Marx 1842 Würdigung

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This is part of Texts on Paracelsus

Text

{Vorlesung am 30. Mai 1840}

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 Wohl Keinem ist der Mann fremd, den ich einer neuen Untersuchung für werth erachtete; ob jedoch die Vorstellung von ihm eine richtige, von befangendem Autoritäts-Glauben unabhängige sey, das ist eine andere Frage. Urtheile, die seit mehreren Jahrhunderten sich immer wiederholen, oder von den Stimmführern des Tages mit einer gewissen Zuversicht ausgehen, werden unwillkürlich für richtig angenommen, und es gehört eine auf überwiegenden Gründen beruhende Ueberzeugung dazu, um es zu unternehmen, gegen die lange bestehende, oder erst kürzlich mit schimmernden Gründen geltend gemachte Ansicht Zweifel zu wecken und das für wahr Gehaltene als Irrthum hinzustellen. Aber anders ist es hier kaum möglich. Auch ich war früher in den gewöhnlichen irrigen Vorstellungen über diesen Mann befangen, und erst nachdem ich seine Schriften gelesen, seine Zeitgeschichte studirt, die Urtheile seiner Mitgenossen so wie auch der später Lebenden verglichen und abgewogen hatte, bin ich zu Ansichten gekommen, die mit denen, Welche bis jetzt gelten, nicht im Einklange stehen.

 Nicht leicht zeigt die Geschichte einen Mann, dem ähnliche Verkennung zu Theil ward. Schon sein Name dient als Symbol der seltsamsten Behauptungen; die auffallendsten und widersprechendsten Dinge werden als von ihm gethan oder ausgesagt Verbreitet; er selbst nicht aus dem Standpunkte seines Jahrhunderts aufgefasst; seine wirklichen Leistungen verkannt oder einseitig


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beurtheilt, und Wirkungen, die er weder beabsichtigte noch veranlasste, von ihm gerühmt oder ihm zur Last gelegt.

 Diese Urtheile zu berichtigen und die ganze Erscheinung des Mannes aus dem vollen Lichte seiner Zeit und seiner Persönlichkeit begreiflich zu machen, ist der Zweck dieser Untersuchung. Die Aufgabe, welche ich mir zunächst gestellt, geht dahin, nachzuweisen, dass er an dem Missbrauche und der Missdeutung seines Namens unschuldig gewesen; dass viele ihm zugeschriebene Werke nicht von ihm verfasst seyn können; dass der ihm gemachte Vorwurf mystischer und alchymischer Verirrungen unbegründet sey, und dass, wenn auch das Lob, welches ihm von Manchen leichthin gezollt wird, übertrieben ist, er noch weniger den Tadel oder Spott verdiene, welchen der Unverstand verschwenderisch über ihn ausgiesst. Er war einer von den Menschen, welche, mit ungewöhnlicher Tüchtigkeit und Kraft begabt, in eine gährende Zeit geworfen, zu Repräsentanten von Parteien gewählt werden, und die mit ihrem Wissen wie mit ihrem Charakter zum Kampfplatze der Meinungen dienen müssen. Die Aufgabe der Geschichte bleibt es aber, Gerechtigkeit zu üben, den Einfluss der Leidenschaften bei ihrem Richteramte über Personen und Handlungen fern zu halten und einzig der Wahrheit zu dienen.

 Der Name eines Mannes ist an sich eine gleichgültige Sache. Zwar verknüpfen wir mit den Lauten die Idee von den Eigenschaften, Vorzügen oder Mängeln dessen, der den Namen trägt; aber nicht leicht erwecken die Zeichen oder Worte unmittelbar für sich eine Gesammtvorstellung. Anders ist es. in unserm Falle. Viele wähnen zur Charakteristik des Mannes keiner weitern Auseinandersetzung zu bedürfen, als dass sie bemerken, er heisse: Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus ab Hohenheim, gleichsam als offenbart sich hierin die ganze marktschreierische Eitelkeit dessen, der sich so genannt hätte. Allein dagegen ist zu erinnern, dass er sich selbst nie so geschrieben; dass er von den Autoren, welche mit ihm oder bald nach ihm lebten, nie so aufgeführt wird; und dass Neid, Hass, Verläumdung, Hohn allmälig erst in dieser Zusammenstellung sich gefielen.

 Eines der frühesten Zeugnisse, die wir besitzen, ist ein Lateinischer Brief an seinen Freund Dr. Christoph Clauser, Arzt in Zürich, den er von Basel


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aus 1526 an diesen sandte 1), und darin grüsst er als Theophrastus ex Hohenheim Eremita 2). Eben so schreibt et sich in dem Briefe an die Studenten in Zürich, die er warnt, nicht so in den Tag hinein zu leben, da es ihm ja begegnet, dass er in der Zeit, welche er bei ihnen fröhlich zugebracht, seinen kranken Froben durch den Tod verloren habe 3). In der Dedication eines Theils seiner grossen Wundarznei an Wolfgang Thalhauser, Doctor und Physicus in Augsburg, der sich bereits chemischer Arzneien bediente, unterzeichnet er sich: „Theophrastus von Hohenheim”, und jener antwortete ihm unter der gleichen Addresse. Dieselbe Bezeichnung gebraucht er in seiner Dedication an den um die lutherische Lehre so verdienten Rathsschreiber in Nürnberg, Lazarus Spengler 4); ferner in seinem Sendbriefe an die Herren von Nürnberg, worin er sich über Censurhindernisse beklagt 5); in der Widmung seiner Schrift über das Bad Pfeffers an den Abt daselbst 6); in seinem Grusse an alle Aerzte und Leser 7); und noch kurz vor seinem Tode in dem

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1) quarto Idus Novembris XXVI. Theophrast’s Werke. Durch Huser. Basel. 1589. 4. Th. VII. gleich vorn.
2) von Einsiedeln. Er selbst sagt in der Beschlussred des 1. B. der grossen Wundarznei S. 56. (Chirurgische Bücher und Schrifften. Durch Huser. Strassburg. 1618. fol.): „der ich bin von Einsidlen, dess Lands ein Schweitzer”; ebenso (Vorrede über das Buch Paragranum Th. II. 18.): „Wie gefellt euch der Waldesel von Eynsidlen”? Diesen Geburtsort bezeichnet auch Wurstisen in seiner Basszler Chronick, die 1580 gedruckt wurde. {https://books.google.de/books?id=SMhcAAAAcAAJ&pg=PP581} Darum schreibt sich Theophrast: Eremita oder Heremita. Sein Vater zog von Einsiedeln nach Villach, wo dieser auch 32 Jahre bis zu seinem Tode im J. 1534 blieb. Darum nennt Theophr. Kärnthen seine zweite Heimath: „nach dem landt meiner Geburt das ander mein Vatterland” (Dedication an die Landstände von Kärnthen. Th. II. 147.). Er vermachte jedoch testamentarisch „seinen nägstgesipten Freunden zu Ainsidl in Schweitz wohnhaft” ein Legat (Murr Neues Journal zur Literatur und Kunstgeschichte. Leipzig 1799. Th. 2. 265. 276. — M. vgl. K. J. N. Stephan Neues Archiv für Gesch. Wien. 1830. 331.).
3) Th. VII. vor S. 1.
4) Chirurgische Werke. S. 149.
5) Ebend. S. 680.
6) Th. VII. 328.
7) Vor der kleinen Chirurgie. Chir. Werke. S. 249.

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Dank- und Dedicationsschreiben an den Rath von Sterzingen 8). Dann aber sagt er selbst mit klaren Worten 9): er heisse durch Taufe und Art Theophrastus.

 Wenn nun über seinen Taufnamen kein Zweifel obwalten kann, so ist dieses noch weniger bei seinem Stammnamen der Fall. Er nennt seinen Vater: „Wilhelmus von Hohenheim” 10). In einem Briefe an Boner in Krakau 11) bezeichnet er sich als Theophrastus von Hohenheim 12).

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8) Vor dem Büchlein von der Pestilentz Th. III. 112.
9) „Art und Tauffshalber.” In der Vorrede über das Buch Paragranum. Th. II. 9.
10) Grosse Wundarzn. B. 2. Tr. 3. Cap. 1. S. 101.
 In einer ungedruckten Chronik eines Zeitgenossen des Th., nämlich des Johannes Kessler von St. Gallen, betitelt: „Sabbatha oder St. Gallische Reformationsgesch.” wird dessen Vater als Wilhelm Höhener von Gais, der sich zu Einsiedeln niedergelassen, aufgeführt. M. vgl.: Escher in der Encycl. von Ersch S. 285 unter Paracelsus. Warum man jedoch mit diesem, oder mit Erastus (Disput. de Medicina nova Philippi Paracelsi. Basileae 1572. I. 237.) oder mit Haller (Bibl. pract. II. 2.) Gaiss oder Hundsweil als Geburtsort annehmen soll, ist nicht einzusehen.
11) Th. V. 106.
12) Dabei steht noch: genannt Paracelsus. Dieser letztere Zusatz ist, seinem Ursprunge nach, nicht recht klar. Manche vermuthen, man habe das Wort „Hohenheim” in Paracelsus übersetzt; Andere: sein Haus habe das hohe Nest geheissen und er davon die Benennung gewählt. Wieder Andere glauben darin eine Anspielung auf Celsus zu finden, als habe er sich damit neben oder gar über diesen setzen wollen. Aber ich finde in keiner Schrift des Theophrast’s auch nur des Celsus erwähnt.
 Andere lassen den Zusammenhang unentschieden. Brucker 1766. p. 647: non dubium est, nomen Paracelsi et ab Hohenheim synonymum esse. — M. vgl. Stephan S. 330. — Ganz aus der Luft gegriffen ist die Angabe von J. A. Quenstedt, de Patriis illustrium doctrina et scriptis virorum. Witteb. 1654. 4. p. 132., dass Hohenheim und Einsideln identisch seyen.
 In Beziehung auf das „hohe Nest” äussert Erastus (P. I. 238.): pessimum fuisse tunc nidum oportet, ex quo tam mala prodiit avis.
 Freher (Theatrum Virorum eruditorum. Norimb. 1688. fol. T. II. p. 1225. bemerkt: natus ex familia nobili Paracelsorum, d. h. derer von Hohenheim, und ebenso Th. Cruser (Vergnügung müssiger Stunden. Th. 4. Lpz. 1715. 8. S. 27.).



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 Der Zusatz Bombast scheint ein in dem Hohenheimschen Stammbaume herkömmlicher gewesen zu seyn, denn in der Urkunde der Stadt Villach, welche über das Ableben des Vaters ausgefertigt wurde, wird als Sohn und Erbe bezeichnet: „der Ehrenvest Hochgelert Herr Theophrastus Bombast von Hohenheim” 13). Auch nennt er sich so in dem von ihm aufbewahrten Professorprogramme. Das adelige Geschlecht der Bombaste von Hohenheim 14) lebte in Schwaben; daher heisst auch Theophrastus bald der Schwabe, bald der Deutsche.


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 Der Name Philippus findet sich bloss in einer wahrscheinlich unechten Schrift 15) und auf dem Leichensteine des Theophrast’s in Salzburg. Wie er dazu gekommen, ist nicht wohl zu ermitteln.

 Der Beiname Aureolus scheint auf einer scherzhaften Anspielung zu beruhen, da einer Schrift des alten Theophrastos erwähnt wird mit einem solchen Zusatze 16). Auch nennt er sich nur selten so und dann abgekürzt, nämlich A. oder Aur. 17). Ausgeschrieben findet sich dieser Name nur zwei Mal 18).

 Uebrigens ist bekannt, dass in jener Zeit die Sitte, wohlklingende oder bedeutsame Namen aufzufinden und anzunehmen allgemein gäng und gebe war; davon zeugen die vielen wundersam gebildeten Griechischen und Lateinischen, in welche fast jeder Gelehrte seinen schlichten Geschlechtsnamen umwandelte. Auch war es nicht auffallend, um gewisse Zwecke zu erreichen, unter den verschiedenartigsten Pseudonymen aufzutreten. Calvin hatte deren nicht weniger als sieben 19).

 Der eigene Name Th’s gab nicht allein zu falschen Beurtheilungen Veranlassung, sondern noch mehr die von Verehrern oder Gegnern ihm ertheilten Beinamen, indem dadurch gleich vorn herein eine Parteiansicht ausgesprochen wurde. Wie man in unseren Tagen mit der Abschätzung des Charakters wie des Wissens eines Mannes gleich fertig ist, wenn man zu wissen glaubt, zu welcher politischen Fahne er sich bekennt, so war es damals mit der religiösen und scientifischen. Die alte und neue Kirchenlehre, die alten


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und neuen Lehrgrundsätze lieferten den fertigen Maassstab zur Bezeichnung des moralischen und wissenschaftlichen Werthes, sowohl des Einzelnen wie einer Gesammtheit Es stellt sich jedoch auch hier die Richtigkeit des Sprichwortes heraus, dass der Herr einen am Ehesten vor den Freunden bewahren solle, denn das unmässige Loben, zumal von unberufenen und urtheilslosen Schriftstellern 20) schadete Th. mehr, als die leidenschaftlichsten Angriffe seiner Feinde. Der Eifer seiner Anhänger, welche ihm Dinge beilegten, an die er selbst gewiss nie gedacht, trug am Meisten dazu bei, ihn in der Meinung der Besseren herabzusetzen.

 Er selbst erfuhr es während seines Lebens, und noch mehr begab es sich nach seinem Tode, dass er bald für den ersten Arzt und Philosophen, für den Gründer und Anführer der neueren Medicin ausposaunt, bald als Erz-Charlatan, Pietist, Schwachkopf und medicinischer Ketzer hingestellt


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wurde 21). Lob und Tadel wechseln beständig, und selbst gelehrte, sonst billig denkende Autoren überbieten sich im Ausdruck ihrer Anerkennung oder ihrer Verachtung 22). Umsonst suchte er sich gegen unverdiente Schmähungen zu vertheidigen 23), und mancher Wahrheit liebende Schriftsteller bemühte sich vergebens, in die Bahn Seiner gerechten Würdigung desselben einzulenken 24). Der einfach ruhige Standpunkt der Beurtheilung wurde zu

 Als eine Verteidigungsschrift gegen die harten Angriffe von Conring ist zu


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leicht immer wieder mit dem vertauscht, wo für eine herrschende Lieblingsansicht irgend eine Stütze aus Theophrast’s Schriften genommen werden konnte;

 Wir beurtheilen den Menschen nach seinen Handlungen, den Schriftsteller nach seinen Werken; um aber dieses mit Sicherheit thun zu können, müssen wir erst die Ueberzeugung haben, dass jene uns wahrhaft berichtet, diese ächt überliefert seyen. Thut also eine vorsichtige Prüfung stets Noth, wie viel mehr, wenn von demselben Individuum die verschiedenartigsten, von demselben, Autor die widersprechendsten Dinge ausgesagt werden. Beides findet bei unserm Th. statt. Um die Reichhaltigkeit und Seltsamkeit seiner Productionskraft, das Ungeregelte seines Denkens und Arbeitens, die Verwirrung seiner Begriffe zu erhärten, glaubte man nur nöthig zu haben, auf die erstaunliche Menge seiner Schriften und auf die umfangreiche Gesammtausgabe derselben in Folio oder Quart hinzuweisen. Aber diese, welche zur Begründung eines sachgemässen Urtheils über ihn die zuverlässigsten Anhaltpunkte geben sollten, haben die ärgsten Missgriffe veranlasst, und kaum dürfte die. Literaturgeschichte ein ähnliches Beispiel darbieten, wo der gute Name eines Mannes unter der Last der ihm beigelegten und zum Theil gegen ihn zeugenden Schriften erlag.

 Zuvörderst ist nun zu erwägen, dass jene Ausgabe nicht nur nicht von Th. selbst herrührt, sondern dass sogar noch streitig ist, ob er überhaupt während seines Lebens etwas selbst in den Druck gegeben habe, und dass jedenfalls dieses nur selten möge geschehen seyn. Sodann muss Jedem, der die Persönlichkeit und die Schicksale des Th. ins Auge fasst, sich die Frage aufdringen, ob er denn wirklich ein solcher Vielschreiber könne gewesen seyn, und wenn er das nicht war, wie es denn kam, dass die fremdartigsten Productionen auf seine Rechnung gebracht würden, unter seiner Firma umliefen? Nicht minder, wird man zu: fragen, veranlasst, wie doch in den Schriften, die nach inneren und äusseren Gründen, in Wahrheit von ihm herstammen, neben den gehaltvollsten und tiefsten Gedanken so oft leere, unverständliche Träumerei, neben der klarsten, eindringendsten Sprache das formloseste Ge-


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rede bestehen mochte? Nur ein Eingehen in die wesentlichsten Umstände seines Lebens, in die Triebfedern seiner Thätigkeit, in die fördernden oder hindernden Momente seines Zeitalters vermag hierauf eine Antwort zu geben.

 Th. wurde nicht alt; er starb 1541 im 48. Lebensjahre; er führte beinahe fortwährend ein Wanderleben; die grossen Bewegungen seiner Zeit liessen ihn nicht unberührt; er war eine praktische Natur, die eben so auf neue Entdeckungen ausging, als ihnen Anerkennung zu verschaffen trachtete; seine eigene Unruhe, seine Berühmtheit, Berufungen und Verfolgungen zogen ihn bald hierhin, bald dorthin, bald in diese, bald in jene Verhältnisse und Kreise, so dass die Stunden der Musse zur ungestörten Ausarbeitung von Schriften ihm sicherlich nur sparsam zugemessen waren.

 Liess Th. es auch an Fleiss nicht fehlen, verfasste er mehrere für die Oeffentlichkeit bestimmte Schriften, wurde er aber durch irgend einen Grund an der Herausgabe gehindert, so ist zu bedenken, dass ihnen wenigstens die letzte Feile abging, und dass sie, zumal wenn das Manuscript unleserlich war, mit sinnentstellenden Fehlern abgedruckt werden mussten. Im Laufe der Zeit mehrte sich die Nachfrage nach Handschriften von ihm; sie wurden wohl auch theuer bezahlt, und so konnte nicht ausbleiben, dass im Verhältniss damit die Vermehrung derselben progressiv zunahm.

 Die blossen Liebhaber von Manuscripten konnten anfänglich um so leichter in den Besitz derselben gelangen, als die Schriften Th’s von den eigentlichen Gelehrten gering geachtet, ja, wo möglich, als nicht existirend angesehen wurden. Da er nämlich durch Anstiften vieler Neuerungen, durch Deutschen Vortrag, durch Einführung chemischer Arzneimittel, Eiferung gegen die kanonischen, Griechischen und Arabischen. Bücher, Opposition gegen die Missbräuche der Universitäten, durch seine rücksichtslose derbe Sprache, durch sein unverholenes, gewaltiges Selbstgefühl, selbst durch ein schwankendes Benehmen in seiner religiösen Stellung viele Stimmführer seiner Zeit gegen sich aufgebracht hatte, und dennoch keiner damals herrschenden Partei sich anschloss, so musste er den vollen Hass ertragen, den in jeder aufgeregten Zeit der allein stehende Vorfechter neuer oder eigenthümlicher Principien zu erdulden hat. Als aber die Lehren des verläumdeten und verachteten Mannes dennoch Anklang fanden, als der von ihm ausgestreute Samen, einen Boden gewann


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und Wurzel schlug, da schlossen sich die Reihen seiner Gegner fester ah einander, und unbekümmert um die Ehrlichkeit der Waffen dichteten sie dem kühnen, nach klarer Erkenntniss ringenden Arzte gerade die Fehler an, gegen die er am meisten selbst sich erklärt hatte, nämlich Aberglauben, Sterndeuterei und Mystik. Die unsinnigsten Schriften über Gegenstände, an die er selbst wohl kaum je gedacht hatte, wurden als von ihm herstammend bezeichnet und ohne weitere Kritik, als sein Gepräge tragend, dafür angenommen, in den Bibliotheken verwahrt, von thörichten Bewunderern angestaunt, von Feinden sowohl als von falschen Freunden zur Herabsetzung seiner wahren Verdienste benutzt.

 So mischte sich denn allmälig zufällig und absichtlich Bewunderung und Verkennung, Hochschätzung und Verunglimpfung, und mit jedem Jahrzehend wurde es schwerer, das Ursprüngliche von dem Angedichteten zu scheiden. Je mehr aber die herkömmlichen Lehrgrundsätze der Medicin und der Dogmatik den neueren Bestrebungen wichen, desto mehr stieg aus der Uebergangsepoche der alten in die neue Zeit der Name des Mannes empor, der gleichzeitig mit den grossen Reformatoren gelebt und das Seinige zur bessern Gestaltung des Wissens beigetragen hatte. Er wurde, wofür er früher nicht gegolten, zu einer Auctorität; aber als solche fiel er, in Folge von Verwicklungen und Missverständnissen, bald denen anheim, von denen sein Stern ihn am weitesten hätte fern halten sollen. Die abgesonderten Secten verlangten für ihr Treiben einen Schutzpatron, und so musste denn er dazu dienen. Die eigentlichen Fachgenossen, welche aus Unterordnung unter das längst Bestehende, oder aus Achtung für classische Bildung, die jenem abging, den turbulenten Neuerungen abhold waren, sahen es nicht ungern, dass dieser von ihnen abgelös’t wurde, dass man in ihm nicht mehr den ärztlichen Forscher, sondern den Schwärmer, Astrologen, Nekromanten, Goldkoch verehrte, und dass er als Häretiker den theologischen Zänkereien und Aburtheilungen anheim fiel. Alles diess trug jedoch dazu bei, die Ausbreitung des Namens, wenn auch nicht der wahren Bestrebungen Th’s zu begünstigen, und diejenigen, welche es unternahmen, mit Einführung einiger seiner Grundgedanken und Nachahmung seiner Ausdrucksweise verschiedene Abhandlungen über abenteuerliche Gegenstände, in dunkler und bäurischer Sprache herauszuge-


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ben und ihn als Verfasser zu nennen, fanden immer mehr dabei ihre Rechnung.

 Die Ausländer, welche durch den berühmten Namen des Verfassers zur Uebersetzung sich aufgefordert fühlten, konnten sich in dem wüsten Galimathias nicht zurecht finden. Schon wenige Proben reichten hin, von weiteren Versuchen abzuschrecken. Die Gebildeten zogen sich davon zurück; nur einige Schwindel- und Schwachköpfe befassten sich damit Es fehlte nur noch, dass Alles was irgend unter der Firma Th’s aufbewahrt sich vorfand, gesammelt und als eine Gesammtausgabe seiner Werke der Nachwelt übergeben wurde 25). Auch diess geschah, und zwar von Solchen, die aller Kritik baar nur, nach dem Ruhme der Vollständigkeit strebten.

 So besitzen wir denn einen gedruckten Haufen von Sinn und Unsinn, der eben so zum Ehrengedächtniss des Mannes als zu seiner Erniedrigung dient. Dennoch wird diese Sammlung gemeinhin als die unzweideutige Basis und. Quelle der Beurtheilung angesehen, und die Berichterstatter über ihn glauben ihrer Pflicht Genüge gethan zu haben, wenn sie. ihre Belege ohne Weiteres aus ihr schöpfen.

 Man kann von vorn herein bezweifeln, dass Theophrastus der Urheber


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so zahlreicher Schriften gewesen, wenn man auf die Grundsätze achtet, die er selbst in dieser Beziehung ausgesprochen und die im Widerspruche mit aller Vielschreiberei stehen; nämlich dass man nur darüber schreiben solle, was man gründlich versteht, und dass man sich immer der Kürze zu befleissigen habe 26).

 Hiermit steht ganz im Einklange er in einem seiner Briefe sagt, dass er keine Stunde verliere 27), unaufhörlich arbeite und das schreibe, was ihm Freude mache; so wie auch die Angabe eines seiner Gegner, dass er Während Seines zweijährigen Aufenthalts zu Cromau viel geschrieben und dictirt habe 28). Er dictirte sehr schnell, und so kam es leicht, dass seine Schreiber ihn missverstanden, zumal wenn diese, was zuweilen vorkam, das von ihm deutsch gesprochene lateinisch übersetzt aufschrieben 29). Auch wird angegeben, dass er zu Cromau eine Kiste mit Büchern mit sich geführt habe,


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wovon ein Theil von ihm wäre dictirt worden 30). Aber bei dem allen äusserte sein Famulus, der nachher so berühmt gewordene Corrector und Buchdrucker Oporin: er wundere sich sehr, wenn er sehe, wie so viele Schriften als von Th. herrührend ausgeboten würden, wovon er nicht einmal im Traume eine Idee gehabt habe 31).

 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Th. die eine oder andere Schrift bloss für seine Freunde verfasst und sie fürs grössere Publicum nicht bestimmt habe 32). Von denen aber, welche er für die öffentliche Bekanntmachung ausarbeitete und dem Drucke übergeben wünschte, sind sicherlich nur wenige zu seinen Lebzeiten erschienen 33).

 Die Herausgabe wurde nämlich durch die verschiedenartigsten Gegenwirkungen, welche hauptsächlich von seinen Standesgenossen ausgingen, hintertrieben. Einzelne Aerzte wie ganze medicinische Facultäten, die er gegen sich aufgebracht, hatten wahrscheinlich auf das Bedenkliche seiner Lehren aufmerksam gemacht, und das Kaiserliche Censurcollegium, welches damals


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in Nürnberg niedergesetzt worden war 34), um der schrankenlosen Pressfreiheit in Sachen der Religion und guten Sitten einen Damm entgegenzusetzen, hatte durch angebrachte Insinuationen auch an diesen mehr wissenschaftlichen Arbeiten Anstand gefunden. Th. beklagt sich laut über die der Publication seiner Schriften verursachten Hindernisse 35). Er war darum hoch erfreut, als er von den Landständen in Kärnthen, denen er eines seiner Werke gewidmet hatte, die Zusicherung erhielt: sie wollten auch für die Veröffentlichung desselben Sorge tragen 36). Als, wie zu vermuthen, durch die Leipziger medicinische Facultät eine seiner Schriften während des Druckes unterdrückt wurde,


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erliess er einen Sendbrief an die Herren in Nürnberg, um sich Recht zu verschaffen 37).

