Difference between revisions of "Strunz 1909 Theophrastus"
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Revision as of 17:52, 5 May 2022
Franz Strunz,
Theophrastus Paracelsus 1909 |
Text
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Theophrastus Paracelsus.
Die Geschichte der Naturwissenschaften und Medizin, ja sogar die der Philosophie, weist nicht viele auf, die als Gelehrte von so seltsamer persönlicher Eigenart waren, wie Theophrastus Paracelsus 1). Man kann allerdings an Leonardo da Vinci denken, __________
1) Oder wie er sich eigentlich schrieb: Theophrastus von Hohenheim. Echt erwiesen ist nur noch die Benennung Theophrastus Bombast von Hohenheim. Bómbast ist der Familienname und leitet sich von boum, bôm u. a. ab. Paracelsus stammt aus einem angesehenen schwäbischen Adelsgeschlecht. Der Stammsitz der Bombaste, Schloß Hohenheim, lag in der Nähe von Stuttgart beim Dorfe Plieningen und ist schon um 1100 nachzuweisen. Die Familie der Bombaste von Hohenheim wird bereits 1270 genannt. — Paracelsus ist am 10. November 1493 an der Sielbrücke bei Einsiedeln im Kanton Schwyz geboren und starb am 24. September 1541 zu Salzburg. Vgl. hierüber meine Paracelsusbiographie und -ausgabe im Verlag Eugen Diederichs, Jena (Bd. I—III, 1903—04).
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Er wirkte in einer Zeit, als ein neues Gefühl des Lebens sich langsam aus den spätmittelalterlichen Stimmungen entbindet und eine völlig neue Menschenkunde sich vorbereitet, als überhaupt der Sinn für die Beobachtung des Menschlichen und dessen Vertiefung in die Person feiner wird. Das Persönliche, seine sichtbare Seite und die physiologischen Ausdrucksmittel des Seelischen schaffen an einem neuen Geschmack, d. h. an einer neuen „Sinnlichkeit der Vernunft“. Und das Gefühlsverhältnis zur Natur gestaltet sich wieder — wie einst in den Tagen der abblühenden Antike — intimer und individueller, ja es fand eine neue Sprache, ihre Besonderheiten und dunkeln Zufälle persönlich auszudrücken. Das neue Lebensgefühl war eng verbunden mit einer neuen Fähigkeit des Einfühlens in die Natur. Aber das alles wird noch reicher an Formen und Färbe, wenn man erwägt, daß Paracelsus als akut religiöse und außerkirchliche Persönlichkeit vollständig auf eigenem Boden steht und aus einer Frömmigkeit des inneren Erlebens, der subjektiven Gewißheit und symbolischen Rede Welt, Ich und Menschen beurteilt und vergeistigt. Seine ganze Naturforschung steht unter der Idee des Göttlichen und Ewigen und ist im wahrsten Sinne des Wortes „eine Betrachtung der Geschehnisse des Lebens vom allerhöchsten Aussichtspunkte aus“. Und aus diesen Stimmungen ist sein reiches |
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In dem buntfarbigen geistigen Leben des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts taucht der große Naturforscher und Arzt in deutschen Landen auf. Seine Persönlichkeit muß schon damals Chronisten und Zeitgenossen eigenartig und geheimnisvoll erschienen sein. Sebastian Franck schrieb in seiner „Chronica, Zeytbuch und Geschichtbibel“ (1565): „D. Theophrastus von Hohenheim ein Physicus und Astronomus. Anno 1529 ist gemeldeter Doctor gen Nürnberg kommen, ein seltsam wunderbarlich Mann . . . .