisheit des Paracelsus, die er auch anderwärts verkündet hat: „Die vier Hauptsäulen der Medizin sind Kabbala und Magie, Chemie, Astrologie und — Tugend." Was er unter Tugend in diesem Zusammenhangs gemeint haben mag, ist wohl manchem ein Rätsel. Er hat in einer eigenen Schrift bewiesen, daß er ein religiöses Gemüt war, daß seine gelehrte Genialität ihm den Glauben nicht zerstört. Einer Kirche zählte er sich aber wohl nicht zu. Er ging weder mit Luther noch mit dem Papst.

Was Paracelsus in Wien eigentlich erreichte, ist ziemlich dunkel. Uns interessiert hier auch nur seine dämonisch

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interessante Persönlichkeit, die auf das Volk wirkte und die Phantasie der Lokalchronisten befruchtete. Er scheint in starkem Matze eine hypnotische Wirkung auf Menschen ausgeübt zu haben, die Kraft der Suggestion muß ihm besonders eigen gewesen sein. Selbst die unglücklichen Liebespaare sollen bei ihm Zuflucht gesucht haben. Er war ein fleißiger Besucher des Gasthauses „Zum schwarzen Adler" (heute Adlergasse Nr. 4) und der Sohn des Wirtes liebte eine bei seinem Vater bedienstete Base. Aber der harte Vater Wangler war nicht zu bestimmen, ja zu sagen. Eines Tages ertappte er das paar bei einer zärtlichen Umarmung und wollte das Mädchen aus dem Hause jagen. Paracelsus legte sein Wort ein für die Arme. Das hatte gerade noch gefehlt. Er möge lieber seine rückständige Zeche bezahlen, schrie der grobe Wirt, anstatt sich in seine Familiensachen mischen. Er werde auch ihn hinauswerfen, wenn er nicht sogleich bezahle. Und Paracelsus griff in die Tasche und leistete höhnisch eine Anzahlung — mit einem Messingpfennig. Jetzt müsse der Vater aber seine Zustimmung zur Heirat geben, meinte er. „Ja," rief Meister Wangler, „an dem Tag, wo dieser Dreck sich in Gold verwandelt." Damit warf er den Pfennig zu Boden und wollte seines Weges gehen. Paracelsus aber gebot ihm, die Münze aufzuheben. Er tat dies mit so dämonischer, zwingender Miene, daß der Wirt gehorchte. Und siehe, er hatte ein schweres Goldstück in der Hand. Tausendmal küßte er den Pfennig des Wundermannes und sein Sohn durfte die Geliebte heimführen. Zum „Küß den Pfennig" hieß sein Haus fortan und der Mann wurde wohlhabend durch den Zulauf, den die Wirtsstube fand, in der solch ein Wunder geschehen war.

Diese schöne Wiener Paracelsus-Sage ist oft zerpflückt worden, aber sie war nicht umzubringen, sie lebt noch immer.

Weniger bekannt ist heute, daß Paracelsus, wahrscheinlich nach jenem Pfennigwunder, einst halb Wien verrückt gemacht hat mit der Behauptung, daß das Gestein des Kahlenbergs (heute Leopoldsberg) ganz und gar von Gold- und Silber-

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adern durchschossen sei. Hunderte sollen darauf hin die Schatzgräberei am Kahlenberg versucht haben, und die sich am Hellen Tage schämten, die zogen bei Nacht aus und schleppten das gewonnene Gestein in Butten nach Hause, um es auf seinen Gold- und Silbergehalt zu prüfen. Kaiserliche Kammerdiener, hinter denen vielleicht ein höherer Wille stand, erwarben sich zuerst Privilegien und ließen jahrelang arbeiten. Es war vergebliche Mühe. Und noch hundert Jahre nach des Paracelsus erster Anwesenheit in Wien erwarben sich die Leute Schurfbriefe auf den Kahlenberg, einige wollten sogar ein reiches Silberlager entdeckt haben. Silber war da, gewiß, aber auf einen Zentner taubes Gestein kam ein Lot Edelmetall. Das war zu wenig und die Gruben wurden wieder zugeschüttet.

Solcherart sind die romantischen Beziehungen des Theophrastus Bombastus Paracelsus zu Wien. Und der wunderliche Mann kam in seinem Todesjahr, 1541, ein zweites Mal hieher. Da soll er bei den Serviten gewohnt und viele neue Wunder gewirkt haben an Kranken und Gesunden. Zeder wollte einen seiner Pfennige haben, die sich in Gold verwandeln. Aber gerade dieses Kunststück machte er kein zweites Mal.

Bibliography

Müller-Guttenbrunn, Adam (1852-1923): Wanderung durch Altösterreich, ed. by Roderich Müller-Guttenbrunn, Wien/Leipzig: Österreichischer Bundesverlag, 1928, pp. 44-51.