 Um solche Eingriffe der hohen Schulen in die literärische Thätigkeit eines Mannes zu begreifen, hat man zu berücksichtigen, dass er ihre wirklichen oder vermeinten Mängel in ihrer vollen Blösse darstellte und ihre einseitige wie verkehrte Lehrmethode, ihre Rechthaberei und Habsucht unbarmherzig geisselte 38). Da er nun überhaupt gegen die bis auf seine Zeit, vornehmlich in der Arzneikunde, gültige Verfahrungsart auf das Entschiedenste sich erklärte, die bis dahin eingeschlagenen Wege und Mittel verwarf und mit reformatorischem Selbstvertrauen nur die von ihm gutgeheissenen Richtungen gelten liess 39), so konnte nicht ausbleiben, dass alle Anhänger des


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Alten Partei gegen ihn nahmen, und ihn eben so schonungslos verfolgten, als er sie rücksichtslos tadelte. Dieses erhellet aus seinen eigenen „Worten; er war nicht sicher, ob er frei herum reisen dürfe 40); man drohte ihm mit Landesverweisung 41), mit Gefängniss 42); er litt Kummer und Elend 43).

 Kränkungen aller Art hatte er zu erdulden und er lernte sie tragen. Ibn tröstete die Zuversicht, dass die Nachwelt gutmachen werde, was die Mitwelt gegen ihn verschuldet; aber eben desswegen wollte er wenigstens seine Geisteswerke nicht unterdrückt wissen. Während man ihn daher der crassesten Unkenntniss und des Mangels an aller gelehrten. Bildung zieh 44), erbot er sich gegen das Censurcollegium in Nürnberg zu einer öffentlichen Disputation 45), um die Richtigkeit wie Unverfänglichkeit seiner in der eingehaltenen Schrift dargelegten Ansichten männiglich zu vertheidigen. Bekanntlich war diese Weise, seine Ueberzeugungen vorzutragen, Gründe und Gegengründe geltend zu machen, damals das geistige Turnier, woran Theil zu nehmen sich Gelehrte von Nah und Fern einfanden. Allein es wird nirgend bemerkt, dass man auf diesen seinen Vorschlag eingegangen.

 Bei dem Werthe, den Th. auf seine schriftstellerischen Werke legte, ist zu vermuthen, dass er das eine oder andere derselben wiederholt um- und


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ausgearbeitet Wenigstens sind deren einige vorhanden 46), die dem Inhalte wie der Darstellung nach nur eine geringe Verschiedenheit zeigen; indessen ist auch der andere Fall nicht unwahrscheinlich, dass eine fremde Band sich dieser Mühe unterzogen.

 Die zahllosen Fehler, sowohl in der Rechtschreibung der Worte als in der Fassung ganzer Sätze, die sich in den Gesammtausgaben bemerklich machen, kommen sicher mit auf Rechnung der undeutlichen Handschrift, welche Th. hatte; denn selbst der sorgfältige Herausgeber seiner Werke beklagt und entschuldigt sich desswegen 47).

 Dann aber darf man nicht unbeachtet lassen, dass gleich von Anfang an die eigentlichen Gelehrten mit den Schriften Th’s gar nichts zu schaffen haben, ja nicht einmal ihrer Erwähnung thun wollten 48), und so bemächtigten sich ihrer fast nur schwärmerische Menschen 49). Diese als Liebhaber und Besitzer derselben verfehlten nicht, auf Inhalt und Stil nach ihrer Art einzuwirken.

 So bietet denn die Untersuchung über die totale oder theilweise Aechtheit, über Ursprung, Herkunft und Verbreitung der Handschriften mannigfache Verwicklungen dar. Sie waren in alle Welt zerstreut, und als sie zu einem Ganzen sollten vereinigt werden, konnte man sie fast von alten Seilen her zusammenbringen 50). Dennoch findet man bei Th. selbst keine Angabe,


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dass er diese seine Schätze einem zur Aufbewahrung anvertraut, oder sie veräussert hätte. Bei seinem Absterben werden bloss die Arznei- und Kunstbücher erwähnt, über die er testamentarisch verfüget 51). Dass wohl das eine oder andere Manuscript durch die Secretäre unter die Leute kam, ist zu vermuthen 52). Allein die blosse Behauptung von einer Vererbung derselben 53), oder dass man sie in dieser oder jener Bibliothek gesehen habe 54), gewährt noch keine Sicherheit für ihre unverfälschte Abstammung.

 Die angeblich von ihm herrührenden Schriften sind so zahlreich, dass, um sie zu verfassen, ein langes Leben und eine ungestörte Thätigkeit und Gemüthsverfassung nothwendig gewesen wäre. Aber man war gar leicht geneigt von ihm das Unglaubliche anzunehmen, und während unverständige Freunde jene Menge als einen Beweis ungewöhnlicher geistiger Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit anrühmten 55), machten die nicht minder unkritischen oder unredlichen Gegner sie zur Zielscheibe ihrer Verhöhnung 56). Nur selten und


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behutsam wagte ein unbefangener und klar blickender Beurtheiler, Zweifel gegen jene Annahme anzuregen 57), da es in der That gegen alle psychologische Wahrheit ist, dass ein und derselbe Mann sich bald als festen, kühnen, selbstdenkenden Naturforscher und Arzt, bald als leeren, kopfhängerischen Schwätzer geben könne.

 Eine Kritik nach der Schreibart hat ihre grossen Schwierigkeiten, denn der Stil wechselt erstaunlich im Laufe der Jahre, und manche in der ersten Jugend verfasste Abhandlung sieht der bei späterer Reife zu Stande gebrachten kaum mehr ähnlich. Allein ein gewisser Grundtypus macht sich mehr oder weniger bemerkbar, und nicht leicht wird sich, ohne dass die Lebensschicksale eine Erklärung dafür liefern, ein völliger Gegensatz in demselben auffinden lassen.

 Bei dieser Unsicherheit in der Entscheidung zwischen den ächten und unächten Schriften ist es ohne Zweifel weit gerathener, zu wenige als zu viele dem Verfasser zuzuerkennen. Auch kommen uns hierbei einige äussere Criteria zu Hülfe, die, wenn auch für sich allein nicht ausreichend, doch weil sie gewöhnlich mit dem Inhalte Zusammentreffen, einen Anhaltspunkt für die Auswahl gewähren.

 Th. liebte es nämlich, nach der Sitte der damaligen Zeit, jede Schrift einem hohen Gönner zu dediciren und sich bei dieser Gelegenheit sowohl über die Bedeutsamkeit seiner Arbeit als über seine eigene Person auszusprechen. Eine solche Widmung mit Angabe des Ortes und der Zeit, wo und wann sie niedergeschrieben worden, ist das erste Erforderniss, und das zweite die Unterschrift seines wahren Namens Theophrastus von Hohenheim. Nur


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wo dieser angegeben ist, lässt fast jedesmal die ganze übrige Abfassung kein Schwanken über den Ursprung zu; man entdeckt mehr oder weniger Kern und Mark; allein wo andere Namen, z. B. Paracelsus, sich finden, da trifft man blosse Schalen, Wiederholungen aus andern, für ächt zu erkennenden Werken, oder geradezu baaren Unsinn und eitles Wortgepränge.

 Die Zahl der so beglaubigten Schriften ist nicht gross, und selbst in diesen bemerkt man unverkennbar fremde Elemente. Wer sich im Interesse jenes Mannes oder jener Zeit die Mühe nicht verdriessen lässt, aufmerksam das Ganze zu vergleichen, der wird, ohne gerade immer einen vollständigen Beweis dafür beibringen zu können, auf dem angedeuteten Wege zu der subjectiven Unterscheidung dessen gelangen, was als authentisch, als untergeschoben oder eingeschoben gelten müsse.

 Zu den wenigen ächten Schriften gehören wohl ausschliesslich nur die von ärztlichem oder naturhistorischem Inhalte; alle anderen über fremdartige Gegenstände sich erstreckenden scheinen von unbekannten Verfassern herzurühren; wenigstens ermangeln sie aller inneren und äusseren Beweismittel der Zuverlässigkeit.

 Der Zeitfolge nach dürften nur folgende dem Theophrastus von Hohenheim zu vindiciren und als die hauptsächlichsten, ja vielleicht einzigen Quellen, woraus man seine Lehren und Ansichten zu schöpfen berechtigt ist, zu betrachten seyn: 1. die sieben Bücher de gradibus et compositionibus receptorum 58); 2. die kleine Chirurgie 59); 3. sieben Bücher


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von offenen Schäden 60); 4. drei Bücher von den Franzosen 61); 5. von den Imposturen der Aerzte 62); 6. Opus Paramirum 63); 7. vom Bad Pfef-


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fers. 64); 8. grosse Wundarzney 65); 9. neun Bücher de Natura Rerum 66); 10. drei Bücher seiner Verantwortung, des Irrganges der Aerzte und vom Ursprunge des Steins 67).



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 Es wird immerhin gewagt erscheinen, die fast zum Sprichwort gewordene Productionskraft unsers Th. auf 10 Schriften zu beschränken, und das ohne die strenge und scharfe Abwägung aller einzelnen Momente, wie man es in ähnlichen Untersuchungen bei den alten Autoren gewohnt ist Aber bereits ist angegeben worden, wie hier, ausser wenigen leitenden Kennzeichen, besonders der jedem aufmerksamen Leser sich aufdringende Gesammteindruck zu entscheiden habe. Dieses Berufen auf das Durchlesen und Vergleichen jener Schriften setzt aber keine geringe Anstrengung und Selbstverleugnung voraus. Es fordert zugleich, dass man stets die Absicht im Auge behalte, ein reines, unverfälschtes Bild des Mannes zu gewinnen und aus dem trüben, aufgewühlten Strome des Ueberlieferten die ihm wesentlich zugehörigen Züge heraus zu retten. Wer diesen Versuch anstellt, wird bald zu der Ueberzeugung gelangen, dass es gerathener sey, eher zu viel als zu wenig auszumerzen, und dass die Ehrenrettung des misskannten und viel beschuldigten Mannes nur dann gelinge, wenn man mit durchgreifender Strenge das ihm Aufgebürdete von seinen eigenen literarischen Arbeiten scheide 68).



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 Obgleich es zur Zeit der Reformation immer mehr in Gebrauch kam, wissenschaftliche Werke in Deutscher Sprache erscheinen zu lassen, so wurde


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diess doch als eine Neuerung angesehen, die von Seiten der eigentlichen Gelehrten ein Vorurtheil gegen den Verfasser wie gegen den Inhalt des Buches erweckte. Verstiess nun gar der Inhalt gegen die herrschenden Lehren, erlaubte sich der Verfasser persönliche Ausfälle, trat seine Individualität in Fassung und Ausdrucksweise zu grell hervor, so wurde die. dadurch hervorgerufene Opposition nur um so schärfer und unversöhnlicher. Die Werke des Th. boten hierzu reichlichen Stoff dar, und es half ihnen nicht, dass sie theilweise in das Lateinische übertragen wurden, indem die Uebersetzer mit den Sachen selbst fast gar nicht vertraut waren 69). Wenn desshalb Spötter versicherten, diese köstlichen Geistesproducte verdienten in alle Mundarten übersetzt zu werden, oder gar berichteten, es sey bereits geschehen 70), so ist dieses weniger zu verwundern, als dass Andere, trotz bestimmten Widerspruchs 71), dieses ganz ernsthaft nahmen, und vermeinten, den Ruhm des Verfassers damit zu erhöhen 72).

 Ueber die von Th. gewählten Titel seiner Bücher ist schon manche tadelnde oder spöttische Bemerkung laut geworden, ohne dass man bedachte, dass jene grossentheils bereits von anderen Autoren gebraucht worden waren 73).



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 Die Schreibart Th’s zeigte das eigenthümliche Gepräge, welches wahrscheinlich den ganzen Menschen charakterisirte. Da er sich ohne viele Umstände aussprach, die Dinge mit ihren eigentlichen Namen nannte, die wunden Flecken seiner Mitwelt nicht schonte und seine ungewöhnlichen Gedanken und Ansichten auf eine nicht jedem gleich verständliche Weise vortrug, so wurde sein Stil bald herb und schneidend, bald unförmlich und schwerfällig. Daher kam es, dass diejenigen, welche einen verfeinerten Geschmack besassen, öder durch seine Angriffe sich getroffen fühlten, auf das heftigste darüber urtheilten. Wer nur irgend Sinn für Urbanität habe, könne, so sagte man, die unverhüllt zur Schau gestellten gemeinen Sätze nicht ansehen; eine unerhörte Redensart überbiete die andere 74); Anmassung und Grobheit gingen Hand in Hand 75). Die Folge davon war, dass man jeden rohen und mit seltsamen Ausdrücken angefüllten Stil für Paracelsisch oder Bombastisch und in diesem Sinne verfasste Schriften ohne weiteres als von ihm ausgegangen erklärte.

 Hiergegen lässt sich erwidern, dass in den ächten Schriften alle jene Auswüchse und Ausschweifungen der ungezügelten Feder weit seltener vorkommen und durch würdige, fassliche, gedankenreiche Stellen mehr als aufgewogen werden. Sodann darf die Zeit, in der diese Bücher geschrieben wurden, nicht ausser Acht gelassen werden. Die Ohren waren für ein starkes Wort nicht so empfindlich wie jetzt; selbst die Gebildetsten nahmen an


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natürlichen Ausdrücken, derben Spässen, unverholenen Spott- und Schimpfreden kein Aergerniss, und gaben sie zurück, wie sie sie empfingen.

 Das ganze damalige Leben wär bis in seine tiefsten Lebenselemente aufgeregt; es herrschte Erbitterung Vieler gegen Viele, und selbst die Geistlichen, von denen Milde des Ausdrucks wie der Gesinnung hätte ausgehen sollen, gaben für die, stärksten Ausfälle den Ton an 76). Die Reformatoren, Luther an der Spitze 77), führten zuweilen eine Sprache, hinter welcher die rauhe, Deutsche Zunge, welche Th. führte, noch weit zurückstand.

 Auch darf der Punkt nicht übersehen werden, dass diejenigen, welche damals in ihrer Muttersprache zu schreiben anfingen, gegen die, welche nach der alten Art noch das Lateinische Idiom beibehielten, sehr im Nachtheile waren; denn während jene sich unwillkürlich gehen liessen und es im Ausdrucke, der noch nicht gehörig herausgebildet war, nicht so genau nehmen konnten, sahen jene sich gezwungen, wie das immer bei einer fremden Sprache und hauptsächlich bei der Lateinischen der Fall ist, die Gedanken sich vollkommen klar zu machen und sie dann in conciser Kürze vorzutragen.

 Th. wusste wohl, dass man seine Schreibart für zu leidenschaftlich hielt; aber er legte die Schuld dieser seiner Entrüstung nicht seinem eigenen heftigen Naturell bei, sondern erklärte sie als eine nothwendige Folge der Ueberzeugungen, für die er gegen inveterirte Vorurtheile kämpfen müsste 78).


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Es entsprangen solche aus demselben Selbstgefühle, wornach er sich durch eine innere Offenbarung zum Natur-Forscher und -Deuter berufen glaubte.

 Unverständlichkeit ist seinem Stile schon früher vorgeworfen worden, selbst von Solchen, die seinen Verdiensten übrigens Gerechtigkeit widerfahren liessen 79). Zur Entschuldigung wurde von Einigen die Vermuthung aufgestellt, er habe dunkel geschrieben, damit die Uneingeweihten keinen Missbrauch mit seinen Schriften treiben könnten 80); allein seine unbezweifelt ächten bieten der Lectüre keine Schwierigkeit dar, und er selbst eifert gegen den Gebrauch der Metaphern in der Medicin 81).

 Am meisten wurden ihm die neueren Ausdrücke, deren er sich bediente, verargt 82), und allerdings erlaubte er sich hierin manche Willkürlichkeit 83);


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allein die seltsamsten Bezeichnungen, wesswegen man sich veranlasst sah, eigene Wörterbücher über seine Schriften zu verfassen 84), finden sich in den unächten, so dass diese gerade dadurch als solche sich charakterisiren. Uebrigens war er selbst unzufrieden mit vielen üblichen Benennungen und meinte berechtigt zu seyn, für neue Dinge sich neuer Namen zu bedienen 85).

 Persönlich strebte er nach der grössten Unabhängigkeit, und er brachte viele Opfer, um diese sich zu behaupten; wissenschaftlich war er von der Ueberzeugung durchdrungen, dass die auf ihn vererbte Kunstmethode nicht ausreiche 86); dass er eine bessere Bahn betreten; dass die gegen ihn und seine Lehren geltend gemachten Einwürfe nicht stichhaltig seyen 87); dass er


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wie ein Prophet in die Zukunft der Medicin blicke 88), und dass seine Werke den Sturm der Zeiten überdauern würden 89).

 Wer alle unter dem Namen des Th’s gedruckten Schriften als das geistige Eigenthum desselben ansieht, wofür er verantwortlich ist, der kann kaum anders als über den vielen Wortkram 90), die ermüdenden Wiederholungen und die lächerlichen Vergleichungen ungehalten werden; allein aus dem Unrechte, welches dem Manne widerfuhr, darf man keine Waffe gegen ihn schmieden. Er selbst thut sich etwas darauf zu gute, dass er die Gegenstände in bündiger Kürze darstelle 91). Er trifft meistens den Nagel auf den Kopf und in wenigen Worten weiss er gar viel, wenn gleich oft Herbes und Bitteres zu sagen 92). An Reichthum der Gedanken möchte ihm nicht leicht


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ein anderer ärztlicher Autor, zumal seines Jahrhunderts, vorzuziehen seyn; fast über alle Gebiete der Medicin hat er sich eben so treffend als eigenthümlich geäussert. Wenn nun überhaupt Jemand nur nach dem Massstabe zu schätzen ist, den er für sich selbst bestimmt, so muss Th. mehr nach dem Inhalte als nach dem Stile seiner Schriften beurtheilt werden, denn er bemerkt, dass er nicht der Sprache, sondern des Thatsächlichen seiner Kunst wegen die Feder geführt habe 93).

 Wenn sich die Vorwürfe, welche gegen den Stil und die äussere Form der Schriften unsers Theophrastus erhoben werden, wenn auch nicht ganz beseitigen, doch mässigen und sehr beschränken lassen, so scheint dieses kaum bei dem Inhalte derselben möglich zu seyn. Denn seine Bücher werden ja durchgängig als die Fundgrube alchemischer oder theosophischer Träumereien, und somit er selbst als Repräsentant des Aberglaubens, der Schwärmerei, des Siderismus, der spagirischen Medicin, der Magie, Zauberei und Mystik angesehen und als solcher von den Gegnern angefeindet und verspottet, oder von den Anhängern gepriesen und bewundert.

 Annahmen und Aussagen, die sich von Geschlecht zu Geschlecht forterben und schon die Bestätigung einer langen Zeitdauer für sich haben, scheinen zu sehr begründet zu seyn, als dass man mit Fug und Recht daran zweifeln, mit Erfolg daran rütteln dürfte. Und doch lässt sich zeigen, dass man dem Andenken Th’s vielfach Unrecht gethan und noch thut; dass man, was böser Wille oder Unverstand auf seine Rechnung gesetzt, ohne weitere Untersuchung und ohne auf die eigentlichen Quellen seiner Lehr- und Denkweise zurückzugehen, noch fortwährend ihm zur Last legt

 Die Periode des 16. Jahrhunderts war eine solche, wo das Licht der Geister sich nur allmälig aus dumpfer Verfinsterung loswand, wo der Glaube an Hexen und Dämonen noch von den Satzungen der Kirche geboten und von den Entscheidungen der Gerichtshöfe bestärkt ward. Wenn damals ein Arzt, festgehalten in solchen engen und verwirrten Vorstellungen, einen Tri-


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but seiner Zeit gebracht hätte, so würde dieses keinen besondern Grund zur Beschuldigung gegen ihn abgeben; wenn er jedoch, wie unser Th., gerade sich dagegen stemmte und helleren Einsichten Bahn zu brechen sich bestrebte was soll man dann von einem Geschichtschreiber denken, der so von ihm spricht 94) „Zu den grössten Feinden aller wahren Wissenschaft und zu den eifrigsten Beförderern aller Arten von Aberglauben gehörte Theophrastus Paracelsus.”

 Th. eifert eben so gegen den Aberglauben im Allgemeinen und erklärt ihn für sündhaft 95), warnt dagegen und dringt auf die Erforschung des ursächlichen Grundes der Dinge 96), als er im Besondern abergläubische Meinungen und Gewohnheiten zu bekämpfen, die Annahme der Chiromantie zu verwerfen 97), den Gebrauch der Wünschelruthe 98) als Betrügerei hinzustellen, den Wahn, dass es Kräuter gebe, welche im Stande waren, Riegel zu öffnen, lächerlich zu machen 99), so wie den, dass das Haar der unschuldig Verurtheilten nach dem Tode fortwachse, zu berichtigen sucht 100).



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 Es ist noch nicht lange her, dass ein ausgezeichneter medicinischer Schriftsteller, der sich viel mit Geisteskrankheiten beschäftigte 101), von Th. nicht nur, wie auch Andere es thun, aussagte, dass er ein Schwärmer, sondern sogar, dass er wahnsinnig gewesen. Es möchte schwer halten, beide Ausdrücke zu rechtfertigen. Schon der Vorwurf, dass Th. ein Schwärmer gewesen, ist aus der Luft gegriffen. So leicht auch dieses Wort gebraucht wird, es hat immer einen schlimmen Nebenbegriff. Th. weiss die Nichtwisser und Lügner nicht ärger zu bezeichnen, als dass er sie Schwärmer nennt 102). Er sieht sie als diejenigen an, welche das Gute und Schlechte bis zur Unkenntlichkeit unter einander mischen 103). Wer kein rechter Arzt, sondern ein Abenteurer sey, wer mit seinem Handwerkzeuge nicht umzugehen verstehe, der verdiene den Namen eines Schwärmers 104). Er dringt darauf, dass man nicht weiter gehe, als bis wohin die Natur das Ziel gesteckt 105);


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in ihr müsse man studiren; das Herausspinnen aus dem eigenen Innern sey Phantasiewerk 106).

 Weil Th. verstand Wirkungen aus ihren Ursachen abzuleiten, und weil untergeordnete Dienstpersonen vorgaben, ein. Vorherwissen der Zukunft hei ihm. bemerkt zu haben 107), so wurde er für einen Wahrsager gehalten. Ja, die Gläubigen bedauerten im Ernste, dass seine Weissagungen so dunkel abgefasst gewesen 108).

 Die siderischen Influenzen spielten im 16ten Jahrhundert noch eine grosse Rolle; die. Gebildeten liessen sich in der Astrologie unterweisen 109) und beschäftigten sich damit. Selbst die Reformatoren, welche kühn den Aberglauben bekämpften, huldigten ihr noch zum Theil 110). Es. würde daher begreiflich und verzeihlich gewesen seyn, wenn auch Th. sich damit befasst hätte; allein dieses Treiben war ihm durchaus zuwider, und er bestritt dessen Zulassung nach besten Kräften. Die Anzeigen aus der Natur der Sterne seyen


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zu belachen; diese kümmerten sich nicht um des Menschen Leben 111). Das Wachsthum des Kindes geschehe durch die eingeborne Kraft, das des Pflanzensamens durch die Beschaffenheit des Bodens; zur Reife bedürfe es der Sonne, aber weiter übten die Planeten, sie möchten nun Beinamen haben, welche sie wollten, keinen Einfluss darauf aus 112). Entwickle der Mensch böse Anlagen, so hänge diess nicht vom Stande der Gestirne bei seiner Geburt, sondern von dessen eingeborner Natur und dem Blüte ab 113). Das Glück, das diesem oder jenem zu Theil wird, dürfe auf keine Weise den Sternen zugeschrieben werden, sondern dem Geiste und der Geschicklichkeit des Individuums 114). Denn Alles, was am Firmamente stehe, ändere nichts am Leibe, nichts an unseren Geberden, Tugenden und Eigenschaften 115).

 Th. stellte den Zusammenhang der Wesen nicht in Abrede, auch nicht die Verwandtschaft der Weltgebilde und die Bestimmbarkeit des Menschen von den kosmischen Potenzen: von Oben, sagt er, falle, wie aus dem Feuerstein und Stahle der Funke auf den Zunder, der erweckende Strahl auf uns 116); auch schätzt er den Nutzen der meteorologischen Kenntnisse hoch, denn derjenige, welcher diese richtig zu handhaben vermöge, verstehe sicher auch die Vorgänge der Gesundheit und Krankheit nach ihrem gesetzlichen Verhalten zu beurtheilen 117). Allein die beste Nativität bestehe in der Weisheit, welche


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aus der höchsten Quelle der Vernunft und des göttlichen Wortes zu schöpfen trachte 118).