“ Sein Lebensweg führte ihn weit hinaus in schweizerische, deutsche und österreichische Gaue, bis er nach einem vielbewegten Gelehrtenschicksal im rüstigen Alter — als Achtundvierzigjähriger — in der Stadt Salzburg vom Tode ereilt wurde. Demnach ist eigentlich dieser schwäbische Adelige durch viele Fäden mit dem bunten Gewebe deutscher Geistesgeschichte verbunden, so daß es für sich schon eine reizvolle Aufgabe wäre, zu schildern, warum und wie er in sie hineingetreten und auf welchen Wegen er gegangen ist, ob er es vermochte hier die wissenschaftliche Höhenlage zu steigern vermittelst der Kraft der Persönlichkeit, die hinter seinem großen Werk stand. Doch das soll mich im folgenden nicht in erster Linie beschäftigen, da ich eine viel allgemeinere Frage in den Vordergrund zu rücken versuche: Wie steht die Naturforschung des Paracelsus in der Geschichte der geistigen Kultur seiner Zeit und was vermag sein Werk auch uns noch heute fühlbar zu machen? Die Geschichte der Naturwissenschaften erlebte in der Renaissance die große Wandlung: die harte Naturentfühlung, wie |
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Aber, war denn das Mittelalter an Naturbetrachtungsvermögen wirklich so arm und hat es einer „Neuentdeckung“ bedurft, damit wieder „Landschaften der Seele“ in Dichtern und Künstlern sich aufbauen können? Das antike Naturgefühl erlebte seinen Hochsommer im Hellenismus, in jener genießenden Kulturwelt, die seit Alexander dem Großen als ein farbenprächtiges Gemisch aus Okzident und Orient aufging und soviel internationale Weitherzigkeit unter die Menschen brachte, so daß man sich, wie nie, fremden Gefühlen erschließt und die eigenen in Mischung bringt. Damals ziehen sie herauf, die Meister der sentimentalen Schilderung, der innigen Stimmung, des Idylls. Drama, Epigramm, Epos und Roman erhalten durch ein gesteigertes Naturgefühl, durch die heiße Glut sinnlicher und erotischer Empfindsamkeit völlig neue Akzente. Das Gefühlsverhältnis zur Natur gestaltet sich immer intimer und individueller, ja es vermag sogar die leisesten Melodien der Dinge in eine idyllisch gestimmte Sprache umzusetzen, und Sein und Werden, Reifen und Welken, überhaupt |
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Bis ins 6. Jahrhundert bebt die antike Erregung und all ihr Drängendes und Spannendes im Mittelalter nach, und immer und immer finden sich große Literaten, die trotz des oft rein theologischen Sprachtones aus dem alten seelischen Erleben heraus von der Natur reden. Ich erinnere an die drei großen Kappadozier 1), dann an Augustinus, Apollinaris Sidonius und Ausonius. Wie aus einer längst fern gewordener Zeit redet der Dichter Venantius Fortunatus im Frankenland, und mit ihm wohl verlischt das Letzte, was vom antiken Naturgefühl noch nicht tot war. Nur sehr zögernd reift in ähnlichem Werdegang das mittelalterliche Naturgefühl zur Renaissance, wie das antike sich einst zur hellenistischen Empfindungswelt gesteigert hat. Es ging ganz schrittweise mit der geistigen Kultur. Das Naturgefühl der Kreuzfahrer, wie wir es in ihren Reisebeschreibungen suchen, ist ein meist nüchternes Sehen des Nützlichen. Feld und Wald Stadt und Hafen werden ob ihres ökonomischen Interesses bewundert. Selten erzählt man — wenigstens in knappen Worten —, daß eine Gegend anmutig oder grotesk sei. Und das deutsche Volksepos? Nun, hier wird — obwohl das Frühgermanentum ein so herrliches Naturgefühl hervorgebracht hat — der Erscheinungen in der Natur (von Stimmungen ganz zu schweigen) recht dürftig typisierend und nüchtern gedacht. Die Weltliteratur kennt kein zweites Epos, in dem Zeit und Ort so kühl gezeichnet werden, wie in unserem Nibelungenlied. Ein wärmerer, sinnlicherer und bewegterer Ton dringt schon im höfischen Kunstepos durch. In
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1) Gregor von Nazianz, Basilius von Cäsarea, und dessen Bruder Gregor von Nyssa.
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Das alles wird anders, als der spätmittelalterliche Mensch sich dann selbst als Individuum neu entdecken muß und seine Inhaltlichkeit und das Triebwerk der Affekte zu durchforschen beginnt: da löst auch die Außenwelt ein Neues in ihm aus, das man seit den hellen, klaren Tagen des Hellenismus vergessen hatte, und das nun wie eine neue künstlerische Erregung und Bewegtheit über den Volksgeist Italiens kommt. Es war das sentimentale Naturgefühl. Schon in Dante, Petrarca und Enea Silvio hat sich dieses neue Erlebnis angekündigt. Als nun die machtvolle geistige Erregung — und das war ja die Renaissance — nach dem Norden rückt und hier mit dem neuen, allerdings auch aus rein mittelalterlichen Voraussetzungen hervorgegangenen religiösen Lebensgefühl und Zeitgeist der Reformation zusammenstößt, da wurde das hervorgebracht, was wir heute — ich spreche vom Standort der Geistesgeschichte — „deutsche Renaissance“ nennen. Dieses intime Heimleben mit seiner volkstümlichen, spießbürgerlichen Schlichtheit, diese gemütvolle, echt deutsche Tiefe und Märchenpoesie, wie sie der gedankenreiche Albrecht Dürer in seinem Werk verewigt hat. Und das ist auch ein wichtiger Grundzug in der Persönlich- |
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Ich möchte darum Paracelsus am liebsten als sogenannten „christlichen Humanisten“ verstanden wissen, als einen Naturphilosophen, der die Erkenntnis der Natur, die Beziehungen der Menschen zu der Natur und der Menschen untereinander auf eine Formel bringt, d. h. auf eine Alleinslehre gründet und dabei immer echt platonisch und christlich redet, so wie sie stets die Klassiker dieser Weltanschauung damals verkündeten: „Die Einheit und die auf sie gegründete Vereinigung ist das Ebenbild Gottes; denn Gott ist ein Wesen und doch alles, er ist alles und doch eins!“ .... Die Natur ist die Inkarnation der Seele, sie ist materialisierter Geist. Aber dieser Geist wirkt überall und gestaltet auch unseren Leib. Wir können alles sinnbildlich deuten, denn das Ganze oder der kleinste Teil der Welt ist Gleichnis und Bild. Die Natur ist nur wie eine Geheimschrift Gottes, die wir aber entziffern müssen. Aber, wie gesagt, auch der Kern dieser Naturphilosophie zeigt so recht klar den scharfen Bruch mit dem mittelalterlich- kirchlichen Naturbild: für Paracelsus und seine Vorläufer im Süden gelten der Glaube an die Innerweltlichkeit Gottes und das Gottesreich des Diesseits, während die Scholastik das willkürliche Eingreifen eines außerweltlichen Gottes verkündet. Auch diese Verschiebung scheint mir aus einer Verinnerlichung
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1) Auch den Wiedertäufern, Sakramentierern, Zwinglianern stand er fern. Trotz seiner antikonfessionellen und durch und durch philanthropischen Gesinnung blieb er zeitlebens Katholik.
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Das Gesamtbild der paracelsischen Naturwissenschaft und Medizin, soweit es sich heute annähernd nach dem Handschriftenmaterial, wie es uns durch Karl Sudhoffs grundlegende Forschungen erschlossen wurde, ersehen läßt, scheint sich mir aus diesem neuen Geist einer neuen Menschenkunde und Theorie der Lebensführung zu erklären. „Die Änderung der Lebensverhältnisse während des 15. Jahrhunderts — Wilhelm Dilthey wies erst wieder vor kurzem darauf hin — rief im Gegensatz zur Weltverneinung des Mittelalters ein neues Gefühl des Lebens hervor, und das unter diesen Bedingungen entstehende Wiederverständnis des Altertums gab Material und Formeln, es auszudrücken. Die Bejahung des Lebens war der Grundzug der neuen Zeit; der Mensch und seine natürlichen Verhältnisse zu seiner Umgebung wurden Mittelpunkt des Interesses; sich ausleben, seinen Machtwillen geltend machen, in der Schönheit des Lebens und in deren Reflex, der Literatur und Kunst, sich selber genießen — dazu ein verschärfter Sinn für die Auffassung der Charaktere, für die Kennzeichen der Leidenschaften und für das Triebwerk der Affekte, wie er an den Höfen und in den Stadtrepubliken sich ausbildete: — dies war der neue Lebenszusammenhang, der sich über den Horizont des Bewußtseins damals erhob. Und der philosophische Reflex hiervon war eine umfangreiche Literatur: ihr Gegenstand |