 Menschen, die über ihre Gegenwart hinausragen, werden selten in ihrem einfachen Seyn, in ihrer rechten Wirksamkeit aufgefasst Wer in jenen Zeiten leistete, was der alltägliche Verstand unbegreiflich fand, musste ein Zauberer, Nekromant, Magiker seyn und mit bösen Geistern im Bunde stehen. Th. konnte diesem Verdachte um so weniger entgehen, als das Festhalten an Zauberei beim alten wie beim reformirten Glauben zum Kirchensysteme gehörte 119). Sein ganzes Auftreten, seine Schicksale, der Ruf seiner Schriften wurden Veranlassung, dass von mehreren Seiten als etwas Ausgemachtes verlautete: er habe eine Gemeinschaft mit dem Teufel 120). Wenn auch späterhin man sich wohl hütete, diesen Vorwurf geltend zu machen, so liess man dafür den andern vortreten, als habe er selbst ähnliche Vorstellungen gehegt. Aber nichts ist ungegründeter. Er stellt im Gegentheile den Satz auf, dass die natürlichen Vorgänge, welche der Pöbel nur durch die Annahme geheimer Kräfte zu fassen vermöge, auf einfache Weise erklärt werden müssten 121). Geschähen Wunder, so geschähen diese durch Menschen und auf menschliche Weise 122). Nicht aus der schwarzen Kunst, sondern aus der Wahr-


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heit nehme er den Grund seines Handelns 123). Unmögliche Dinge thun zu wollen, sey unstatthaft 124). Darum sey es auch Unrecht, von ihm als Arzt das Unmögliche zu verlangen. Was Gott nur vollbringen könne, davon müsse der Sterbliche abstehen 125).

 Der Unterschied zwischen der diabolischen Magie oder der Zauberei und der natürlichen, öder der Ergründung der Naturgeheimnisse, bestand nicht bei der Menge; diese sah nur in der Beschäftigung mit ihnen eine Abschwörung des Himmels. Indem man sie auch Th. zur Last legte, so wie, dass er über Dämonen verfuge 126), ja mit dem Bösen verkehre 127), so beschuldigte man ihn solcher Dinge, welche spätere Vertheidiger leicht von ihm abwenden konnten 128), die aber doch mehr oder minder dazu beitrugen, einen ungünstigen Gesammteindruck gegen ihn hervorzurufen. Er selbst beklagt sich bitter darüber und ruft mit Unwillen aus 129): „Ihr möget wohl sprechen, ich sey ein Verführer des Volks, ich hab den Teufel, ich sey besessen, ich sey aus der Nigromantie gelehrt worden, ich sey ein Magus: diese Ding


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all sprachen die Juden auch zu Christo. Ich will Euch dem Teufel, von dem ihr sagt, dass er in mir sey, heimschicken, denn er gehört Euch, nicht mir”. Ein Mann, der so viel vermochte, musste natürlich auch Gold machen können und im Besitze des Steins der Weisen seyn. Zwar wehrt er jedes derartige, von Gegnern oder Freunden ausgehende Ansinnen entschieden von sich ab 130); er erklärt jenes für eitel, behauptet, dass er sich bloss an seinen ärztlichen Beruf halte; allein Andere wussten es besser. Auf seine Rechnung hin ward den Adepten und Schatzgräbern die weiteste Aussicht geöffnet 131).

 Ueberhaupt war er von der Alchemie, in dem Sinne, wie sie gewöhnlich verstanden wird, weit entfernt, obgleich er in den Schriften, die darüber handeln, gewöhnlich als der vornehmste Anführer der Alchemisten genannt wird. Ihm wär die Alchemie in ihrem währen und unverfälschten Sinne das, was wir jetzt unter dem Namen Chemie begreifen, die Kunst, die Naturstoffe rein darzustellen, das Heilsame, Wirksame, Schädliche, jedes für sich beson-


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ders, zu gewinnen, und die Verbindungs- wie Trennungs-Processe der Natur im Grossen zu verstehen, im Kleinen nachzubilden. Nur die Dürftigkeit und Unbehülflichkeit der Hülfsmittel jener Zeit beschränkten und verdüsterten seine Thätigkeit; das Ziel derselben wusste er recht gut anzugeben. „Die Natur, sagt er 132), ist subtil und so scharf in ihren Dingen, dass sie ohne grosse Kunst nicht kann gebraucht werden; denn sie gibt nichts an Tag, das auf sein statt vollendet sey, sondern der Mensch muss es vollenden: diese Vollendung heisst Alchimia. Also was aus der Natur wächst dem Menschen zum Nutzen, derselbige der es dahin bringt, dahin es verordnet wird von der Natur, der ist ein Alchimist” Dann wieder 133): „Alchimia ist die Kunst, die das unnütz vom nützen thut und bringts in seine letzte materiam und Wesen;” oder 134): „Gott hat uns einen Alchimisten gesetzt, damit wir das Gift, das wir unter dem Guten einnehmen, nicht als ein Gift verzehren, sondern dasselbig vom Guten scheiden. Dieser Alchimist wohnt im Magen, welcher sein Instrument ist, darin er kocht und arbeitet”

 Was jedoch den Hauptcharakter dieser seiner Bestrebungen ausmachte, war der Versuch, die auf diesem Wege erlangten Kenntnisse für die Befestigung und Erweiterung der Medicin anzuwenden.

 An sich musste diese Bemühung als ein natürlicher Fortschritt, als der Beginn einer wohlthätigen Umwälzung erscheinen, und doch ward sie sofort als eine seltsame Neuerung betrachtet, mit dem Namen der hermetischen, Chymischen, philosophischen, paracelsischen, spagirischen Medicin belegt und mannigfach missdeutet 135). Die, welche sich damit befassten, wurden zu einer eigenen Secte gestempelt 136) und ihnen dann die Thorheiten der eigentlichen Alchemiker reichlich zugeschrieben.



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 Die Bezeichnung Spagirik scheint zuerst, wenigstens in diesem bestimmten Sinne, von Th. ausgegangen zu seyn 137). Was er von ihr verlangt und erwartet, lässt sich: am besten aus seinen eigenen Worten entnehmen 138): „Der Arzt soll die Corpora reduciren in ultimam materiam durch seine Kunst Spagyrica. Sie lehrt das falsche scheiden von dem gerechten.” „Ich lobe die Spagyrischen Aerzte, denn dieselbigen geben nicht herum faulenzen, mit weissen Handschuhen an den Händen; sondern sie warten aus bey ihrer Arbeit im Feuer Tag und Nacht mit Geduld” 139). „Der Arzt muss ein Alchimist seyn. Was macht die Birnen zeitig, was bringt die Trauben? nichts als die natürliche Alchimie” 140).

 Schon aus diesen wenigen Anführungen wird erhellen, wie alles Denken und Forschen Th’s nur auf die Begründung und Verbesserung seiner Wissenschaft ging. Bei einer andern Gelegenheit soll gezeigt werden, wie auch sein ärztlicher Standpunkt und seine Leistungen in diesem Gebiete ganz falsch genommen wurden; wie man ihn bald zum Stifter eines Systems und zur Urquelle aller möglichen neueren Lehren, bald zum kenntnisslosen Charlatan stempelte.

 Hier mögen noch einige Bemerkungen über die ihm beigelegte theologische Richtung stehen, kraft welcher er eben so oft der Gegenstand massloser Anfeindungen als übertriebener Anpreisungen geworden ist. Wenn also von ihm ausgesagt wird 141): „er habe zum theosophischen Lehrgebäude einen


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Grundstein gelegt, und viele Theosophen Seyen durch seine Schriften veranlasst worden, den neuen Weg zur Wahrheit und Glückseligkeit zu betreten, der sie so weit von aller menschlichen Weisheit abführte”; oder 142): „er sey für den Anfänger der Platonischen Theologie zu halten, nicht allein weil er mit seiner Lehre zuerst hervorgebrochen, sondern auch, weil die andern sich gemeiniglich auf ihn, als ihren Lehrmeister, berufen”; oder wenn es anderntheils heisst 143): „Summa Summarum es ist diese Theologia in den Theophrastischen Schriften nicht des heiligen Geistes, sondern des leidigen Teufels”, so fragt sich, ob er denn in der That zu solchen Aussprüchen wesentliche Veranlassung gegeben? Hierauf lässt sich erwidern, dass im Allgemeinen keine tüchtige reformatorische Bestrebung, jener Zeit dem religiösen Elemente sich entziehen konnte. Dazu kam, dass Th. die innige Beziehung seiner Kunst zu jenem Urquell, von wo alles Vermögen ausgeht, tief erkannte. Er ruft aus 144): „Wir sind, irdisch leuth mit einander und haben nichts, in der Schul der Erden, denn narrheit: darum werden wir gewiesen zu suchen im Reich Gottes, in dem alle Weisheit liegt: des Spruchs mag sich der Arzt nicht erwehren”.

 Auch erscheint er in seinen Schriften überaus bibelfest und vergleicht sein Thun wie sein Leiden oft mit denen der Märtyrer. Auch wäre es nicht zu verwundern, wenn er hierin noch weiter gegangen wäre. Denn gerade bei den Besseren 145) war es ein Bedürfniss des Herzens, den letzten Grund aller Erkenntniss und vor Allem die christliche Wahrheit in der heiligen


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Schrift aufzusuchen, und den ganzen innern Menschen in Gott zu versenken. Wie nahe lag da die Versuchung weiter zu gehen, als die klare Vernunft es gutheisst! Allein von allen solchen Seitenwegen hielt sich Th. fern; wenigstens bieten seine ächten Schriften keine Belege dazu dar. Denn einzelne Aeusserungen eines an Empfindungen reichen Gemüths, wie 146): „der Himmel ist der Mensch und der Mensch ist der Himmel, und alle Menschen ein Himmel”, können wohl nicht dafür genommen werden.

 Auch fehlt eben so sehr jede innere Wahrscheinlichkeit als ein äusserer Beweis, dass er darauf ausging, Gründer eines theosophisch-kabbalistischen Systems oder der sogenannten Platonischen Theologie 147) zu werden.

 Diejenigen, welche ihn wegen seines ganzen Auftretens; seiner Lehrmeinungen, seiner Polemik, seiner Thätigkeitsweise anfeindeten und bekämpften, wussten hinwiederum keine schneidendere Waffe gegen ihn zu kehren, als dass sie seine Rechtgläubigkeit in Zweifel zogen und seine religiösen Grundsätze wie seine Handlungen verdächtigten 148). So hiess es denn von ihm, er sey ein Arianer 149), leugne die göttliche Natur Christi, habe das Abendmahl nicht empfangen und halte sich zu keiner christlichen Versammlung 150).

 Zwar eifert Th. mit Macht gegen solche Anmuthungen, und beschwert sich bitter, dass man die Verketzerer und Zionswächter gegen ihn aufbringe und hetze. „Was Theil hab ich mit ihnen, ruft er aus 151), oder sie mit


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mir? So sie nur mir als einem Arzt Genossen wären, sie sollten schon Bescheid finden” Aber was half es ihm, dass er nur wollte als Arzt angesehen und beurtheilt werden? Sein Name war anderen Richtern anheim gefallen, selbst unter seinen Fachgenossen, und bis auf den heutigen Tag stehen seine Schriften unter den Heterodoxen auf der hiesigen Universitätsbibliothek.

 Auffallend ist es immerhin, dass die religiösen Anfechtungen und Anklagen von den Anhängern des alten sowohl als des neuen Bekenntnisses ausgingen. Dieses ist aus der eigenthümlichen Stellung, welche Th. zwischen beiden einnahm, zu erklären. Er warin dem alten: Glauben erzogen und verblieb darin, wie es scheint, bis zu seinem Ende; wenigstens hat er sich nie äusserlich davon losgesagt 152). Aber seiner Gesinnung, seinem Beginnen und Gebaren nach lenkte er ganz in die. neue Richtung ein. Auch hatte er dieses unverholen, und die Verfolgungen, welche die Stifter und Bekenner der neuen Lehre zu dulden hatten, stellte er denen zur Seite, die ihm widerfuhren. „Ich werde, sagt er 153), den Luther sein Ding lassen verantworten. Wer ist dem Luther feind? Eine solche Rotte ist mir auch verhasst. Und wie Ihr es mit ihm meint, also meint ihr es auch mit mir; das heisst dem Feuer zu, du darfst auf die Laugen nicht warten.” In seinem Sendbriefe an die Herren von Nürnberg heisst es 154): „Dieweil diese löbliche Stadt aus Kraft des Evangeliums die Wahrheit zu beschirmen, und auch die, so die Wahrheit öffnen, lieben, Statt und Platz reichen und geben — Wollen mich solcher evangelischer Kraft nicht entsetzen. Denn je mehr die Wahrheit gemeldet wird, je mehr sie die Schlangen zu hindern fleissigen.”

 Vielleicht bezieht sich auf diese seine Gesinnung die Angabe, dass er, der Religion wegen, vom Reformator Basels aufgenommen und dem dortigen


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Magistrate empfohlen würden sey 155), und von vielen seiner Gönner und Freunde weiss man, dass sie zu den Beförderern des Protestantismus gehörten 156). Aber, wie in Allem, so behauptete er auch hier seine Selbstständigkeit; Keinem ergab er zich, Keiner befriedigte ihn ganz. Auch darüber sprach er sich mehrfach aus, und es ist desshalb nicht zu verwundern, wenn über ihn geklagt wird, er habe sich wenig um die evangelische Lehre gekümmert 157). Doch diese Unabhängigkeit von dem Neuen wurde ihm fast mehr verdacht als seine Abtrünnigkeit von dem Hergebrachten. Es ist bezeichnend für die Reformatoren, dass sie keinem Schwanken Raum geben wollten, und unerbittlicher, leidenschaftlicher gegen die verfuhren, welche nicht unbedingt ihre Ansichten theilten, als gegen die, welche ihre erklärten Gegner waren 158).


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Darum halte Th. von dieser Seite her die härtesten Angriffe zu erfahren, und von da aus pflanzten sie sich bis in die späteren Zeiten herab fort.

 So war er also dem Streite der Parteien hingegeben, ohne dass er selbst Partei ergriff; so mussten die Worte, die er gesprochen, oder die man nur durch Hörensagen durch die dritte Hand erfuhr, in einem seiner Absicht meist fremden Sinne sich deuten lassen und er als Urheber von Dogmen gelten, an die er kaum je gedacht hätte.

 In seinen Schriften sieht man sich vergebens nach theologisch-verfänglichen Untersuchungen um; über seine Stellung zur Kirche und ihren Satzungen spricht er nirgend; nur seine religiöse Ueberzeugung als Arzt berührt er zuweilen auf eine einfache, harmlose und würdige Art. Hören wir folgende Stellen von ihm: „Der Arzt ist ein Knecht der Natur und Gott ist der Herr der Natur” 159). „Der Arzt ist, der in den leiblichen Krankheiten Gott versieht und verwesst; darum muss er aus Gott haben dasjenige, das er kann” 160). „Der ohne Kunst gesund wird, danke Gott von wegen seines Glücks; der mit der Kunst, danke um die Kunst” 161). „Gott ist der Erst Arzt. Aber die Ungläubigen, die schreyen zu dem Menschen um Hülfe. Aber Ihr sollt zu Golt schreyen; Er wird euch wohl zuschicken den gesundmacher; es sey dann einen Heiligen, oder einen Arzt, oder sich selbst“ 162).

 Wer sieht nicht schon hieraus, dass sein Glaube mit dogmatischen Subtilitäten nichts gemein halte, dass er eine reine Angelegenheit seines Innern war, wodurch er die Resultate und Lehren seiner Kunst an das Höchste anzuknüpfen sich gedrungen fühlte.



{Vorlesung am 14. November 1840}

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 In einer früheren Vorlesung machte ich den Versuch, einen allgemeinen Standpunkt festzusetzen, von welchem aus die Erscheinung des Theophrast’s von Hohenheim aufzufassen, sein Thun und Wollen aus dem Lichte seiner Zeit zu erläutern, seine Eigenthümlichkeit zu begreifen, so wie das fremdartig ihm Aufgebürdete und Angedichtete von ihm abzutrennen wäre. In der gegenwärtigen wollen wir der individuellen Schilderung desselben näher treten, wollen ihn auf den Schauplatz seiner öffentlichen Tätigkeit begleiten, die Wege und Mittel aufsuchen, wie er seine Bildung gewonnen, seine Kenntnisse sich angeeignet; und sodann seinen menschlichen und schriftstellerischen Charakter, wie er sich in seinen Werken und Nachwirkungen abspiegelt, entwerfen. Hierdurch möchte füglich jede Vorbereitung getroffen seyn, um späterhin seine eigentlichen Leistungen im Einzelnen darzulegen.

 Zuvörderst sey folgende Bemerkung erlaubt: Th. war seiner ganzen Gesinnung und Bestrebung nach ein Deutscher Mann, ein Deutscher Arzt. Je mehr damals der Pulsschlag alles geistigen Lebens im Vaterlande entweder von fremden Quellen seine Nahrung sog, oder von fremden Gewalten niedergedrückt ward, desto weniger darf man der Kraft Anerkennung versagen, welche ein grosses Gebiet des Wissens und Könnens von der Wucht auswärtiger, fremdartiger Belastung zu befreien und seiner angebornen, angestammten Reinheit und Einfachheit wieder zu geben sich abmühte. Wie viel


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oder wie wenig ihm dieses gelang, wie weit eigene Beschränktheit oder äussere Hindernisse ihn beengten, oder die Ungunst späterer Jahrhunderte ihm den Dank verkümmerte, das komme jetzt nicht in Frage; aber der Satz stehe ausser allem Streite, dass er es war, und auch wohl der einzige war, der vor drei Jahrhunderten die Deutsche Medicin vom Alterthume, vom Herkommen, vom Auslande zu emancipiren sich zur Aufgabe seines Lebens gesetzt hatte.

 Italien blieb lange das Land, wohin man sich wandte, um humanistische und Fachstudien zu treiben; auch Paris zog als Hochschule die Lernbegierigen an. Die Deutschen Universitäten, welche (seit 1237—1502) nach dem Muster der Spanischen, Italienischen und Französischen errichtet wurden, trugen zwar, nach besten Kräften, das Ihrige zur Verbreitung gelehrterer Kenntnisse bei, und gelangten allmälig dahin, mit den durch die Umstände begünstigten Anstalten im Auslande zu wetteifern. Vorzüglich längs des Rheinstromes hatten sich mehrere Pflanzschulen für die höhere Bildung erhoben, und die daselbst ins Leben gerufene Buchdruckerkunst hatte eine früher nicht gekannte literärische Thätigkeit in sie gebracht; aber kaum zeigte sich irgendwo eine so rege geistige Bewegung als in Basel.

 Die Schweiz war damals noch in der Gesammtheit Deutschlands mit inbegriffen und ihr nördlicher Theil hielt mit dem südlichen Deutschland, was nationelle und religiöse Entwickelung betrifft, ziemlich gleichen Schritt. Erst späterhin trat die politische Trennung vom deutschen Reiche ein, welche im Westphälischen Frieden (1648) feierlich ausgesprochen und anerkannt wurde 163).

 In Basel waren früher nur religiöse Uebungen im Gange und von den Wissenschaften nur Grammatik und Dialektik in Aufnahme; von classischen und allgemeinen Studien wusste man kaum Etwas 164). Dieses änderte sich


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sehr, als daselbst die hohe Schule gestiftet (1460), die Stadt (1501) in den eidsgenössischen Bund aufgenommen und (1520) die Reformation der Kirche tu Stande gebracht ward. Sie ward bald ein Vereinigungspunkt für viele tüchtige, kenntnissreiche und aufgeklärte Männer, so wie ein Zufluchtsort für solche, welche, ihrer Ueberzeugungen wegen, von anderen Orten vertrieben waren. Sie war die einzige Deutsche Universität, welche einen der geflüchteten gelehrten Griechen in ihren Mauern hatte 165). Hier fand Ulrich von Hutten (1522) auf eine kurze Zeit eine Freistätte. Noch von manchen anderen vorzüglichen Männern wird Aehnliches berichtet 166). Aber auch von manchem Missgeschick wurde die neu aufblühende Baseler Anstalt heimgesucht. Die Kämpfe der Zeit, die religiösen Zwistigkeiten brachten Unfrieden unter ihre Mitglieder; einige zogen fort, andere wurden ausgetrieben, so dass es ihr nicht selten eben so sehr an Studenten 167) wie an Professoren 168) gebrach, und ihre Neider und Feinde das Gerücht ausbreiteten, die ganze Universität liege in Trümmern 169).



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 Sie hatte jedoch in sich eine regeneratorische Kraft und aus dieser ging die Berufung Theophrast’s hervor. Er sollte die durch den Abgang von Wilhelm Koch (Copus) erledigte Lehrstelle der Medicin übernehmen, und durch seinen schon begründeten Ruhm einen neuen Glanz über sie verbreiten 170).

 Er selbst sagt darüber in seiner Epistel an einen ehrsamen Rath der Stadt Basel 171): „So ich nun alle meine Stand, und Dienst, bey Fürsten, Herren und Stätten begeben, und auff beger E. G. und Gunst allhier in ewer Statt zogen”.

 Am 5. Junius 1527 kündigte er durch ein kurzes Lateinisches Programm an 172), dass er gesonnen sey, 2 Stunden täglich seine eigenen Bücher über Medicin, Physik und Chirurgie zu interpretiren, um die Erkenntniss und Kur der Krankheiten den Wissbegierigen einzuprägen, und zwar in guter aller Weise, ohne Beachtung fremder Auctoritäten, so wie die Natur selbst es gutheisse und er durch Nachdenken und Erfahrung es gebilligt habe. Er bemerkt zugleich, dass ihm ein reichlicher Gehalt wäre angetragen worden 173).

 Seine Vorträge verbreiteten sich über fast alle Theile der Medicin und über manche ihrer Hülfslehren. Mehrere derselben sind noch vorhanden, oder werden doch als solche bezeichnet, die von ihm gehalten und zur Herausgabe vorbereitet oder von seinen Zuhörern als Collegienhefte nachgeschrieben worden sind 174).



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 Gross war auch der Beifall und die Bewunderung, womit er diese Vorträge begann, indem auch solche, welche schon tief in die Wissenschaft eingedrungen, sieh auf den Bänken seiner Zuhörer niederliessen 175).

 Schon das machte Aufsehen, dass er sich, gegen alle bisherige Gewohnheit, der Deutschen Sprache bediente. Hierbei batte er den doppelten Zweck im Auge, theils seine Ansichten in einen weiteren Kreis von Jüngern und Theilnehmern zu verbreiten, theils durch das Werkzeug der unbenutzten Muttersprache sich von dem alten Schulzwange und der herkömmlichen Ueberlieferung gänzlich loszusagen.

 Zugleich lag es im Bestreben der Besten jener Zeit, das, was Allen Noth thue, Allen durch die Muttersprache zugänglich zu machen. Th. selbst sagt 176): „Nun ist hie mein Fürnemmen zu erkleren, was ein Arzt seyn soll, und das auff Teutsch, damit das in die gemein gebracht werde”. Darum war er hierin weder ohne Vorgänger, noch blieb er ohne Nachfolger. Bekannt ist, wie damals die Schriften des Evangeliums in die vaterländische Zunge verdeutscht wurden, und wie das Interesse dafür sich immer mehr steigerte 177);


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vorzüglich aber in Basel selbst hatte sich diese Richtung auf mannigfache Weiße geltend gemacht.

 Hier erschien im J. 1515 von Pamphilus Gengenbach die erste gedruckte Deutsche Komödie 178). Johann Geiler von Keysersberg hielt seine Predigten über Brandts Narrenschiff Deutsch. Johann Eberlin aus Günzburg, einer der frühesten Anhänger der Reformation, kam 1521 unstät und flüchtig nach Basel, wo er sich auf den Kanzeln in seiner Muttersprache hören liess 179). 1522 wurde bei Adam Petri Luthers Bibelübersetzung gedruckt. Im Jahre 1524 musste Andreas Carlstadt Sachsen verlassen und er kam nach Basel, wo er viele Deutsche Tractate drucken liess 180). Oekolampadius, der Gönner Theophrast’s, führte 1526 statt der Lateinischen Lieder bei dem Gottesdienste, die Deutsch übersetzten Psalmen ein 181), hielt die Messe in Deutscher Sprache 182),


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und befahl, seinem Gehülfen Bonifacius Wolfhard in Deutscher Sprache zu taufen 183).

 Wenn nun Th. durch den Gebrauch der Muttersprache einem Bedürfnisse der Gegenwart entgegen, kam, so schien er doch bald durch seih übriges rücksichtsloses Verfahren die erlaubten Grenzen zu überschreiten. Ein Zeitgenosse sagt desshalb von ihm Folgendes 184): „Derselbige lehret zu Basel, als der Religion zweytracht der Hohen Schul wesen schon zerstöret hat, in Teutscher spraach, auff sein Manier öffentlich die Artzney, der Galenischen gantz widersinnig, darumb er auch den Avicennam, ein alten Scribenten, in der Universität verbrennet haben soll”. Letztere Angabe wird durch die eigenen Worte Th’s bestätigt 185): „Ich hab die Summa der Bücher in Sanct Johannis Feuer geworfen, auf dass alles Unglück mit dem Rauch inn Luft gang”.

 . Er aber achtete keine andere Rücksicht als die, seine Zuhörer zu einer freien, selbstthätigen Erkenntniss zu bringen und von jedem mechanischen Nachbeten entfesseln. „Was ist Höheres, ruft er aus 186), und Löblicheres an einem Auditore, und Discipulo dann dass er in einer weichen Schalen liege, die da nicht erherte, bis er seiner Disciplin gewachsene Flügel erlangt hab”.

 Seine Bemühung war indess, nicht bloss theoretischer Art; sie griff vielseitig in die. Ausübung, in das Leben ein. Ihm galt als Motto 187): „Lehren und nicht. Thun, das. ist klein, Lehren und Thun, das. ist gross und gantz”. Da nun aber gerade in der Heilkunde jedes eigenthümliche, von der allgemein gebräuchlichen. Weise abweichende Thun die Andern in der her-


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gebrachten Ordnung handelnden stört, beunruhigt, ja in ihrem Besitzstande, ihrem Einkommen beeinträchtigt, so erwuchs ihm hieraus allerlei Feindschaft und Verdruss.