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Ja, man kann darum sagen, daß die Ansichten über Natur und Mensch, wie sie geniale Naturforscher und Arzte damals ausgesprochen haben, auch in Kunst und Dichtung einen leisen Widerhall fanden. Waren es doch ähnliche Triebkräfte, die hier neugestaltend wirkten: die individuelle Eigenart, die neue Anatomie — ich erinnere nur an Leonardo da Vinci, gewissermaßen ihr Begründer, den dann Vesal beerbt hat, — die feineren Vorstellungen von Leben und Tod, von Gesundheit und Siechtum, überhaupt die neue Wertung des Sinnlichen und der körperlichen Ausdrucksmittel am Menschen. Wahrnehmung und Affekt sind nun etwas ganz anderes geworden. Die beiden größten Meister der Charakteristik und des Ausdrucks Leonardo und Dürer haben das in glänzender Weise gezeigt. In beiden ist soviel von einem ins Künstlerische umgewerteten Paracelsus. Auch Shakespeares oder Molières Gestalten atmen den von natur- |
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Paracelsus faßt Gott, Welt und Seele als ein Einheitliches zusammen: Gott ist die Welt, die Welt ist beseelt und die Seele ist göttlich. Darum der unendliche Wert der letzteren. Des Paracelsus Naturphilosophie und seine mystische Einheitslehre ruhen auf diesen Voraussetzungen. Unser letzter Grund ist auch der Weltgrund, unser tausendfarbiges Leben ist auch der Welt Leben, es ist Vergottung, so wie Gott sich wieder entgottet und Natur wird. Das ist ein fortdauernder Umsatz des Göttlichen, Psychischen und Physischen; Himmel und Erde sind dasselbe, denn der Mikrokosmos ist der Mikrokosmos. Und umgekehrt. Der Mensch ist die Natur und die Natur ist der Mensch. Immer kehren sie in der anthropomorphisierenden Naturphilosophie des Paracelsus wieder: Lebenseinheit, Unendlichkeitsgefühl, Erklärung der Natur aus dem Menschen. Ganz besonders redet darin die Gefühlsphilosophie der Renaissance und des Humanismus, so gut wie aus den Makrokosmos-Lehren der Cusanus, Reuchlin, Agrippa u. a. oder aus der sensualistischen Verherrlichung des Menschen bei Melanchthon, Taurellus, Luther und J. Böhme. Es ist dann nur eine notwendige Konsequenz dieser Weltanschauung, wenn Paracelsus meint: der Philosoph findet nichts anderes im Himmel und in der Erde, denn was er im Menschen auch findet, und so auch der Arzt nichts anderes im Menschen, denn was Himmel und Erde auch haben. Das ist echte Renaissancephilosophie 1). __________
1) Bekanntlich sind diese Vorstellungen aus uralten orientalischen Quellen geflossen. Schon in frühesten Zeiten kündet sich dieser Prozeß an, daß man zu erleben beginnt, wie mathematische Gesetze das Universum im gleichen Maße wie den Menschen beherrschen und wie der kosmische