 Er beschwert sich desshalb beim Rathe der Stadt Basel 188): „Wiewohl jhr mich vergangnen tagen berufft, und mich zu E. G. Stadtarzt zu bestellen anlangen lassen, kommt mir glaublich zu, wie dass etlich Doctores und Medici on mein schuldt und verursachen, mich hinterruck schmähen und dergestalten mit Worten anzihen, so mir zu gedulden nit möglich sein: dieweil ich in E. G. Collegio gelesen, und noch tägliches zu thun willig und bereit wäre: understandt sie mich daran zu verhindern, vermeinend auch etlich, ich das zu thun nicht gewalt noch macht habe; lassen sich auch vermercken, dass mein lesen und offenbarung meiner Kunst, jhnen hienach an jhrer Nahrung und Leibs Unterhaltung grossen Nachtheil und abbruch bringen”.

 Ganz besonders aber ward seine einfache, auf rationellen und gewissenhaften Gründen beruhende Receptirmethode eine Quelle vielfacher Anfeindung für ihn. Er verhehlte seine Grundsätze nicht: „Der Arzt sey verstendig, erfaren und nicht allein ein Scribent der Recepten. Es muss ein ander und mehrer grund gesucht werden, als solch Fiat, und solch Recipe, und solchs Decoquatur secundum usum” 189). „Je länger geschrifft, je kleiner der Verstand, je länger die Recepten, je weniger tugendt” 190). „Ihr sollen euch nit verwundern lassen, dass ich so kurtze Recept setz oder mach: dann Ursachen, was mehr darzu käm: were eine Verderbung der Artzney” 191).

 Wie sehr mussten diese Ansichten mit den Missbräuchen, welche er antraf, einen Widerspruch hervorrufen. In dem Briefe an den Stadtrath zu Basel heisst es: 192) „Dieweil ich von E. G. bestellt, weiss ich mich pflichtig, all mängel und gebrechen, so nachtheilig seyn, anzuzeigen. Dass ich dann auch wissen mög, dieselbigen Apotecker kein heimlich Pact mit etlichen Doctoren und Arzten haben; dass sie ihrer Apotecken zu tag und nacht treu-


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lich warten: demnach ihre Apotecken visitiren, ob sie deren, wie sichs gebürt, gerüst und versehen seyn, Arm und Reich in ziemlichen Tax ihrer waaren unüberschätzt zu halten. Dann es sich viel begibt, dass Doctor und Apotecker pact und geding mit einander machen”.

 Wie er desshalb verrufen und verlästert ward, wusste er wohl. „Ich soll ein verworffen Glied seyn der Hohenschulen, ein Ketzer der Facultät und ein Verführer der Discipeln” 193). Oefter kam er späterhin darauf zurück und verwahrte sich dagegen. „Basel erhielt mich in jhrer hohen Schul, zeihete mich, ich geb Ergernuss in solchen lehren: wie kann ich aber weisen Leuten ein Ergernuss geben?” 194)

 Die üble Stimmung bei seinen Amtsbrüdern zu unterhalten, trug auch der Ruf glücklicher Curen bei, die ihm vermittelst der neuen von ihm präparirten oder eigens angewandten Heilmittel gelangen. Weithin in der Umgegend bis in das Elsass hinein ward er wie ein zweiter Aesculap angesehen 195). Besonders brachte er ein Opiat in Gebrauch, dem er die grösste Kraft zuschrieb, und das auch zu rechter Zeit gegeben, seine Wirkung nicht verfehlen mochte 196). Er sagt von ihm 197): „Ich hab ein Arcanum, heiss ich Laudanum, ist über das alles, wo es zum Tod reichen will”.

 Eine seiner Curen, wovon viel gesprochen wurde, verrichtete er bei dem Buchdrucker Johann Froben, dem Freunde der Gelehrten, der auch Eras-


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mus sein Haus angeboten hatte und welcher ihn verehrte und liebte 198). Froben war von einer bedeutenden Höhe herabgestürzt und bekam einige Zeit darauf die heftigsten Schmerzen im rechten Fusse. Es fehlte nicht an Aerzten, die auf eine Amputation antrugen; allein Th. verschaffte ihm Schlaf Und stellte ihn überhaupt so weit wieder her, dass jener zwei Mahl zu Pferd nach Frankfurt reisen konnte. Da der Reconvalescent sich aber nicht schonte und den Rath des Arztes zu wenig befolgte, bekam er, wie früher in den Fuss, so nun in die rechte Hand eine Unempfindlichkeit, und als er von neuem einen Fall that, stellte sich Lähmung und Tod durch Schlagfluss ein 199).

 Der Streit mit einem vornehmen Kranken, dem Domherrn. Cornelius von Lichtenfelss, oder vielmehr mit dem Rathe, der jenen nicht anhielt, seinem gegebenen Versprechen, nach erlangter Gesundheit ein bestimmtes Honorar zu entrichten 200), nachzukommen, ward Veranlassung, dass Th. Basel verliess.

 Wahrscheinlich war sein Boden durch Missgunst und Gegenwirkungen bereits unterminirt, und er, bei seinem unruhigen Naturell, nicht mehr aufgelegt an einem und demselben Orte länger zu bleiben. Denn von nun an bis zu seinem Tode hatte er keinen festen Aufenthalt mehr, sondern lebte bald hier, bald dort.

 Ueber die Zeit, wie lange er in Basel verweilte, sind keine bestimmten Angaben vorhanden; jedoch aus verschiedenen Umständen, und auch aus dem Umfange seiner dortigen Wirksamkeit lässt sich schliessen, dass sie wenigstens einige Jahre, Vermuthlich zwei, betragen habe 201).



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 Fast nur aus bereits früher erwähnten Vorreden zu seinen Schriften und aus wenigen sonstigen Notizen, welche hauptsächlich seine Berufungen als Arzt zu vornehmen Personen betreffen, lernt man einige seiner zeitigen Wohnorte kennen; allein von ganzen Jahren fehlen alle Nachrichten, und nur seine hinterlassenen Werke geben Zeugniss, dass er sie nicht ohne angemessene Beschäftigung zugebracht. Er liebte das Wandern, und so finden wir ihn 1529 in Colmar 202) im Elsass; im gleichen Jahre oder etwas später zu Beritzhausen 203) und Nürnberg 204); 1535 im Bad Pfeffers in der Schweiz; 1536 in Münchroth und Augsburg 205); 1537 zu Kromau 206) in Mähren; auch in Wien 207); 1538 zu St. Veit 208) in Kärnthen und wieder in Augsburg 209); so wie in Meran 210) in Tirol.



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 Mag auch diese herumziehende Lebensart grossentheils ihren Grund in seinem unstäten und unbefriedigten Gemüthszustande gehabt haben, eine Entschuldigung oder Erklärung findet sie wenigstens zum Theil noch in den Verhältnissen jener Zeit Bei den dürftigen Verbindungsmitteln: der Städte und Länder, wo die Fortschritte in Wissenschaft und Kunst sich nur langsam und vereinzelt fortpflanzten, konnten reichbegabte, nach Einsicht und Mittheilung dürstende Geister ihren Zweck nur durch Reisen von Land zu Land, durch ihre persönliche Erscheinung an den verschiedenen Orten erreichen.

 Darum finden wir manche der berühmtesten Männer gewissermassen fast immer unterwegs, ohne bleibende Stätte, so z. B. den Desiderius Erasmus bald in Frankreich, bald in England, bald in Italien, bald in den Niederlanden 211).

 Aber Th. selbst äussert sich über diesen Punkt in seiner gewohnten Eigenthümlichkeit 212): „Die Kunst gehet keinem nach, aber ihr muss nachgegangen werden: darumb hab ich fug und verstand, dass ich sie suchen muss, und sie mich nit. Ich hab etwan gehört, dass ein Arzt soll ein Landfarer seyn: dieses gefeit mir zum besten wol. Dann Ursach, die Krankheiten wandern hin und her, so weit die Welt ist, und bleiben nicht an einem ort. Will einer viel Krankheiten erkennen, so wander er auch: Wandert er weit, so erfert er viel, und lehrnet viel erkennen. Gibt wandern nicht mehr verstand, dann hinderm Ofen sitzen? Also acht ich, dass ich mein wandern billich verbracht hab mir ein lob und kein schand zu seyn. Dann das wil ich bezeugen mit der Natur: Der sie durchforschen wil, der muss mit den


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Füssen jhre Bücher tretten. Die geschrifft wird erforschet durch ihre Buchstaben, die Natur aber durch landt zu landt, als offt ein Landt als oft ein Blat. Also ist Codex Naturae, also muss man ihre Bletter umbkeren”.

 Das Ende seiner unruhvollen und thätigen Laufbahn erreichte er zu Salzburg 213). Es regierte hier seit 1540 der Erzbischof Ernst, Pfalzgraf bei Rhein, ein Mann, der den Naturwissenschaften nicht fern stand und der vielleicht Mitveranlassung war, dass Th. dorthin sich wandte. Im Sept. 1541 wurde er krank, am 21sten desselben Monats machte er sein Testament 214) und am 24sten starb 215) er 48 Jahre alt.

 Ueber die Umstände seines Todes herrscht noch manche Ungewissheit, welche sich auch durch die fleissigste Nachforschung und die schärfste Kritik nicht ganz wird beseitigen lassen.

 In dem angeblich von ihm hinterlassenen Testamente heisst es zwar, dass er dasselbe mit deutlichen Worten, bei gesunden Sinnen, angeordnet habe; es erhoben sich jedoch darüber so wie über seine Todesart mancherlei Zweifel und Bedenken. Das ganze Testament sollte ein fremdes Machwerk und er, wo nicht gar vom Bösen geholt, doch auf eine gewaltsame Weise aus dem Leben entfernt worden seyn 216). Freunde wie Feinde vereinigten sich in dieser


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Ansicht; jene konnten nicht begreifen, wie er seine wunderbare Heilkunst 217) an sich selbst so wenig erprobt habe; und diese gönnten dem Vielbeneideten nicht einmal den natürlichen Tod 218).

 Durch die eigene Unruhe und Heftigkeit, so wie durch den hartnäckigen Kampf mit so Vielem, was Vergangenheit und Gegenwart sanctionirten, hatte er vor der Zeit seine Kräfte erschöpft und den frühen Tod gefunden.

 Er wurde auf dem Friedhofe beim Bruderhause begraben, und zu seinem Ehrengedächtniss ein Grabstein aus rothem Marmor gesetzt 219).

 Wenden wir uns nun von den Angaben und Beweisen der öffentlichen Thätigkeit und der Erscheinung Th’s zu den Bedingungen und Begebnissen seines Privatlebens, so bestätigt sich auch hier eine schon oft ge-


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machte Erfahrung. Von Männern, die in dem Entwickelungsgange ihrer Zeit eine bedeutende Stelle einnehmen, bleiben oft die Gründe ihrer eigenen Entwickelung verborgen, und die zarten Fäden, welche sie an ihren Geburtsort; ihre Angehörigen, ihre Lehrer und Beförderer anknüpfen, entziehen sich um so mehr unserm Auge, je begieriger es sie zu entdecken, zu verfolgen wünscht So sieht sich über die Bildungsgeschichte des Hieronymus von Prag der Historiker vergebens 220) nach einer quellenmässigen Belehrung um. Von dem Vorgänger Luther’s, Johann Wessel, ist in Betreff seines Lebens so Weniges bekannt, dass nicht einmal das Geburtsjahr ausgemacht ist, und seine gelehrten Wanderungen sind nicht genau zu bestimmen 221). Melanchthon erzählt in seinem Leben Luthers 222), dass dessen Mutter ihm mehrere Male gesagt: „sie erinnere sich wohl des Tages und der Stunde, wo sie ihren Martin geboren, aber hinsichtlich des Jahres sey sie ungewiss”.

 Auf dem Schauplatze der Ereignisse gilt das entschiedene Wort, die fertige That, und die Welt nimmt die reife Frucht des Mannes hin, ohne nach der Wurzel des Baumes zu fragen, woher sie stammt. Wer indessen auf Vollständigkeit verzichtet, mag immerhin aus der Zusammenstellung einzelner Bekenntnisse und Andeutungen ein Bild von dem Werden, Herankommen und Durchdringen einer historischen Persönlichkeit sich erwerben.

 Th. von Hohenheim wurde im J. 1493 zu Maria-Einsiedeln geboren. Sein Vater war selbst Arzt und, wie erzählt wird, im Besitze einer Bibliothek 223). Seine Mutter batte eine Zeitlang die Aufsicht über das Krankenhaus der Abtei Mariä-Einsiedeln 224).

 So war ihm also schon frühe Veranlassung und Handbietung zu seinem nachherigen Berufe nahe gelegt, und früh auch muss er sich schon damit beschäftigt haben. „Von Kindheit auf, sagt er 225), hab ich die Ding getrie-


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ben”; und eben so, bei Gelegenheit, wo er von der gewöhnlichen Art des Receptschreibens spricht 226), „wie ichs auch in meiner Kindheit, Jugend, als Unerfarner, wie andere Unerfarne, gebraucht habe”.

 Da er nun so bei Zeiten in die Kunst hinein gerathen, so konnte er schon in seiner Einladung zu den Vorlesungen in Basel, also in seinem 34sten Lebensjahre, ankündigen: er wolle lehren, was er nach langer Anwendung und Erfahrung für recht erfunden 227).

 Je früher er sich aber mit der Erlernung und Ausübung der Arzneikunde beschäftigte, um so eher erwachte in ihm das Gefühl ihrer Unzulänglichkeit und der Zweifel an der innere Wahrheit alles dessen, was er als Lehre und Satzung anzunehmen sich genöthigt sah. Er ward an der Kunst, an sich, an Andern irre. Ob eine bestimmte Einwirkung von Aussen und welche hierbei stattgefunden, darüber lässt sich keine Auskunft erlangen; aber den damaligen Zustand seines Gemüths schildert sein Geständniss 228): „Hab mehrmalen mir fürgenommen, diese Kunst zu verlassen. Hab oft von ihr gelassen und mit Unwillen an ihr gehandelt; doch aber mir selber hierin ganze Folge nicht geben, sondern es meiner Einfalt zugemessen”.

 Da er es ehrlich mit sich und der Sache meinte, so wurden ihm auch seine Erwerbnisse nicht leicht. In seiner Dedication der grossen Wundarznei an den Stellvertreter des Kaisers, den König Ferdinand, führt er an, dass das, was er mittheile, probirt worden sey „schärfer dann das Silber, in Armuth, Aengsten, Kriegen und Nöthen”.

 Das Verlangen, vielseitige Kenntnisse einzusammeln, trieb ihn schon früh aus den engen Gränzen seines Geburtslandes. Von seinen Reisen, seinem Aufenthalte in den verschiedenen Ländern Europa’s, ja Asiens, gingen die abenteuerlichsten Gerüchte um 229). Die einfachste Annahme, dass er Land


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und Leute, Sitten und Lebensart der Menschen, Anstalten und Gelehrte mit eigenen Augen kennen lernen und für seine Kunst benutzen wollen, schien den Wenigsten glaublich, Er musste also fernliegenden Geheimnissen, dem verborgenen Steine der Weisen nachjagen 230), oder gar aus blosser Laune in der Welt herumstreichen 231). Er aber sagt 232): „Mein Wandern hat mir wol erschossen: Ursach halben, dass keinem sein Meister im Haus wachset”. „Die Künste, ausgetheilt durch die ganze Welt, müssen auch an vielen Orten aufgesucht und gesammelt werden” 233).

 Wie sehr jedoch Th. der Belehrung sich auch mag beflissen haben, eine regelmässige Unterweisung bei damals berühmten Aerzten scheint ihm nicht zu Theil geworden zu seyn; wesshalb man sich auch darüber nicht vereinigen konnte, ob er sein Wissen von guten oder bösen Geistern her habe; ja eine eigene Schrift ist erschienen 234) mit dem Titel: „Deutliche Ent-


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deckung, was von Theophrasto Paracelso zu halten sey, ob er seine hohe Weisheit und Kunst von Gott oder dem Teufel gehabt”. Manche vermuthen, ihm sey Vieles von der Wissenschaft der geheimen Bruderschaften zugeflossen. Solche bestanden auch damals wirklich 235), aber bei der Aufnahme in dieselben musste ein eidliches Gelöbniss des Stillschweigens abgelegt werden 236). Er selbst fuhrt mehrere Männer an 237), deren Unterricht er am Meisten verdanke; vor Allen seinem Vater, Wilhelmus von Hohenheim, der ihn nie verlassen habe; dann den Bischof von Lavant, Eberhard, im Klöster zu St. Andrä im Laronthale in, Kärnthen; den Bischof Mathias von Scheidt zu Sekau; auch den Abt, zu Sponheim, vermuthlich Joh. von Treitenheim und mehrere Andere. Als solche, die ihn in der Chemie unterwiesen, nennt er „den edeln und vesten Sigmund Füger von Schwatz mit sampt einer Anzahl seiner gehaltenen Laboranten”.

 Einen regelmässigen Cursus auf Universitäten scheint er nicht durchgemacht zu haben, ob er gleich viele derselben bereist hat. Er gibt an, dass er lange Jahre auf Deutschen, Italiänischen und Französischen hohen Schulen zugebracht habe, um den Grund der Arznei zu suchen 238). Sie befriedigten seinen unabhängigen Geist nicht, und da er sich zu Keines Anhang bequemen und bekennen wollte, so brachte er Alle gegen sich auf. „Ihr Höchstes, sagt er 239), ist wider mich, dass ich nicht aus ihren Schulen komme und aus ihnen schreibe”.



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 Um dieses Verhältniss begreiflich zu finden, ist es nöthig, sich den Zustand der damaligen Universitäten zu vergegenwärtigen. Sie hielten durchweg an der alten scholastischen Lehrweise fest, in dem Hergebrachten verharrend, jede neue Regung ablehnend oder ignorirend. Sie galten desshalb für die Stützpunkte der unumschränkt gebietenden römisch Päbstlichen Geistesherrschaft 240). Es erschienen Spottschriften gegen sie 241); Luther erklärte 242), dass auf ihnen die Lateinische und Deutsche Sprache verderbt würde; und Melanchthon gab nicht nur die ganze auf den Universitäten herrschende Lehre für ketzerisch aus 243), sondern er sagte in seinem Gutachten, welches er über die kirchlichen Angelegenheiten dem Kaiser Karl auf dem Reichstage zu Regensburg 1541 übergeben hatte: die hohen Schulen bedürften einer doppelten Besserung, in der Lehre und in den Sitten 244).

 So wurden yon verschiedenen Seiten Stimmen der Missbilligung gegen jene mächtigen und privilegirten Genossenschaften laut. Auch verfehlten sie allmählig ihre Wirkung nicht, wenn gerade nicht immer in dem ursprünglich beabsichtigten Sinne. Th. hatte seine Meinung über sie nicht hehl; jedoch war er weit davon entfernt, die Bedeutung ihrer äussern Stellung zu verkennen.

 Da bei dem häufigen Wechsel seiner Aufenthaltsorte von Jugend auf Viele nicht wussten, wo er promovirt hatte, und da er zuweilen in einem Aufzuge erschien 245), der gegen den Putz derer, welche die höchsten Wür-


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den erlangt hatten, sehr abstach, so gab man zu verstehen 246) dass er kein Doctor sey 247). Er nennt diess eine schmähliche Nachrede 248).

 Zwar kam es damals hie und da zur Sprache, wie früher schon von den Taboriten 249) und von Gerhard Groot 250), dem Stifter der Brüder vom gemeinsamen Leben, dass die Ertheilung und Annahme der akademischen Grade etwas Hoffärtiges und Sündhaftes sey; allein von dieser Neuerung hielt sich Th. fern. Fast in allen Briefen von ihm und an ihn, in seinen Vorreden wie in den über ihn öffentlich aufgenommenen Instrumenten wird er nicht bloss als Doctor der Medicin und Chirurgie 251), sondern selbst einige Male als Magister der freien Künste 252) aufgeführt. Er spricht von seinem Eide 253) bei der Promotion und bemerkt 254): „Doctor Helveter, den ihr verachtet, ist euer Meister alle”. Auch weiss er den Doctorgrad gehörig zu schätzen, denn er bemerkt 255), dass ein Arzt, der sich berühme, ein Meister zu seyn, aber die Heilung nicht verstehe, ein halber Doctor, ein Baccalaureus bleiben müsse. Wo er sich geringschätzend darüber vernehmen lässt, da ist nicht die Sache, sondern ihr Missbrauch gemeint. Er hatte von dem echten, gründlich gebildeten Arzte, einen hohen Begriff; um so weher that ihm, dass er so oft das Gegentheil davon sah. In diesem Sinne sind Aussprüche, wie die folgenden, zu nehmen: „Baccalaureus seyn und nichts verstehen, Magister seyn


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und nichts wissen, Doctor seyn und nur wähnen, das ist gar zu wenig” 256). „Ein geschickter Magister ist öfters ein Maluister” 257). „Die künst machen einen Arzt, nicht die Hohenschulen 258), nicht das Baretlein, nicht der Ring” 259). Die Winkelblaser, sagt er 260), tragen Ketten und Seide; die da wandern, vermögen kaum einen Zwilch zu bezahlen. Es gebe zwei Gattungen Aerzte, die aus der Liebe handeln und aus dem Eigennutz. Wer letzterem huldige, könne prächtige Fingerringe 261) und Kleider 262) tragen, und wenn er noch der süssen Worte 263) sich bediene und für jeden Dienst streng nach der Taxe 264) verfahre, so möge ein solcher Doctor allerdings viel stattlicher, denn er, auftreten. „Das ist keine Kunst, Doctor und Meister werden, das Geld thuts; das ist aber eine Kunst, Doctor und Meister wahrhaftig zu seyn” 265). „Der Eid soll Alles verantworten. Will man einen Arzt damit fromm zu seyn zwingen?” 266).

 Von den Männern, welche damals mit dem Rufe ihres Wissens die Welt erfüllten, hatte demnach Th. das seinige nicht abzuleiten. Er hielt sich ihnen nicht verbunden und verpflichtet, und ging getrost seinen eigenen Weg. Da jedoch das geschriebene Wort Jedem zu freiem und beliebigem Gebrauche vorliegt, so mochte er aus dem damaligen literarischen Vorrathe sich aneignen, was seinem Bedürfnisse, seiner Laune zusagte. Auch gibt er zu, dass er „aus vielerley Geschrifften der Alten und Neuen” Nutzen gezogen 267). Eine Erfahrungs-Wissenschaft kann nicht von einem einzigen Individuum


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hervorgebracht werden, und seine Gegner handelten unredlich, die, weil sie bei ihm ähnliche Lehren und Behauptungen wie bei Früheren antrafen, ihn sofort des literarischen Diebstahls bezüchtigten 268). Andere dagegen, um die Vereinigung so vieler Kenntnisse zu erklären, gaben vor, er habe uralte und verborgene Manuscripte ausgeschrieben 269). Er jedoch, im Bewusstseyn, sein Bestes aus ganz anderen Quellen geschöpft zu haben, wies auf den lebendigen Born hin, der allen zugänglich sey. Es sey Zeit, sagt er 270), anzuzeigen, aus welchen Büchern er gelernt habe, damit das Wunder von ihm begriffen würde. Die überlieferten Schriften hätten ihn nicht befriedigt, weil sie den rechten Weg nicht leiteten; darum habe er sie auch verlassen. Da aber der Jünger einen Meister haben müsse, und er nach einem solchen sich umgeschaut, wäre ihm der Gedanke gekommen: wie, wenn gar kein Buch auf Erden wäre und gar kein Arzt, wie müsste gelernt werden? Siehe, da habe er erkannt, dass diese Kunst ohne Menschen Meister zu erlernen sey, nämlich aus dem Licht der Natur.

 Betrachtung der Natur also, eigenes Untersuchen, Nachdenken, Vergleichen, Prüfen, das war die hohe Schule, auf der er seine Studien vollendete, die Bibliothek, mit der er sich vertraut machte. Darum warnt er 271) vor dem Vertrauen auf Bücher: „Die Bücher, so Gott selbst geschrieben hat, die seynd gerecht, ganz, vollkommen und ohne Falsch”. Nirgend mehr als in der Medicin sey eigene Beurtheilung erforderlich. Nicht nach dem Paragraphen dieses oder jenes Schriftstellers dürfe man den Grund der Arznei allegiren, sondern nach der Erfahrung und der Wahrheit 272). In den einzelnen Secten, mögen sie nach Plato, Aristoteles, Scotus oder Albertus benannt


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werden, lerne man Spiegelfechterei. Man soll von dem Phantasiewerke und den Meinungen, so der Mund Gottes nicht rede, lassen 273). Aus dem Bücherwesen erwachse für ein redlich Gemüth nur eitel Widerspruch und Verwirrung 274). „Nicht die Bücher, auff denen der Staub liget, und die die Schaben fressen mögen, auch nit die Bibliotheken, die mit Ketten gebunden, sondern die Element in jhrem Wesen, seynd die Bücher” 275).

 Man darf solche Aeusserungen nicht als Ausbrüche eines ungebildeten und ungebundenen Neuerers betrachten, wegen ihrer Einseitigkeit belächeln, wegen ihrer Derbheit verwerfen. Es sind Laute der Unruhe, der Sehnsucht, die eine grosse, strebende Natur ganz erfüllten und zugleich, was man nie übersehen darf, den Hauptcharakter jener merkwürdigen Epoche ausmachten.

 Das 16. Jahrhundert war die Zeit einer lange vorbereiteten Gährung kirchlicher und wissenschaftlicher Ueberzeugungen. Der Geist wollte sich die bloss durch Ueberlieferung geheiligte Menschensatzung nicht mehr gefallen lassen; diese sollte ihr Bindendes durch ihren eigenen Inhalt bewahrheiten und bekräftigen. So hatten sich zuerst die Kirchenversammlungen gegen die Päbste erhoben; dann verlangten die Reformatoren, dass die Bibel mehr entscheide, als die Beschlüsse der Concilien.