[S. 59] Aus solchen Voraussetzungen heraus haben wir auch den naturpoetischen Paracelsus zu verstehen, den Prosadichter, den Künstler der parabolischen Bildersprache, der intimen Metapher, verhüllenden Allegorie und der romantischen Erfahrungen, Instinkte und Gefühle. Auch er hat das Symbol als ein Lebendiges empfunden und damit die sich offenbarende Verbindung von Wesen und Erscheinung herausgefühlt. Aber es wäre falsch, in Anbetracht dieses kräftigen und lenksamen Phantasielebens auf eine so geartete Naturwissenschaft zu schließen. Vielmehr, er steht im kritischen Natursehen, in seinem gegenständlichen Auffassen der Welt, in seinem empirischen Interesse und Unterscheidungsvermögen fast völlig auf dem Boden einer exakten Forschung, einer Erfahrungswissenschaft, die wirklichkeitsgetreu und beurteilend zu sein sich bemüht mit allen Mitteln einer damals beispiellosen Wertung und Sinnesauffassung, eines in jener Zeit einzig dastehenden induktiven Vergleiches und genialen Zusammenfassens. Das bedeutete also für Paracelsus das Nachdenken der Wirklichkeit, ihrer kausalen Begründung und ihres eigentlichen Sinnes. Es handelte sich ihm um eine Zergliederung mehrgliederiger, zusammengefaßter Erscheinungen und Entwickelungsreihen. Seine praktische Naturwissenschaft — insbesondere die Chemie — und die Medizin schöpften nur aus dem methodisch ausgeführten Versuch. Er führt eine Praxis herauf, die als Erfahrung überhaupt Gebiete betrat, die seine Tage einfach nicht ahnten. Es lag eine auffallende Liberalität und Paradoxie in der Wahl der Mittel; aber dabei wieder eine strenge Eindeutigkeit und Schärfe in der theoretischen Begründung, eine naturwissenschaftliche Verallgemeinerung in der Erkenntnis der Ursachenzusammenhänge, wie sie erst einer weit späteren Zeit zukam. Freilich muß man in seine bilderreiche Sprache und in den naturwissenschaftlichen
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Zusammenhang sich im Geiste spiegelt, denn Ich und Außenwelt „umspannt ein idealer, unendlicher Kreis“. Es herrschen zwar einheitliche Gesetze in der Natur, aber ihre Formen und Symbole sind wandelbar. — Auch Paracelsus versteht — ganz im Geiste der Renaissance — den Menschen aus der Natur, gerade so wie er die Natur nach dem Wesen des Menschen wertet. Der Mensch ist das Buch, in dem alle Weltgeheimnisse zu lesen sind. Vgl. die Abhandlung: Die Entwickelung der Alchemie.
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Worauf es ihm immer ankam, war, zu zeigen eine „Schule des Lichtes der Natur“; er begann den Drang zur Tatsache, zum Sehen und zum Nomothetischen zu lehren, um dann aus diesen realistischen Erkenntnissen heraus zu einer geschlossenen lebenbejahenden Weltanschauung und Welterklärung zu kommen, zum Problem des Wirklichen überhaupt und seiner Erkenntnisvoraussetzungen und -grenzen. Seine Auffassung der Materie zeigt bereits starke exakt-chemische Akzente 1). Dazu kommt die von uns schon erwähnte Anschauung von der Gegenüberstellung des Mikrokosmus, also vom Einzelindividuum als einer Welt en miniature, als Spiegel des Universums einerseits und des beseelten und die Fülle der Kraft Gottes
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1) Die substanzbildenden Qualitäten Schwefel, Quecksilber (mercurius), Salz, bzw. ihre entsprechenden Phänomene: Brennbarkeit (Öligkeit), Verflüssigung (Vernichtbarkeit) und Erstarrung (Festigkeit), sind bereits mehr chemisch als symbolisch zu verstehen. Das sind also die drei eigentlichen Bausteine und Kräfte der Stofflichkeit. Im höheren Sinne stehen sie zu Seele (Stoff-), Geist (Eigenschaft) und Leib (Gestalt) in entsprechender Beziehung. Der Gedanke von den „qualitates occultae“ beginnt erheblich zu verblassen, wenn auch das Wesentliche eines Zustandtypus noch nicht verdrängt ist. Die genannten drei Prinzipien stellen für Paracelsus die Voraussetzung aller Wirklichkeit vor, sind Grenzen aller Artensonderung und letzte Bestandteile. Sie bezogen sich daher auch auf Bewegtes und Körperliches, umfaßten Entstehen und Vergehen, Zunahme und Abnahme, Verwandlung und Ortsveränderung, also letzte Prinzipien, aus denen etwas besteht und die selbst in Arten sich nicht teilen lassen.