 So lag auch in anderen Gebieten nahe, wo enge Schulansicht, hergebrachter Irrwahn das ursprüngliche Bedürfniss, das Licht der Vernunft nieder zu halten schien, diese gegen jene auf jede Gefahr hin geltend zu machen.

 Th. lebte schon früh mitten unter den einflussreichsten Bewegungsmännern, bei Erasmus, der die philologisch-gelehrte, bei Oekolampadius und Zwingli, welche die christlich-praktische Reformation mit in Gang brachten. Wie sich diese Schweizerischen Glaubenshelden Liebhaber der Wahrheit 276) nannten, so wollte der Arzt auf seiner Bahn gleichfalls solche Liebe beurkunden. Er sagt 277): „Dieweil kein Evangelium in der Arzney bisher beschrieben ist, sollte die Wahrheit weiter zu suchen nicht verboten seyn. Die Arz-


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ney ist gerichtet in die Welt, gleich einem Schiff auf dem Meere, das keine bleibende Statt hat, sondern durch den Schiffmann geführt, nach dem, was begegnet, nicht nach dem gestrigen Wind, sondern nach dem heutigen 278). Die Ungerechten haben ihren Grond gesetzt, dass weiter nichts möge gefunden werden, denn was gefunden ist; die Gerechten aber suchen sie für und für und wollen ihre Kunst bessern 279). Es ist freventlich, ein Neues aufzubringen und das Alte zu verwerfen; so aber Billigkeit da ist, warum sollte es dann nicht geschehen?” 280)

 Unter den Büchern scheint er sich am meisten bekannt gemacht zu haben mit der Bibel, und zwar mit dem neuen Testamente 281). Dieses spielt bei seinen Vergleichungen eine Hauptrolle. Er bringt öfters Stellen daraus bei und wendet sie an auf das Natürliche und Aerztliche.

 Was nun die andern von ihm berührten Schriften und Schriftsteller betrifft, so sind die Namen derselben nicht immer gleich zu erkennen, indem sie zum Theil aus Nachlässigkeit der Abschreiber und Drucker falsch geschrieben, theils durch Witz und Laune vom Verfasser umgeändert oder bloss angedeutet sind. Fast die meisten werden mit tadelnden oder spöttischen Bemerkungen aufgeführt.

 Von Aristoteles heisst es, er habe in der Philosophie einen falschen Grund gelegt 282), wie denn den Griechen Lügen angeboren sey. Dass diese Sprache dazu vorzüglich tange, bezeuge selbst Homer 283). Der Lehrer des Aristoteles, Plato, sey in der Heilkunst von keinem Gewicht 284).



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 Dioskorides habe zwar von den Kräutern geschrieben, diese aber nicht probirt 285).

 Galen heisse mit Unrecht ein Fürst der Arznei 286).

 Der Schreibart Cicero’s 287) lässt er Gerechtigkeit widerfahren, eben so den Geschichtserzählungen Lucan’s 288) und Sallusl’s 289). Mit Juvenal ist er zufrieden, weil dieser äussere, dass allein der fröhlich wandere, der nichts habe 290).

 Plinius schreibe viel von den Kräften der natürlichen Dinge und besonders von den Kräutern; allein er suche darin meistens das Rechte vergehens 291). Actuarius speculirn bloss und wähne 292).

 Die Araber 293) seyen Ungeheuer. Avicenna habe die Kunst, so er beschrieben, nicht erfunden, sondern aus Andern zusammengeklaubt, und wie es einem geschickten Sophisten zustehe, dieselbe in eine gewisse Ordnung gebracht, vielleicht in guter Meinung, aber mit böser Wirkung 294).

 Serapion 295), Mesue 296), el-Zahrawi 297) (Abul Kasim), Moses Ben Maimon 298) und Ahron 299), als Verfasser der Pandekten, werden leicht abgefertigt.

 Macer erklärt er für einen Scribenten, den er nicht hoch achte 300).


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Albertus Magnus habe ohne Erfahrung philosophirt 301). Raymundus Lullius wird nur beiläufig genannt 302). Rupescissa wird als Schwätzer bezeichnet 303). Savonarola genüge nicht, um die innere und äussere Welt zu begreifen 304). Brandt’s Narrenschiff 305) enthalte wichtige Wahrheiten.

 Arnold von Villanova 306), wenn er auf dem rechten Wege zu seyn scheine, gehe gleich wieder davon ab. Mit Platearius 307) kann er sich über die angegebene Wirkungsweise der Mittel nicht vertragen. Aus dem Herbarius 308) sey nichts zu lernen. Im Lumen Apothecariorum 309) sey nichts zu holen; eben so wenig im Viaticus 310).

 Dem Jacobus de Partibus 311) (Desparts) werden die langen Suppen vorgeworfen. Johannes de Garlandia 312) wird als Glossator gebilligt. Marsilius Ficinus 313) erhält das Lob des besten der italienischen Aerzte. Bei


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Bartholomäus de Montagnana 314) suche man vergebens in seinen Consilien die rechten Vorschriften der Heilkunst Petras Argelata 315), den er „von der Leimgruben” nennt, habe Salben erfunden, über die sich Meister Isegrimm freue. Joannes de Vigo 316) habe sich der Lügen nicht geschämt Dem Turrisanus 317) (Torrigiano) wird der Beiname der Demüthige gegeben.

 Bei Lanfranchi, Brunus, Rogerius, Bertapaglia, Guy de Chauliac könne man sich über die neuen Krankheiten keinen Rath holen 318). Gentilis 319), Petrus de Crescentiis 320), Petrus Tartaretus 321), Hugo 322), Sillanus 323) (Niger) dürften kaum empfohlen werden. Valescus de Taranta sey entbehrlich; einer, der zum Dictiren geschickt wäre, wäre darum nicht geschickt zu einem Arzte 324).

 Wie auch das Urtheil über diese Schriftsteller genommen werden mag, so viel ergibt sich, dass Th. mit den vornehmsten jener Zeit eine gewisse Bekanntschaft, ja Vertrautheit besass.

 Es leuchtet ein, dass Th. sich durch solche Aussprüche mannigfache Feindschaften erwecken musste. Die bedächtigen Leser, die Freunde und Verehrer der geschmähten Autoren konnten an solchem, oft gar nicht motivirten Absprechen keinen Gefallen finden. Seine eigentliche Tendenz war nicht Je-


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dem verständlich, noch viel weniger annehmbar. Er aber ging darob unbekümmert seine Bahn, und nur gelegentlich äusserte er eich rechtfertigend über sein Schreiben und sein Handeln.

 Hier dürfte nun der Ort seyn, der Ausstellungen zu erwähnen, die man an seinem persönlichen Charakter machte, und welche durch die geschäftige Hand der Fama und durch Leichtgläubigkeit gehörig vergrössert und ausgemalt das Andenken seines Namens bis in die spätesten Zeiten verunziert haben. Zwar gehört der Mann nur durch das, was er wollte und leistete, der Geschichte an; die Abzeichen und Auswüchse menschlicher Schwächen zerfallen mit der sterblichen Hülle zu Staub und verdienen nicht zur Kunde ferner Jahrhunderte gebracht zu werden. Auch bin ich weit entfernt, das, was tadelnswerth in Th’s Lebens- und Gemüthsart war, beschönigen zu wollen; ich schreibe keine Apologie desselben. Zudem, hätten auch alle jene Nachreden einen guten Grund, so besitzt er doch Ausgezeichnetes genug, um als eine bedeutende Erscheinung, als ein Vorkämpfer und Repräsentant grossartiger Bestrebungen seiner Zeit zu gelten. Aber ein näheres Eingehen in die Hauptanklagen möchte dazu beitragen, ihnen das Auffallende und Herabwürdigende zu benehmen, und über manche ihrer Gründe historischen und psychologischen Aufschluss zu ertheilen.

 Man warf ihm Stolz, Hoffarth, Unverträglichkeit vor; vielleicht nicht mit Unrecht. Es war der Wiederschein seiner ungebändigten Kraft, seines Selbstgefühls, wodurch alle die, so er nicht mochte, oder die ihn nicht mochten, schwer getroffen wurden.

 Als sein Wahlspruch galt 325): „Eines Andern Knecht soll Niemand seyn, der für sich bleiben kann allein”. Auch mögen seine äusseren Formen überhaupt weder die feinsten und mildesten, noch durch Erziehung und Umgang abgeschliffen gewesen seyn. Er wusste das, ja bekannte es selbst, nicht ohne ein gewisses Wohlgefallen 326). Was Andere an ihm für eine grosse Untugend hielten, das schätzte er für eine grosse Tugend und wollte nicht,


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dass es anders wäre. „Mir gefällt meine Art nur fast Wohl. Damit ich mich aber verantwort, wie meine wunderliche Weiss zu verstehen sey, merkent also: Von der Natur bin ich nicht subtil gespunnen, ist auch nicht meines landts arth, dass man was mit Seidenspinnen erlange. Wir werden auch nicht mit Feigen erzogen, noch mit Medt, noch mit Weitzenbrod: aber mit Käss, Milch und Haberbrodt: Es kan nicht subtil gesellen machen. Zu denk dass eim all sein tag anhengt, das er in der Jugent entpfangen hat, dieselbig ist nur vast Grob seyn gegen Subtilen, Katzenreinen, superfeinen: dann dieselbigen, die in weichen Kleidern, und die von Frauenzimmern erzogen werden, und wir, die in Tannzapffen erwachsen, verstehend einander nit wol. Darumb so muss der grob, grob zu seyn geurtheilt werden, ob derselbig sich selbst schon gar subtil, und holdselig zu seyn vermeint Also geschieht mir auch, was ich für Seiden acht, heissen die anderen Zwillich und Trillich”. „Seltzam 327), new, wunderbarlich, unerhört, sagen sie, sey meine Physica, mein Theoretica, mein Practica: Wie kann ich aber nit seltzam seyn, dem, der nie in den Sunnen gewandelt hat.”

 Dem Vorwurfe eines uncollegialischen Betragens, das er nicht ableugnen kann, sucht er dadurch zu begegnen, dass er eben nicht anders habe verfahren können. „Den Aerzten bin. ich Contrarius, aber der Natur Familiaris” 328). „Es sindt mir auch feindt die Apotecker, sagen ich sey wunderlich, kan mir niemand recht thun. Aber Quid pro Quo geben ist mir nicht gelegen” 329).

 Auch über seine praktische Thätigkeit als Arzt, dass er darin zu viel oder zu wenig thue, zu rasch oder zu langsam handle, wurde Beschwerde geführt, worauf er dann nicht verfehlt nach seiner Weise zu antworten 330): „Sie sagen, so ich zu einem kranken komme, so wisse ich nicht von stund an was jhm gebricht, sondern ich bedürf eine zeit darzu biss ichs erfare. Ich beger von tag zu tag je länger je mehr zur Wahrheit kommen. Die Ding zu erwegen, zu ermessen, zu versuchen, so vil uns die Versuchnuss zustehet,


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nit zu verargen ist”. „Wer der warheit nach will, der muss in mein Monarchey, und in kein andere” 331).

 Da er fest überzeugt ist, im Besitze ärztlicher Hülfereichung zu seyn, so bietet er sie seinen Gegnern an, bittend 332): „solche Gabe, mir Gott geben hat, eueren Kranken zu Nutz anzunemen und nicht mit der Personen gleicher Feindschaft zu tragen”.

 Von der Pflicht und den Erfordernissen des Arztes hatte er einen hohen Begriff. „Zu dem Grunde eines guten Arztes gehört auch die Treue 333), nit eine halbe, nit eine getheilte. Dann als wenig in Gott die Warheit mag getheilt werden oder gemischet, also wenig auch die Treu: dann das sind ding, die sich nicht theilen lassen, ais wenig als die Liebe; dann Treue und Liebe ist ein Ding. Nun worin aber ligt die Treue eines. Arztes? Nit allein, dass er den kranken fleissig besuch, sondern ehe dass er den kranken erkennt, sieht oder hört, soll er der Treu ingangen seyn, das ist mit Fleiss und treue gelernt haben, was jm anliegend sey. Dass einer allein lernen will auff den pracht, auff den schein, auf das maulgeschwetz, auf den nammen: das sind alles Untreu und ausserthalb der Liebe”. Dann sagt er wieder 334): „Ein Artzt soll der höchst, der ergründest seyn in allen theilen der Philosophey, Physica und Alchimey, und in den allen soll jhm nichts gebresten: Und was er ist, das soll er mit Grundt seyn, mit Warheit und höchster Erfarnuss. Dann unter allen Menschen ist der Arzt der höchste Erkenner und Lehrer, darnach ein Helfer der Krancken”. Wissen und Versuche müssten beim Arzte immer Hand in Hand gehen 335).

 Ein Ausdruck, der viel Anmassung verräth und ihm auch gemissdeutet


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ward, ist der, wenn er sich in seinem Fache einen Alleinherrscher nennt „Ich werd Monarcha, und mein wird die Monarchey sein, und ich füre die Monarchey und gürte euch ewere Lenden” 336). Da jedoch solche Redweisen damals häufig, namentlich in der Alchemie 337), im bildlichen 338) Sinne gebraucht wurden, so darf man ihm daraus keinen Vorwurf machen.

 Ausserdem ist. nicht zu vergessen, dass nicht Alles,: was Th. sagte, als baare Münze und in vollem Ernste zu nehmen sey. Er liebte und übte Scherz, Witz und Ironie. Dahin sind seine Wortspiele 339) und manche der über ihn aufbewahrten Anekdoten zu rechnen. Er liess einmal die Aeusserung fallen: das Temperament eines Menschen könne man am Sichersten aus dem Niederschläge im Harne dann erkennen, wenn Jemand drei Tage lang gefastet Sein gläubiger Famulus unterwarf sich dieser Pein, brachte sein bischen Aufbewahrtes in einer Schale seinem Meister, um dessen Ausspruch zu vernehmen. Der aber warf sie lachend an die Wand 340). Dahin gehört auch der Schwank, den er in Wien mit den Kaiserlichen Leibärzten soll gehabt haben, als sie zum Andenken eines seiner guten Medicamente sich ausbaten 341); so wie ein anderer mit dem Stadtarzt in Landsberg 342). Auch ist die berüchtigte Anweisung, auf eine neue Weise einen Menschen zu produciren, unverkennbar ein Scherz, mit dem er den Adepten, an den sie (so wie die Dedication des Buchs) gerichtet ist 343), zum Besten hatte. Am Ende dersel-


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ben sagt er: der homunculus würde etlicher maassen einem Menschen gleich sehen, doch durchsichtig ohn ein Corpus 344).

 Nach diesem Allen lässt sich die keck vorgebrachte Behauptung 345), als sey Th. ein Lügner und Betrüger gewesen, ohne Bedenken zurückweisen und dagegen weit mehr Glauben beimessen der Aussage eines andern Autoren 346): es könne durch kein Beispiel dargethan werden, dass Th. je einen Menschen betrogen habe.

 Ganz anders aber verhält es sich mit einer andern Anschuldigung, nach welcher ihm Völlerei, Nachlässigkeit in der ganzen äussern Haltung, Vergeudung seines Vermögens, Rohheit in Sitte und Sprache vorgeworfen wird. Die Angaben hierüber stimmen von mehreren Seiten unter einander überein 347) und werden durch so viele in das Einzelne gehende Erzählungen unterstützt, dass es ganz unstatthaft erscheint, Zweifel darein setzen zu wollen. Auch sind sie von jeher als wohlbeglaubigt angenommen worden, und so konnte Zimmermann in seinem Werke von der Erfahrung 348) über ihn sagen: „er lebte wie ein Schwein”.

 Nun ist aber Folgendes zu erwägen. Die Quelle, woraus jene Vorwürfe flossen, gingen fast nur von Basel aus, und besonders sind es zwei Gewährsmänner, auf die sich die späteren Mittheilungen stützen. Der eine ist Oporin, der Famulus des Th., welcher längere Zeit ihm folgte, um gewisse Geheimmittel von ihm zu erlangen, und unzufrieden, als er diese Hoffnung vereitelt sah, zur Buchdruckerei überging, also jedenfalls kein unbefangener Zeuge. Aber schon sehr frühe wurde die Vermuthung laut 349), dass die unter dessen


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Namen vorhandene kleine Schrift nicht einmal von ihm herrühre, sondern ein untergeschobenes Machwerk der Basler Widersacher des Th. sey.

 Der Andere ist der Dr. Lieber, latinisirt Erastus, der nicht sehr lange nach Th. Medicin in Basel lehrte und denselben in einem besondern voluminösen Buche mit maasslosen Ausfällen überschüttete; ein fanatischer Autor, der auch den hochsinnigen Wyerus, den Bekämpfer der Hexenprozesse, desshalb angefeindet hatte.

 Geht man forschend zurück, so kommt man immer wieder auf diese beiden Namen, als die Hauptquellen jener üblen Nachreden. Betrachten wir nun diese genauer und im Einzelnen, so begegnet uns als die vornehmste, dass er ein zu grosser Freund des Weins gewesen, mit lustigen Brüdern unmässig gezecht und in der Trunkenheit allerlei Aergerniss gegeben habe 350).

 Dieses kann einer derben und kräftigen Natur eingeräumt werden, ohne dass sie gerade in unserer Achtung niedriger zu stehen kommt. Auch galt ja starkes Trinken bei den Deutschen nie als Schimpf, und von dem wackern und gelehrten Eobanus Hessus wird berichtet, er habe es sich zum Ruhme angerechnet, dass er sich sogar von Keinem von Adel habe niedertrinken lassen 351).

 Wenn wir jedoch die Schriften Th’s zu Rathe ziehen, so finden wir, dass er nur der Mässigkeit und Besonnenheit das Wort geredet. „Alles was


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wir handeln, dasselbig soll nüchtern beschehen, mit der Forcht Gottes, und nicht so leichtfertig: dann die Leichtfertigkeit macht auch einen guten Handel ungerecht, wirfft offt einen guten umb” 352). „Der die Natur nit kennt, der liebt sie nicht. Derselbig, der also nichts erkennt, veracht sie, sein Bauch ist sein Gott” 353). „Das höchst und das erst Buch aller Artzney heisst Sapientia, und ohn diss Buch wirt keiner nichts fruchtbares aussrichten. Was ist weisheit? als allein die kunst, dass ein jeglicher sein officium wisse und kenne” 354).

 Sodann wird von ihm ausgesagt, dass er unsauber einher gegangen, und wenn er auch öfter ein neues Kleid angezogen, dieses bald so beschmutzt habe, dass man sich seiner hätte schämen mögen 355). In wie weit sich dieses so verhalten, wird sich nicht ermitteln lassen. Da er jedoch bei vornehmen Herren beständig Zugang hatte, so möchte jene angebliche Nachlässigkeit nicht allzu viel Grund haben. Er liebte und empfahl einen einfachen Anzug und hielt sich über die Aerzte auf, die durch äussern Putz, durch Talar, „das Haar fein gestrelet und ein rothes Barett darauf”, durch kostbare Ringe an den Fingern und dergleichen mehr, dem grossen Haufen zu imponiren suchten 356). Dazu kommt, dass er häufig mit chemischen Arbeiten beschäftigt, den Besuchenden nicht immer in den reinlichsten Kleidern sich präsentiren konnte. Sagt doch selbst sein Gegner von ihm 337): „Immer hatte er seine Laboriröfen im Gange, indem er bald irgend ein Alkali, bald ein Oel des Sublimats oder Arseniks, bald einen Eisensafran, bald ein Wunderbarliches Opodeldoch brauete und kochte”.

 Das Mährchen, er sey gewöhnlich mit einem Henkerschwert ausgegangen, bedarf wohl kaum einer ernstlichen Widerlegung, denn woher weiss


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man, dass es ein solches gewesen? Als von Adel stammend, viel zu Fuss und zu Pferd reisend, hat er sich vielleicht oft mit dieser Waffe, nach der Sitte der Zeit, geziert, wie Melanchthon in Tübingen mit einem Spiesse auszugehen pflegte 358).

 Der Vorwurf, als sey Th. ein schlechter Haushälter gewesen, sey verschwenderisch und leichtsinnig mit dem Gelde umgegangen und dadurch nicht selten in Verlegenheit und Noth gerathen 359), mochte auf manchen andern genialen Kopf auch passen. Er selbst gibt an, man habe ihm „das Seine dieblich entzogen” 360). Andere glauben, er habe sich nur arm gestellt, um den Verdacht der Goldmacherkunst von sich zu entfernen 361).

 Die wahre Ursache, wesshalb er, trotz seiner ausgebreiteten Praxis, keine Reichthümer sammelte, dürfte jedoch ganz wo anders gesucht werden. Er war ein Arzt, der seine Kunst nicht als ein Gewerbe ansah; dem es schwer ward, seine Dienste sich bezahlen zu lassen. Die ihm dargebotene Belohnung wies er häufig zurück und forderte die Kranken auf, sich und die Ihrigen damit zu pflegen 362). Er sagt einmal 363): Wenn er auch sein Geld verdummelt habe, so hätte er doch sein Hauptgut nicht eingebüsst. Die Medicin sey eine Speculation geworden 364); sie würde des Gewinnstes wegen erlernt 365). Die Aerzte suchten den Pfennig, nicht die Kunst 366). Ihr Herz sey weit von der Zunge 367); der Seckel sey ihr Herz 368) Mit Ernst ruft


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er ihnen zu 369). Was ist euch nutz, so ihr aller Kranken Güter gewinnt und sie im Leih verderbet, ist es nicht eure Selbstverdammnuss?

 Das Vorgeben endlich, als habe Th. in seinem ganzen Auftreten wie in seinen Schriften Rohheit der Sitten beurkundet, findet in allem Bisherigen seine Erledigung. Er gab sich wie er war, scharf, trotzig, ja übermüthig; darum hatten seine Aufpasser leichtes Spiel mit ihm. Was jedoch wahrhafte Sittenreinheit betrifft, so dürften wenige Schriften ähnlichen Inhalts sich einer solchen, als wie der seinigen, rühmen können. Er fordert vom Arzt 370): „er soll seyn rein und keusch”, und so trifft man auch nichts bei ihm an, was das Ohr beleidigen, das Gefühl verletzen könnte. Ja Manches, was der Anstand wohl erlaubte, Lateinisch zu geben, sträubt er sich in seine Sprache zu übertragen, „weil es nit wohl in das Teutsh zu bringen sey” 371).

 Vielleicht dass gerade diese seine jungfräuliche Züchtigkeit seine Feinde zu dem Gerüchte veranlasste, als wäre er ein Eunuche gewesen. Auch den Bart wollte man ihm abstreiten; er aber sagt: „Mein Bart 372) hat mehr erfaren, dann alle ewere hohen Schulen”.

 Nach diesem Allen dürfte die Frage, ob die Redeweise und der Aus-


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druck Th’s einen Mangel an wahrer Bildung und Humanität verrathe, eher zu seinen als zu seiner Gegner Gunsten entschieden werden, und eben so der Vorwurf, dass er keine gelehrten Studien gemacht und sich der Deutschen Sprache bedient habe, weil er der Lateinischen nicht mächtig gewesen 573), in Nichts zerfallen.

 Seine Kenntnisse ruhten auf einer breiten Basis; aber er wollte nicht mehr scheinen, als wozu er sich berufen glaubte. Einmal versuchte er einen medicinischen Vers Ovid’s in einen andern, seinem Sinne genehmem, umzusetzen und sagt: Darumb so ich ein Poet wäre, der ich dann nit einer bin, wollt ich den Verss anders machen; und dann, nachdem er die Aenderung vorgeschlagen: „Der einen bessern machen kann, der mach ihn” 374).

 Die Dunkelheit, die Unbehülflichkeit seiner Deutschen Ausdrücke rührt hauptsächlich von der geringen Entwicklung her, die ihnen damals, besonders in seinem Geburtslande, zu Theil geworden. Er ringt mühsam mit der Sprache; er sucht sie neu zu gebären, sich und seinen Bedürfnissen zuzuziehen und anzuschmiegen; wobei nicht zu verkennen ist, dass er oft das Vorbild der alten Sprachen vor Augen hatte. Sicher würde ihn auch nicht Oekolampadius, der mit der klassischen Literatur vertraut war 375), zum Lehrer, ohne diese Kenntniss, vorgeschlagen haben; ganz abgesehen davon, dass, wie Melanchthon selbst äussert 376), jene in der Zwietracht geborne Zeit den humanistischen Studien nicht günstig war.



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 Durch die Gewalt seines Willens und Wissens, durch die Neuheit seiner Ideen, durch die Richtung und den Erfolg seiner Studien, so wie durch seine ganze Persönlichkeit schien Th. berufen zn seyn, der Lehrer seiner Zeit zu werden und einen grossen Kreis von Zuhörern und Schülern um sich zu versammeln. Denn abgesehen von dem äusseren Gewinne, der einer wohlbegründeten ärztlichen Bildung harrt, was zieht strebende Jünger und Jünglinge mehr an, als das Versprechen, sie in dem Erkennen wie in der Ausübung gleich stark zu machen; als die Behauptung, beide müssten sich vollkommen durchdringen und jenes aus dieser hervorgehen; als das Verlangen, dass man Thun und Wollen auf Einen Punkt concentriren müsse? Stellen, wie folgende, liessen sich in Menge häufen: „Es ist gross, zu besitzen das Amt der Artzney, und nit so leicht als etliche vermeinen. Denn zu gleicher weiss wie Christus den Aposteln befohlen hat: Gehet hin, reiniget die Aussetzigen, die Lahmen machend geradt, die Blinden sehend: Diese Ding all treffen auch den Artzt, als wohl als den Apostel” 377). „Niemandt wirt. ein Artzt ohne Lehr und Erfarenheit, und die gar lang und wol: als wenig als vor dem Mayen die Blüh ausschlecht, vor der Ernd das Korn zeitig wirt, vor dem Herbst der Wein: als wenig mögen diese Zeit gebrochen werden in einer jeglichen Erfahrnuss” 378). „Nit der Will, sondern Will und That machen vollkommen die Arbeit. Prüfend euch Selber, dass jr nicht Artzt seind, aber wol Liebhaber; darauff merkend, ob euch Rathen befohlen sey. Die Artzney kompt nit von Liebhaberei, sondern von Erfarenheit. Es möchte einer sein Lebtag lieb haben, und nichts darbey können oder erfaren” 379). „Nicht auss der Speculativa Theorica sol Practica fliessen, sondern auss der Practica die Theorica” 380). „Lesen hat kein Artzt nie gemacht, aber die Practik, die gibt ein Artzt. Dann ein jeglich Lesen ist ein Schemel der Practic, und ein Federwüsch” 381).


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„Die Augen, die in der Erfahrenheit jhren Lust haben, dieselbigen seindt deine Professores” 382).

 Die Ansprüche, welche Th. an diejenigen stellt, welche sich mit der Arzneikunde in seinem Sinne beschäftigen wollen, sind nicht gering: sie sollen von der Natur dazu ausgestattet, mit Vorkenntnissen reichlich versehen und ganz besonders rechtschaffenen Herzens seyn. Er sagt: „Ein guter Artzt soll geboren werden” 383). „Keiner mag ein Artzt sein, es sei dann sach, dass er zuvor ein Philosophus sey, und wisse und erkenne die Natur der Elementen, und jre Früchten, in Gesundtheit und Krankheit, in Natur und Wesen: Alsdann, so er solchen Grundt im Liecht der Natur verstehet, alsdann soll er den Menschen als ein Physicus auch lernen erkennen” 384). „Die Artzney bedarff redlicher Männer, die zun Werken sollend, nit zum Geschwetz” 385).

 Auch weis’t er die von sich, die schon Jahre lang in andern Geschäften sich abgemüht haben. „Kann auss einem alten Lorbeerbaum ein junger Sambucus wachsen? Es ist nit möglich. Der Artzt soll wachsen: wie können die alten wachsen? Sie sind aussgewachsen und verwachsen, dass nichts dann Knorren und Knebel darauss werden. Darumb so ein Artzt auff ein grund stehen soll, so muss er in die Wiegen gesaet werden wie ein Senffkorn, und in derselbigen aufwachsen” 386).

 Von solchen, die sich an ihn anschlossen, hegte er eine Zeitlang die Hoffnung, dass sie seinen Ansichten Ausbreitung und Anerkennung verschaffen würden. „Wie. dünkt euch, ruft er einmal aus, so Secta Theophrasti triumphiren wirt?” Aber bald wurde er in dem Glauben an der werkthätigen Anhänglichkeit der Seinigen irre und wankend. „Zwo Secten, sagt er 387), werden erstehen aus meiner Arzney, die eine die wird weder Gott noch mir danken, die ander, die werden vor Freuden des Dankes vergessen”. Dann beklagt er sich über die Irrungen, die aus dem Missbrauche etlicher seiner


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Schüler entstanden waren 388), und sieht zuletzt mit Missmuth und Bitterkeit auf die Früchte zurück, welche ihm aus seiner Lehrerschaft erwachsen sind. „Je mehr einer den andern underricht, je mehr dieser jhn nachfolgends schendet Wenn ich mir gedenke, dass mich die Lecker, die ich erzogen und ernehret hab darinn, gespeisst und getrenkt, vorgearbeitet und in sie gegossen, wie den Wein ins Fass, und das so ich mit schweren Sorgen erfaren hab, angezeigt, wider mich zu schelten und zu sehenden an gericht, die von mir, als von jhrem Professori, kein sehenden nie gelernt hatten” 389).

 Zu diesem Zerwürfniss zwischen Meister und Gesellen, zwischen Lehrer und Schüler mag Vieles beigetragen haben. Zuerst und vornehmlich sein lebhaftes, ja heftiges Temperament Bemerkt er ja selbst 390): „Es ist ein klag ab mir, von meinen Verlassenen Knechten etlichs theils, und Discipulis auch etlichs theils, dass ihrer keiner meiner wunderlicher weiss halben könn bei mir bleiben“. Sodann die Grösse und Strenge seiner Anforderungen. Er verlangte, man solle nach einem inneren Gute trachten, während cs Jenen, dem Brauche, der Zeit gemäss, nur um recht viele Wunder- und Geheim- Mittel zu thun wär. Dazu kam sein unstätes Leben, sein vieles Reisen, sein früher Tod. Gewiss ist, dass mit seinem Hinscheiden seine Monarchey, wie er sie nannte, zerfiel; Keiner erstand durch ihn, nach ihm, der in seinem Geiste ihm nacheiferte, dir das Gebäude, wozu er den Grund gelegt, den Riss entworfen, die Steine zusammengebracht hatte, weiter ausführte. Denn von jenen nachherigen Anhängern und Nachbetern, die sich nur an die leeren, hohlen Wortformeln, an die Spreu seiner Schriften hielten, kann hier nicht die Rede seyn.

 So erscheint denn Th. als ein Meteor, das mit augenblicklichem Glanze am Horizonte seiner Zeit dahin fuhr und spurlos verschwand. Späteren Geschlechtern aber war es vorbehalten zu erkennen, dass es kein wegflammendes Irrfeuer war, sondern ein Gestirn, das Licht und Wärme, so wie alle Keime einer gesetzmässigen Bewegung und Entwicklung in sich trug.




{Vorlesung am 22. Mai 1841}

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 Was über die Schriften und die persönlichen Verhältnisse des Th. v. H. in den beiden vorangehenden Vorlesungen eben so zur Abwehr ungerechter Urtheile über ihn als zur Bezeichnung seiner Eigenthümlichkeit vorgetragen worden, konnte als Vorbereitung dienen für die Feststellung des von ihm behaupteten wissenschaftlichen Standpunktes. Da er seinem Bestreben wie seinen Leistungen nach vorzüglich als Arzt auftritt, so kann die gegenwärtige Aufgabe nur. darin bestehen, darzuthun, wie er diese seine nächste Berufsthätigkeit ansah und auf die einzelnen Theile derselben durch That und Lehre einzuwirken sich befleissigte.

 Wer sich der Mühe unterzieht, seine Werke prüfend durchzugehen, namentlich diejenigen, welche als wahrscheinlich ächt, das unmittelbare Zeugniss seines Wollens und Forschens sind, wird sich verschiedenartiger, ja widerstreitender Eindrücke nicht erwehren können; er wird sich bald angezogen, bald abgestossen, bald belehrt und gehoben, bald verdüstert und. beengt fühlen. Aber als letztes Ergebniss wird man doch Folgendes von ihm als Heilkünstler auszusagen sich gedrungen sehen:

 Das Charakteristische an ihm ist eine Tiefe der Gedanken, ein Erfassen des Wesentlichen, ein. Geltendmachen der menschlichen Beziehungen. So fleissig .er auch durch Beobachtungen und Versuche die Natur zu studiren sich abmühte, so ist doch nicht zu verkennen, dass das Einzelne einen untergeordneten


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Werth bei ihm hat, dass er sich mehr bestrebt Begriffe, Grundsätze, Uebersichten zu gewinnen und die sinnliche Masse zum Eigenthum des Geistes umzuwandeln. Er will, dass der Arzt das Geheimniss der kranken Natur durch sinniges Nachdenken und Vergleichen herausahne; dass er jeder sichergestellten Wahrnehmung mit selbstständigem Urtheil ihre Stelle in dem Kreise der Erkenntniss einräume und durch eine angemessene Deutung ihr einen bleibenden geistigen Werth verleihe. Auch wendet er sich nicht selten mit kernhaften Aussprüchen an das theilnehmende, menschliche Gefühl; er fordert den Arzt dringend auf, sein Amt als das eines sorgsamen und schonenden Helfers zu betrachten.

 Er ertheilt keine Unterweisung, wodurch man Schritt vor Schritt, ruhig und consequent zur Erlernung des Nothwendigen und Nützlichen angeleitet, und mit den Gegenständen des Fachs im Zusammenhange vertraut gemacht wird; man vermisst sehr oft den Führer; man fühlt sich aber dafür auf Höhen getragen, wo man über den allgemeinen Ueberblick staunt; man sieht sich in Regionen versetzt, wo leuchtende Gedankenblitze und überraschende Gleichnisse den Mangel an positiven Belehrungen vergessen lassen.

 Um eine so ungewöhnliche Persönlichkeit nach ihrem wahren Verdienste zu würdigen, ist es erforderlich, einen Blick zu werfen auf den Zustand der Medicin in Deutschland zur Zeit des Theophrast.

 Die Nachbarstaaten besassen mehr oder weniger Aerzte, die durch eigenes Naturstudium oder durch umsichtige Bearbeitung des Ueberlieferten dem Erlernen wie der Ausübung der Medicin die rechte Bahn anwiesen; Italien hatte für die Anatomie einen de la Torre [† 1512], für die Kritik der Alten Nic. Leonicenus [† 1524], Frankreich für die Behandlung der Entzündungen P. Brissot [† 1522], für die Auslegung der Griechischen und Arabischen Beobachter S. Champier [† 1535]; nur im eigenen Vaterlande war noch keiner erstanden, der mit Macht auf die Erfordernisse einer besseren Lehre, auf den eigentlichen Born der Kunst hingewiesen; denn ein Martin Pollich, obgleich „Licht der Welt” geheissen [† 1513], dürfte wohl nicht als solcher gelten.

 Die Aerzte waren in Secten getheilt, in Scotisten, Thomisten, Albertisten u. s. w. und stritten um Worte. Die Ausgezeichnetsten reis’ten nach Ita-


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lien oder bildeten sich nach den Muttern dieses Landes. Einer der gefeiertsten und einflussreichsten war Johann Manardus von Ferrara [† 1536].

 Wie wenig Aufklärung über die Vorgänge des Körpers oder die Mittel, die Gesundheit zu erhallen, von den Kunstgenossen ausging, ersieht man unter anderm daraus, dass eines der ältesten Volksbücher „Albertus Magnus von Weibern und Geburten der Kinder, sammt denen dazu gehörigen Arzneien” lange in ungeschwächtem Ansehen sich behauptete.

 Vergebens sucht man auch unter den zuerst bis zum Jahre 1520 in Deutschland gedruckten Büchern classische medicinische Schriftsteller. Wäre häufige Nachfrage nach ihnen gewesen, so würden sie wohl aus den Officinen hervorgegangen seyn, denn bekannt wären sie; allein man fand seine Rechnung besser bei Schriften mit allgemeinen Gesundheits-Vorschriften und Sammlungen von Recepten; dergleichen konnte nicht oft genüg aufgelegt werden. So findet man unter den ersten Druckwerken das Arzneibuch von Ortolf von Bayrland, Hans Voltzens Büchlein von den warmen Bädern u. s. w. Von Deutschen Uebersetzungen beliebter Lateinischer Schriften fanden am meisten Anklang das Regiment der Gesundheit; das Buch des Marsilius Ficinus von dem gesunden und langen Leben, und die Anweisung von Lanfrank, wie sich die Chirurgen gegen einen jeglichen verwundten Menschen halten sollen.

 Der Unterricht auf den Universitäten war dürftig; eine Anleitung zur selbstständigen Betrachtung und Prüfung der natürlichen Erscheinungen fand nicht Statt.

 Wenn daselbst die Anatomie nach Mundinus gelehrt und zur anschaulichen Erklärung Schweine zergliedert wurden, so konnte man von Glück sägen. Das gangbare Compendium war das von Jacob Peiligh, und zur Erläuterung dient das. Anthropologium von. Magnus Hundt.

 In die Botanik führte Johann von Cube ein mit seinem Garten der Gesundheit. Otho Brunfels [† 1534] bildete vaterländische Pflanzen naturgetreu ab, und Euricius Cordus [† 1535] lieferte einige gute Beschreibungen so wie Erklärungen über die Pflanzen des Dioskorides. Der Vortrag über Arzneimittellehre hielt sich grösstentheils an Paul Suardi’s thesaurus aromatariorum.

 Als die beste Schule für Chirurgie galt Strasburg, und unter den dort gebildeten Männern erwarben sich als Schriftsteller vorzugsweise einen nam-


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haften Ruf Hieronymus Braunschweig, der auch von chemischen Operationen handelt, und Johann von Gersdorf.

 Wer jedoch alle diese genannten oder die übrigen zugänglichen Werke mit dem wesentlichen Inhalt der ächten Schriften des Th. vergleicht, der wird nicht umhin können, über die Fülle und Neuheit der Thatsachen so wie über das Treffende und die Einfachheit der Bemerkungen sich zu wundern.

 Hören wir zuerst, wie er über die Medicin im Allgemeinen urtheilt; wie er ihre Gränze bestimmt, ihre Untheilbarkeit vertheidigt, sie für eine Erfahrungswissenschaft erklärt und über die Zulässigkeit der Theorie sich äussert:

 So ungewiss auch die Arzneikunst erscheine, so liege dieser Vorwurf nicht sowohl an ihr, als an dem, der sie gebrauche 391). Sie daure bis an den jüngsten Tag, wenn auch alle Aerzte abstürben 392). Eine Gränze sey ihr angewiesen, und das Unmögliche von ihr zu verlangen, sey nicht weise 393).

 Man dürfe die Arznei durchaus nicht als eine getheilte betrachten 394);


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zwischen Arzt und Wundarzt finde kein wesentlicher Unterschied Statt 395); nur in der Ausübung sey eine Tennung zu gestatten 396).

 Die Medicin sey nichts, als eine grosse gewisse Erfahrung. Für eine solche dürfe nur ausgegeben werden, was gerecht und wahrhaft erfunden würde. Sie müsse mit der Wissenschaft identisch seyn 397). Eine Jede Erfahrung dürfe man übrigens nur wie eine Waffe, nach Art ihrer Kraft gebrauchen 398). Gewissen Leuten ruft er zu 399): „Euch hat todten gewitzigt Das beisst keine Kunst der Artzney, sondern eine Erfarenheit auss dem Mörderischen Weg”.

 Nur diejenige Theorie sey die rechte, welche aus dem Licht der Natur komme und nicht aus erdichteten Köpfen 400). Als Lehrmeister der medicinischen Theorie dürfe nicht die Phantasie gelten, sondern das, was die Au-


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gen sehen und die Finger tasten 401). Speculiren mache keinen Arzt, sondern die Kunst; diese aber sey ein Experiment; durch die Hände erfunden 402).

 Die Aufgabe des Arztes kann Th. nicht hoch genug hinstellen; er verlangt Erkenntniss der offenen und geheimen Naturvorgänge, reine Gesinnung und tüchtige That.

 Der Arzt müsse durch der Natur Examen gehen. Was ihn die Natur lehre, das müsse er seiner Weisheit befehlen; nichts aber blos in seiner Weisheit suchen, sondern im; Licht der Natur 403). Da der Arzt vor Allen der sey, der Gott am höchsten preisen und loben könne, so soll er auch am meisten wissen 404). Ihm komme es zu, das Innere, das Heimliche, zu sehen 405).

 Das Höchste, so der, Arzt habe, sey die Kunst, dann die Liebe und die Hoffnung. Die Liebe lehre die Kunst und die Hoffnung gebe das rechte Vertrauen 406).

 Der Arzt müsse sanft seyn 407), wahrhaft, ernst und vorsichtig in sei-


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ner Rede 408). Die ächte Kunst bestehe jedoch nicht sowohl im Wissen, als im Vollbringen 409).

 Ohne Werk sey der Arzt nichts 410). Ein Theologe dürfe von Gott reden ohne Werk, aber der Arzt müsse wie ein Heiliger mit Worten und Werken bestehen 411). Das Werk müsse seinen Meister, nicht der Meister sein Werk rühmen 412). Die Wahrheit dulde süsse Rede nicht 413).

 Dasjenige werde aus der Arznei, was man aus ihr mache 414). Um aber das Mögliche damit auszurichten, sey unerlässlich, das gehörige Benehmen gegen die Kranken zu behaupten, ihren Muthwillen zu brechen, sie zum Gehorsam anzuhalten 415).

 In dem Maasse als Th. das rein Menschliche im Arzte achtete und ihm Geltung zu verschaffen suchte, eiferte er gegen das rücksichtslose egoistische Benehmen und gegen den herzlosen Eigennutz.

 Eine Schattenseite der Aerzte sey die, dass sie sich einander weder Ehre noch Lob gönnten, und dass sie, aus wechselseitigem Neide, eher die Kranken verderben liessen 416).



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 Von einer gesetzlichen Bestimmung, Geld zu geben für Kunst und Arbeit, welche den Kranken getödtet, könne nicht die Rede seyn 417). Gesetze, welche die Handlungsweise des braven Arztes schirmen, seyen nothwendig; allein sie dürften nicht zum Deckmantel des Unverstandes oder der Bosheit dienen 418).

 Ueber das Verhältniss, in dem Th. zu seinen Kunstgenossen so wie zur Heilkunst seiner Zeit stand, spricht er sich unumwunden aus, und es ist wohl nicht unangemessen sein eigenes Bekenntniss vornenherein zu erfahren. Er sagt: Der Aerzte gäbe es verschiedene; die einen heilten durch das Gegentheil, die andern durch specifische Mittel; die dritten durch gebietende Worte; die vierten durch geheime Kräfte und wieder andere durch den Glauben 419). Wer jedoch der Wahrheit nachwolle, der müsse in seine Monarchey 420). Er bringe eine neue Medicin zu Tage, und wenn einer fragen sollte, wer ihn lehre das zu thun, so würde er wieder fragen: wer lehre das heutige Laub und Gras wachsen 421)? Durch die Fehler der Andern sey er gezwungen worden einen neuen Weg zu gehen. Wer es mit den Kranken treu meine und der Natur nachfolgen wolle, der würde ihn nicht fliehen 422). Aber da


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Viele Christus nicht nachfolgten, sondern ihn verachteten, so lange er noch unter ihnen wandelte, so könne er für sich keinen besseren Theil erwarten 423).

 Anatomisch-physiologische Kenntnisse wären am Ende des 15ten und in der ersten Zeit des löten Jh. in Deutschland noch nicht zu Hause. Auch die Schriften Th’s enthalten davon kaum eine Spur. Den Ausdruck Anatomie gebraucht er für jede genaue Untersuchung. So spricht er von der Anatomie der Heilmittel 424).

 Zur Ergründung der Krankheitsursache hielt er die Zergliederung der Theile für unwesentlich; die Kenntniss des Gehirns kläre das Wesen der fallenden Sucht nicht auf 425); dagegen gab er ihren Nutzen zu für die Erklärung und Behandlung der in das Gebiet der Wundarzneikunst gehörigen Uebel 426).

 Dass übrigens Th. in diesem Gebiete keineswegs Fremdling war, sondern dieses auch auf seine Weise sich bekannt zu machen suchte, wird aus Folgendem erhellen.

 Er vergleicht die Haut des Menschen mit einer Blase, die von ihrem Inhalte etwas durch die Poren durchlasse. Der Körper habe eine austreibende


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Kraft; aus dem, was herauskomme, könne der erfahrne Arzt auf das Inwendige schliessen 427).

 Es sey falsch, dass die Leber durch die Ohren, die Milz durch die Augen sich reinige. Wäre letzteres richtig, so müssten Arzneien, die weinen machten, Krankheiten der Milz, ihre Anschoppung oder das Quartanfieber heilen 428).

 Die Menstruation müsse für eine Excretion des Uterus angesehen werden 429).

 Das Blut ziehe seine Nahrung an sich, verdaue sie in sich selbst und scheide das Fremdartige 430) ab. Brod sey Blut, doch wer sähe es? Fett werde Blut, niemand aber greife es. So gut verstehe diess der Meister im Magen 431).

 Die Adern in den Lungen seyen der Magen der Lungen; in ihnen rei-


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nigten sie das Reine vom Unreinen. Das ihnen zustehe, behielten sie; das andere würfen sie durch ihre Röhren zum Munde hinaus 432).

 Man sage, die Lungen bliesen dem Herzen zu, dass dieses Kühle habe; allein die Kühle, welche jene machen, diene dem ganzen Leibe 433).

 Es komme auch nicht alle Hitze vom Herzen, sondern ein jeglich Glied habe seine Hitze von sich selbst 434).

 Die Zeugung geschehe einzig durch den Saamen 435). Was jedoch den Menschen bilde, das sey unsichtbar. Die Frau sey nur die Welt, in der er geboren werde. Wie Gott den Menschen nach seinem Bildnisse anfänglich geschaffen, so thue er es noch 436). Das Kind entwickle sich im Leibe der Mutter wie ein Gewächs in der Erde, das von einer Form in die andere übergehe 437). Ein guter Saamen bilde eine gute Frucht; wie jedoch die Frau ihre eigene Krankheit in sich schliesse, so könne sie auch die des Mannes in sich aufnehmen 438). Ein gewisser Einfluss der Einbildungskraft könne nicht in Abrede gestellt werden. Wie der Magnet das Eisen an sich ziehe ohne Hände und Füsse, so ziehe das Auge manches Ungreifliche in sich 439).



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 Die Wärme spiele beim Weiterbilden eine wesentliche Rolle. Durch anhaltende Wärme würde die schleimichte Feuchtigkeit zu einem lebendigen Hühnlein ausgebrütet. Jeder könne unter seinen Achseln ein Ei ausbrüten 440).

 Die geheime Kraft, welche das Einzelne zu seiner Vollendung bringt, bezeichnet Th. durch den Ausdruck Archäus 441) oder Adech 442). Sie ist ihm gewissermassen der innere Schmidt 443), der aus seinem Eisen Alles zurecht hämmert 444); der Laborant, der ohne Zuthun des Menschen selbst für sich arbeitet 445). So würde aus der Nahrung im Magen das zugerichtet, was


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der Körper brauche 446); so würden überhaupt alle Absonderungen und Zerstörungen vorgenommen und durchgeführt 447).

 Die besondere Art, welche der Einzelne habe, müsse als angeborne Gabe betrachtet werden 448). Der Traum sey eine fliegende Art des Glaubens 449). Der Geist würde aus unsern Gedanken geboren 450); im Kinde sey desshalb noch kein Geist anzunehmen, weil es noch keinen vollkommenen Willen habe 451).

 Die allgemeine Pathologie, die früher sogenannte Philosophie des kranken Körpers, oder die Untersuchung der Bedingungen und Verhältnisse der Krankheit im Grossen, gehörte unverkennbar zu den Lieblingsgegenständen des Th., denn hier hatte er eine freie Bahn für eine selbstthätige Betrachtung und Prüfung.

 In jeder Krankheit, so sagt er, habe man zu erwägen den Irrthum der Natur, oder die Art, wie sie gradweise über das angewiesene Maass hinaustrete, dann die verborgene Wesenheit der Krankheit, und die bis auf ihn noch gar nicht gehörig gewürdigte Zeit 452).

 Die Krankheit ist ihm ein sehr relativer Begriff, weil die Gesundheit so sehr wechselt. Wie es nämlich in Betreff der Weiche mehrfache Grada-


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tionen des Silbers gebe, jede aber doch dieses Metall sey, ebenso verhalte es sich mit der Störung der Gesundheit 453).

 Eine vollkommene Gesundheit fände sich so wenig als ein Stück Erde ohne Unkraut 454).

 Die Krankheit an sich sey unkörperlich; und da man sie so wenig als den Wind fassen könne, so dürfe man auch nicht blos mit materiellen Mitteln sie heben wollen 455).

 Nicht jede Krankheit offenbare sich als solche; sie halte sich öfters verborgen, nehme eine fremde Gestalt an, was der Arzt wohl zu bedenken habe 456).

 Th. erklärt es für dringend nothwendig, den Ursprung einer Krankheit zu erforschen; er sagt: „jedliche wil sein gantzen Philosophum haben” 457). Uebrigens sey es hinreichend, wenn der Arzt die hauptsächliche Ursache ergründe 458).

 Am meisten komme darauf an, den ersten Anfang herauszubringen, und wie das eine in das andere übergehe 459). Allein man habe sich wohl zu hüten, Alles in den äusseren Dingen, am Himmel, in der Luft u. s. w. finden zu wollen 460).



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 Krankheit entstehe gewöhnlich durch Uneinigkeit der Theile, wenn die einzelnen in ihrer Quantität und Qualität sich nicht zu behaupten vermögen; und so zeige sich ihr erster Ursprung als eine Nothwendigkeit 461).

 Der Grund der Krankheit sey verschiedenartig; ein Arzt, der das nicht einsehe, sey blind 462). Es komme nicht nur die Verirrung des eigenen Körpers, seine Selbstzerbrechung in Betracht, sondern auch der Einfluss der Gestirne, der nachtheiligen Genüsse, so wie die Potenzen des Geistes und Glaubens 463).

 Da alle Dinge aus dem Saamen entständen, so könne eine Theorie der Krankheit blos aus der Kenntniss der Krankheitssaamen hervorgehen 464). Wenn übrigens die materia peccans den Saamen liefere, so dürfe das, was


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aus dem Saamen wächst, nicht für die Krankheit selbst gehalten werden, sondern nur für die Wurzel derselben 465).

 Die Anlage zur Krankheit wie zum Benehmen müsse oft in der Zeugung gesucht werden, und zwar im Saamen des Vaters 466). Hierin liege die Ursache vieler Leiden, selbst mit materieller Grundlage 467). Der Saame der Eltern, woraus das Kind wachse, enthalte die Giftigkeit oder Gesundheit von jenen 468). Bei der Empfängniss würde eine solche eingeleibt 469). Uebrigens könne auch eine Krankheit durch das Stillen angesäugt werden 470). Die angeborne Ursache sey unbekannt, aber das, worin sie wirke, sey dem Arzt unterworfen 471).