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Das Wesen der Praxis, wie sie Paracelsus übte, ist, daß er eine chemisch-therapeutische Heilkunde und physiologisch-pathologische Chemie begründet hat, daß er mit der hellen Sinnlichkeit der Renaissance den Sinn für das Leben wachrief und dadurch biologischen Interessen freiere Bahnen schuf. Immer klingt es durch: „Erfahrenheit“, „Wohlgeübtsein“, „Experiment“, Beschreibung der Tatsachen, das seien die Wurzeln jeder Naturforschung und Heilkunde, und dann auch eine weite Erfahrung in rein chemischen Fragen 1). Seine Methode charakterisiert sein berühmtes Wort: „Viele haben sich der Alchimey geeußert, sagen es mach Silber und Gold: so ist doch solches hie nicht das fürnemmen, sondern allein die Bereitung zu tractieren, was Tugend und krefft in der Artzney sei.“ Oder die Stelle im 3. Traktat des „Buches Paragramm“: „Nicht als die sagen, Alchima mache Gold, mache Silber: Hie ist das fürnemmen, mach Arcana und richte dieselbigen gegen die Krankheiten.“ Das ist der Grundton seiner praktischen Arbeiten, und die vielfachen Untersuchungen auf dem
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1) Ein Reformatorisches in der Therapie des Paracelsus ist die Einführung metall-chemischer Methoden und die Hervorhebung bestimmter Präparate wie metallisches Quecksilber, Quecksilberchlorid (Sublimat), Queeksilberchlorür (Kalomel), Merkurisulfat (bzw. das basische Salz SO4 Hg. 2 Hg O, das sogenannte Turpetum minerale). Auch die Fällung von Sublimatlösung durch Ammoniak und das sich dabei bildende Merkurammoniumchlorid (Hydrargyrum präcipitatum album, Hg Cl N H2) waren bekannt. Dann erinnere ich an die Anwendung des neutralen Bleiacetats (Bleizucker), Kupfervitriols (Kupfersulfat), der Antimonverbindungen u. a.
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Dann war es ein Neues mit den Anschauungen über das Wesen der Assimilation und Resorption des Verdauungsprozesses, ein ganz Neues mit der Diagnose der Koagulationsvorgänge, Exsudationen, Konkrementbildungen, mit dem erstaunlichen chemischen Verständnis für Säure und Alkaliwirkung und ihrer Rolle in einer Krankheitsgenese 1). Auch die Wirkungen der Hypnose
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1) Die Lehre vom Tartarus, ein Hauptbestandstück seines medizinischen Systems, bezog sich auf die Erscheinungen des inneren menschlichen Körpers, wenn überhaupt Ausscheidungen, Präzipitate, Versinterungen oder Steinbildungen in den Nieren, der Harnblase, der Gallenblase u. a. entstehen. Der Name Tartarus rührt bekanntlich vom Weinstein (Cremor tartari), dem heutigen sauren Kalisalz der Rechtsweinsäure (Acidum tartaricum) her, das sich bei der Gärung des Traubensaftes absetzt. Davon das Bild. Wenn wir die Quecksilberverbindungen des Paracelsus nannten — gewiß waren einige bereits in seinen Tagen bekannt — so ist die Einführung derselben in die damalige Syphilistherapie eine der genialsten und wertvollsten Leistungen unseres Arztes. Damit tritt er als erster Forscher von bleibender Bedeutung jener damals wahrscheinlich sehr verheerend wütenden Infektionskrankheit entgegen. Machte sie sich doch in diesen Tagen überhaupt zum erstenmal in Europa als eine neue Seuche bemerkbar, denn nach jüngsten Forschungen lassen sich für ein Vorkommen der Syphilis im Bereich der alten Welt während der Antike und des ganzen Mittelalters keinerlei Belege beibringen. Nicht ein einziger Literat des Altertums oder des Mittelalters erwähnt die Lues. Auch hat man zu keiner Zeit einen syphilitischen Knochen aus diesen Zeiträumen gefunden. Das erste Auftreten der Syphilis als Epidemie knüpft sich an den Feldzug Karls des VIII. von Frankreich nach Italien in den
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Und das ist für Paracelsus alles nur denkbar, wenn auch die ethischen Begabungen des Arztes eine starke Persönlichkeit