 Die alte Lehre von den 4 Cardinal-Flüssigkeiten bestreitet Th. auf das kräftigste. Er sey weit davon entfernt, den Leib in diese 4 Elemente zu theilen 472). Da keiner sie gesehen, so begreife sich schwer, wie man den Ur-


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sprung der Krankheiten aus ihnen herleiten möge 473). Ihre Annahme sey eine Erdichtung 474), und man verberge seine Lügen in diesen Feuchtigkeiten 475).

 Wer blos böse Säfte beschuldige, der wisse nichts als ausleerende Mittel anzurathen 476). Allein woher habe man denn die Kenntniss, dass in dem einen Organ diese, in dem andern jene Flüssigkeit ihren Sitz habe? so oft er diese Theile untersucht, habe er diese angeblichen Säfte in ihnen nicht finden können 477).

 Der gewöhnliche Schluss von den Säften sey aber unrichtig, weil sie nämlich von der Krankheit geboren würden und nicht die Krankheit durch sie. Der Schnee mache den Winter nicht, der Winter aber den Schnee. Durch das Wegnehmen des Schnee’s entferne man den Winter nicht, und wenn auch kein Schnee im Lande sey, so könne der Winter dauern 478).

 Die Zerrüttung der Vernunft im Menschen entstehe nicht durch Hitze oder Kälte, Feuchte oder Trockenheit, sondern aus der eigenen inneren Verfassung. Wenn man einen Stein unter einen Haufen Vögel werfe, so würden sie nicht durch Kaltes oder Warmes aufgescheucht, sondern durch den Stein 479).

 Auch die Gewächse hätten Krankheiten, und doch suche man in ihnen weder die schwarze noch die gelbe Galle 480).



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 Der Schweiss des Menschen sey gesalzen; er dringe aus dem Blute, welches Salz enthalte. Wie könnte auch ein Mineral ein Saft seyn 481)?

 Eine jede Krankheit entspringe für sich selbst aus ihrem Keime 482).

 Es gehörten Luchs-Augen dazu, um zu sagen, von welchen Krankheiten das Blut die Schuld trage. Allein wisse man denn, was das Blut ist 483)?

 Die Krankheit sey etwas durchaus Selbstständiges. Das Temperament würde mehr durch das Leben gegeben, und ihr Einfluss komme wenig in Betracht. Die Krankheit liege da wie ein Schwerd, das da schneide, ohne alle Complexion 484).

 Die Untersuchung von der Ansteckung interessirte Th. ganz vorzüglich, theils weil dieser Vorgang zu den dunkelsten der Pathogenie gehört, theils weil die damals für neu geltende, gewaltig wüthende Lustseuche um so mehr zu einer wissenschaftlichen Ansicht aufforderte, als die Unklarheit der Aerzte über die Natur dieser Krankheit fast so viel Unheil anstiftete als das Uebel selbst.

 Drei Krankheiten waren es hauptsächlich, die sein Nachdenken in Anspruch nahmen, nämlich die Hundswuth, wobei blos ein fixes Contagium in Frage kommt; die Pest, wovon geglaubt wurde, dass die den Befallenen zunächst umgebende Luft den Krankheitsstoff in sich aufzunehmen vermöge, und die Lustseuche, wo man ungewiss war, ob dem Ausbruch der Krankheit jedesmal eine Ansteckung vorangegangen seyn müsse.

 In Betreff der Mittheilungsweise des Wuthgiftes versucht Th. folgende Erklärung: Wenn der Hund beisst, so hefte er seine ganze Natur und Attention auf die Stelle, und ebenso der Mensch, der dadurch in sich erzittere. Die Fantasey beider füge sich in einer Schnelle zusammen, so dass des Menschen Speculation von des Hundes Imagination vergiftet würde, gleichsam wie


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wenn zweierlei Rauch oder verschiedene Gerüche in einander gingen. Die Fantasey des Menschen ziehe wie ein Magnet die der andern in sich, worauf er es dann, wie durchs Gehör oder Gesicht, ebenso habe als der andere 485).

 Die Luft des Pestkranken könne das Uebel verbreiten 486).

 Die venerische Krankheit verpflanze sich einzig nur durch das syphilitische Contagium. Dit gewöhnliche Weise geschehe durch die Beiwohnung; aber auch durch die Zeugung oder Vererbung, sowie durch Berührung inficirter Stoffe, könne dieses Uebel übertragen werden 487).

 Wie der Kieselstein mit Feuerfünklein begabt sey, also sey auch der Saame eines Ausschweifenden mit Französischen Fünklein begabt, die herausfallen durch das Feuereisen Coitus 488). Wie einer, der nass zu einem Trocknen sich legt, diesen auch nass mache, so gehe von der französischen Krankheit eine Feuchtigkeit oder ein Dunst auf den andern 489). Venus sey dieser Krankheit Mutter; ohne Befriedigung sinnlicher Lust finde keine Befleckung Statt 490). Luxus sey der Ackermann und sperma der Acker 491).

 Es sey ein Naturgesetz, dass immerfort ein Saame einen Saamen gebäre. Nur wer von der venerischen Krankheit verunreinigt würde, bekomme sie 492).

 In Betreff der Erblichkeit sey zwar der Vater nicht im Sohne, aber sein Bild und die Franzosen und deren Gift sey in ihm 493).



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 Th., der so viel selbst gewandert, erfuhr öfters die Abhängigkeit der Krankheitsform wie der Behandlungsweise vom Klima und der Ortslage. Darum hebt er auch den Einfluss des Raumes auf die Krankheit hervor und sagt, ein jeder müsse auf der Erde Bescheid wissen und gewissermassen die Theorie der Länder und Nationen studiren. Jedes Volk verlange Seine eigenen Vorschriften; er schreibe blos für Europa; ob Asien und Afrika den rechten Gebrauch davon machen: können, das wisse er nicht. Er ruft aus: „Erfarung der Terrarum ist noth“ 494).

 Wenn jeder Arzt die physischen Eigenthümlichkeiten seines Landes beschriebe und diess allgemein geschähe, dann wäre es möglich ein medicinisches Werk von Land und Wassern ebenso wahrhaft zu verfassen wie eine Landkarte der Erde 495).

 Wer sieht nicht, dass so Th., mit Hinblick auf die bekannte Hippokratische Schrift, den Gedanken einer geographischen Nosologie und medicinischen Topographie ausgesprochen?

 Er selbst liess keine Gelegenheit vorübergehen, ohne auf das hinzuweisen, was ihm Bemerkenswerthes in einzelnen Ländern aufgestossen. So hebt


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er z. B. hervor, dass die Steinkrankheit in Kärnten häufig vorkomme 496), während er sie im Veltlin bei den eigentlichen Einwohnern kaum gefunden habe. Auch das Podagra gehöre daselbst zu den Seltenheiten 497).

 Das Wort „allgemeine Therapie“ wird man in den Schriften Th’s nicht suchen; die systematische Bearbeitung, dieser Lehre ist späteren Ursprungs; allein die Sache, der Inhalt findet sich dort. Auch lässt sich erwarten, dass ein so denkender Arzt nach bestimmten Grundsätzen gehandelt und sich bemüht haben werde, den Gang. der. Natur bei der Heilung zu erforschen, welchen die Kunst nachzuahmen. und auf bestimmte Gesetze und Regeln zu bringen hat.

 Hören wir einige seiner Grundsätze: „Blos heilen ist nicht die Arzney: wohl heilen vor gegenwärtigen und zukünftigen Zufällen, das ist die Kunst” 498). „Die Natur lässt sich nicht übernölen, noch in ein anderes Wesen treiben: du musst ihr nach, und sie dir nicht Bringest du Artzney, die der Natur nicht bequem ist, so verderbst du sie: denn sie folget dir nicht, du musst ihr folgen” 499). „Das ist die rechte Arzney, die eine Krankheit austreibt, wie sie begert Das ist aber eine böse Arzney, die die Krankheit nach jhrem Sinn zu ziehen unterstehet” 500). „Ein jeglicher soll betrachten, dass ein Arzt allein der Natur Diener ist, und nicht ihr Herr: Darum gebüret auch der Artzney nachzufolgen im Willen der Natur” 501).

 Th. warnt davor, dass man nicht nach einer blos theoretischen Annahme zu heilen suche; er ertheilt den Rath, dass man Umsichtig verfahre und vor Allem auf die Kraft Rücksicht nehme 502).



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 Das Mittel, welches man verordne, müsse so eingerichtet werden, dass dessen Zeit mit der der Krankheit zusammenstimmt 503).

 Das Göttliche im Genesungsprocesse, die dem Organismus eingeborne Erhaltungskraft erkannte Th. am deutlichsten bei der Heilung der Wunden. Voll Bewunderung dieses selbstständigen Naturbestrebens ruft er aus 504): die Natur ist der Arzt der Wunden !

 Der Wundarzt habe sich bei der verletzten Stelle wohl zu hüten den Balsam der Natur zu entfernen oder zu verderben; im Gegentheil müsse er ihn schützen, damit dieser in seiner Kraft und Wirkung bleibe 605). Der Wundarzt soll wissen, dass er nicht der ist, der da heilet, sondern der Balsam 506).

 Da die Wunde von innen heraus wachsen müsse, so könnte die Arznei blos ein Defensiv gegen schädliche äussere Einwirkungen seyn 507).



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 Bei Beinbrüchen thue die Natur Alles selbst; die von Aussen erforderliche Hülfe wäre unbedeutend 508). Jedes Glied habe seinen Arzt in sich selbst 509).

 Wie wenig es der Unterstützung von Seiten der Kunst bedürfe, das zeigten die Thiere. Dem Hunde würde seine Wunde dadurch wieder gut, dass er sie belecke 510); die dem Ochsen entzwei geschlagene Rippe verheile von selbst 511).

 Die Zeit für sich übe eine ausgleichende Macht aus. Ein Uebel, das lange genug gedauert, höre von selbst auf, wie ein Regen, der eine Weile angehalten 512).

 Die Natur wisse, wann sie heilen solle, der Arzt nicht immer; darum dürfe er auch blos die Natur beschirmen 513).

 Wollten die Aerzte beichten, so müssten sie bekennen, dass Manche eher gesund würden ohne sie, denn mit ihnen, sofern sie der Natur ihr Werk überliessen 514).

 Die Anzeigen zur Behandlungsart, welche Th. ertheilt, leiten durchaus


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auf das Wesentliche hin. So heisst es: Jede Cur soll aus dem letzten Grunde entspringen und nicht aus erdachten Subtilitäten. Auf die erste Ursache der Krankheit müsse zurückgegangen werden, nicht auf die Zufälle. Den Rauch suche man ja nicht zu löschen, sondern das Feuer; der Rauch zeige das Feuer an, sey dieses aber nicht 515). Erst dann könne die Krankheit vergehen, wenn ihre Ursache gehoben worden 516).

 Auch über die Frage, ob die Symptome einer Krankheit durch solche Mittel, welche ähnliche Wirkungen, oder durch solche, welche entgegengesetzte hervorbringen, zu bekämpfen seyen, spricht sich Th. aus. Er scheint die gemeinhin geltende Annahme, als müsse jede Krankheits-Erscheinung durch eine ihr entgegengesetzte ohne Weiteres aufgehoben und vernichtet werden, nicht gelten zu lassen. Sicher aber war er weit davon entfernt, hiermit einen Grundsatz zu adoptiren, der in der neuesten Zeit auf die Spitze gestellt und bis ins Unglaubliche ausgesponnen zu endlosem Missbrauch Veranlassung gegeben hat.

 In der Medicin, sagt er, sey blos die Krankheit der Gesundheit widerwärtig, nicht aber das Mittel dem Uebel, weil es etwan entgegengesetzter Beschaffenheit wäre. Dass Heisses Kaltes vertreibe, sey in der Arznei nie wahr gewesen 517). Auch befeuchte ja der Regen nicht desshalb den Acker, weil das Nasse dem Trocknen entgegengesetzt sey, sondern weil die Feuchtigkeit den Keim belebe und die Wurzeln nähre.

 Ebenso wirke das Heilmittel nicht dadurch, dass es eine dem Uebel äusserlich verschiedene Eigenschaft besitze. „Ist der Saamen der Gesundheit nicht darin, so ist alle deine Ordination vergebens” 518). Es wäre, sagt er 519),


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eine wilde Ordnung so wir wollten im Widerspiel unser Heyl suchen: Gleich als ein Kind, das umb Brodt schreit gegen seinen Vatter, der gibt ihm nit Schlangen für Brot. Es wär eine üble Artzney, Bitterwurtzen für Zucker zu geben.

 In dem, worin wir krank werden, in demselbigen werden wir auch gesund 520).

 Ob diese Aeusserungen hinreichend seyen, um die schon früh aufgestellte Behauptung zn rechtfertigen, als habe Th. sein therapeutisches Verfahren auf das Axiom: similia similibus basirt 521), bleibe dahingestellt

 Viele würden durch den Glauben und die Einbildung krank, und Viele dadurch gesund 522). Die Einbildung sey jedoch eine Macht, über welche der Arzt mit seinen natürlichen Kräften nicht mehr zu gebieten habe. Daher wäre ihm auch Manches unmöglich, und es gäbe wunderbarliche, seltsame Genesungen 523). Uebrigens habe sich der Weise vor Meinungen und Phantasterei zu hüten 524).

 Wo die Blutentziehung indicirt sey, nämlich in der Blutkrankheit, da


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leiste sie die grössten Dienste; es würden dadurch Beschwerden und Leiden gehoben, wogegen keine Arznei Hülfe verschaffe 525).

 Ausleerende Mittel dürften nicht aufs Gerathewohl angewandt werden. Es sey thöricht, die Ausleerungen in Krankheiten für diese selbst zu achten. Der unmässige Speichelfluss in der venerischen Krankheit gehe von dieser aus, ohne diese selbst zu seyn 526).

 Das Purgiren dürfe nicht zu anhaltend und zu stark geschehen 527); es bilde sich dadurch nur Verschlimmerung 528), zumal bei der gewaltsamen Bewirkung wässriger Stühle 529).

 Mit den ableitenden Mitteln sey auch Maass zu halten. Indem man durch spanische Fliegen oder Hahnenfuss ein Thürlein Öffne, käme auch der unrechte Gast 530).

 Die besänftigende Methode, das Zuführen von Schlaf und Ruhe habe


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einen grossen Werth. Dadurch werde die wüthende Natur wie ein trunkner Mensch wieder zur Besinnung gebracht 531).

 Die Arzneimittel-Lehre in ihrem weitesten Umfange beschäftigte Th. in hohem Grade. Er dringt auf die Anwendung kräftiger Substanzen und lässt es sich angelegen seyn, ihre Wirkungsweise kennen zu lernen. Er empfiehlt Einfachheit der Recepte, angemessene Zusammensetzung und richtige Zeitbestimmung. Er hält auf eine strenge Apothekerordnung, vertheidigt die wohlfeilen und vaterländischen Mittel und wünscht, dass die allgemein nützlichen auch dem Volke bekannt gemacht werden. Von der andern Seite fordert er, dass man wisse, welche Arzneimittel für Gifte zu halten seyen und wie man damit zu verfahren habe.

 Die Art und Weise, wie die Arznei gesund mache, sey unbekannt; sie sey eine verborgene Fechtmeisterin 532). Es komme bei ihr nicht nur die Quantität in Betracht, sondern die Qualität, das Fünklein als Element, das sein Widerwärtiges verzehre 533).

 Im Wesentlichen wirke sie in einem Lande wie im andern; wie ein Wind die Federn von der Erde aufhebe, er komme von Aufgang oder Niedergang 534).

 Die Aufgabe bestehe darin, gegen Krankheiten, die ja mehr etwas Geistiges seyen, Kräfte zu gewinnen, um Geistiges gegen Geistiges setzen zu können 535). Das sey der Begriff eines Arcanums, einer Potenz, nicht einer Ei-


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genschaft 536). Aber leider forsche man nach diesen zu wenig 537), und Viele liessen sich durch Namen irre leiten 538).

 Eine jede Krankheit habe ihre eigene Arznei 539). Der Arzt sey ein blosser Vorfechter, der seinem Meister die Waffen zu übergeben habe. Die Waffe, welche die Natur bedürfe, sey das Specificum 540).

 Die Verdienste Th’s in der Beleuchtung und Bereicherung der Materia medica wurden sogar von seinen sowohl gemässigten als leidenschaftlichen Tadlern anerkannt 541); Verdienste, die er sich selbst nicht hoch anrechnete, die aber leicht herauszufinden waren, und denen zu gute kamen, welche das Heil der Medicin blos in den Mitteln suchen. Uebrigens schrieben sie Th. desswegen so viele neue Mittel zu, weil sie nicht hinreichend mit den Entdeckungen und Beobachtungen früherer Experimentatoren bekannt waren.

 Th. erklärt sich für den Gebrauch der besänftigenden, narkotischen Mit-


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tel, obgleich Andere ihm darüber abhold waren 542). Als beruhigende und Schlafmachende Arzneien wandte er hauptsächlich an: Bilsenkraut, Lolch, Mohn 543), so wie sein Laudanum 544), und das Oel der Mandragora 545).

 Zum Rubefaciens bediente er sich der „Urtica Flammula” 546).

 Die zu seiner Zeit sehr gangbaren gewaltsamen Aetzmittel, nämlich Sublimat, den weissen und gelben Arsenik, Alaun mit Essig, den gebrannten rothen Vitriol, „den sie den rothen Heintz heissen” 547), verabscheute er 548).

 Das Quecksilber (wovon verschiedene Bereitungsarten genannt werden 549)), zeige seine Heilkraft auf zwei Wegen „im Corrosiv und in der Süsse” 550). Der Missbrauch veranlasse Durchfall, Speichelfluss, Husten, Lungensucht, heftige Schmerzen und Schwäche der Glieder, Fäulniss 551).

 Das „Oppodeldoch” wird oft erwähnt 552).



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 So hoch auch Th. die Heilkraft der Natur in Krankheiten anschlug, so unentbehrlich schien ihm die Nachhülfe von Seiten der Kunst zur rechten Zeit und auf die rechte Weise. Wie die Blume aus der Erde wachse, also wachse die Arznei aus der Kunst des Arztes; sie müsse mit der Frucht enden. Die Arznei sey der Saame in der Hand des Arztes; er müsse ihr Archäus seyn 553).

 Das Maass der Kräfte sey schwer zu bestimmen. Wer könne den Schein der Sonne, die Luft wiegen? Da die Arznei gegen die Krankheit wie ein verzehrend Feuer wirken soll, ein Funke aber hinreiche, den grössten Holzstoss zu verbrennen, so dürfe auf die Dosis allein kein zu grosser Werth gelegt werden 554).

 Man habe sich viele Mühe gegeben, um kunstgerecht Recepte zu setzen; allein die Natur setze diese selbst, indem alle Kraft in der einfachen Substanz sich finde und nicht in vielerlei getheilt. Das wüssten aber nicht Viele. „Was gantz ist, das zerbrechen sie, und heissen das zerbrochne gantz gemacht” 555).

 Füge man übrigens mehrere Mittel zusammen, so dürfe das nicht nach


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der herkömmlichen Zahl der Grade, nach Anfang, Mitte und Ende geschehen 556); sondern es müsse genau auf den Stand der Krankheit passen. Für die ererbten Recipe danke er 557). Wer kein ordentliches Recept zu machen verstehe, der gehöre in einen Kramladen, zum Arzt sey er verdorben 558). Kürze sey unerlässlich; diese vertrage sich sehr gut mit grossem Verstand und grosser Kraft 559).

 Die vielen Zusätze zu einer Arznei, die sogenannten Corrigentia, verhielten sich wie das Rauchwerk zur Verbesserung einer reinen Luft 560), und die angeblichen Dirigentia leisteten eben das, was ein Geleitsmann, der des Weges nicht kundig 561).

 Am meisten müsse bei einer Arznei darauf gesehen werden, dass sie das rechte Zielmaas treffe 562); dazu bedürfe es der gehäuften Vornehmungen nicht 563). Unrecht wäre es, ihm seine neue Receptirmethode zum Vorwurfe zu machen 564).



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 Ueber die Apotheker seiner Zeit äussert sich Th. oft sehr unzufrieden. Er findet ihre Preise zu hoch 565); sie gäben verlegene Waare, nach Gutdünken ganz andere als die verordneten 566), und selbst nachgemachte 567) Substanzen; auch nähmen sie zu den Präparaten, namentlich zu den Balsamen, nicht immer das rechte Oel 568). Dann spielten sie gar gerne den Arzt, da doch derjenige, welcher einen Fisch sieden könne, kein Fischer, und der, welcher Wein trinken möge, kein Rebmann sey 569).

 Um das Publicum von den Apothekern möglichst unabhängig zu machen und überhaupt um Einfachheit und Wohlfeilheit zu erzielen, drang Th. auf die Zuziehung vaterländischer Mittel, und zwar um so mehr, als, seiner Ueberzeugung nach, da, wo Krankheiten vorkämen, auch die passenden Arzneimittel sich fänden 570). Freilich setze man stets auf das Ausländische einen grösseren Werth 571); und er wolle auch keineswegs die fremde Hülfe aus-


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schliessen, da den einzelnen Ländern eine gegenseitige Unterstützung und Freundschaft gar wohl anstehe 572). Mit geringen Dingen würden nicht selten grosse Uebel geheilt 573).

 Eine populäre Medicin sey nicht nur wünschenswerth, sondern Pflicht Der wahre Zweck der Arzneikunst sey der Kranken Hülfe 574); darum müsste auch die Kenntniss der Mittel allgemein werden. Die Aerzte würden dadurch nicht beeinträchtigt, denn Erfahrung und Ordnung würden nie zum Gemeingut Schön wäre es aber, wenn Jeder sein eigener Hüter seyn könnte 575).

 Th. kannte die giftigen Arzneistoffe so genau als einer seiner damaligen Kunstgenossen; aber gerade deswegen, weil er mit ihnen vertraut war, verordnete er sie nur mit der höchsten Vorsicht. Da er wirksame Mittel liebte und grosse Curen damit ausrichtete, so wurde ihm der Gebrauch der Gifte zum Verbrechen angerechnet Diese Beschuldigung weisst er jedoch entschieden von sich, und fordert, dass man seine und seiner Ankläger Recepte zur Untersuchung nach Nürnberg schicke 576), wo Kaiser Karl V., während seines Aufenthalts in Worms 1521 das Reichsregiment angeordnet hatte.



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 Gift sey allerdings ein Mysterium der Natur; die Art der Dosis und Bereitung bilde die Gränze zwischen dem Heilsamen und Verderblichen; was er anrathe, das nütze den Kranken 577). Selbst das furchtbarste Gift, Arsenik nicht ausgenommen, könne so zugerichtet werden, dass es seine tödtlichen Eigenschaften verliere und zur lebenbefördernden Arznei umgewandelt werde 578).

 Der Angriff traf unverkennbar die noch wenig gekannten Präparate, deren Th. sich bediente, denn auch die, welche ihn der unerlaubten Mittel ziehen, wandten äusserst zweideutige an. Th. ruft ihnen zu 579): Ihr wisset, dass das laufende Quecksilber Gift ist und doch schmiert ihr die Kranken damit stärker als der Schuster das Leder mit Fett; ihr räuchert sie mit Zinnober, wascht sie mit Sublimat, treibt so das Gift in den Körper, und behauptet, es sey durch Correction unschädlich gemacht. Uebrigens müsste wohl unterschieden werden, ob man in eine heile oder in eine wunde Haut einreibe 580).



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 So viel oder so wenig auch Th. den heroischen Arzneien zugethan war, so verkannte er doch nicht, dass es auch Hülfsmittel gebe, die nicht in Recepten können verschrieben werden. Er sagt 581): „In der Natur ist die gantze Welt ein Apotecken, und nit mehr dann mit einem Dach bedeckt Nur einer, führt den Mörsel, so weit die gantze. Welt geht”. „Es liegt nit am leib, sonder an der krafft. Kahn die Sonn durch ein Glass scheinen und das Feuer durch den Ofen gehn, und beider Leib bleibt draussen: So kan auch der Leib sein krafft in die weilte gehn lassen 582). „Sagt mir eins, ist die Artzney allein iq den Kreuttern, Holtz und Steinen, und nit in Worten? Wird jhm geben den Krancken durch Gebett gesundt zu machen, lass es ein gut purgation sein. Wird es jhme gegeben durch Fasten, lass es ein gut confortation sein” 583).

 Wer die Heilkraft der Natur und das Selbsterhaltungs-Vermögen des Organismus kennt, wird den einfachen und gewohnten Bedingungen, des Lebens unter allen Umständen ihr Recht geltend machen und der Diät immer das Wort reden. Darum braucht wohl kaum bemerkt zu werden, dass Th. sie nicht vernachlässigte, sondern vielmehr cultivirte. Er sagt: „Ein Artzt in der Diät soll die Bereitung ordnen” 584). Speiss und Trank über die Gabe genossen, werde zum Gift; das beweise der Ausgang 585). Die Ueberfüllung mache die Natur unwillig, um so mehr, wenn sie leidend sey. Sie verlange dann um so mehr Maass, damit sie der aufgedrungenen Störung gehörigen


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Widerstand zu leisten. vermöge 586). Die wichtigste Regel, zumal bei Verwundeten, sey die, oft etwas zu reichen, aber immer nur wenig 587).

 Gemüthsruhe könne: man nie genug behaupten; es verhalte sieh mit dem Leben wie mit dem Frieden; wo dieser sich finde, da sey Einigkeit; Uneinigkeit zerstöre das Leben 588). Aufregende, unangenehme Leidenschaften solle man meiden; die Phantasie sey oft der Grund des Herzklopfens 589).

 Auf die Gesundheit müsse ebenso geachtet werden wie auf die Krankheit 590). In der Art wie der Mensch aus seiner Mutter wachse, so wachse er aus seiner Nahrung 591). Diese thue jedoch nichts weiter, als ihn in seiner Substanz erhalten; auf die Intelligenz, auf das Innere übe sie keinen Einfluss 592).