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Jahren 1494 und 1495. Darum der Name „französische Krankheit“. Morbus gallicus oder überhaupt „die Franzosen“. Und zwar ist ihr eigentlicher Ursprung Zentralamerika bzw. Haiti, von wo aus sie durch die Mannschaft des Kolumbus nach Spanien verschleppt wurde. Einwandfreie Berichte aus jener Zeit, wie die des Arztes Diaz de Isla, des Bischofs Las Casas, des Schriftstellers Oviedo, des Ethnographen Roman Pane, des Priesters Bernardino de Sahagun, des Leibmedikus Hernandez u. a. haben die Annahme eines amerikanischen Ursprungs der Syphilis ebenfalls sehr wahrscheinlich gemacht. Darum nannte man diese Krankheit auch westindische oder haïtanische Krankheit, lues americana, morbus hispanicus u. a. m. Der italienische Arzt Fracastoro (1520) nannte sie Syphilis, indem er diesen Namen nach dem mythischen Hirten Syphilus bildete und in sein berühmtes Gedicht (Syphilis sive Morbus Gallicus) einführte. Die Bezeichnung lues venerea (Lustseuche, venerische Krankheit) wurde von dem französischen Arzt Béthencourt im Jahre 1527 angeregt. Paracelsus sagt u. a. gern „Geschlechtspest“. Aber wie dem auch sei, Paracelsus hält es für ein wesentliches Stück seiner Berufsaufgabe, diesen dämonischen Gast, der so erschreckend und verheerend auch in Deutschland eingebrochen war, unschädlich zu machen. Seine Spezialstudien über diese Krankheit legte er in Monographien — wohl die ersten wissenschaftlichen über dieses Gebiet — nieder, z. B. in den Schriften: „Vom Holz Guajac“, „Drei Bücher von der französischen Krankheit (Imposturen)“, „Acht Bücher von Ursprung und Herkommen der Franzosen“, „Spitalbuch“. — Paracelsus rezeptierte als erster wirklich chemisch. Ein innerer Arzt — meinte er — wohnt in uns, der die Nahrung in bezug auf Brauchbares und Unbrauchbares scheidet und umsetzt, es ist der „Meisteralchemist“ des Magens. Die Heilmittel des Paracelsus sind modern. Präparate von Arsen, Quecksilber, Antimon, Blei, Eisen, Zink, Kupfer sind beliebte Heilmittel in seinem Arzneischatz, ja das Zink ist sogar von ihm genau beschrieben worden. Auch Schwefelsäure, Opium u. a. verwendet er.
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Paracelsus wird als Naturforscher und Arzt, als Naturphilosoph und Theologe für die Geheimgeschichte spiritistischer und okkultistischer Kreise, sowie für jene nicht kleine Anhängerschaft, die ihn allzugern als theatralisch aufgeputzten Faust oder irgend einen interessanten Abenteurer auslegt, endgültig verloren sein. Schon Friedrich Mook hat den Boden des alten Standortes stark gelockert und so auch den Wust von groben Fälschungen — ich erinnere an Herrmann Conring, Athanasius Kircher und Bernhard Dessenius von Kronenberg — zu entkräften und widerlegen versucht. Aber erst Karl Sudhoffs kritische Forschungen |
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Sechsunddreißig Jahre nachdem Paracelsus gestorben war, wurde in Brüssel ein Mann geboren, in dessen Werk sich so viel von dem großen Humanisten und Naturforscher stimmungsschwer niedergeschlagen hat: Johann Baptist van Helmont 1)..... Ich habe schon darauf hingewiesen, daß Sebastian Franck mit Worten der Verwunderung von Paracelsus redet. Hat der ernste Universalhistoriker und kirchenabgewandte Pessimist ihn persönlich gekannt? Wir wissen es nicht. Quellenmäßig erwiesen aber ist, daß Paracelsus mit Froben, Erasmus, Hieronymus Boner und Conrad Wickram in Verkehr gestanden hat. Mit den Baseler Humanisten Bonifacius und Basilius Amerbach verband ihn durch einige Zeit treue Freundschaft. In der Hochhaltung der deutschen Sprache schloß er sich seinem Kollegen Laurentius Frieß an. Aber auch ein Mann gehört hierher, der als Künder des kopernikanischen Weltbildes von Bedeutung wurde: Georg Joachim Rheticus 2)! Als Arzt war er ein überzeugter Anhänger von Paracelsus. Soweit in ein paar Strichen eine Skizze seiner Persönlichkeit. Vieles, das an ihm wesentlich ist, konnte nur angedeutet werden: seine reiche Theologie und ärztliche Ethik. Freilich, andererseits scheint mancher Zug, wie überhaupt die religiöse Organisation dieses Menschen, stellenweise noch ungeklärt und geschichtlich verschwommen. Wie er dem Naturgeschehen und den Ordnungen und Schickungen hellste Sinnfälligkeit verlieh, wie er es individualisierte, d. h. zu einer einzigen lebendigen Einheit erhob und
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1) Vgl. mein Buch: Joh. Baptist van Helmont (1577—1644). Leipzig und Wien 1907. Verlag Franz Deuticke.