 Wenn nach diesem oder jenem Nahrungsmittel Unwohlseyn sich einstelle, so dürfe nicht gleich dieses, sondern die Unthätigkeit des Magens beschuldigt werden 593).

 Ein grosser Unterschied zwischen dem Fleische aus Pflanzen- oder Thierkost bestehe nicht 594). Je älter der Wein, desto besser 595). Die Luft dürfe nicht abgesperrt werden, da ja auch die Natur, wie beim Athmen, die eingeschlossene ausstosse und frische wieder in sich ziehe 596). Die natürlichen Wasser und Bäder, die: warmen, die Schwefel-, Alaun-


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und Vitriolhaltigen, die sauren u. s. w. besässen grosse Tugenden. Schon das einfache Trinkwasser sey kräftig, um wie viel mehr jene 597). Da die Natur durch ihre Kunst solche Arcana zu Stande bringe, so müsse der Arzt zu erforschen suchen, wie und wo sie ihm solche bereite; er müsse allenthalben auf der Erde, auf Bergen, in Felsen, auf der Ebne diese freigebig dargebotenen Apotheken visitiren 598).

 Ungewöhnliche Eigenschaften besässe Pfeffers, besonders durch die angeborne Wärme, welche der menschlichen so nahe komme 599). Als Hülfsorgan zur Ausscheidung werde die Haut in Anspruch genommen 600). Viel leiste dasselbe gegen Lähmung, Contractur, Zittern, Giebt, Steinschmerzen 601); allein bei einer Anlage zum Schlagfluss müsse es vermieden werden 602). Ihm zunächst komme das Wildbad 603), dann Töplitz 604), aber auch Baden 605).

 Für den preiswürdigsten Sauerbrunnen sey der zu St. Maurice im Engadin zu erklären, hauptsächlich während des Augustmonates. Wer an Gries, Stein, Podagra leide, der müsse an jeher Quelle Gesundheit trinken 606).

 Uebrigens wäre es auch möglich, derartige Bäder nachzumachen 607). Ganz vorzüglich bekämen die von Alaun und Salz 608).

 Seine Rathschläge für die Lebensordnung geben sich auf mannigfache Weise kund. So heisst es unter anderen, dass junge Männer bis zum 24sten


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Lebensjahr ohne Frauen bleiben sollen 609); hingegen für eine Jungfrau wusste er einmal kein angemesseneres Consilium auszustellen, als sie, je eher desto besser, zu verheirathen 610).

 Th. hielt sich gern an äussere Zeichen, wenn er überzeugt seyn durfte, dass sie den inneren Zustand andeuten oder aussprechen; aber die unsichere, die bloss auf Treu und Glauben angenommenen, verwarf er.

 Schon in seinem Professorprogramme hebt er die Nothwendigkeit der Kenntniss der Symptomatologie für den Arzt hervor 611), und ebenso bemerkt er später, dass derjenige, welcher auf den Grund gelangen wolle, die Zeichen aller Krankheiten erkennen und aus ihnen die Beurtheilung des Körpers wie der Krankheit nehmen müsse 612).

 Das Uebel, welches damals am meisten die Aerzte beschäftigte, nämlich die Lustseuche, konnte durch die gewöhnlichen Angaben der Semiotik, namentlich durch die Betrachtung des Harns, oder das Befühlen des Pulses, in seinen wechselnden Formen nicht erkannt werden. Darum nennt Th. diese Vornehmungen einen Betrug 613), und er wirft überhaupt den Zeichen Falschheit vor, wie den Worten, welche nur die Zunge spricht, von denen das Herz nichts weiss 614).

 Vom Puls hatte er jedoch einen hohen Begriff; er sagt: das Corpus des


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Lebens liege in ihm und er zeige dasselbige an 615). Auch den Werth des Harns misskennt er nicht, denn er bemerkt: er Sey gerecht und eines grossen Urtheils 616). Wer aber die Hinweisung, die wie ein Geist darin liege, nicht verstehe, der rede blos zum Schein über ihn. Dem Wissenden deute er an, was für ein Stein in der Niere oder Blase wachse 617).

 Was man öfters für Zeichen des Todes ausgebe, das seyen Zeichen für die rechte Arznei. Die bedrängte Natur schreie nach Hülfe, wie ein Hauptmann, der von Feinden umringt sey; stelle sich der Tod ein, so schicke er keine Boten voraus, er falle wie ein Strahl vom Himmel 618).

 Th. empfiehlt den Aerzten das Studium der Physiognomie der Krankheiten. Wie die Wassersucht, so stellten alle ein eigenthümliches Bildniss dar 619).

 Die Physiognomische Kunst, durch auswendige Zeichen auf den inwendigen Menschen zu schliessen, sey beachtungswerth; allein auf das Haar dürfe man sich nicht verlassen, weil dieses nach Willkür gezogen werden könne 620).



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 Die Bedeutung der Diagnose war Th. nicht entgangen. Er sagt, es gebühre einem jeden Arzt, dass er mit der Form der Krankheit sich vertraut mache und daraus die Ursache erkenne 621). Wer ein Uebel annähme, das nicht zugegen sey, der pflanze eines in den gesunden Leib 622).

 Man verwechsle in Deutschland arg die Krankheitsarten; darum halte er es für seine Pflicht, nach den Verständigsten der Medicin, die er kenne, dieselben zu bestimmen 623). Das sey ja wohl nicht genügend, dass man äussere: der ist ein Cholericus, er tanzt gern; ein Melancholicus, er trinkt gern guten Wein; ein Phlegmaticus, er hat einen subtilen Kopf; ein Sanguineus, er hat rothes Haar 624).

 Die Prognose dürfe nur mit Vorsicht gestellt werden. Sage der Arzt zu viel und die Natur lasse ihn im Stiche, so bleibe sein Bemühen fruchtlos; dadurch dass er sein Wort zu bewahrheiten suche, mache er den Zustand nur schlimmer und schade sich. Sage er zu wenig, so setze er sich dem Spott der Unkenntniss aus 625).



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 Der voreilige Ausspruch: eine Krankheit sey unheilbar, verrathe Mangel an Einsicht und, den Kräften der Natur gegenüber, an Wahrheit 626).

 Wer aus dem gegenwärtigen so reichen und geordneten Gebiete der Lehre von den einzelnen Krankheiten, was mit dem Namen der speciellen Pathologie und Therapie bezeichnet wird, sich in die Bedürftigkeiten jener Zeiten versetzt, wo Th. sein Lehrgebäude begründete; wer das Vergangene und Gleichzeitige mit dem, was er gewollt und geleistet, vergleicht, wird zu dem Schlusse hingedrungen, dass eine ungewöhnliche Kraft, ja, wenn man so Sagen darf, eine bis dahin ungeahnete Inspiration in ihm thätig gewesen. Er hat zwar mit dem unverarbeiteten Stoff, mit eigenen Vorurtheilen, mit einer unbehülflichen Sprache zu ringen; aber trotz dieser Beengungen und Verdüsterungen erscheint er als ein Arzt, der Rechenschaft von sich und der Kunst fordert, dem eine naturgemässe Erklärung der Erscheinungen, ein Erfassen der letzten Gesetze Bedürfniss und inneres Gebot ist, und der verstanden und befolgt oder nicht, doch sicher späteren, besseren Richtungen vorgearbeitet hat

 Th. hielt sich für gemässigt, den Krankheiten neue Namen beizulegen, weil er die damals gebräuchlichen für nichtssagend, oder nach seinem Ausdruck für „Uebernamen” erachtete. Er sagt 627): „Mich bekümmert das allein, den Ursprung einer Krankheit und seiner Heilung zu erfahren, und den Nammen in dasselbig zu concordiren”.

 Eine sonderbare Gewohnheit sey die, die Namen von den Heiligen herzunehmen, als ob diese den Menschen aus Uebelwollen und Rachsucht solche Uebel zufügten. Wie doch der Glaube solche unsichtbar handelnden Männ-


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lein habe schmieden mögen 628). Man heisse alle Leiden „Sant Cüry straff, als ob sonst kein kranckheitmacher sey, dann er” 629). Man rede vom Antonius Feuer, da doch „Sanct Anthoni kein Ess nie angeblasen hätt” 630).

 Die Bezeichnung müsse von der Materie, dem Grunde der Krankheit, hergenommen werden, wie der Ausdruck Birnbaum des Baumes Eigenschaft anzeige 631). Die Eigenschaft, nicht der Name, sey festzuhalten 632). Dass man den Zustand der Hitze Fieber nenne, könne er nicht billigen; die Hitze sey ja nur ein Symptom, nicht die Ursache der Krankheit, und gar Vieles sey heiss, ohne dass Fieber in Frage komme 633).

 Seine Definitionen sind oft einfach und deutlich, z. B. 634): „Lähme ist, wann ein Glid kein starcke mehr hat, und zu schwach ist etwas zu heben”.

 Von Zeit zu Zeit müssten neue Krankheiten beschrieben werden. So z. B. „der unsinnige Tanz, den der gemein mann heist S. Veitstanz” 635). Dieser sey aus der Verstellung hervorgegangen 636).

 Als neue Ursache habe sich die nie erlebte Ausschweifung herausgestellt, die man vergebens in den alten Büchern suche 637). Die Krankheit sey ent-


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sprengen „von einem aussätzigen Frantzosen und von einer Schlierigen Mätzen, welche durch ihre Unkeuschheit andere vergifft hat” 658).

 Zu jeder Beschreibung einer Krankheit Recepte zu fugen, erscheine unstatthaft. Der Arzt müsse solche jedesmal nach den Umständen anfertigen, und „nicht allen Kranken Ein Lied singen” 659).

 Welche Krankheiten Th. abgehandelt, das zeigen die Ueberschriften in seinen Büchern; allein es finden sich nicht selten interessante Bemerkungen an Stellen, wo man sie nicht erwartet. So nennt er den Schluchzen ein Zittern des Magens 640). Der Rothlauf, welcher mit seiner Hitze und Röthe nicht leicht an einem Orte bleibe, sondere, wie vom Wind, bald dahin, bald dorthin getrieben werde, heisst das Gewölk 641).

 Zuweilen entspringe ein Fluss wie ein Brunnen, der sich seinen Ausgang suche und in seiner Art fortrinne, ohne dass man etwas von seinem Ursprunge wisse 642).

 Während des Stillens und der Schwangerschaft gehe die Menstruation nicht von Statten 643). Er habe beobachtet, „dass das Menstruum durch


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Wunden aussgangen” 644). Der Krebs der weiblichen Brust sey in jenen beiden Vorgängen zu suchen 645). Bevor dieses Uebel ausbreche, gingen ihm oft mehrere Jahre harte Knoten vorher 646).

 Die Frauen hätten durch das Geburtsorgan erstaunlich viel Eigenthümliches 647), so dass es wünschenswerth wäre, dass eigene Frauenärzte sie behandelten. Damit wolle er jedoch keine Trennung in der Kunst berührt haben; diese sey Eine 648).

 Mit besonderem Eifer bearbeitete Th. die zu jener Zeit so heftig grassirende Lustseuche, sowie die Krankheiten, welche sich durch steinige Ablagerungen kund geben.

 Was zunächst das erstere Uebel betrifft, so sagt er: „Ich heiss sie Frantzosen, und das billich, von wegen ihres Vatterlands. Solt ich sie Bla-


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tern heissen, were nicht Artzneyisch. Dann Blatern hat ein andern Ursprung. Auch sind die Frantzosen ein newe Kranckheit, und sollen mit kein alten Nammen befleckt werden” 649). In der Arche Noäh sey sie nicht gewesen, sondern im Neapolitanischen Heereszug „mit überzwercher Ordnung gemacht 650)” „Die Kranckheit der Venus ist nichts als ein stuprum Naturae” 651). Schwelgerei habe sie hervorgebracht; dem Manne Lepra und der Frau Cambucca verdanke dieser Maulesel seinen Ursprung 652). Keine Krankheit sey dem Aussatz so nahe gekommen, als diese 653). Eine Transmutation habe Statt gefunden 654).

 Die Zeit des Ausbruchs könne ohngefähr im Jahre 1470 oder 1480 angenommen werden 655). Auch früher hätten beide Geschlechter einander Krankheiten zugefügt, „doch nicht Blaterische art” 656). Die Tinctur, d. h. der Ansteckungsstoff, sey für ein und allemal gebildet worden, und er erhalte sich fort und fort einzig durch seinen Saamen 657).

 Die Kranken würden von den Aerzten ärger als arg behandelt. Der räuchere 15 mal, der schmiere 15 mal; jener führe einen Jahrelang im Holz herum; einer jage in den Leib einen Vierling Quecksilber, ein anderer ein halbes oder ganzes Pfund; der eine bringe es fliessend bei, der andere pulverisirt, calcinirt, präcipitirt, sublimirt und welche schöne Namen alle diesem unerlaubten Thun beigelegt würden 658).



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 In Betreff der Schwitzversuche sagt er 659): „Wer hat je gesehen, Frantzosen mit Schwitzen ausstreiben? Wann Schwitzen die Frantzosen solte vertriben haben, so were ein warmer Ofen, oder ein warmer Beltz gut darzu gewesen und die Hundstag. Mich wundert, dieweil sie doch mancherley Weg gesucht haben, und gantz ungereumpt, dass sie nicht auch understanden die Frantzosen durch Niesswurtz zur Nassen ausstreiben, oder mit Weinen zu den Augen auss”.

 Mit den Holztränken wurde gleichfalls viel Unfug getrieben. So viele Tugenden, als man sage, fänden sich nicht darin; man gefalle sich im Missbrauch 660) 661) 662).

 Unwillig ruft Th. 663): „jhr haben einen subtilen Zunftmeisterischen Bossen in die Artzney bracht, dass Mercurius und Lignum alle ewre Kunst seyndt”.

 Wie er sich gegen die „Holtzhansen” erklärt, ebenso gegen die „Schmirber” 664).

 Auf das Schmieren sey man gekommen, weil man diese Krankheit für eine Art Krätze gehalten 665). Man schmiere bald zu viel, bald zu wenig 666).


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Man fäule den ganzen Körper mit Quecksilber an 667). Dieses mit Fett tu verbinden und so in den Leib zu treiben, das sey leicht; dasselbe laufe aber durch die innere Wärme wieder zusammen und lagere sich in die Höhlen. Was es da anrichte, das lehrten die Arbeiter in Idria, von denen keiner gesund bleibe, sondern bei denen sich Lungenleiden, Lähmung, Zittern einstellten 668).

 Das Räuchern sey nicht viel besser. Es verhalte sich damit, wie wenn man einen weissen Rock schwarz färben lasse; das alte Tuch bleibe. Man habe listig Zinnober statt Quecksilber gewählt, und so lange eine löbliche Kunst daraus gemacht, bis die „Zäpflin abfielen” und die Brustorgane schwer afficirt waren, wo ja gar nicht einmal die Krankheit liege 669) 670).

 Es werde nun zwar behauptet, dass die Kranken auf diese Weise regenerirt und wie neugeborne Kindlein würden; allein da die Haare und Nägel dabei abfielen, ohne wieder zu wachsen, so sey von dieser Verjüngungscur nicht viel zu rühmen. Th. sagt 671): „Ab solchem fürgehen mag ich und ein jeglicher guter Gesell wol lachen”.

 Habe man zu viel Quecksilber in den Körper gebracht, so müssten, um dasselbe wieder auszutreiben, Abführungen, schweisstreibende Mittel und warme Bäder angewandt werden 672). Nur von der mässigen und rechten Gebrauchsart dieses Mittels sey mit Zuversicht Hülfe zu. erwarten. Seine Worte sind 673): „Aller Grund in der summ inn den gantzen Frantzösischen Kranckheiten ist das Hauptstück vis Mercurialis, aber nicht argentum vivum, das jhr dafür nemmen. Dasselbig muss in der Separation stehn, und in sei-


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ner Digest. Wo jhr aber solche Separationes nicht erkennen, vim Mercurialem darauss zu ziehen, so ist euch eben als wann jhr Stroh für Weitzen zu essen geben”.

 Die Krankheiten, welche eine feste Masse ablagern, die er tartarische nennt, beschäftigten Th. angelegentlich.

 Er bemerkt in Beziehung auf den gewählten Namen: „Eine jegliche ultima materia der wachsenden Dingen, so sie im Leibe gescheiten werden, heisst Tartarus” 674). Und in Beziehung auf die Bildungsweise: „Ihr seht wie im Wein Weinstein wird, und im Wasser ein schleimiger Stein 675). Die Dawung scheidt solche Ding, aber macht sie nit. Sie mag kein Stein machen, dann sie ist kein Stein: aber wo Stein sind, do mag sie scheiden“ 676). Zwischen der Erzeugung und der Beschaffenheit der festen Massen im Körper und derjenigen der Steine fände ein Unterscheid Statt; ihre erste Veranlassung, der Vorgang ihrer Bildung und ihre Grundstoffe verhielten sich anders 677). Man nehme in der Regel nur zwei Organe „zwei Vass” an, in denen sich der Tartarus ansetze, nämlich Nieren und Blase; allein es wären weit mehrere; in allen Höhlen des Körpers könne er sich vorfinden 678).

 Je nach der Composition seyen die Arten der Concretionen verschieden. Die Landesart habe einen Einfluss darauf. Die Kenntniss dieser Verschiedenheit sey für den Arzt von Wichtigkeit, weil er sich mit seinen Mitteln darnach zu richten habe 679).



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 Der erste Anfang müsse im Archäus im Magen gesucht werden, denn dessen Aufgabe sey es, bei den Nahrungsmitteln das Reine vom Unreinen zu scheiden, und das letztere entweder auf dem Wege des Darmkanals oder des Urins auszuscheiden. Bleibe Etwas zurück, was weder Blut noch Fleisch würde, so verwandle diess der Spiritus Coagulationis in Tartarus 680). Es geschehe eine Umwandlung von Schleim in Stein, „von Viscositet in Lapillitet” 681).

 Bei der Erklärung des Podagra komme man mit den angenommenen Cardinalflüssigkeiten nicht weit, und so möge man denn allerdings sagen, jenes sey unheilbar; allein das thue der nicht, welcher die Ursache kenne. Hier fänden nämlich „vil Calculische Paroxysmi“ Statt 682), und es sey nothwendig, den Tartarus aufzulösen und auszuführen 683). In den Gelenken bildeten sich zuweilen harte Körner wie Erbsen 684).

 Die Lungen hätten das Amt, frei auf und nieder zu gehen, und die Luft zu empfangen; würden aber ihre Wege durch Ablagerungen verstopft, so entstände daraus Phthisis 685). In den Lungen der Menschen, wie der Thiere, fänden sich öfters Steine 686). Bei der Kauung erzeuge sich Stein an den


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Zähnen; die andern Theile des Mundes seyen zu nass und schlüpfrig, so dass derselbe an ihnen nicht hangen bleiben könne 687).

 Es sey schon vorgekommen, dass sich im Darmkanale eine Coagulation, Schichte über Schichte, so vergrössert habe, dass dadurch eine völlige Verschliessung des Ausgangs bewirkt worden 688).

 Die Galle bilde oft Steine und dadurch entstehe Druck, Erbrechen, Kolikschmerz, Gelbsucht 689). Die chronische, der angemessenen Behandlung trotzende, Gelbsucht habe in jenem Hindernisse ihren Grund 690).

 Die Bemühungen Th’s im Gebiete der Chirurgie haben verhältnissmässig am wenigsten Widerspruch erfahren, so dass hier die Erwähnung einiger wesentlichen Punkte genügen mag.

 Die Wunde verschlimmere der Fürwitz des Arztes, wenn er es besser machen wolle, als die Natur 691); dann eine hinzutretende Krankheit 692).

 Es komme, viel auf die rechte Lage an; wo Eiter sich bilde, habe man dahin zu sehen, dass er nicht vermittelst seiner Schwere in die Tiefe dringe 693).

 Als Wundsalbe stehe Honig und Butter desswegen in so hohem Ansehn, weil die Leute glauben, dass die Bienen und die Kühe nur solche Kräuter aufsuchen, welche die: grössten Tugenden besässen. und woraus sie dann das Beste bereiteten. Das Vorurtheil, als müssten die äusseren Uebel bloss durch äussere Mittel, und nicht, wie die andern Krankheiten, auf dem rein ärztlichen Wege behandelt werden, habe den rohen Eingriffen Thür und Thor geöffnet 694).



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 Die tödtlichen Wunden werden von den nicht tödtlichen unterschieden 695). Die Geschwüre dürften nicht für Reinigungsorgane gehalten werden 696). Die Fistel sey inwendig weiter als auswendig 697) Das Todte und das Lebendige nähme keine Vereinigung an 698). Das vorgebliche Anheilen längst abgehauener Finger, Nasen, Ohren, diene den Marktschreiern zur Empfehlung 699).

 Ein Beinbruch wäre leicht zu heilen; die gewisse Arznei dabei sey Ruhe und ein angemessenes Binden 700).

 Den Krebs dürfe man weder ätzen noch schneiden 701).

 Es gäbe periodische Wundfieber, deren Paroxysmen erst mit der Heilung der Wunden nachliessen 702). Die Annahme von chirurgischen Krankheiten sey unstatthaft 703).



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 Da die Natur von selbst die Theile vereinige, wenn sie nur gehörig an einander gebracht würden, so solle man das überflüssige Nähen unterlassen 704).

 Für unverantwortlich müsse die Anwendung der heftigsten Aetzmittel erklärt werden 705), wo es dann heisse: „du musst hinweg, und solt Haut und Bein mit gehen” 706).

 Das Schneiden sey „unmenschlich und das gröbst, so in der Artzney erfunden mag werden” 707); es mache selbst eine Krankheit 708); allein wenn einmal geschnitten werden müsse, so schneide man auch „das gantz Dominium hinweg” 709).

 Gleichwie Th. die Anwendung heftiger und zerstörender Mittel verschmäht, so sträubt er sich auch gegen Alles, was unter dem Schein der Hülfe den Körper quält und verletzt. Die Medicin, sagt er 710), ist der Natur nicht so


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feind, dass sie mit solchen Schmerzen möge etwas Gutes erzeigen, sondern mit Süsse vermengt”. Darum achte ja darauf, „dass du allerwegen Schmertz und Wehtage verhütest, denn sie seien wie sie wollen, so bedeutet es nichts Gutes” 711).

 Sein Glaubensbekenntniss hierüber, das zugleich einen Blick in sein Gemüth thun lässt, ist in folgender Stelle 712) enthalten: „So man gründtlich in der Artzney reden will, so mercket auf diesen Puncten, den ich euch fürlege, dass die Heylung der Kranckheiten nicht auff den Grundt gestellt ist, Böss mit Bössem zu vertreiben, oder Schmertz mit Schmertzen, sondern betrachtet, dass Zorn mit Güte und Milde soll überwunden werden”.

 Hiermit mögen diese Mittheilungen geschlossen sein. Sie bedürfen keines Commentars und sie werden sicher das bestätigen, was ich im Anfange über den Mann und seine Leistungen ausgesagt habe.

 In den Auszügen hielt ich mich fast einzig an die von mir als unzweifelhaft ächt bezeichneten Bücher, und nur selten erlaubte ich mir eine Stelle aus einem nur wahrscheinlich ächten mit aufzurühren. Diess und die Rücksichtnahme auf ältere Autoren ist der Grund, warum ich Vieles nicht berührte, was wohl sonst hervorgehoben sich findet. Mir schien es angemessener, Alles, was vor ihm eben so gut oder besser gesagt war, und wovon er Kenntniss haben konnte, zu übergeben, und mich zu seiner Charakterisirung bloss an das ihm Eigentümliche zu halten.

 Ich musste weit mehr Material abwehren, als mich darnach umsehen. Dass ich die Stellen aus den einzelnen Büchern an einander fügte, um ein fast systematisch geordnetes Ganze zu liefern, darf nicht angesehen werden, als ob ich so gut machen wollte, was ursprünglich verfehlt ist; die Schriften erschienen zu verschiedenen Zeiten und zur Erreichung besonderer Zwecke.


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Die Grundgedanken finden sich jedoch mehr oder weniger in allen, so. dass man dem Verfasser leicht den Vorwurf der Wiederholung machen könnte, wenn nicht zu bedenken bliebe, dass bestimmten irrigen oder einseitigen Ansichten in den Schulen wie im Leben, die erstaunlich tief wurzelten, immer von Neuem dadurch entgegengekämpft werden sollte. Von seinem ersten öffentlichen Auftreten bis zu seinem Tode war sein unaufhörliches Bemühen: durch Wort und Schrift seiner besseren Ueberzeugung, trotz aller Gegenwirkungen, Eingang zu verschaffen.

 Seine Erinnerung bleibe geehrt und Deutschland dulde nicht ferner, dass sein Name lächerlich gemacht und geschmäht werde; allein man lasse auch von dem Wahne, in seinen Schriften Beweis für alle möglichen wissenschaftlichen Richtungen und Entdeckungen aufzuspüren. Sie hatten einen grossen temporären Zweck und der wurde erreicht Weder ihre Form noch ihr Inhalt empfiehlt sie dem Studium der Nachwelt.

 Die Absicht Th’s war: die Fesseln der Tradition zu lösen, neuen Wahrheiten in der Medicin Eingang zu verschaffen, die Deutschen Aerzte auf die Würde ihrer Sprache wie auf den Reichthum ihrer eigenen Wissensquellen hinzuweisen und herrschenden Missbräuchen in der Praxis entgegenzutreten. Da im Fortschritte der Zeiten alle diese Absichten, wenn auch nicht immer in seinem Sinne, oder nach dem Impulse, der von ihm ausging, zur Erfüllung kamen, und somit seine Wünsche und Hoffnungen, der That nach, sich verwirklichten, so ist die Sphäre seiner Wirkungen abgeschlossen, und die Geschichte hat genug gethan, wenn sie sein Gedächtniss dankbar bewahrt.