2) Gest. am 4. Dezember 1576 zu Kaschau in Ungarn.
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Auch das ist sicher, daß sein Leben — und es war das Leben eines schlichten Mannes und Armenfreundes, der nur Wanderarzt und Wanderprediger sein wollte — organisch verknüpft ist mit den das Selbstgefühl steigernden Werten der Renaissance, und daß die Begabung, die diese geistig erregte Zeit in Fülle ausschüttete, so überreich über ihn kam: die sonnige Naturfreude und energische Bejahung des Lebens, die anschauliche, ästhetische Auffassung der Natur 1), das Interesse am Menschen und an den Kräften seiner Seele, die Kritik und Verfeinerung aller Lebensfragen, die religiöse Gemütsvertiefung und ganz besonders auch die neue Sinnlichkeit der Vernunft. Aber trotz aller Wirklichkeitsliebe und allem Bekenntnis zur Welt der Naturgesetzlichkeit war gewiß in Paracelsus auch ein romantischer Zug. Ich meine hier allerdings Romantik im Sinne jener leidenschaftlichen, phantasievollen und seltsamen Weltanschauung, wie wir sie an Tieck, Novalis, Wackenroder, den Schlegels, Arnim, Brentano, Hölderlin, Eichendorff u. a. erlebten. Seine fessellose Weise Subjektives geltend zu machen, seine oft launenhafte Willkür, die Betonung des Gefühlsmässigen, der Hang zum ostentativ Formlosen und rein Natürlichen sind echt romantisch. Auch das erinnert an diese Weltordnung, wenn man immer und immer wieder bei Paracelsus — besonders in den ärztlich-ethischen und theologosierenden Kapiteln — liest, wie doch das Herz viel mehr
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1) Ein Zug, der so lebhaft an Goethe gemahnt, wie überhaupt Paracelsus auch eine ihm verwandte Verbindung von objektiver Naturerkenntnis und phantasiemäßiger Anschauung zeigt.
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Er war deutsch und unabhängig in seinem ganzen Wesen, innerlich frei wie alle echten Genies; fast alle Gaue Europas hat er als wandernder Mediziner und „Theologe“ durchquert, aber er blieb auch immer deutsch und unabhängig, auch in seinem Platonismus, in seiner stoischen Philosophie und christlichen Mystik. In Österreich, wo er einst zum Jüngling heranwuchs, beschloß er auch sein vielbewegtes und tatenreiches Leben. Obwohl dieser Mann mit dem warmen Herzen und dem weltumspannenden Geist in seinen Tagen noch nichts von Ernte sah, hat er immer an eine Ernte geglaubt und sein freudiger, hoffnungsstarker Glaube liegt in dem Wort: „Vielleicht grünet, das jetzt herfür keimet mit der Zeit.“ Er, der mit stiller Ergriffenheit gesagt hat, der höchste Grund der Arznei ist die Liebe, jene schlichte, einfältige und verborgene Liebe, die „unduldsamer“ ist als aller Glaube und alles Recht, er war auch hierin ein Klassiker seiner Zeit und seines Berufes von der Stunde ab, als er seiner Arbeit das Motto gab, nicht aus Liebe dem Nächsten zu dienen, sondern immer mit Liebe. In diesem Gedanken liegt viel von dem Utopischen seiner Forderungen, aber auch die Tragik seines mißverstandenen Lebens, das so früh schon der Tod an die Hand genommen hat. Wir Heutigen beginnen erst wieder zu fühlen, daß der, der den Blicken der damaligen Zeit so still entschwand, auch wohl in unseren Tagen aufweckend reden könnte. |
Bibliography
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